Doping - zu lange kein Thema bei den öffentl.-rechtlichen Fernsehsendern?

Überlegungen von Ralf MEUTGENS

Am 13. Juli 1967 brach die Dopingthematik in unsere Wohnzimmer ein. Brutal, unvermittelt, aber noch nicht ungeschnitten und noch nicht live. Im Gegensatz zum Doping war die Technik noch nicht so weit. Doch den Tod des britischen Radprofis Tom Simpson bei der Tour de France konnten die Zuschauer am Fernsehen mitverfolgen. Mussten sie zwangsläufig mitverfolgen.

Zwar war es eine Verkettung von unglücklichen Umständen, die dazu führten, dass Simpson wegen der Einnahme von Aufputschmitteln keine zwei Kilometer unterhalb vom Gipfel des legendären Mont Ventoux sein Leben lassen musste. Doch es war eine logische Folge. Profiradsport und Doping waren schon lange eine unheilvolle Allianz eingegangen. Alle machten es, alle wussten es und die Helden der Landstraße, wie die Radprofis ehrfürchtig genannt wurden, waren zu jener Zeit unantastbar. Selbst positive Dopingproben waren das Papier nicht wert, auf dem sie vermerkt wurden.

An diesem Tag in Südfrankreich am Mount Ventoux saß Werner Zimmer, der spätere Sportkoordinator der ARD, als junger Reporter auf einem Begleitmotorrad und beobachtete die Tragödie um Simpson live. Zurückblickend sagt er heute, dass er zu diesem Zeitpunkt nicht fähig war, einen Kommentar zu sprechen. „Ich war betroffen und sprachlich gelähmt.“ Man habe den Vorfall zur Kenntnis genommen, aber Doping nicht thematisiert. Es sei bekannt gewesen, dass es Doping im Radsport gibt, aber der Bezug zu diesem Thema sei damals ein völlig anderer gewesen. Dadurch, dass es auch keine oder keine ernsthaften Sanktionen für überführte Radprofis gab, sei man in der eigenen Bewertung auch zu einer Bagatellisierung verführt worden. 

In seiner journalistischen Zeit hat sich Zimmer oft anhören müssen, dass man doch alles gewusst habe. Aber dem gegenüber gab es keine gerichtsverwertbaren Nachweise. Im Gegenteil habe man Aktiven und Umfeldakteuren, mit denen man zum Teil auch über Jahre befreundet war, das geglaubt, was sie zum Thema Doping sagten. Nämlich, dass es für sie kein Thema sei. Durch die Entwicklung der letzten Jahre fühle sich Zimmer tief enttäuscht. Da wird er nicht der einzige sein, dem es so geht. Ebenso wenig war er damals nicht der einzige, der sich zu einer bagatellisierenden Berichterstattung über Doping hat animieren lassen.

In den nächsten Jahren und Jahrzehnten wurde versucht, Doping zu einer medizinisch notwendigen unterstützenden Behandlung umzudefinieren. Beteiligt in Deutschland daran auch die Spitzen von Sportmedizin, Sportpolitik und Sportverbänden. Beteiligt daran auch der Kampf um Medaillen gegen die DDR. Der Umgang mit dem langjährigen Dopingmittel Anabolika ist nur ein Beispiel; wenn auch ein sehr anschauliches. Eine ernsthafte und organisierte journalistische Gegenwehr gab es nicht. Systemkritiker wurden als Sonderlinge und Einzelmeinungen abgetan.

Wenn ernst zu nehmende Kritik aus den eigenen Sportreihen, wie ab den späten 1960-Jahren durch die Leichtathletin Brigitte Berendonk aufkam, waren offenbar selbst die Journalisten im Umgang damit teilweise überfordert. Bernd Dassel, der sich bereits zu dieser Zeit intensiv als Journalist mit der Doping-Thematik befasst hat, war in seinem Berufsleben für zahlreiche Printmedien und öffentlich-rechtliche sowie private Rundfunkmedien tätig. Er erinnert sich gut an den Umgang von Teilen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens mit der schwierigen Thematik:

„Nein, dass sich die Öffentlich-Rechtlichen nun sehr intensiv mit dem Problem Doping befasst hätten, als es damals aufkam, das kann man - nach meiner Erinnerung - wahrlich nicht sagen. Herbert Fischer-Solms im DLF war da eine rühmliche Ausnahme, ein unbeugsamer Kämpfer gegen den Betrug im Sport. Aber ansonsten: der eine oder andere Alibi-Beitrag vielleicht, halbherzig, selten investigativ, sondern eher eine lästige Pflicht, häufig genug basierend auf jenen Informationen, die z.B. Thomas Kistner in der SZ oder Udo Ludwig im Spiegel zusammengetragen hatten oder die aus der FAZ stammten.

Wir (West-)Deutschen dopen nicht - das schien das journalistische Credo vieler Kollegen zu sein. Trotz der Affären um die Kugelstoßerin Eva Wilms und ihren Trainer Gehrmann, trotz des markigen Ausspruchs des Hantelheros' Rolf Milser, der lauthals verkündet hatte: "Mein Körper gehört mir!" und damit eine Richtung andeutete, die vielerorts schweigend oder gar mit Medaillen erhoffendem Wohlwollen toleriert wurde. Wenn's um "die da drüben" ging, die Athleten aus der DDR, auf die es Siege und Rekorde regnete wie weiland Taler auf die Goldmarie, da rümpfte man gern die Nase und stellte vieles infrage - zu recht, wie sich später herausstellte! Aber bei den eigenen Leuten ......!?

