Die Berichte des Kölner Stadt-Anzeiger, 23.03.2016

von Tim STINAUER, Kölner Stadtanzeiger

Panik auf der Hohenzollernbrücke gab es schon 2014

Ordnungsamt Panik auf der Hohenzollernbrücke gab es schon Silvester 2014   Hunderte Menschen drängten sich in der Silvesternacht vor zweieinhalb Monaten auf der Hohenzollernbrücke. Weil es zu voll wurde, sei eine Massenpanik ausgebrochen, sagt die Bundespolizei.  Ein internes Dokument, das dem Kölner Stadt-Anzeiger vorliegt, warnte schon nach Silvester 2014 vor einer Massenpanik auf der Hohenzollernbrücke. Ordnungsamtsmitarbeiter haben Ende Januar 2015 penibel die chaotischen Zustände aufgelistet - ihre Empfehlungen zur Verbesserung der Sicherheit wurden aber nicht umgesetzt. Im Untersuchungsausschuss zur Silvesternacht 2015/2016 schildert der Einsatzleiter der Bundespolizei wieder panikartige Zustände. Die Beteiligten - Bundespolizei, Landespolizei und Stadt Köln - schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu. 

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Die Szenen klingen bedrohlich: Menschen, die Feuerwerksraketen aus bloßen Händen aufsteigen lassen. Verbotene Knallkörper, die in der Menge detonieren. Jugendliche, die Böller in die Massen schleudern, die sich auf dem Heinrich-Böll-Platz und den Treppen hinunter zum Rheinufer drängen.  Von der Hohenzollernbrücke werfen Menschen leere Sektflaschen  auf die Feiernden unter ihnen, vom Rheinufer wiederum schießen Chaoten Raketen auf die Brücken. Die Bilanz: „Vermehrt“ Schnitt- und Brandverletzungen.  So geschehen in der Silvesternacht 2014/15, nachzulesen in einer internen Unterlage der Stadtverwaltung. In dem Dokument, das dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, haben Mitarbeiter des Ordnungsamtes bereits Ende Januar 2015 penibel die chaotischen Zustände aufgelistet, die zum Jahreswechsel 2015 um die und auf der Hohenzollernbrücke geherrscht hatten. Internes Dokument der Stadt. An einer Stelle ist sogar von einer befürchteten Massenpanik die Rede. Die Absperrung des Fußgängerwegs zwischen Heinrich-Böll-Platz und Hohenzollernbrücke habe wegen des massiven Andrangs nach kurzer Zeit wieder aufgehoben werden müssen – der Druck wurde zu groß. Eine Hundertschaft der Polizei muste anrücken und die Situation unter Kontrolle bringen.  Aber trotz dieses Wissens und trotz elf Monaten Planungszeit haben sich die panikartigen Zustände am Neujahrsmorgen 2016 offenbar wiederholt.  Vor dem Untersuchungsausschuss des NRW-Landtags hatte der Einsatzleiter der Bundespolizei jedenfalls am vorigen Freitag sogar Parallelen zur Massenpanik bei der Loveparade in Duisburg 2010 gezogen. Er sprach von Menschen, die in ihrer Verzweiflung erwogen hätten, in den Rhein zu springen, um nicht erdrückt zu werden.  Stattdessen flüchteten sie auf die Eisenbahngleise der Hohenzollernbrücke. Züge mussten gestoppt werden, Bundespolizisten retteten die verirrten Menschen von den Schienen. Verletzt worden sei zum Glück niemand, sagte der Einsatzleiter.  Dabei haben die  Ordnungsamts-Mitarbeiter in ihrer Dokumentation von 2015 nicht nur vier konkrete „Gefahrenstellen“ an den Zugängen zur Brücke identifiziert. Sie haben auch Empfehlungen formuliert, wie man der Lage  in künftigen Silvesternächten „Herr werden“ könne – zum Beispiel durch Absperrungen mit geeigneten Fluchtwegen, nicht erst an den Brückenköpfen, sondern schon viel weiter vorher, etwa auf dem Heinrich-Böll-Platz oberhalb der Philharmonie.  Wer übernimmt die Verantwortung?  Umgesetzt wurden die Empfehlungen in der zurückliegenden Silvesternacht aber offenbar nicht. Nur die Zahl der Mitarbeiter wurde deutlich erhöht. Den Fußgängerweg der Brücke sperrten die Ordnungsdienstler zwar zwischenzeitlich nach dem eher zufälligen Hinweis einer Landespolizistin für ein paar Minuten ab – allerdings erst, als das größte Chaos schon vorbei war.  Warum nicht schon viel eher? Und wer hätte das veranlassen müssen? Die zuständigen Behörden, so scheint es, schieben sich nun gegenseitig den schwarzen Peter zu. Niemand will die Verantwortung für das Kommunikationsdesaster übernehmen.    

 

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Panik auf der Brücke gab es schon Silvester 2014

Oednungsamt - Dokument listet chaotische Zustände auf - Empfehlungen der Mitarbeiter zur Verbesserung der Sicherheit nicht umgesetzt

