Die Berichte der Kölnischen Rundschau, 15.01.2016

von Jens MEIFERT, Kölnische Rundschau

Schluss mit

Image-Krise: Seit den Übergriffen hat "Köln" einen neuen Klang bekommen

Sechs Millionen Besucher kommen jedes Jahr nach Köln, um den Dom zu besuchen. Wie viele es in diesem Jahr sein werden, ist noch nicht ausgemacht. Klar ist nur, dass wohl noch nie so viel über die Geschehnisse rund um den Dom gesprochen und geschrieben wurde wie in den vergangenen Tagen - bei Fertigstellung der Kathedrale waren Tablet und Smartphone bekanntlich noch nicht erfunden. Bislang galt Köln als etwas sonderbare, aber stets liebenswürdige Metropole, irgendwie immer "jot drop". Die Silvester-Übergriffe und die ersten Tage des neuen Jahres haben diesem Bild eine neue Seite hinzugefügt. Sie ist tiefschwarz gehalten.

Was ist bloß in Köln passiert?

Diese Frage ist auch nach gut zwei Wochen noch nicht beantwortet. Klar ist nur, dass plötzlich viel von dem, das die Stadt, aber auch die Bundesrepublik ausmacht auf dem Prüfstand steht: die Sicherheit der Bürger und wie sie empfunden wird, die Handlungsgewalt der Polizei, die Willkommenskultur für Migranten und gleich dazu die gesamte Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Kanzlerin Angela Merkel sagt, Silvester seien Dinge passiert, die weit über "Köln" hinausgingen. Der Innenminister beschwichtigt mit der Formulierung "Köln ist nicht überall".

"Köln" steht plötzlich für rechtsfreie Räume und Bürger in Angst. Scharen von Auslandskorrespondenten schickten auf dem Bahnhofsvorplatz mit erschütterter Miene ihre Kommentare in die Welt. "Nachtmerrie in Keulen" titelte der niederländische "Teleegraf". Die gewöhnlich schmerzfreie "Sun" aus England markiert genüsslich "Straßen der Angst" und No-Go-Städte in Deutschland. "Het Nieuwsblad" aus Belgien sieht schlicht ein "ekelhaftes Silvester".

"Wir dürfen das nicht hinnehmen", hat Oberbürgermeisterin Henriette Reker in dieser Woche dem "Spiegel" gesagt. Über vier Seiten wurde sie um Statements gebeten, eine Ehre, die in der Reihe ihrer Vorgänger nur Konrad Adenauer zuteil geworden sein dürfte - vermutlich schon als Bundeskanzler. Auf dem Foto ist die 59-Jährige mit gefalteten Händen zu sehen. Es hat etwas Flehentliches. "Wir dürfen nicht in Angst erstarren, und unsere Lebensweise dieser Angst unterordnen", sagt Reker. Und dass die Sicherheitskonzepte für Karneval schon in Arbeit seien. Ja, natürlich, Karneval werde trotzdem gefeiert.

Es ist vieles durcheinander geraten in den vergangenen Tagen. Da war es für manchen Berichterstatter hilfreich, die vorgefertigte "Köln-Schablone" neben dem Laptop liegen zu haben. Kurzfassung: Köln wählt nur, wenn ein Kölschfass neben der Urne steht. Oder: Köln bekommt kein Bauwerk fertig, weil alle nur ans Schunkeln denken. Die Stadt, die anders tickt und nichts fertig bekommt. Klatschmarsch.

Die "Süddeutsche Zeitung" jedenfalls witterte in zuletzt bekannt stereotypischer Betrachtung, dass der Kölner nun in Ruhe Fastelovend feiern möchte. "Der Kölner hat immer etwas Restwärme übrig, die er gerne weitergibt. Dafür möchte er aber auch zurückgeliebt werden." Ah, ja, so isser halt. Und schon "stornieren Reiseveranstalter ihre Touren", eine Behauptung, die sich nicht unbedingt halten lässt (siehe Infotext), aber prima ins Bild passt.

Die kulturellen Missverständnisse (auf nationaler Ebene) münden in der Behauptung, das Lied von den "Spetzebötzjer", das Frauen aus Protest am Dom gesungen haben, sei die kölsche Antwort auf alles Geschehene. "Mir sin kölsche Mädcher." Und an den Spetzebötzjer losse mer uns nit dran fummele. Das war eigentlich keine schlechte kölsche Antwort. Nur nicht auf alles Geschehene.

Nun hat die Stadt Erfahrung darin, sich über Dellen im Image Gedanken zu machen. An dieser Stelle ist darüber schon nach den diversen Verfehlungen beim Versuch, Wahlen abzuhalten, geschrieben worden. Der Rat der Werbebranche lautete, vereinfacht gesagt: nicht lange nachkarten und die positiven Werte betonen. Aus heutiger Sicht wirken Stimmzetteldebakel und geplatzte Opernsanierung aber wie Bagatellschäden einer aus den Fugen geratenen Stadt. Erst Silvester hat Köln wirklich gespürt, wann Schluss ist mit lustig.