Was mir in dieser Hinsicht immer in übler Erinnerung bleiben wird, ist ein fataler Auftritt des hoch gelobten und gefeierten damaligen Sportstudio-Moderators Hajo Friedrichs. Ihm haben wir den bedeutungsschwangeren Satz zu verdanken, der Journalist habe sich mit keiner Sache gemein zu machen, nicht einmal mit einer guten. Das Gegenteil allerdings praktizierte er im Sportstudio beim Interview mit Brigitte Berendonk, die kurz zuvor mit neuen Details zur Doping-Problematik in "unserem" Sportbereich für Schlagzeilen gesorgt hatte. Friedrichs attackierte sie in einer Art und Weise, als habe sie Vaterlandsverrat begangen; die Aufklärerin wurde schwuppdiwupp zum Schmuddelkind umfunktioniert. Nicht die Betrüger wurden an den Pranger gestellt, sondern sie, die den Betrug öffentlich gemacht hatte.

Der Moderator als öffentlich-rechtlicher Scharfrichter - nach meinem Empfinden damals ein Tiefpunkt fachlicher Qualität und journalistischen Anstands.

Und schließlich: Lang, lang hat's bei den Öffentlich-Rechtlichen gedauert, bis endlich mit Hajo Seppelt in der ARD ein Kollege und Experte konsequent auf das Thema angesetzt wurde, das nun schon seit Jahren die Gemüter und die Sportseiten der Zeitungen und Magazine beschäftigt: Doping z.B. im Schwimmen, bei den Leichtathleten und - unfassbar durchorganisiert, wie jetzt bestens bekannt - vor allem im Radsport. Das Hin und Her, ob die Tour de France weiter übertragen werde solle oder nicht, spricht Bände über die Ernsthaftigkeit, mit der noch vor nicht allzu langer Zeit der Betrug im Sport öffentlich-rechtlich zum Kavaliersdelikt herunterstilisiert wurde.

Und dass SAT1, just als ARD und ZDF endlich aus Protest gegen die üblen Machenschaften der Radsport-Mafia aus den Übertragungen ausstiegen, innerhalb von Stunden die Live-Rechte übernahm und den kümmerlichen Rest der Tour ebenso stolpernd wie erfolglos übertrug, setzte dem ganzen die Krone auf. Allein, der Kunde (also Zuschauer) mochte dieses Angebot nicht goutieren. Das war noch der erfreulichste Aspekt dieser privat-televisionären Peinlichkeit.

Dabei sollte man freilich nicht verschweigen, dass auch das Privatfernsehen, vor allem das damals noch in der Startphase befindliche DSF, dem Thema Doping viele Sendestunden eingeräumt hat. Allein in der Talk-Sendung "Offensiv", mittlerweile trotz des einfältigen Wiederbelebungsversuchs durch Boris Becker sanft entschlummert, gab es zahlreiche hitzige Diskussionen um Sportbetrug in Ost und West.

Professor Werner Franke legte z.B. die Medikamentierungsliste von Kristin Otto vor, mehrfache Olympiasiegerin und Weltmeisterin im Schwimmen - mit exakten Daten und Fakten, wann die heutige ZDF-Moderatorin gedopt worden war. Sie selber weigerte sich, Stellung zu beziehen, doch ihr Vater rief während der Live-Sendung an und bestritt alle Vorwürfe auf das Vehementeste. Franke indes blieb unbeeindruckt.

Das eben ist das Faktum, das während des mittlerweile fast 40 Jahre Kampfes gegen das Doping über die Ignoranz vieler Kollegen hinweggetröstet hat: dass es immer eine Handvoll Unbeugsamer gab wie das Ehepaar Franke/ Berendonk, den früheren Funktionär Horst Klehr, den Ex-Läufer Manfred Steffny, die sich vom Gegenwind nicht haben umblasen lassen und die der Erfolgsgeilheit um jeden, aber wirklich jeden Preis genau nicht das Wort geredet haben.

Es scheint, als habe diese Gruppe endlich, endlich auch in den Medien Gefolgsleute zuhauf gefunden, die primär um eines kämpfen: um einen sauberen und fairen Sport. Weltweit, aber auch und besonders vor unserer Haustüre.“


Ein langjähriger Wegbegleiter der Dopingthematik ist auch Gerhard Treutlein. Er lehrte und forschte bis zu seiner Pensionierung als Professor an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Die Berichterstattung über Doping teilt er in drei Kategorien ein: „Von der punktuellen Aufmerksamkeit (ca. 1950 - 1975) über die Welle (1976 - 1978) zur Dauerwelle (seit 1987/88).“

Durch ein Forschungsprojekt war er seit 1972 mit der Dopingthematik vertraut. „Ohne dies erinnere ich mich nur an zwei Veröffentlichungen in den Printmedien. Die stammten 1969 von Brigitte Berendonk und ein Jahr später von Robert Hartmann.“ Für Insider sei die Einnahme von Anabolika bekannt gewesen, doch erst nach den Olympischen Spielen 1976 sei das Thema mehr und mehr öffentlich diskutiert worden. „Ausschlaggebend war wohl, dass es zu deutlichen Leistungsunterschieden in manchen Kraftdisziplinen kam“, erinnert sich Treutlein. Danach wirkte wohl das Schweigegebot, das der organisierte deutsche Sport ausgegeben hatte.

