Die Berichte der Kölnischen Rundschau, 07.01.2016

von Simon LORENZ

Rundschau-Leser schildern den Ablauf der Ereignisse

Mehr als 100 Anzeigen von sexuell belästigten Frauen - die erschreckende Bilanz der Horrornacht an Silvester rund  um Hauptbahnhof und Dom. Anhand von Augenzeugenberichten von Rundschau-Lesern, Videos und Polizeiangaben lässt sich der Verlauf einer Nacht rekonstruieren, deren aggressives Potenzial sich schon früher angedeutet hat, als bislang bekannt.

17:00 Karin Pfeifer erreicht mit ihrer Schwester und ihrem Schwager den Kölner Hauptbahnhof. Ziel: das Konzert in der Philharmonie - wie jedes Jahr. "So viele Menschen im Bahnhof, auf dem Vorplatz, auf den Treppen und auf der Domplatte hatten wir noch nie erlebt", schreibt die Henneferin. Menschen, deren Sprache sie nicht verstanden hätten. Auch der Kölner Thomas Meurers hält sich dort auf. Ihm fällt eine aggressive Stimmung auf: "Es wurden sogar Flaschen von oben auf die Trankgasse geworfen."

17:30 Unabhängig voneinander erreichen Barbara Friesen und eine sechsköpfige Gruppe um Elke Kreppel den Hauptbahnhof. Übereinstimmend schildern sie, dass Vorplatz, Domplatte und Domtreppe sehr voll gewesen seien mit Gruppen von jungen Männern. Feuerwerkskörper werden "unkontrolliert in die Menge geworden".

19:15 Baris Olson filmt mit seinem Handy das Geschehen. Auf Youtube werden seine zwei Videos später mehr als 600 000 Mal aufgerufen. Zu sehen sind eine volle Domtreppe und eine große Menschengruppe vor dem Bahnhof. Junge Männer zielen mit Raketen auf Passanten.

20:25 Die Situation wird zunehmend bedrohlich. Das Konzert in der Philharmonie ist beendet, Karin Pfeifer, die Gruppe um Elke Kreppel und Barbara Friesen versuchen, zurück zum Hauptbahnhof zu gelangen. Es ist eng, Männer stehen jetzt dicht an dicht, die Wege sind versperrt, Raketen und Böller werden in die Menge geworfen. Keiner sieht auch nur einen Polizisten.

21:00 Die Polizei zählt 400 bis 500 Personen vor Bahnhof und Dom, alkoholisiert, aggressiv.

22:20 Für sein Portal Topnews 24 filmt Markus Böhm auf dem Bahnhofsvorplatz. Die Menge ist angewachsen, Böller und Raketen werden unkontrolliert gezündet. Polizeibeamte sind nicht zu erkennen.

22:30 Julia Fukuda verlässt eine Silvesterfeier in einer Kölner Flüchtlingsunterkunft. Dort hatten Flüchtlinge der 39-jährigen ehrenamtlichen Helferin erzählt, dass sie zum Dom wollen. Die Helfer lenken die Gruppe zum Herkulesberg, um von dort das Feuerwerk zu betrachten. Fukuda betreut auch einen afghanischen Flüchtling, der trotz Warnung zum Dom fährt, "weil er ihn liebt". Ihr ist wichtig, dass zwischen den Tätern und jenen Flüchtlingen differenziert wird, die nur das Feuerwerk sehen wollten. Letzteres ist auf dem Video ihres Schützlings zu sehen.

23:00 Die Polizei erlebt eine zunehmend aggressive Stimmung und beobachtet mehr als tausend Menschen, größtenteils Männer. Heidi S. erreicht den Vorplatz. Sie fühlt sich wie in einem "Hexenkessel". Polizisten versuchen, die "Domtreppe abzuriegeln".

23:30 Die Polizei räumt Domtreppe und Bahnhofsvorplatz. Zur gleichen Zeit kommen dort Evelin M. und drei Freundinnen an. Sie werden von Männern belästigt, begrapscht. Sie finden Zuflucht in einem Hotel.

0:20 Erneut versuchen die Frauen, zum "Wartesaal" zu kommen. Sie begegnen "einem einzigen" Polizisten, der die Information gibt, der Platz sei gesperrt. Sie gehen einen Umweg. Wieder treffen sie auf Polizisten, die ihnen raten, die mitgeführte Sektflasche zur Selbstverteidigung zu nutzen.

0:45 Die Polizei gibt den Zugang zum Bahnhof wieder frei, für die vier Frauen geht es nun weiter, zuvor haben sie weitere sexuelle Übergriffe beobachtet.

1:00 Erste Anzeigen von geschädigten Frauen gehen bei der Polizei ein. Daraufhin werden Beamte zum Bahnhof geschickt. Davor ist die Lage eskaliert. Am Neujahrsmorgen meldet sich eine 17-Jährige aus Reichshof bei der Rundschau, sie sei um diese Uhrzeit vor dem Bahnhof von einer Männergruppe begrapscht und ausgeraubt worden. Auch Maria Flöge-Becker, Seniorenvertreterin der Stadt, erreicht den Bahnhofsvorplatz. Sie beobachtet weinende junge Frauen und dass zwei ältere Damen begrapscht und ausgeraubt werden. Sie schildert, dass die Polizei mit mehreren Fahrzeugen erscheint. Später wird die Behörde berichten, dass vor allem Nordafrikaner tatverdächtig sind, die schon seit einiger Zeit am Hauptbahnhof auf Diebestour gehen.

2:30 Gisela Schauf hat mit ihrer Familie den Abend in der Lanxess-Arena verbracht, am Hauptbahnhof wollen sie umsteigen. Doch in die Bahnhofshalle gelangen sie zunächst nicht, weil die Treppen von Polizisten blockiert werden.

4:00 Die Polizei meldet: "Die Lage hat sich abschließend beruhigt."

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2017