Die Berichte des Kölner Stadt-Anzeiger, 08.01.2016
von Tim STINAUER, Kölner Stadtanzeiger
Nach Silvesternacht in Köln „Ich töte sie“ - Polizei findet Übersetzungszettel bei Verdächtigen
11:16
Die beiden Männer, die die Polizei heute gegen Mitternacht auf dem Bahnhofsvorplatz festgenommen hat, sollen morgen dem Haftrichter vorgeführt werden. Der Tatvorwurf lautet auf sexuelle Nötigung. Die beiden Männer (16, 23) sollen nordafrikanischer Abstammung sein und mit den Vorfällen aus der Silvesternacht in Verbindung stehen. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ stellten Beamte bei ihrer Durchsuchung Handys sicher, auf denen Videos und Fotos aus der Silvesternacht gespeichert waren. Sie sollen unter anderem sexuelle Übergriffe auf Frauen zeigen.
Wie ein Ermittler berichtete, habe man auch einen Zettel gefunden mit handschriftlichen Übersetzungshilfen in deutsch-arabischer Sprache. Auf der linken Seite stehen deutsche Sätze und Begriffe wie „Große Brüste“, „Ich will dich küssen“, „Ich töte Sie“ und „Ich will ficken“. Rechts daneben ist die arabische Bedeutung notiert. Insgesamt hat die Polizei damit bis jetzt 21 Männer identifiziert, deren Beteiligung an den schockierenden Ereignissen vor dem Hauptbahnhof geprüft wird. 170 zumeist weibliche Opfer haben Strafanzeigen erstattet, davon berichteten 120 Frauen auch von sexuellen Übergriffen.
AM KÖLNER HAUPTBAHNHOF
Eindeutigen Zettel sichergestellt
Fahnder finden belastendes Material bei Kontrollierten - Spuren führen auch in Flüchtlingsheim
VON TIM STINAUER
Köln. Es ist kurz nach Mitternacht am Freitag, als Zivilfahnder der Polizei zwei junge Männer auf dem Bahnhofsvorplatz erspähen, die ihnen verdächtig vorkommen. Sie entscheiden sich, die beiden zu kontrollieren - und landen einen Treffer.
Sie finden nicht nur einen Zettel mit der kruden Übersetzung sexistischer Begriffe vom Deutschen ins Arabische. Auf den Handys der Verdächtigen sichern die Fahnder zudem Filme und Fotos, die Szenen der Ausschreitungen vor dem Hauptbahnhof in der Silvesternacht zeigen. Wie es heißt, sollen auch Übergriffe auf Frauen auf dem Material zu sehen sein. In der Kleidung der beiden Männer wurde zudem mutmaßliche Beute aus Trickdiebstählen sichergestellt.
Weil den beiden Männern zunächst keine konkreten Straftaten nachzuweisen waren, wurden sie am Freitagnachmittag wieder aus dem Polizeigewahrsam entlassen. Die Ermittlungen in der Sache liefen aber weiter, betonte Staatsanwalt Benedikt Kortz auf Anfrage.
Zunächst sei beabsichtigt gewesen, einen Haftbefehl wegen sexueller Nötigung gegen die Männer zu erlassen, berichtete ein Ermittler. Auf dem Zettel, den die Fahnder bei ihnen gefunden haben, sind handschriftliche Übersetzungen ins Arabische zu erkennen. Darunter finden sich Formulierungen wie "Ich scherze mit ihnen" oder "Ich habe eine Überraschung", aber auch sexistische Bemerkungen wie: "Ich will dich küssen" und: "Ich will fucken". Auch den Satz: "Ich töte sie ficken" kann man lesen, gemeint ist damit: "Ich will sie zu Tode ficken".
"Man kann diesen Zettel womöglich als Hinweis darauf werten, dass die Überfälle und sexuellen Angriffe an Silvester nicht zufällig und spontan begangen wurden, sondern organisiert und vorbereitet waren", sagte ein Ermittler dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Offiziell wollte die Polizei die weiteren Umstände der Festnahme und die Schlüsse daraus "aus ermittlungstaktischen Gründen" nicht näher kommentieren.
Insgesamt hat die Kölner Polizei inzwischen 19 Tatverdächtige aus der Silvesternacht ermittelt, die meisten sind nordafrikanischer Herkunft. Aufgabe der "EG Neujahr" ist es nun, diesen Männern die Straftaten konkret nachzuweisen. Dazu wurde die Ermittlungsgruppe am Freitag laut Polizei um weitere 20 auf hundert Beamte aufgestockt. Außer Zeugen- und Opferaussagen werten sie vor allem Videos und Fotos der Geschehnisse aus.