„Bis zum Tod von Birgit Dressel am 10.4.1987 erschienen nur noch ganz wenig Artikel und TV-Sendungen. Vor allem mit der Überführung Ben Johnsons 1988 wurde aus dem Dopingthema ein Dauerthema ("Dauerwelle"). In den letzten Jahren hat die Berichterstattung über das Thema eine neue Qualität erhalten - es vergeht praktisch kein Tag ohne Beleuchtung des Dopingthemas.“ Das hat nach Treutleins Ansicht verschiedene Ursachen. So seien heute einige kritische Journalisten kontinuierlich mit der Dopingthematik befasst. Es sei ebenso zu einer Ausweitung der Dopingmöglichkeiten wie auch der Nachweisverfahren gekommen. Immer mehr juristische Auseinandersetzungen, die dann öffentlich ausgetragen werden, seien die Folge. Allerdings habe auch „die Gefährdung und Bedrohung der `Enthüller´ im Vergleich zu früher krass zugenommen, was die Freiheit der Berichterstattung massiv bedroht“.

Einer dieser Enthüller ist der Heidelberger Molekularbiologe Professor Werner Franke. Er ist der Ehemann von Brigitte Berendonk und er ist ein langjähriger Dopinggegner und Kritiker bestehender Systeme. Eines davon betrifft die Medien, speziell die öffentlich-rechtlichen. Überzogen hatte er nach Meinung der ARD allerdings seine Kritik im August 2005 in der Würzburger Main-Post. Er nannte den Radsport ein komplett verseuchtes System, das die Bevölkerung mit erheblicher krimineller Energie systematisch belüge. Und die ARD sei angesichts der positiv gestimmten Übertragungen dieser Sportart samt ihres Sportkoordinators Hagen Boßdorf an dieser Lügnerei beteiligt.

Daraufhin klagten neun Rundfunkanstalten plus ihr Sportkoordinator vor dem Oberlandesgericht München auf Unterlassung. Franke erklärte, dass er nicht mehr behaupten werde, dass die ARD Sachverhalte zum Doping falsch dargestellt hätte. Er hielt aber seinen Vorwurf aufrecht, die ARD klammere in ihrer Sportberichterstattung Doping aus und beteilige sich durch ihre Radsportübertragungen an einem System, das insgesamt dem Doping günstig sei. Dagegen legte die ARD keinen Widerspruch ein.

Vielmehr war es die ARD selbst, die mit dem auch für Experten völlig unerwarteten Auftritt des früheren Radprofis Bert Dietz in der Sendung `Beckmann´ ein Jahr später (21. Mai 2007) den Reigen der Geständnisse im Radsport einläutete. Dietz belastete auch Ärzte der Uniklinik Freiburg, die im Nachgang wie fast alle Radprofis des früheren Teams Telekom (Liveübertragung der Pressekonferenz bei ARD und ZDF am 24. Mai 2007) gestehen mussten, dass die zu unerlaubten Mitteln gegriffen hatten. Allen Beichten der Radprofis war eines gemein: Sie betrafen den verjährten Zeitraum und hatten für sie keine negativen existenziellen Folgen.

Doch die Dopingwelle sollte sich noch weiter ausbreiten: Am 31. Mai 2007 gab es in der Wochenzeitung `Die Zeit´ ein besonderes Geständnis. Hartmut Scherzer, der als schreibender Journalist auch 25 Mal von der Tour de France berichtet hat, gab zu, lange vom massiven Doping der Radprofis gewusst zu haben. Da war er sicher nicht der einzige. Und er wäre wie alle anderen auch nicht in der Lage gewesen, dies lückenlos zu beweisen.

Scherzer erinnert sich an die erste ARD-Live-Berichterstattung von der Tour 1977 und wie es zu seinem Insider-Wissen kam: „Da habe ich mitbekommen, wie Jürgen Emig und Herbert Watterott nach dem überraschenden Sieg Didi Thuraus im Prolog in Fleurence und der Eroberung des Gelben Trikots die ARD-Sport-Koordination in München gedrängt und überzeugt haben, doch nun täglich live einzusteigen. Was nicht vorgesehen war. Die ARD begleitete fortan Thurau in Gelb - und dann auch ohne Gelb - täglich und euphorisch live bis Paris.“


Doping sei erst zum Finale thematisiert worden. „Im Pressezelt auf der Champs Elysees haben wir damals rund zwei Stunden auf die offizielle Bestätigung des Tour-Siegers Bernard Thevenet gewartet, der als überführter Doper im vorangegangenen Frühjahr bei Paris Nizza erneut unter Doping-Verdacht geraten war. Die ARD-Kommentatoren saßen auf der anderen Seite der Champs-Elysees auf der Medien-Tribüne. Damals hatte der Tour-Arzt zu den am Ende aufgekommenen Doping-Gerüchten erklärt: `Gehen Sie davon aus, dass alle 54 Fahrer, die morgen Paris erreichen, gedopt sind.´ Übrigens: Diese Doping-Diskussion zum Ende der Tour 1977 und diese Aussage des Arztes hatten mich veranlasst, bei Didi Thurau nachzuhaken, was Sache sei. So entstand die vertrauliche Aussage `Mit Zuckerwasser fährt keiner diese Berge hoch´.“

Thurau sorgte nachweislich für den ersten richtigen Radsport-Boom in Deutschland, an dem auch die Radsport-Industrie partizipierte. Aber er sorgte nicht dafür, dass Doping im Radsport thematisiert wurde. Auch nicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Obwohl auch Thurau für diverse Doping-Skandale verantwortliche zeichnete.

Vorfälle, die eher zu medialer Aufmerksamkeit führten, waren der Tod der bundesdeutschen Siebenkämpferin Birgit Dressel 1987 und der Fall des kanadischen Sprinters Ben Johnson 1988. Danach war Doping offensichtlich fernsehtauglich.