VON TIM STINAUER  

Die Szenen klingen bedrohlich: Menschen, die Feuerwerksraketen aus bloßen Händen aufsteigen lassen. Verbotene Knallkörper, die in der Menge detonieren. Jugendliche, die Böller in die Massen schleudern, die sich auf dem Heinrich-Böll-Platz und den Treppen hinunter zum Rheinufer drängen. Von der Hohenzollernbrücke werfen Menschen leere Sektflaschen auf die Feiernden unter ihnen, vom Rheinufer wiederum schießen Chaoten Raketen auf die Brücken. Die Bilanz: "Vermehrt" Schnitt- und Brandverletzungen.  So geschehen in der Silvesternacht 2014/15, nachzulesen in einer internen Unterlage der Stadtverwaltung. In dem Dokument, das dem "Kölner Stadt-Anzeiger" vorliegt, haben Mitarbeiter des Ordnungsamtes bereits Ende Januar 2015 penibel die chaotischen Zustände aufgelistet, die zum Jahreswechsel 2015 um die und auf der Hohenzollernbrücke geherrscht hatten. An einer Stelle ist sogar von einer befürchteten Massenpanik die Rede. Die Absperrung des Fußgängerwegs zwischen Heinrich-Böll-Platz und Hohenzollernbrücke habe wegen des massiven Andrangs nach kurzer Zeit wieder aufgehoben werden müssen - der Druck wurde zu groß. Eine Hundertschaft der Polizei muste anrücken und die Situation unter Kontrolle bringen.  Aber trotz dieses Wissens und trotz elf Monaten Planungszeit haben sich die panikartigen Zustände am Neujahrsmorgen 2016 offenbar wiederholt. Vor dem Untersuchungsausschuss des NRW-Landtags hatte der Einsatzleiter der Bundespolizei jedenfalls am vorigen Freitag sogar Parallelen zur Massenpanik bei der Loveparade in Duisburg 2010 gezogen. Er sprach von Menschen, die in ihrer Verzweiflung erwogen hätten, in den Rhein zu springen, um nicht erdrückt zu werden. Stattdessen flüchteten sie auf die Eisenbahngleise der Hohenzollernbrücke. Züge mussten gestoppt werden, Bundespolizisten retteten die verirrten Menschen von den Schienen. Verletzt worden sei zum Glück niemand, sagte der Einsatzleiter.  Dabei haben die Ordnungsamts-Mitarbeiter in ihrer Dokumentation von 2015 nicht nur vier konkrete "Gefahrenstellen" an den Zugängen zur Brücke identifiziert. Sie haben auch Empfehlungen formuliert, wie man der Lage in künftigen Silvesternächten "Herr werden" könne - zum Beispiel durch Absperrungen mit geeigneten Fluchtwegen, nicht erst an den Brückenköpfen, sondern schon viel weiter vorher, etwa auf dem Heinrich-Böll-Platz oberhalb der Philharmonie.  Umgesetzt wurden die Empfehlungen in der zurückliegenden Silvesternacht aber offenbar nicht. Nur die Zahl der Mitarbeiter wurde deutlich erhöht. Den Fußgängerweg der Brücke sperrten die Ordnungsdienstler zwar zwischenzeitlich nach dem eher zufälligen Hinweis einer Landespolizistin für ein paar Minuten ab - allerdings erst, als das größte Chaos schon vorbei war. Warum nicht schon viel eher? Und wer hätte das veranlassen müssen? Die zuständigen Behörden, so scheint es, schieben sich nun gegenseitig den schwarzen Peter zu. Niemand will die Verantwortung für das Kommunikationsdesaster übernehmen.

 

Die Bundespolizei: Einsatzleiter Detlef M. sagt: Für die "Personenlenkung" auf der Brücke sei grundsätzlich die Stadt Köln verantwortlich. Das Ordnungsamt hätte eine Sperrung frühzeitig veranlassen müssen, dies aber in der Silvesternacht nicht getan - womöglich weil die Mitarbeiter des Ordnungsamtes, die an den Brückenköpfen postiert gewesen seien, keinen Überblick gehabt hätten über das, was in der Brückenmitte geschah. Weil Bundespolizei und Ordnungsamt verschiedene Funksysteme nutzen, habe die Bundespolizei die Einsatzleiterin der Stadt auf ihrem Handy angerufen, um sie über das Chaos zu informieren. Es sei aber nur die Mailbox angesprungen.  

Die Stadt Köln: Offiziell will sich derzeit niemand von der Stadtverwaltung zu den Ereignissen aus der Nacht äußern, da städtische Mitarbeiter demnächst noch als Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss aussagen müssen. Wie es aber aus der Verwaltung heißt, sollen die drei Behörden vor Silvester vereinbart haben, dass die Landespolizei die Stadt informiere, falls in der Nacht eine Sperrung nötig werden würde. Zu diesem Zweck habe man eigens ein städtisches Funkgerät bei der Landespolizei deponiert. Das aber - so viel steht fest - wurde in jener Nacht nicht benutzt.  

Die Landespolizei: Zu Absprachen im Vorfeld konnte der Einsatzleiter der Landespolizei vor dem Ausschuss nichts sagen. Er sei an der Planung nicht beteiligt gewesen. Für die Brückensperrung sei aber grundsätzlich die Stadt zuständig, die Polizei unterstütze bei Bedarf, schilderte der Einsatzleiter. Dass die Bundespolizei wegen des Chaos auf der Hohenzollernbrücke den Zugverkehr stoppen ließ, habe er erst später aus den Medien erfahren.  Für die Hohenzollernbrücke ist die Stadt verantwortlich  Einsatzleiter Bundespolizei  

Städtische Mitarbeiter als Zeugen geladen  Für die nächste Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Silvesternacht im Düsseldorfer Landtag am 8. April sind drei Mitarbeiter der Stadt Köln als Zeugen geladen: die Einsatzleiterin des Ordnungsdienstes und zwei Dienstgruppenleiter. Die Parlamentarier interessieren sich für die genauen Abläufe in der Nacht, besonders für die Frage, wer wann und warum die Sperrung des Fußgängerwegs auf der überfüllten Hohenzollernbrücke veranlasst hat - beziehungsweise genau dies unterlassen hat. Nach einer Ortsbegehung 2015 regte das Ordnungsamt selbst an, künftig an   Silvester  Abläufe zu verändern, "um der Lage Herr zu werden".

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2017