Die Berichte von Daniel DREPPER und Niklas SCHENCK, 20.08.2012

von Daniel DREPPER, Niklas SCHENCK

"Dann wandern Sie doch aus"

F.A.Z. Frankfurter Allgemeine Zeitung

Claus-Peter Bach sagt, er habe lange genug gebuckelt gegenüber den Mächtigen der deutschen Sportförderung und darüber geschwiegen, um den Deutschen Rugby-Verband (DRV) aus der Schusslinie zu nehmen. Vor ihm liegt ein Ordner voller Dokumente. Die ersten stammen vom Oktober 2009. Damals machte das Internationale Olympische Komitee (IOC) Rugby zu einer olympischen Sportart und Bach zu einem glücklichen Mann. Die letzten Papiere sind vom Rugby-Tag 2011, Bach wurde damals als DRV-Präsident abgelöst. Zwischen diesen beiden Daten erlebte er "die größte Enttäuschung meines Lebens". Statt des Aufschwungs, den Verbände nach Aufnahme in den Olymp über eine größere Förderung erwarten können, trieb der DRV auf eine Insolvenz zu. Dokumente, die dieser Zeitung vorliegen, legen nahe, dass die Krise vom Bundesinnenministerium (BMI) hätte verhindert werden können. Bach glaubt sogar, das BMI habe den Rugby-Verband fast in die Insolvenz getrieben. Manche in seinem Verband sind allerdings der Ansicht, Bach selbst sei schuld an der Misere.

Die Entscheidung des IOC vom Herbst 2009, eine Rugby-Variante mit sieben Spielern in das Programm für 2016 in Rio aufzunehmen, war für Bach Gold wert. Noch im Oktober reichte er beim BMI einen Förderantrag ein, versehen mit einem Stempel des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), der aus sportfachlicher Sicht zustimmte. Der Dachverband des organisierten deutschen Sports steuert den Leistungssport in Deutschland, er ist das Bindeglied zwischen dem Geldgeber BMI und den Verbänden. Im Januar 2010 sagte der DOSB Claus-Peter Bach und dessen Sportdirektor bei einem Gespräch in Frankfurt, das BMI werde einen Trainer für die olympische Rugby-Version und Trainingslager bezahlen, sein Verband könne mit bis zu 60 000 Euro extra rechnen. Bis 2012 würden die Fördermittel von bislang 126 400 auf rund 300 000 Euro pro Jahr angehoben. All das notierten die Rugby-Funktionäre unabhängig voneinander. Der DOSB behauptet nun, Bachs Gesprächsnotiz sei erst Monate später entstanden und habe in keiner Weise dem Inhalt des Gespräches entsprochen. Man habe eine Finanzierung auch nicht zusagen können, weil die Mittel bis 2012 längst gebunden und zudem kein Vertreter des BMI anwesend gewesen sei. Bach beharrt dagegen auf seiner Darstellung. Demnach hat er seine Notiz noch am Abend mit der Mitschrift des Sportdirektors verglichen und sie per E-Mail freudig an seine Präsidiumskollegen geschickt. Der umtriebige Journalist Bach vertraute den Ankündigungen des DOSB und handelte sofort. Wer zu den Sommerspielen will, darf keinen Tag verschenken.

Der DRV engagierte für 30 000 Euro im Jahr den neuseeländischen Trainer George Simpkin, er rechnete mit mehr Geld für Turniere, Lehrgänge und glaubte, bald Athleten in eine Sportfördergruppe der Bundeswehr schicken zu dürfen. Aber ein halbes Jahr nach Antragstellung verweigerte das Ministerium dem Rugby-Verband nicht nur eine Aufstockung, sondern zahlte sogar überhaupt keine Förderung mehr für das laufende Jahr. Die Begründung: Der DRV weise durch Verluste im Jahr 2008 eine bilanzielle Überschuldung aus, von einer "prekären Vermögenslage" war die Rede, ein Gegensteuern nicht erkennbar. Für Claus-Peter Bach brach mit dem Bescheid vom Mai 2010 die Rugby-Welt zusammen. Der DRV war seit Monaten für Gehälter in Vorleistung gegangen. Plötzlich ging es nicht mehr um die Chance Olympia, sondern um die nackte Existenz.