Zusätzlich hat die Bundespolizei 32 weitere Männer identifiziert, darunter 18 Asylbewerber. Ihnen würden aber überwiegend Körperverletzungen und Diebstähle zur Last gelegt. Sexualdelikte seien bisher nicht mit den Asylbewerbern in Verbindung gebracht worden.
Wie zu erfahren war, soll die Kölner Polizei inzwischen auch Spuren in mindestens ein Kölner Flüchtlingsheim verfolgen. Wie es heißt, sollen einige der in der Silvesternacht geraubten Mobiltelefone dort geortet worden sein. Weitere Männer, deren Personalien in der Nacht kontrolliert worden waren, sollen nach Angaben der Deutschen Polizeigewerkschaft in Duisburg wohnen.
Wegen des ungewöhnlich hohen Ermittlungsaufwands in diesen Tagen hatte Polizeipräsident Wolfgang Albers kurz vor seiner Versetzung in den einstweiligen Ruhestand die traditionelle polizeiinterne Feier an Weiberfastnacht im Präsidium abgesagt. Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse werde an Weiberfastnacht jeder verfügbare Polizist auf der Straße gebraucht, soll Albers die geplante Absage sinngemäß begründen, heißt es.
An der Feier im großen Veranstaltungssaal im Kalker Präsidium nehmen jedes Jahr etwa 500 Polizisten teil. Veranstalter ist das Sozialwerk der Kölner Polizei. Der Vorsitzende, Ralf Remmert, bestätigte die geplante Absage: "Wir bedauern diese Entscheidung, respektieren sie aber", sagte Remmert und betonte, die offizielle Karnevalssitzung der Polizei am kommenden Donnerstag im Hotel Maritim finde definitiv statt.
Selbstverteidigungsmittel sind stark gefragt
Seit den Übergriffen in Köln sind Pfefferspray und andere Selbstverteidigungsmittel nach Branchenangaben stark gefragt. "Die Fachgeschäfte bemerken seit Silvester noch einmal einen massiven Anstieg der Nachfrage", sagte der Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Büchsenmacher und Waffenfachhändler (VDB), Ingo Meinhard, in Marburg.
Bereits nach den Anschlägen in Paris im November seien viele besorgte Menschen gekommen, um sich über solche "freien Abwehrmittel" zu informieren und diese zu kaufen. "Sie kommen nun mit den Bildern von Silvester und fragen: "Was kann ich tun, um mich selbst zu schützen?"" Meinhard schätzt, dass sich 2015 der Umsatz mit Pfefferspray, Reizgas oder Schreckschusswaffen im Vergleich zum Vorjahr "mindestens verdoppelt" habe.
In einem Kölner Kaufhaus für Outdoor-Ausrüstung war das Spray zeitweise sogar ausverkauft, sagte Sprecher Sebastian Presse. Es habe kräftig nachbestellt werden müssen. In einigen Geschäften für Schieß- und Jagdbedarf in Köln sieht das Bild ähnlich aus. Wichtig sei laut Meinhard, sich vor dem Kauf über die Rechtslage zu informieren.
Online am: 08.01.2016
Aktualisiert am: 04.05.2017
Inhalt:
- Unglaubliche Ereignisse einer Silvesternacht und ihre Folgen: ein Überblick
- Die Chronologie aller Ereignisse der Silvesternacht
- 3 Medien machen alles öffentlich: das Making-of dreier Redaktionen
- Der parlamentarische Untersuchungsausschuss "Kölner Silvesternacht"
Tags:
EXPRESS | investigativ | Köln | Kölner Stadt-Anzeiger | Kölnische Rundschau | Nordrhein-Westfalen | Parlamentarischer Untersuchungsausschuss | Polizei
Auszeichnungen:
"Wächterpreis der Tagespresse" 2017
Die Menschen hinter dieser Geschichte:
- Joachim FRANK
- Janine GROSCH, Kölner Stadtanzeiger
- Christopher HEYER, Video EXPRESS
- Christian HÜMMELER, Kölner Stadt-Anzeiger
- Fabian KLASK, Kölner Stadtanzeiger
- Jens MEIFERT, Kölnische Rundschau
- Oliver MEYER, EXPRESS in Köln
- Peter PAULS, Kölner Stadtanzeiger
- Detlef SCHMALENBERG
- Stefan SOMMER, Kölnische Rundschau
- Tim STINAUER, Kölner Stadtanzeiger
- Daniel TAAB, Kölnische Rundschau
- Gerhard VOOGT, EXPRESS in Köln
- Christian WIERMER, EXPRESS in Köln
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