Hans-Jörg Kofink unterrichtete bis 2000 als Gymnasiallehrer für Sport, Englisch und Deutsch. Und er war in den 1970er-Jahren Frauen-Bundestrainer für die Disziplin Kugelstoßen. Auch durch enge Kontakte zu Berendonk und Franke agierte er von Beginn an als ein energischer Kritiker und Dopingbekämpfer. Um sein privates Archiv beneiden ihn viele Journalisten. Die Anfänge der Berichterstattung über Doping sieht er nicht bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern. Im Vorfeld, während und vor allem nach den Olympischen Spielen in Montreal 1976 sei es erstmals zu einer Häufung von Artikeln über Doping gekommen.

„Aufgepumpte Därme bei den Schwimmern, die Substitutionsspritze für Ruderer Kolbe, die gewaltigen Normen des DLV für die Olympia-Teilnahme, an denen diesmal Liesel Westermann scheiterte – ich hatte es ihrem Trainer Osenberg 1972 vorausgesagt – waren der Bildzeitung eine ganze Seite wert. Höhepunkt war das Jahr 1977. Ich habe nur 1990/91 eine ähnliche Medienpräsenz des Themas Doping erlebt. Vieles damals Veröffentlichte ist heute noch hochaktuell.“ Kofinks Meinung nach muss „die Medienpräsenz des Themas Doping 1991/92 in Deutschland heute noch oder wieder aufgearbeitet werden. Kaum bekannt ist, dass wir durch diese – notwendige – intensive Nabelschau fast völlig übersehen haben, was gleichzeitig international zum Beispiel in Sachen EPO abgelaufen ist.“ 

Insbesondere der jahrelange Kampf des Sportwissenschaftlers Alessandro Donati in Italien sei von deutschen Medien fast nicht beachtet worden. Das hat Kofinks Ansicht nach direkten Einfluss darauf gehabt, dass der Fall Jörg Paffrath 1997 und der himmelschreiende Umgang des verantwortlichen Verbandes, BDR, damit, damals in der deutschen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden ist. „Wäre das anders gelaufen, wäre im Radsport vielleicht auch manches anders gelaufen. Aber selbst die Cola-Spiele 1996 in Atlanta‚ der Festina-Skandal 1998, Olympia 2002, 2004, 2006 haben nicht das bewirkt, was nach vielen Anläufen die Helden des Pelotons schafften: Eine andere Wahrnehmung des Themas Doping in Medien und Öffentlichkeit.“


Es war in der Tat eine langjährige Entwicklung. Der erste große Dopingskandal im Radsport 1998, der auf eine Systematik schließen lassen musste, hat die Sportart nicht sofort dahingerafft. Es brauchte nahezu zehn Jahre bis man begriff, dass sich nichts Grundlegendes geändert hat. Sich auch nicht ändern konnte. Allen Beteuerungen und kritischen Beiträgen zum Trotz. Erst 2007 machten ARD und ZDF ernst, erklärten Radsport für nicht mehr fernsehtauglich und beendeten die Live-Berichterstattung der Tour de France.

Der Ausstieg nach Patrik Sinkewitz´ positiver Probe, die während der laufenden Tour de France 2007 bekannt geworden war, hat sich nach Zimmers Meinung im nachhinein als richtig erwiesen. Allerdings habe man sich selbst damit auch unter Druck gesetzt, was den Umgang mit der Dopingthematik angeht. Rund 1.400 Kommentare hat die ARD in ihrem Sportblog zu diesem Ausstieg veröffentlicht. Zwar lehnte die Mehrheit diesen Ausstieg ab, aber es gab auch etliche Zustimmungen. Nachstehend einige der geäußerten Meinungen:

Ich wäre auch mal gerne so konsequent, wie ARD/ZDF und würde einfach bei der nächsten Bevormundung durch die Sender meine (überteuerten) GEZ-Gebühren nicht mehr bezahlen! 
… 
Und mittlerweile kann man den Hut vor ARD und ZDF ziehen sind ja schließlich keine Pharmasender! Die haben einfach alles richtig gemacht und einer muss nun mal der Vorreiter sein!!! 
… 
Hut ab? Vor wem? 
Vor den Journalisten, die jahrzehntelang sich gebrüstet haben, den Zuschauern Radsport bis in die letzte Verästelung erklären zu können? 
Vor den Journalisten, die jahrzehntelang sich gebrüstet haben, mit den Sportlern, den Offiziellen auf Du und Du zu stehen, die alle, auch die intimsten Geheimnisse kannten, wie sie erzählten? 
Vor den Journalisten, denen ein Rudi Altig schon vor 15 während einer Übertragung erzählte, dass die Tour nicht mit Drops gewonnen wird? 
Vor den Journalisten, die einen Thurau noch feierten, als längst erwiesen war, dass er gedopt hatte? 
Vor den Journalisten, die in Anbetracht ihrer geballten Kenntnisse, wie sie zu erzählen pflegen, jetzt schon erkennen, dass Doping im Spiel ist? 
Vor den Journalisten, die ausländische Sportler, die besser waren als deutsche, immer sofort des Dopings bezichtigten, verdächtigten? Einen Reichenbach vor bald 20 Jahren aber die Zeit einräumten, fröhlich über seinen Konsum an Anabolika zu fabulieren? 
Und so weiter. Ja, ja, Hut ab, aber nicht vor solchen Leuten. 
… 
Ich find es großartig wie die ARD dazu Stellung bezogen hat und empfinde es in keinster Weise als eine Art Diktat oder Zensur. Im Gegenteil, endlich sagte einer: 
"Mir reicht es" 
… 
Ich finde die Entscheidung von ARD und ZDF mutig und goldrichtig. Respekt. Nur so kommt wirklich Bewegung in den Kampf gegen dieses unsaubere Gebaren im Radsport. 
… 
Ich muss mich schon sehr über ARD/ZDF wundern. Meines Wissens hat das öffentlich rechtliche Fernsehen einen Sendeauftrag, jedoch keinen Lehrauftrag.


