Die Berichte des Kölner Stadt-Anzeiger, 03.01.2016

von Tim STINAUER, Kölner Stadtanzeiger

Bundespolizei am Hauptbahnhof nicht mehr Herr der Lage

17:37

Angst, Tränen, Panik– immer wieder fallen diese Worte, wenn man Frauen zuhört, die von ihren Erlebnissen aus der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof berichten. Eine 22-Jährige schildert, sie habe auf dem Weg in eine Diskothek die ganze Zeit eine Sektflasche fest umklammert, um sich im Zweifel damit wehren zu können.

Mehr als 30 Frauen haben inzwischen Anzeige bei der Polizei erstattet. Sie alle schildern, wie sie in jener Nacht begrapscht, bedroht, beleidigt und ausgeraubt worden seien – von einem Mob außer Kontrolle geratener junger Männer, die sich im Bereich zwischen dem Alten Wartesaal und der Domplatte feixend und johlend über ihre Opfer hergemacht haben sollen. Es klingt so unglaublich wie erschreckend.

Sichtlich überforderte Beamte

„Mir wurde unter mein Kleid und an mein Gesäß gegriffen“, schildert die 22-Jährige. „Beim Versuch, mich zu wehren, bin ich fast die Treppen runtergefallen.“ Eine andere Frau berichtet, man habe ihr den Rock und den Slip zerrissen. Polizisten, die vereinzelt zu sehen gewesen seien und die man angesprochen habe, seien „sichtlich überfordert“ oder mit anderen Aufgaben beschäftigt gewesen.

Tags darauf dann reagierte die Polizei mit der Gründung einer Ermittlungsgruppe. Die soll nun die vielen Strafanzeigen bearbeiten und die Vorgänge aufklären. Dazu werten die Beamten Daten von Überwachungskameras aus, aber auch Fotos und Handyfilme, die die Opfer selbst angefertigt haben. Von der Wucht der Ereignisse scheinen selbst die Ermittler überrascht zu sein. „Wir haben im Laufe des Neujahrstages immer mehr Anzeigen bekommen“, schilderte eine Polizeisprecherin. Erst da wurde auch der Polizei das Ausmaß der Taten offenbar so richtig deutlich.

In der Nacht sei es nicht möglich gewesen, Täter auf frischer Tat zu fassen – auch weil Opfer Schwierigkeiten gehabt hätten, Verdächtige im dichten Getümmel wiederzuerkennen.

Bei den Tätern aus der Silvesternacht handelt es sich nach übereinstimmenden Angaben der Opfer um junge Männer nordafrikanischer Herkunft. Die Zahlen schwanken zwischen 20 und 100. „Die haben nichts mit den Flüchtlingen aus Kriegsgebieten zu tun, die seit Monaten nach Deutschland kommen“, sagt ein Ermittler.

Die jungen Nordafrikaner stehen schon seit vielen Monaten im Fokus der Polizei, weil sie in der Innenstadt und auf den Amüsiermeilen wie den Ringen und der Zülpicher Straße Partygänger bestehlen oder ausrauben. „Normalerweise gehen die zu zweit oder zu dritt vor“, berichtet ein Ermittler, der die Szene gut kennt. „Aber dass sich die Zellen wie in der Silvesternacht zusammenschließen, um gemeinsam über ihre Opfer herzufallen, das hat eine neue Qualität.“

Zivilfahnder berichten, dass sie nur noch zu zweit oder zu dritt „an diese Täter rangehen“, wie es ein Beamter ausdrückt – aus Sorge, verletzt zu werden. „Wenn die sich in die Enge getrieben fühlen, sind die skrupellos. Die würden dich auch abstechen, wenn sie können.“ Am und im Hauptbahnhof sind die Täter schon lange aktiv. „Sie stehen in kleinen Gruppen an den neuralgischen Punkten, scannen jeden ab, der rein und raus geht“, erzählt ein Ermittler. „Wenn sie glauben, ein lohnenswertes Opfer gefunden zu haben, gehen sie hinterher.“ Begehrte Beute seien vor allem Reisekoffer, Handys und Fotoausrüstungen.

„Wir sind am Limit“

Die Bundespolizei, die für die Sicherheit in den Bahnhöfen zuständig ist, kennt das Problem sehr genau, hat aber offenbar schlicht zu wenig Beamte, um die Lage kontrollieren zu können. Ein Bundespolizist, der seinen Namen nicht in der Zeitung sehen möchte, sagt: „Wir sind am Limit. Wir können die Straftaten nur noch verwalten.“ Aus reinem Personalmangel begleite man zum Beispiel auch Fußballrandalierer immer seltener in Zügen zu den Bundesligaspielorten.

Hundertschaftseinheiten, über die auch die Bundespolizei verfügt, könnten helfen, sie seien aber zuletzt in Süddeutschland an den Grenzen eingesetzt gewesen, um dort die Flüchtlingsströme zu kanalisieren. An den Bahnhöfen seien er und seine Kollegen zudem vielfach mit zusätzlichen Aufgaben belastet wie der Registrierung von Flüchtlingen, die im Bahnhof stranden.

Bundespolizei-Sprecherin Martina Dressler bestätigte im „Kölner Stadt-Anzeiger“ zuletzt, dass die Personaldecke „sehr dünn“ sei. Von resignieren oder aufgeben könne aber nicht die Rede sein. Polizeigewerkschafter Arnd Krummen vom GdP-Bezirk NRW der Bundespolizei wurde da schon deutlicher: „Wir stehen kurz vor dem Kollaps“ – auch wenn die Motivation seiner Kollegen noch hoch sei, sagte Krummen.

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"Wächterpreis der Tagespresse" 2017