Der DRV wehrte sich. Das Jahr 2008 hatte er zwar mit einem Minus von 48000 Euro beendet, laut Bach lag das aber an zwei Sponsorenverträgen, die aufgrund der beginnenden Wirtschaftskrise nicht zustande kamen, und an einem Länderspiel, zu dem wegen eines eisigen Regens kaum Zuschauer fanden. Außerdem habe der Rugby-Verband auf Anweisung des Ministeriums sein Logo ändern und auf allen Drucksachen und Trikots aufbringen müssen. Schon 2009 machte der Verband aber 7000 Euro Gewinn und begann seine Schulden abzutragen. Das Bundesverwaltungsamt - es prüft bei den Sportverbänden die Nachweise über Ausgaben von Steuergeldern - hatte nichts zu beanstanden. Bach schrieb dem BMI, "dass eine weitere Verzögerung der Auszahlung den DRV in eine prekäre Lage bringen könnte, die dann allerdings nicht wir zu verantworten haben". Er schickte dem Ministerium die Bilanz der verbandseigenen Erich-Kraft-Stiftung. Sie bot mit 94 000 Euro Rücklagen genügend Sicherheit, um das Minus auszugleichen. Im Juni 2010 schaltete sich auch der DOSB ein: "Die überaus lange und intensive Prüfung ist geeignet", schrieb der zuständige Ressortleiter den Beamten, "gerade die prekäre Situation des Verbandes herbeizuführen, die Sie vermeintlich zu erkennen geglaubt haben." Es nutzte nichts. Die in Bonn sitzenden Mitarbeiter des BMI ließen sich nicht überzeugen. Aber hatten sie noch Spielraum? Das Steuergeld für den Spitzensport war längst verteilt. Unter anderem an den Base- und Softballverband. Weil dessen Sport vom IOC im Oktober 2009 aus dem olympischen Programm genommen worden war, hätte die Förderung zwar leicht gekürzt werden können. Das aber, urteilte der DOSB-Ressortleiter, habe das Ministerium verpasst. Die Reduzierung der Softball-Mittel sei "durch ein präjudizierendes Zusageschreiben (des BMI, Anm. d. Red.) vom Dezember 2009 nicht unerheblich erschwert worden". Im Klartext: Weil dem Baseballverband früh Geld zugesagt wurde, war für Rugby keines mehr übrig.

Das BMI weist diese Interpretation zurück: "Die Aberkennung einer Sportdisziplin als olympisch führt nicht automatisch zu einer Beendigung, sondern zu einer Prüfung und gegebenenfalls Anpassung der Förderung." Was aber muss geprüft werden, wenn Baseball nicht mehr olympisch ist? Der Rugby-Verband versuchte im Sommer 2010 die Vorgaben des Ministeriums zu erfüllen. Beim Verbandstag Anfang Juli beschlossen die Mitgliedsverbände, ihre Beiträge bis 2012 zu verdoppeln. Das brachte pro Jahr mehr als 25 000 Euro, aber keine Wende im Streit. Das BMI ließ nur durchblicken, dass es - vorausgesetzt, ein Sanierungskonzept sei akzeptabel - höchstens 126 400 Euro pro Jahr geben werde. So viel erhielt der Verband, als er "nichtolympisch" war. Mit dieser "minimalen Förderung der nichtolympischen Verbände" wollte sich Claus-Peter Bach nicht "abspeisen lassen". Ende Juli wandte er sich an den Schirmherrn des Verbandes, den Entwicklungshilfe-Minister Dirk Niebel. Dessen Onkel sponsert jährlich Anzüge für die Nationalteams. Niebel kontaktierte den damaligen Innenminister Thomas de Maizière mit einer "dringenden Bitte". Die Situation bedrohe "akut die Existenz des Verbandes". Das Ministerium möge die vom DOSB avisierten Mittel freigeben.