Die erneuten Dopingfälle im Jahr 2008 haben dazu geführt, dass ARD und ZDF in 2009 auf Radsportübertragungen verzichten wollen. Möglicher Weise kam der Entschluss voreilig, weil es offenbar gültige vertragliche Verpflichtungen gibt, die sich auch auf die tägliche Live-Übertragung beziehen. Mitte Dezember 2008 kamen dann auch die ersten Gerüchte auf, dass Radsport doch übertragen werde.

Nach Ansicht von Scherzer ist „nicht die Dopingseuche im Radsport an sich für ARD/ZDF das Argument und die Konsequenz für den Ausstieg, sondern allein die überführten und geständigen deutschen Doper.“ Der internationale Radsport, der Giro, die Tour, die Klassiker werden überleben. Der deutsche Radsport aber sei ohne ARD und ZDF zum Tode verurteilt.

Scherzer empfiehlt den Fernseh-Machern, „weiter zu übertragen, zwar dopingkritisch, aber auch sportgerecht.“ Mit dem Ausstieg bestraften ARD/ZDF die Falschen. Nämlich die, die progressiv und präventiv gegen Doping ankämpfen, all die jungen Profis, die beteuern, sauber für eine Erneuerung in Deutschland in die Pedale zu treten, die hiesige Jugend, die auf eine sportliche Zukunft hofft und letztlich die Millionen Gebührenzahler, die das Spektakel Tour und andere Radrennen trotz allem sehen wollten. „Es steht ja jedem frei, die Übertragung abzuschalten.“

Lang, lang hat's bei den Öffentlich-Rechtlichen gedauert, bis endlich mit Hajo Seppelt in der ARD ein Kollege und Experte konsequent auf das Thema angesetzt wurde, schrieb Bernd Dassel. Und lange war Seppelt bis dahin bereits für die ARD tätig. Von 1985 bis 2006 als Reporter beim SFB bzw. ab 2003 beim RBB. Seppelt war viele Jahre fest angestellt, seit 2007 ist er als freier Journalist tätig. War der Schwimmsport in den Anfängen sein alleiniger Schwerpunkt, sind seit 1997 die Themen Sportpolitik und Doping dazugekommen. Inzwischen berichtet er nicht mehr über Schwimmen, sondern - derzeit - nur noch über Doping und Sportpolitik.

Für Doping gilt er gemeinhin als der ARD-Experte. Doch nicht immer war sein Expertenwissen auch gefragt. Es gab Zeiten, da wurde ihm nach eigenen Angaben von Programmverantwortlichen gesagt, dass er nicht investigativ, sondern nur beschreibend arbeiten solle. Noch heute arbeiten einige Leute mit diesem Gedankengut alter Schule seiner Meinung nach in Sportredaktionen öffentlich-rechtlicher Sender.

Entstanden sei es dadurch, dass früher das Thema Doping einfach stiefmütterlich behandelt wurde und es dementsprechend auch keine großen Sendeflächen dafür gab. Die Privatisierung und der zunehmende Event-Charakter des Fernsehens sowie die ausufernde Sportrechtevermarktung hätten dann dazu geführt, dass kritische Beiträge gerne in den Hintergrund gerückt worden sind. Dabei sei eine kritische Nabelschau genau wegen dieser Konstellation dringend geboten gewesen.

Die Kommerzialisierung des Spitzensports und die Berichterstattung im Fernsehen als Bestandteil der Vermarktungskette seien eine unheilvolle Allianz eingegangen. Man hätte diese Konsequenzen vorhersehen müssen. Allerdings sieht Seppelt auch die Rezipienten in der Verantwortung. Kritische Sportsendungen galten als Quotenkiller. Der Frust nach deren Einstellung sei intern offenbar größer gewesen als bei den Zuschauern. Das in der Öffentlichkeit artikulierte Bedauern habe sich bedauernswerter Weise in Grenzen gehalten.

Ende 2005 ist für Seppelt eine Art Wechsel in der Berichterstattung eingetreten. Durch die Gründung der Vereinigung kritischer Journalisten im `sportnetzwerk´ sei deutlich geworden, dass es innerhalb der Zunft der Sportjournalisten offenbar unterschiedliche Berufsauffassungen gibt. Dazu sei es in den letzten beiden Jahren zu einer Demaskierung im Radsport gekommen, die auch die früheren engen Verbindungen zur ARD für eine zunehmend interessierte Öffentlichkeit im Nachhinein infrage gestellt hat.

Die Reaktionen des Publikums gegenüber einer kritischen Berichterstattung würden heute zustimmender ausfallen als früher, besonders von außerhalb des Sports. Seppelt wünscht sich innerhalb der Sendeanstalten einen Ausbau der Strukturen, die eine kritische Begleitung in vielen Sportarten ermöglichen. Angesichts der Vielzahl von möglichen Programmplätzen und Live-Übertragungen in unterschiedlichsten Sportarten sei eine fundierte Recherche für einen kleinen Kreis von Journalisten nur sehr bedingt zu realisieren. Seppelt erwartet mehr Aufklärung durch das Fernsehen und eine verstärkte Recherche. Nur wer sucht, werde auch fündig. Wenn man aber nichts fände, heißt es nicht, dass es nichts gibt. Der Radsport habe "das Pech", dass derzeit sehr viele Journalisten suchen. Bei anderen Sportarten würde seiner Meinung nach auch aus Gründen mangelnder Kapazität nicht in dieser Art und Weise recherchiert. Besonders weist Seppelt darauf hin, dass die Quote nicht zum alles bestimmenden Kriterium erhoben werden dürfe.

