Die Berichte des EXPRESS, 12.01.2016

von Gerhard VOOGT, EXPRESS in Köln

'Gesundheitsministerin operiert auch keine Blinddarmentzündung'

Düsseldorf - NRW-Innenminister Ralf Jäger (54) will keine Verantwortung für die Polizei-Pannen beim Kölner Sex-Mob übernehmen. Er sei operativ nicht eingebunden gewesen. Die "Gesundheitsministerin operiert auch keine Blinddarmentzündung", stellte Jäger im Innenausschuss klar.

Seit Freitag hatten die Politiker auf den Bericht des Innenministers zu den Übergriffen in der Silvesternacht gewartet. Doch das Schriftstück (15 Seiten plus Anhang) wurde erst unmittelbar vor Beginn der Sitzung verteilt, so dass der Opposition kaum eine Chance blieb, sich vorzubereiten. Nachdem Jäger den Kölner Polizeipräsidenten Wolfgang Albers (60) von seinen Aufgaben entbunden hatte, steht er selbst im Fokus. Jägers Ankündigung, er werde schonungslos und transparent aufklären, bezog sich allerdings nur auf die Rolle der Kölner Polizei. Selten wurde eine Polizeibehörde von ihrem obersten Dienstherrn so massiv kritisiert.

"Das Bild, dass die Kölner Polizei abgegeben hat, war nicht akzeptabel", sagte Jäger. Der verantwortliche Polizeiführer habe die angebotenen Verstärkung nicht abgerufen und deshalb die Kontrolle verloren. Er selbst habe keine Anweisungen gegeben, Informationen zu unterdrücken, sagte Jäger. Viele Tatverdächtige sind Flüchtlinge aus Algerien und Marokko. Der "entfesselte Männerwahn" sei aber nicht absehbar gewesen. Dass im Schutz einer großen Masse von Gleichgesinnten Sexualstraftaten begangen würden, sei ein in Deutschland bislang unbekanntes Phänomen. Aus dem Bericht geht unter anderem hervor, dass sich sogar eine Zivilpolizistin nicht gegen die sexuellen Übergriffe wehren konnte. In den arabischen Ländern ist der Tatmodus als "taharrush gamea" bekannt. Während der ägyptischen Revolution hatte es immer wieder Berichte über öffentliche Vergewaltigungen gegeben.

Im Anhang des Berichts werden die Strafanzeigen der Opfer des Sex-Mobs dezidiert aufgelistet. Die Tatvorwürfe sind zum Teil ungeheuerlich. "Geschädigte wurde von mehreren Tätern im Intimbereich berührt", heißt es zum Beispiel in einer Anzeige, die sich auf einen Angriff um 23.20 Uhr auf dem Kölner Bahnhofsvorplatz bezieht. In anderen Anzeigen heißt es, die Frauen seien am Po und an den Brüsten begrapscht worden. Insgesamt ermittelt die Polizei gegen 19 Tatverdächtige. Keiner der Verdächtigen habe die deutsche Staatsbürgerschaft, hieß es. Neun der Verdächtigen sind vermutlich illegal in Deutschland. Insgesamt bearbeitet die Ermittlungsgruppe Neujahr 553 Strafanzeigen, die bei der Bundes- und Kölner Polizei eingegangen sind.

Marc Lürbke (38), innenpolitischer Sprecher der FDP, erklärte, dem Innenminister sei die Sicherheit in NRW entglitten. "Ein Konzept, um rechtsfreie Räume wie in Köln künftig zu verhindern, fehlt gänzlich", kritisierte der Liberale. Jäger trage als oberster Dienstherr der Polizei eine klare Mitverantwortung für das Desaster von Köln.

Gregor Golland (41, CDU) sorgt sich um die Sicherheit an den Karnevalstagen: "Wenn es dann wieder zu ähnlichen Ausschreitungen kommt, dann hat die Landesregierung NRW ein Problem, und für den Minister wird es ganz eng. Entschlossenes Handeln ist gefragt. Stattdessen versucht Herr Jäger, sich aus der Verantwortung zu stehlen und seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen."

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (54) sprang Montagabend im ARD-Talk "Hart aber fair" Innenminister Jäger zur Seite: "Die Lageeinschätzung vor Ort macht nicht das Ministerium. Sie muss von sachkundigen Beamten vorgenommen werden." Außerdem sagte Kraft dazu, dass man die Frauen in der Silvesternacht nicht ausreichend schützen konnte: "Ich würde am liebsten alle Frauen um Entschuldigung bitten, dass das passiert ist. Aber das geht natürlich schwer!"

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2017