Es kam Bewegung ins Gedränge. Am 11. August 2010 fuhren die Rugby-Leute, begleitet vom DOSB, abermals zum BMI nach Bonn. Das Ministerium verbat sich Einmischungen von Niebel und forderte weitere Kassenstürze, Prognosen, vorläufige Haushalte, das Sanierungskonzept. Auf den DRV kamen weitere Kosten zu, Zehntausende Euro und die nächste Ernüchterung: Während des Gesprächs drehte eine Sachbearbeiterin des BMI den Gästen permanent den Rücken zu und schaute desinteressiert aus dem Fenster, erzählt Bach: "Wir haben vorgetragen, dass wir in der kommenden Saison weniger Reisekosten für unsere Nationalteams haben werden, weil unsere Spiele dann nicht mehr in Sotschi, Tiflis und Constanza in Rumänien sein würden, sondern in Amsterdam und in Brüssel", erinnert er sich: "Die Dame sagte dazu nur, das sei gut, denn dazu brauche man kein Geld, da könne man ja auch hinlaufen." Als Bach sie darauf hinweist, mit welchen Beträgen Polen, Rumänien und Großbritannien ihre Rugbyverbände förderten, soll sie trocken erwidert haben: "Dann wandern Sie doch aus." DOSB und Ministerium wollten sich zu dieser Darstellung nicht äußern.

Als der Streit mit dem Geldgeber eskalierte, löste Bach die Frauen-Nationalmannschaft auf, dazu die U19 und die U21 der Männer. "Das hältst du im Kopf nicht aus. Du willst auf Olympia 2016 zuarbeiten und musst zugleich deine Nationalteams abmelden. Das ist der sportliche Bankrott", sagt er. Trotzdem versuchte Bach, die Forderungen zu erfüllen. Im September 2010 schickte er das Sanierungskonzept, testiert vom Steuerberater. Die Antwort erreichte den DRV via DOSB: "Es darf nicht so aussehen, dass die Sanierung nur durch die Bundesförderung möglich ist." Deshalb empfahl der DOSB-Sachbearbeiter der Rugby-Fraktion: "Alles muss auf den Prüfstand. Dann gibt es eben vorübergehend keine internationale Beteiligung der U16 und U18." Er wünschte "Tatkraft und Mut und ein gutes Ergebnis Ihrer Überlegungen". Dazu kam es nicht. Das Ministerium verlangte immer kurzfristiger Zwischenabschlüsse sowie teure Gutachten. Als es endgültig Bescheid gab, dem DRV für 2010 keine Förderung zu zahlen, schaltete Bach einen Anwalt ein. Zugleich entschied der Verband, den Vertrag von Simpkin als 7er-Nationaltrainer nicht zu verlängern und Trainingslehrgänge abzusagen. Bei Länderspielen schliefen einheimische Spieler nun zu Hause, die anderen Athleten in Jugendherbergen. Der DRV schlingerte auf eine Insolvenz zu.

Mit einer Sonderprüfung der Geschäftsstelle verzögerte das Bundesverwaltungsamt (BVA) das Verfahren weiter. 2008, in dem Jahr, als der Verband sich verschuldete, hatte das BVA keine Probleme mit den Abrechnungen - für 2010 kritisierte es nun fehlende Taxirechnungen und Bankvollmachten oder die Sammlung von Personalunterlagen in einem einzigen statt in verschiedenen Ordnern. Das Fazit der Prüfung: "Eine ordnungsgemäße Geschäftsführung kann als nicht gesichert angesehen werden." Schlimmer konnte es nicht kommen. Dabei ist das BMI mitunter großzügig. Obwohl Verbände Jahre brauchten, den Kodex der Welt-Anti-Doping-Agentur in ihre Statuten aufzunehmen, riss der Geldstrom für sie nie ab.