"Denn niemand kann die Einschaltquoten jener Sendungen messen, die intelligent und selbstkritisch über den Sport und eigene Verstrickungen berichten, wenn man diese Sendungen nicht produziert und ausstrahlt", sagt der Darmstädter Sportsoziologe Karl-Heinrich Bette. Doch wie verhalten sich die Einschaltquoten, wenn allgemein kritisch berichtet wird? Ist Doping ein Quotenkiller für die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender? Das hat der Münsteraner Journalist Joscha Weber in seiner Magisterarbeit, die er 2008 an der Westfälischen Wilhelms Universität Münster im Bereich Kommunikationswissenschaft vorlegte, hinterfragt. Unter anderem interviewte er dazu zehn Experten aus den Bereichen Programmverantwortung, Sportjournalismus und Doping.

Nachstehend nimmt er Stellung zu einigen Aspekten, die auch Gegenstand seiner Arbeit waren:

Wie beurteilen Sie das Zusammenspiel von Fernsehen, Zuschauern, Ereignisberichterstattung und Werbung vor dem Hintergrund der Dopingthematik?

Die gestiegene Relevanz und Publizität des Dopingthemas berühren auch das Medium Fernsehen: Als Präsentator von Sportereignissen sind die Sender abhängig von deren Erfolg, Glaubwürdigkeit und Attraktivität für das Publikum. Erfüllt ein Sportereignis diese Kriterien nicht, sinkt erfahrungsgemäß das Zuschauerinteresse und somit auch die an die Einschaltquoten gekoppelten Werbeeinnahmen der Sender. Dopingfälle führten in der Vergangenheit zu solchen Entwicklungen. Beispielsweise sank die Einschaltquote bei der ARD/ZDF-Übertragung des Tour de France-Prologs in den vergangenen Jahren erheblich.

Liegt das wirklich nur am Thema Doping?

Die sinkende Quote bei den ARD- und ZDF-Übertragungen der Tour de France steht in engem Zusammenhang mit den Dopingfällen im Radsport in den Jahren 2006 und 2007. Allerdings spielt auch das stark personalisierte Radsportinteresse der deutschen Öffentlichkeit, das sich auf den Toursieger von 1997 Jan Ullrich – der 2005 zum letzten Mal teilnahm – richtete, eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Kann das Fernsehen heute mehr Druck auf den Sport ausüben, den es überträgt?

Wie wichtig das Fernsehen mittlerweile für den kommerzialisierten Spitzensport ist, zeigte im Oktober 2008 die Entscheidung der ARD-Intendanten, aus der Live-Übertragung der Tour de France erneut auszusteigen. Wenige Stunden nach der Verkündung des mit dem Dopingproblem des Radsports begründeten Ausstiegs, sagten die Organisatoren der Deutschlandtour, dem wichtigsten Radrennen in Deutschland, die Veranstaltung für 2009 ab. Das Beispiel zeigt, dass die Abhängigkeit des Sports vom Fernsehen in einigen Fällen längst existenzielle Ausmaße erreicht hat – und dass das Thema Doping in dieser Beziehung neuerdings eine Schlüsselrolle besitzt.

Wodurch wird dieses Schlüsselthema geprägt?

Die vorliegenden Aussagen lassen den Schluss zu, dass die Dopingberichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender vor allem durch die Rahmenfaktoren des journalistischen Verantwortungsbegriffs, grundsätzliche journalistische Leitlinien sowie das individuelle Urteilsvermögen der Sportjournalisten geprägt ist. Sportrechte und Verträge mit dem Sportsystem sowie redaktionelle Leitlinien werden nur von wenigen Experten als für die Dopingberichterstattung einflussreiche Faktoren benannt.

Wie geht das Fernsehen mit dem Thema Doping um?

Die teilweise sehr gegensätzlichen Aussagen der zehn ausgewählten Experten zeigen, dass selbst innerhalb der Fernsehredaktionen kein Konsens darüber herrscht, wie man mit Dopingthemen umgehen sollte. Insbesondere bei den Aussagen über die Dopingberichterstattung in der Vergangenheit gehen die Einschätzungen der Befragten weit auseinander, was angesichts der unterschiedlichen Rollen, die die Befragten in ihren Redaktionen spielen, aber auch angesichts der existierenden Konfliktlinien im TV-Sportjournalismus jedoch auch zu erwarten war.

Gibt es den oft beschriebenen Paradigmenwechsel in der Sportberichterstattung und wie äußert er sich in der täglichen Arbeit?

Den Aussagen der Experten zufolge manifestiert sich der beschriebene Vorzeichenwechsel in der Sportberichterstattung an 

  • einem kritischeren, distanzierteren und misstrauischeren Umgang mit Sportlern und deren Leistungen, 
  • veränderten Schwerpunkten in Sendungen und Recherche, 
  • einer stärkeren Berücksichtigung von Dopingexperten in den Sendungen, 
  • der Möglichkeit, Dopingthemen leichter im Programm zu platzieren, 
  • der quantitativen Zunahme von Dopingformaten im Fernsehprogramm, 
  • der Integration von Dopingthemen in Live-Reportagen, 
  • dem Aufkommen einer agierenden statt nur reagierenden Dopingberichterstattung 
  • sowie Ansätzen von Selbstkritik, was die zu unkritische Betrachtung des Leistungsportssystems in der Vergangenheit betrifft. 

Wie sehen die von Ihnen befragten Experten den Umgang mit der Dopingthematik in der Zukunft?