Im lautstarken Konzert der Meinungsposaunen fordert die "New York Times" kurzerhand den Merkel-Rücktritt und der "Spiegel-online"-Kolumnist watscht den Rechtsstaat als "Memme" ab. "Eine einfache Frage", heißt es da: "Kann man sich vorstellen, dass das, was in Köln passiert ist, auch in München möglich gewesen wäre? Die Antwort ist: mit ziemlicher Sicherheit Nein." Was wir brauchen, so der Rechtsberater aus Hamburg, sei "mehr robuste Polizeigewalt."

Von der tagesaktuellen Berichterstattung hat es die Debatte in die Feuilletons geschafft. Dort sieht die Frankfurter Allgemeine Zeitung durch die Übergriffe die Hohe Domkirche missbraucht. Ob geplant oder nicht: "Eine bildmächtigere Kulisse als diese gotische Kathedrale gibt es nicht." Eine Leinwand übrigens, die beim Pegida-Aufzug im vom damaligen Dompropst Norbert Feldhoff verdunkelt worden ist. Der Dom sei eine Kulisse, die noch andere Botschaften reflektiere: "dass es sich um einen Anschlag auf die Kultur der europäischen Stadt als eines Ortes der Begehung und der individuellen Freiheit handelt."

Da ist der Schritt zum Glaubenskrieg nicht mehr weit. Also urteilt die konservative Meinungsmacht aus Frankfurt, seien die Übergriffe eben auch ein Angriff auf die katholische Kirche, "jener Institution, die bei der Aufnahme von Flüchtlingen mit Hunderten von Ehrenamtlern in der ersten Reihe steht". Fazit: In der Bildpolitik, einem Geschäft, das der Islamische Staat erschreckend professionell betreibe, haben sich, so die Einschätzung, am Silvestertag "klammheimliche Mitstreiter" gefunden. Heiliger Krieg in Köln?

Rund zehn Tage, nachdem der Skandal umfänglich bekannt wurde, übernimmt nun die Riege der Talkshow-Gastgeber die Erörterung. Thema diese Woche bei Plasberg: "Die Schande von Köln." Thema Maischberger: "Angstrepublik Deutschland." Thema Illner: "Deutschland 2016: Leben mit Gewalt und Terror?" Fragen über Fragen.

Auch die neue Oberbürgermeisterin Henriette Reker hat in den vergangenen Tagen eine Menge Fragen beantworten müssen. Zu der "Armlängen"-Äußerung etwa, die hat die Republik ebenfalls zum Beben gebracht. Und ob die Horrornacht auch den Karneval überschatten werde. "Ich glaube schon, dass die Menschen vorsichtiger werden", sagte sie der FAZ. "Aber letztlich wird in Köln gefeiert." In Köln sei immer und auch in den schwierigsten Zeiten gefeiert worden. Das klang nach 1946, einer Stadt in Trümmern und Neuanfang. Und vermutlich war das sogar beabsichtigt.

ZWEI GRUPPEN HABEN FÜHRUNGEN STORNIERT

In den ersten Tagen nach den Silvester-Übergriffen gingen bei Köln-Tourismus viele Anrufe und E-Mails ein, mit denen Menschen mitteilten, sie würden aufgrund der Ereignisse von geplanten Reisen nach Köln absehen wollen.

Dabei habe es sich größtenteils um noch nicht gebuchte, sondern nur beabsichtigte Reisen gehandelt, so Josef Sommer, Geschäftsführer von Köln-Tourismus. "Wie viele Stornierungen es in der Folge tatsächlich geben wird, lässt sich daran allerdings noch nicht festmachen."

Unter den Rückmeldungen seien auch einige politische, teils radikale Äußerungen gewesen, mit denen sich die Kollegen und Kolleginnen konfrontiert sahen, so Sommer.

Mittlerweile habe sich die Situation aber wieder beruhigt, sagt Sommer weiter. Zwei Gruppen haben bisher explizit mit Hinweis auf die Vorfälle in der Silvesternacht Führungen storniert.

Ob Reiseveranstalter tatsächlich Gruppen für Touren nach Köln nicht voll bekommen haben und Hotels absagen mussten, ist nicht bekannt.

Wirtschaftsdezernentin Ute Berg betont in Hinblick auf das Image der Stadt, dass auch die positiven Seiten nicht in Vergessenheit geraten sollten. Die Messe <<mit>> internationaler Ausrichtung, ein internationaler Forschungsstandort, eine international ausgerichtete Universität - das seien Stärken Kölns, die wieder mehr betont werden müssten. (bpo) 

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