Die Berichte des Kölner Stadt-Anzeiger, 06.01.2016

von Fabian KLASK, Kölner Stadtanzeiger, Tim STINAUER, Kölner Stadtanzeiger

Noch kein Täter identifiziert

Was wissen wir über die Übergriffe? Können straffällig gewordene Ausländer abgeschoben werden? Antworten auf die wichtigsten Fragen

Was wissen wir über die Täter?

Eigentlich nichts, denn bislang wurde kein einziger identifiziert. Am Sonntag wurden fünf Verdächtige nach einem Raub am Bahnhof festgenommen, noch ist aber unklar, ob sie etwas mit den Taten am Donnerstag zu tun haben. Die vorwiegend weiblichen Opfer beschrieben die Täter  als Nordafrikaner und Araber. Nach Informationen des "Kölner Stadt-Anzeiger" waren unter den 1000 Männern vor dem Bahnhof aber bei weitem nicht nur polizeibekannte Taschen- und Trickdiebe aus Nordafrika, wie es bislang hieß. Die Polizei hat an jenem Abend von etwa 100 Männern die Personalien kontrolliert , darunter soll zum Beispiel auch "eine Reihe von Flüchtlingen" aus Syrien gewesen sein, die erst seit kurzem in Deutschland leben; auch unter den fünf Festgenommenen vom Sonntag, von denen inzwischen zwei in Untersuchungshaft sitzen, seien syrische Staatsbürger, bestätigte ein Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Düsseldorf auf Anfrage. Polizisten, die in der Silvesternacht vor dem Bahnhof eingesetzt waren, berichten, unter den Tatverdächtigen seien zahlreiche Männer aus Syrien, dem Irak und Afghanistan gewesen. Laut GdP-Chef Arnold Plickert müsse nun ein genaues Lagebild über die Täter angefertigt werden. Er warnte davor, Flüchtlinge insgesamt "als potenzielle Straftäter zu diffamieren".

Haben die   Täter  sich verabredet, nach Köln zum Hauptbahnhof zu kommen?

Diesem Verdacht geht die Polizei nach. Er könne sich nicht vorstellen, dass sich 1000 junge Männer, von denen vermutlich viele nicht aus Köln stammen, zufällig vor dem Hauptbahnhof getroffen hätten, sagte ein Ermittler. Um diese Vermutung zu erhärten, durchforstet die Polizei unter anderem Einträge in Internetforen und sozialen Netzwerken, auf denen sich die Männer verabredet haben könnten.

Wie viele Opfer gibt es?

Bislang sind 90 Strafanzeigen bei der Polizei eingegangen, die meisten wegen Raubes oder Diebstahls. Unter den Opfern sind auch Flüchtlinge. In etwa einem Viertel der Fälle wurden auch sexuelle Übergriffe angezeigt.

Warum konnte die Polizei die Übergriffe in der Silvesternacht nicht verhindern?

Weil sie nach eigenen Angaben von den meisten Taten erst im Laufe des frühen Morgens erfahren hatte - als nach und nach mehr Opfer Anzeige erstatteten. Zwar hätten sich gegen 0.45 Uhr auch die ersten Frauen an Beamte gewandt. Aber die Täter seien im Getümmel untergetaucht. Obwohl Polizisten, die oben auf der Treppe vor dem Dom standen, den "Tatort" vor dem Bahnhof sogar im Blick hatten, war ihnen nicht ungewöhnliches aufgefallen. Direktionsleiter Michael Temme erklärte, es sei in einer Menschenmasse wie dieser "enorm schwierig", solche Situationen punktuell zu erkennen, gerade im Dunkeln.

Wie wollen Stadt und Polizei solche Vorfälle künftig verhindern?

Zum einen durch Aufklärung: Noch vor Karneval wolle man Präventionshinweise für Frauen veröffentlichen, sagte Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Zum anderen durch mehr Polizei und eine Ausweitung der Videoüberwachung an neuralgischen Punkten, ergänzte Albers. Bei Großereignissen will die Stadt künftig für ein Sicherheitskonzept sorgen. Juristisch geprüft werde, ob polizeibekannte Straftäter für die Dauer bestimmter Veranstaltungen sogenannte Bereichsbetretungsverbote bekommen können.

Wann werden straffällige Asylbewerber abgeschoben? Wenn Asylsuchende für Straftaten verurteilt werden, droht ihnen nicht zwingend die sofortige Abschiebung. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verlangt vor einer Entscheidung darüber, dass alle Umstände im Einzelfall geprüft werden. Das gilt insbesondere für anerkannte Asylbewerber und solche mit einem vorübergehenden Aufenthaltsstatus während des laufenden Asylverfahrens.

Wie sieht es nach Abschluss des Asylverfahrens oder bei Ausländer mit anderen Aufenthaltstiteln aus?

Bei abgelehnten, aber geduldeten Asylbewerbern könne die Ausländerbehörde in schweren und eindeutigen Fällen zügig über eine Abschiebung entscheiden, erklärte ein Sprecher des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen. In der Praxis warten sie allerdings meist den Ausgang eines Gerichtsverfahrens ab, um eine sichere rechtliche Grundlage zu haben.

"Wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist", wie es im Gesetz heißt, besteht ein besonderes "Ausweisungsinteresse".

In der Regel, so das nordrheinwestfälische Innenministerium, werde in diesen Fällen abgeschoben, wenn derjenige seine Haftstrafe verbüßt hat. Trotzdem müssten einzelne Faktoren wie das familiäre Umfeld und die Lage im Heimatland einer Person berücksichtigt werden.

Die Entscheidung, ob ein Straftäter abgeschoben wird, treffen in jedem Fall die Ausländerbehörden der Kreise und kreisfreien Städte.

Unabhängig von möglichen Strafverfahren haben Asylbewerber aus einigen nordafrikanischen Staaten wie Marokko oder Algerien aber nur in den seltensten Fällen ein Bleiberecht. Ihre Anerkennungsquote liegt rund zwei Prozent.

Jagd auf Ausländer

Rechtsextreme verabreden sich derzeit offenbar in Internetforen, um in Köln Jagd auf Ausländer zu machen. "Die Hinweise sind uns bekannt. Wir nehmen sie sehr ernst und werden uns darauf einstellen", sagte Polizeisprecher Dirk Weber.

Die Bundespolizei stoppte am Dienstag in Gelsenkirchen einen offenbar psychisch kranken Mann mit einem Küchenbeil in der Jackentasche. Der 26-Jährige wollte nach Köln, um sich dort nach der Silvesternacht "ein Bild von den sexuellen Belästigungen zu machen". (ksta)

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