"Kommando-Justiz", 15.10.2009

von Vitali NOMONOKOV

Auftragsrechtsprechung oder "Justiz auf Befehl"?

Novaja Gazeta , 15.10.2009

Zhwanetskij [russischer Komiker] hatte vor einigen Jahren einen Sketch, wo er beschrieb, dass in unserem Land jeder zum Held werden kann, wenn es ihm befohlen wird. Dieser Gedanke über "Helden" kommt mir nun öfter, wo ich von erneuten großen Ermittlungen und Urteilen in Primorje höre. Dabei werden zu "Helden" die Beamten in Strafverfolgungsorganen, die ziemlich eigenartig, aber anscheinend mit der heutigen rauen Realität konform, ihre Entscheidungen treffen über Ermittlungsverfahren, Verhaftungen oder sogar über das ein oder andere Urteil. Anzumerken ist auch, dass die getroffenen Entscheidungen leider immer öfter nicht nur der öffentlichen Meinung, sondern auch dem Gesetz widersprechen. Aber sie stimmen offenbar mit einigen Befehlen 'von oben' überein.

 

Es ist kein Geheimnis: Das größte Problem (Leid) unsere Strafverfolgungsorgane (außer der Korrumpierung) ist das sog. "Kommando-Recht".

 

Das Recht wird nicht von sich selbst aus vollstreckt, nicht wie etwas Gegebenes, sondern nur auf besondere Anleitung. Dabei ist sowohl bei den unteren, als auch bei den oberen Rängen die Unterwürfigkeit nach noch weiter 'oben' sehr weit verbreitet, was das Problem verstärkt.

 

Wenn 'von oben' ein Kommando kommt, ungesetzlich zu handeln, fürchte ich, dass auch so gehandelt wird. Auf die Frage, warum der eine oder der andere nicht zur Verantwortung gezogen wird, lautet die Antwort, dass es kein "Fass-Kommando" <b>?????</b> gab.

 

Nach Beispielen muss man nicht lange suchen: Der Fall Bachschezjan - wenn wir eine 'Diktatur des Rechtes' hätten, würde es denn Fall gar nicht geben. Soweit ich mit den Materialien des Verfahrens vertraut bin, schien es mir, dass das Urteil ein Freispruch sein müsste. Das Gericht hat fast alle Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft abgelehnt. Geblieben ist nur der schon allseits bekannte und vertraute "Amtsmissbrauch".

 

Die Version Bachschezjans, im Gerichtssaal verkündet, wurde vom Gericht praktisch nicht widerlegt. Darüberhinaus ist bekannt, dass die Generalstaatsanwaltschaft weiter in einem Schmuggel-Fall ermittelt, in dem es um chinesische Waren geht und der eng mit dem Fall Bachschezjan verbunden ist. Die Personen, die in diesem Fall verwickelt sind (und die, die hinter ihnen stehen), haben den Fall gegen den General Bachschezjan initiiert. Nichtdestotrotz ist das strenge Urteil, verbunden mit einer realen Freiheitsstrafe bekannt. Es ist noch nicht vollstreckt worden, weil das Berufungsurteil noch abgewartet wird.

 

Aber es konnte schon deswegen nichts anderes herauskommen, weil ein Freispruch nach einem langen Verfahren förmlich ein Urteil für bzw. gegen die Initiatoren und die Organisatoren bedeuten würde. Dann würde nämlich die Frage nach deren Verantwortlichkeit gestellt - bis hin zur Strafverfolgung, wenn bewiesen würd,e dass der Fall bewusst 'erfunden' wurde). Aber das kann ja , darf ha nicht sein.

 

Ich schließe nicht aus, dass der Fall Bachschezjan quasi in Auftrag gegeben wurde. Und wahrscheinlich gab es auch direkte Anweisungen aus Moskau. Leider verdrängt die Kommando-Justiz bei uns das geschriebene Recht. Und die Vertikale der Macht hat sich als stärker erwiesen  als die Diktatur des Gesetzes. Als Resultat haben derlei Auftragsfälle die Auftragsmorde abgelöst.

 

Möglich auch ist der entgegengesetzte Fall: Das Sich-Herausziehen von "unantastbaren" Personen aus der Verantwortung.

 

Es gab in Primorje im Frühling 2008 Durchsuchungen beim Gouverneur. Aber bald gab es in den Dokumenten eines interessanten, noch nicht beendeten Falls plötzlich eine "nicht identifizierte Person", die dann aber auf der Seite 35 eines Prozess-Dokuments - vermutlich unbeabsichtigt - einen Vor- und Nachnamen bekommen hatte.

 

Offenbar wurde die "nicht identifizierte Person", nachdem sie identifiziert war - nach einem Kommando von oben - zurück in den Rang einer "nicht identifizierten" Person befördert.