Die Schulden beim DRV stiegen durch die Vorleistungen wie Gehaltszahlungen auf 255 516 Euro. Deshalb war die Bezahlung des Bundestrainers Peter Ianusevici ebenso gefährdet wie die des Sportdirektors Volker Himmer. Auf dem Rugbytag Ende Januar 2011 stimmten die Mitgliedsverbände zu, ihre Beiträge nun dauerhaft zu verdoppeln. Kurz darauf schrieb ein unabhängiger Wirtschaftsprüfer von "kurzfristigen Verbindlichkeiten des Sportbereichs" und empfahl eine Übergangsfinanzierung. Das Bundesinnenministerium kommentierte dieses Urteil so: "Die rein wirtschaftliche Unterstützung von Bundessportfachverbänden entspricht nicht der Zielsetzung der Sportförderung." Was das heißt? Geld gibt es nicht für das wirtschaftliche Überleben eines Verbandes, sondern nur für dessen Sportbetrieb.

Noch ein gutes halbes Jahr, bis Mitte 2011, rettete sich der Rugby-Verband vor der Insolvenz, weil Verbandsmitglieder ihre Kreditansprüche an den Verband zurückstellten oder neue Darlehen gewährten. Immer wieder wiesen Mitarbeiter des DOSB nun telefonisch darauf hin, dass es für den Rugby-Verband einfacher werden könnte, Fördergeld für 2011 zu bekommen: Bach müsste nur den Widerspruch gegen den Förderstopp für das Jahr 2010 fallenlassen. Der Präsident wollte nicht, aber seine Kollegen fürchteten um ihre Jobs. Deshalb gab Bach auf: "Lieber schluckt man Kröten, als alles gegen die Wand zu fahren." Wenige Tage nachdem Bach nicht mehr für das Präsidentenamt kandidiert hatte, zog der DRV seinen Widerspruch zurück. Kurz darauf bewilligte das BMI 220 000 Euro für das Jahr 2011. Für 2010 gab es allerdings keinen Cent.

Die Rettung vor der Insolvenz, erkauft mit einem juristischen Rückzug? Bach zögert, das Vorgehen des BMI als Erpressung zu bezeichnen. Aber er fragt sich, ob der DRV für 2011 wieder zu Fördergeld gekommen wäre, wenn er den Widerspruch aufrechterhalten hätte. "Ich glaube, dass wir das Geld bis heute nicht hätten. Wahrscheinlich befänden wir uns in einem vielleicht drei, vier Jahre dauernden Rechtsstreit mit dem BMI", sagt Bach. "Ob es bis dahin noch einen Deutschen Rugby-Verband gäbe, das wage ich zu bezweifeln." Das BMI bleibt kühl. Ein Sprecher schreibt, man habe sich stets an die Gesetze gehalten.

Für Bach ist die Geschichte noch nicht beendet. Vor wenigen Wochen verweigerten die Landesverbände dem alten Präsidium zum dritten Mal die Entlastung. Sie verbanden damit keine konkrete Forderung. Achim Behring-Scheil, Verbandschef in Niedersachsen und Wortführer der Bach-Gegner, geht es ums Prinzip: "Im Grunde muss irgendjemand die Verantwortung übernehmen, wenn man einen Verband mit 200000 Euro Miesen übergibt." Bach habe den Verband "nach Gutsherrenart" geführt, "also muss er auch die Konsequenzen tragen". Rechtliche Schritte werde er nicht einleiten. Bachs Nachfolger Ralph Götz will Ruhe einkehren lassen: "Gerade hat uns das BMI für 2012 wieder Fördergelder bewilligt", sagt der neue Präsident: "Unser Verhältnis ist jetzt gut, und ich denke, das war entscheidend, damit da was vorangegangen ist." Götz findet, es sei nun Zeit, zu vergessen.

Die Autoren werden gefördert von der Otto-Brenner-Stiftung und dem Netzwerk Recherche.