Zur Dopingberichterstattung der Zukunft geben die Experten unterschiedlichen Prognosen: Zwar bleibt das Thema nach Meinung aller Experten auf der sportjournalistischen Agenda, doch die Befragten entwerfen divergierende Szenarien, wie sich die mediale Thematisierung von Doping insbesondere im Fernsehen weiterentwickeln wird. Während einige Experten eine langfristige Veränderung der Sportberichterstattung und auch in Zukunft einen stärkeren Fokus auf sportkritischen Themen wie Doping sehen, sind andere Experten der Auffassung, dass branchentypische Muster wie eine unkritische Jubelberichterstattung noch längst nicht überwunden sind und akzentuieren die Anlassbezogenheit der Dopingberichterstattung, welche ohne neue Fälle bzw. publikumswirksame Ereignishintergründe wieder abflachen könnte.

Was bleibt von der aktuellen Doping-Hochkonjunktur im öffentlich-rechtlichen Sportfernsehen?

Es wird sich zeigen, wie anlassbezogen und somit abhängig vom Bekanntwerden neuer Dopingfälle die Dopingberichterstattung in Zukunft sein wird. Die Gefahr für die kritische Sportberichterstattung, die von der Verknüpfung der Thematisierung von Dopingfragen mit den Anti-Doping-Bemühungen des Sports ausgeht, haben scheinbar noch nicht alle Akteure des Sportjournalismus erkannt. Denn wenn die Meldungen über neue positive Dopingproben einmal ausgehen sollten, droht die Rückkehr des patriotischen Jubeljournalismus. Und dann heißt es schnell wieder: "Doping war gestern! Jetzt ist Gelb!" 1 
Erklärung am besten in Fußnote: 

  1. (Die Aussage stammt von einem deutschen Sportjournalisten, der sich über den Etappensieg von Linus Gerdemann bei der Tour de France 2007 freute.) 


Angelika Mikus ist Diplomandin am Institut für Journalistik in Dortmund. Für ihre Diplomarbeit „Chancen, Schergen, Scharlatane. Der Sportjournalismus und die Tour de France“, die im Januar 2009 vorgelegt wird, hat sie rund zwei Jahre lang die Berichterstattung über die Frankreichrundfahrt verfolgt und Experteninterviews mit Journalisten geführt, die sich intensiv mit dem Thema Doping bei der Tour de France beschäftigt haben.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen 
Fernsehanstalten?

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ARD und ZDF haben in den vergangenen Jahren traditionell die Tour de France im deutschen Fernsehen übertragen. Das Programm umfasste sowohl die Live-Berichterstattung, als auch Studio- und Schaltgespräche während der Frankreich-Rundfahrt. Durch die Erfolge der deutschen Profi-Radfahrer Ende der 90er Jahre etablierte sich das Sportereignis zu einem festen Programmteil der beiden Sender, doch der Marktanteil und die Sehbeteiligung haben sich in den Folgejahren nachweislich verändert.

Inwiefern?

Die Sehbeteiligung an der Tour de France hat in den letzten Jahren dramatisch abgenommen. Nach Angaben der ARD-Werbung SALES & SERVICES GmbH Fernsehforschung verfolgten im Jahr 2005 durchschnittlich noch 2,73 Mio. (Das Erste) bzw. 2,48 Mio. (ZDF) Zuchauer ab 3 Jahren die Tour de France. Das entsprach im Durchschnitt einem Marktanteil von 22,5 % bzw. 21,2 %. Nach einer rückläufigen Sehbeteiligung im Jahr 2006 und dem Ausstieg von ARD und ZDF am 18. Juli 2007 erwarb der Sender Sat.1 ad hoc die Rechte. Insgesamt verzeichnete Das Erste bei der Tour-Übertragung im Jahr 2007 einen Marktanteil von durchschnittlich 13,2 % (1,55 Mio. Zuschauer) und das ZDF von durchschnittlich 11,2 % (1,2 Mio. Zuschauer). Die Live-Übertragungen von Sat.1 und ProSieben (nur am 21. Juli 07) verfolgten im Durchschnitt 0,68 Millionen Zuschauer. Das entspricht einem durchschnittlichen Marktanteil von 5,6 %. 

Warum halten Sie einen Ausstieg aus der Live-Berichterstattung für empfehlenswert?

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben das Recht, sich auf ihre Programmautonomie zu berufen und können die Übertragungsformen von Sportereignissen selbst bestimmen. Von einem großen öffentlichen Interesse, das für eine Übertragung der Veranstaltung sprechen würde, kann man bei der Tour de France angesichts der rückläufigen Zuschauerzahlen und der verloren gegangenen Favoritenrolle der deutschen Rad-Profis nicht mehr sprechen. Sollte die Live-Berichterstattung ohne Einschränkungen fortgesetzt werden, riskieren die Fernsehanstalten einen Glaubwürdigkeitsverlust und langfristigen Imageschaden des Sportjournalismus, der im schlimmsten Fall dazu führen könnte, dass das Interesse an der Tour und auch an anderen von Dopingaffären betroffenen Sportübertragungen weiter zurückgeht. Wäre die Übertragung der Tour de France für die gebührenfinanzierten Fernsehanstalten existenziell von Bedeutung und rechtlich betrachtet weiterhin notwendig, würde dies die Vermutung zulassen, es habe sich bei dem ersten Ausstieg im Jahr 2007 um eine wirkungslose Repressalie gehandelt. Alles andere als ein Ausstieg wäre inkonsequent.