 

Mir wurde zugetragen, 2004, kurz vor der Wahl des Bürgermeisters, dass Nikolaew [Bürgermsieter] wegen vieler Verstöße per Gerichtsbeschluss aus dem Wahlkampf scheiden sollte. Aus Moskau gab es dann einen Anruf an den Bevollmächtigten [des Präsidenten] in Chabarowsk mit der Forderung, ihn "nicht anzufassen". Und alle haben sich brav in "die Reihe gestellt". Sogar als nach dem anderen Bürgermeister-Kandidaten W. Tscherpakow eine Granate geworfen wurde, die in gefährlicher Entfernung vot ihm explodierte, ihn zum Glück aber nicht tötete, hat man das als "Rowdytum" abgestempelt. Der ehemalige örtliche Polizeichef Wasiljew erklärte sogar, Tscherpakow habe das selbst initiiert.

 

Hier ein ganz frisches Beispiel von "seltsamen" Fällen. Die Direktorin einer Wladiwostoker Schule wurde dafür verurteilt, dass sie von Eltern Geld für die Renovierung der Schule gesammelt hat. Das wurde als "Amtsmissbrauch" gewertet. Dabei hat nicht die Direktorin, sondern der Elternrat das Geld gesammelt. Alles wurde zweckmäßig verwendet, jeglicher Eigennutz oder ein anderes privates Interesse wurde nicht festgestellt. Nichtdestotrotz gibt es ein Urteil, was auch nach der  Berufung in Kraft blieb.

 

Ich wies darauf hin, dass zuerst der Fall vom ersten Gericht völlig zurecht und begründet abgewiesen wurde, da kein Verbrechen festgestellt werden konnte. Was hat sich denn verändert? Die höherstehenden Staatsanwälte haben dann die gerichtlichen Ablehnungsdokumente überprüft und eine Ermittlung angefordert. Im Prinzip wäre das ja nichts schlimmes, wenn die Gerichte gegenüber der Staatsanwaltschaft nicht so gehorsam wären und -  wenn nötig - dann auch korrigieren würden. Aber leider...

 

Und noch ein Beispiel, das die gefährliche Tendenz aufzeigt: Die Verhaftung des Leiters des Zentrums für Staatsschutz bei der Bezirks-Polizei, Oberst Astafjew, im Sommer dieses Jahres. Im Weiteren hoffe ich, dass wir zu dem Thema zurückkehren. Aber jetzt zeichnet sich der Fall vor allem durch seine Ähnlichkeit zum Fall Bachschezjan aus. Und auch hier scheint es, dass die Personen, die in kriminelle Machenschaften verwickelt sind und Korruptionsbeziehungen zu der "Obrigkeit" haben, den Strafverfolgungsorganen die Spielregeln diktieren.

 

Der Kern des Falles ist einfach wie drei Rubel: Für die Annahme von drei an die Bezirkspolizei gesponserten Klimaanlagen und einem Computer, die alle ordnungsgemäß 'angemeldet' wurden, wurde der Oberst verhaftet (nach einer seltsamen nächtlichen Durchsuchung) und des Betruges angeklagt(!). Sogar ein unterdurchschnittlicher Jura-Drittsemestler sieht, dass da gar kein Betrug existiert. Aber hinter dem einfachen Kern versteckt sich eine kompliziert mehrzügige Kombination, deren Ziel es ist, den gefährlichen Gegner um jeden Preis so weit wie möglich zu verstecken und auf jeden Fall zu bestrafen.

 

Wie könnte man denn anders das plötzliche Auftauchen von einem Sorokin <b>????</b> in diesem Fall erklären, gegen den international wegen einer schweren Straftat ermittelt wird? Er kam seelenruhig aus den USA zurück, um in einem alten, reanimierten Fall gegen den unbeugsamen Oberst auszusagen. Der private Sicherheitsdienst Sorokins bedrohte öffentlich Astafjew mit dem Tod, aber keiner versucht weder die Bedroher, noch ihren Patron zu verhaften. Wie soll man auch die seltsame Geheimhaltung um diesen Fall erklären oder die Bedrohungen der Journalisten, die das "Ermittlungsgeheimnis" zu veröffentlichen versuchen?

 

Astafjew selbst begründet im Appell an den Innenminister und den Präsidenten den Fall damit, dass er kompromittierendes Material erhalten und an seine Vorgesetzte weitergeleitet hat.

In diesen Dokumenten fungierende Personen, haben sich sofort aufgerafft und sind zum Gegenangriff übergegangen. Der Gegenangriff war effektiver als unsere Staatsanwaltschaft und Justiz: einem Unschuldigen werden die Haftstrafen zum zweiten Mal bei einem Fall verlängert, der nicht mal ein Ei wert ist. Aber wie sollen wir mit dem ständig fallenden Ansehen unserer Strafverfolgungsorgane umgehen, die inoffiziell immer aktiver von Kriminellen geleitet werden.

 

Übersetzung: Alexander SALENKO