 

Der ARD-Teamchef Radsport, Roman Bonnaire, beantwortete im `SportJournalist´8/07 bereits Fragen zur Dopingberichterstattung und Ausstieg aus der Live-Berichterstattung und einem möglichen Zusammenhang mit sinkenden Einschaltquoten. Nachstehend Ausschnitte aus dem Interview, das Ute Maag führte:

Schon zu Beginn der Tour waren die Quoten deutlich schlechter als in früheren Jahren. Wie hat dies die Entscheidung (aus der Live-Berichterstattung auszusteigen, Anmerk. des Autors) beeinflusst?

Überhaupt nicht. Wir mussten damit rechnen, dass die Akzeptanz durch die Entwicklungen im Vorfeld nicht so gut ausfallen würde.

Die schlechten Quoten wurden auch darauf zurückgeführt, dass die Öffentlich-Rechtlichen das Thema Doping in den Mittelpunkt der Übertragung stellten – zumal die Quoten bei `Eurosport´, das das Problem weitgehend ausklammerte, stiegen. Ist dem radsportinteressierten Zuschauer Doping egal?

Sicher nicht allen. Wir haben ja auch Lob für unsere Beiträge bekommen, die einerseits Missstände aufgedeckt haben, andererseits den Gedanken der Dopingprävention transportiert haben. Aber viele wollten wohl heile Welt sehen und sich ihre Idole nicht kaputt machen lassen. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. 

Von der Politik gab es überwiegend Lob. Andererseits werfen viele der ARD auch Scheinheiligkeit vor, nachdem man sich lange als Partner des Radsports definierte.

Als die 1 auf dem Trikot des Teams Telekom prangte, war dies das einzige deutsche Radsport-Profiteam. Die Sportart boomte und mit Jan Ullrich war ein neuer deutscher Sportstar geboren. Viele Rechte von Top-Fernsehsportarten wie Formel 1 oder Fußball lagen bei den Privatsendern. Vor dem Hintergrund wurde damals entschieden. In der Rückschau würde man sicher nicht mehr so handeln. Aber daraus jetzt abzuleiten, wir sollten uns nicht kritisch mit dem Radsport der Gegenwart auseinandersetzen, halte ich für absurd. Wenn das scheinheilig sein sollte, halten wir das aus. 
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Warum wurde die Abendsendung eigentlich erst zwei Tage nach dem Ausstieg aus der Liveberichterstattung ins Programm genommen und nicht sofort?

Auch bei uns braucht man schon mal Zeit zur Reflektion.

Doch nicht immer ist es der Radsport, der Zeit zum Nachdenken verlangt. Ein bislang einmaliger Vorgang ist dem Wintersport zu verdanken. Der ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt hatte am 15. Januar 2008 in einem Beitrag behauptet, dass rund 30 Wintersportler in einer Blutbank in Wien zur Behandlung waren. Rund zwei Drittel der Athleten stammten aus Deutschland aus den Bereichen Biathlon und Skilanglauf, teilweise mit Weltklasse-Niveau. Spezifiziert oder gar namentlich gemacht wurde diese Information im weiteren Verlauf nicht. Zwei Tage später entschuldigte sich ARD-Moderator Michael Antwerpes vor der Live-Berichterstattung vom Biathlon-Weltcup in Antholz für diese Berichterstattung im eigenen Sender mit deutlichen Worten: „Es ist nicht vertretbar und mit unserer Berufsauffassung nicht vereinbar, wenn solche Pauschalverdächtigungen erhoben werden, ohne dafür belegbare und nachprüfbare Fakten zu haben“.

Trotzdem klagte der Deutsche Skiverband (DSV) gegen die Berichterstattung von Seppelt, die auch in Journalistenkreisen kontrovers diskutiert wurde, auf Unterlassung. Das hanseatische Oberlandesgericht hob letztinstanzlich die zwischenzeitlich erlassene Verfügung auf (Az.: 7 U 51/08). Begründung: Der DSV sei weder unmittelbar betroffen, noch seien konkrete Verdächtigte genannt worden.

Die Untersuchungen zur Wiener Blutbank wurden Mitte Dezember von den österreichischen Behörden eingestellt. Ob es zu einer Anklage von Ärzten oder offizieller namentlicher Nennung der Athleten kommt ist derzeit noch unklar.

Klar ist, dass ARD und ZDF für die Rechte an den Wintersport-Übertragungen Geld an den DSV zahlen. Unklar bleibt die genaue Summe, denn darüber wurde zwischen den Parteien Stillschweigen vereinbart. Nach Informationen der deutschen Presseagentur (dpa) sollte der DSV bis 2008 rund zehn Millionen Euro jährlich bekommen, danach wohl etwas weniger (Quelle: netzeitung.de, 13.11.07). Eine andere, als seriös recherchiert beschriebene, Quelle nennt 6,5 Millionen Euro für die Saison 07/08 und 5,75 Millionen pro Jahr für 2008 bis 2011 für die Rechtevergabe an ARD und ZDF (sponsors.de, 1.12.07). Irgendwo dazwischen wird wohl der wahre Betrag liegen.

Athleten sollen heute im Wintersport aufgrund dieser Medienpräsenz Jahreseinkommen im hohen sechsstelligen Bereich generieren können (Quelle: Süddeutsche Zeitung, 13.12.08). In früheren Zeiten soll für die Radsport-Rechte von ARD und ZDF insgesamt ein Betrag von rund 12 Millionen Euro jährlich gezahlt worden sein. Der aktuell gültige Vertrag soll nur noch die Hälfte gekostet haben (Quelle: Süddeutsche Zeitung, 3.11.08). Klar müsste aber in jedem Fall sein, dass es bei derartigen Konstellationen völlig egal ist, wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen das Dopingthema behandelt– es kann eigentlich nur falsch sein.