Die Berichte des WESER-Kurier, 31.07.1970

von Ulrich MANZ

Erste Zwischenbilanz

Am 24. Juni 1969 gab der WESER-KURIER — auch wenn gewisse „Chroniken" es zu verschleiern versuchen — den Startschuß zu dem, was nun unwahrsten Sinne des Wortes ins Rollen gekommen ist, mit seiner Veröffentlichung „Bund verweigert Maklerprovision". Diesem ersten Artikel folgten andere, deren Sinn es war, endlich etwas in Gang zu bringen, was seit langem unterschwellig in Bremen gärte.

Vorgestern hat nun der parlamentarische Untersuchungsausschuß seine dritte Sitzung beendet. Und jetzt gibt es eine Pause, die nicht nur der Ausschuß selber, sondern auch die Öffentlichkeit nötig hat, letztere vor allem, um das, was während der Vernehmungen ans Tageslicht gekommen ist, erst einmal zu verdauen, was gewiß beschwerlich ist.

Die Dimensionen sind bereits beträchtlich, und die Dinge, anfangs noch tragikomisch, werden dramatischer. (Eine auswärtige Zeitung wählte für ihren Bericht den Titel „Eine Kriminalgroteske mit politischem Einschlag“.)

Unsere umfangreichen Berichte über die einzelnen Beweisaufnahmen sprechen in dieser Hinsicht eine so erschreckend deutliche Sprache, daß es uns vorerst überflüssig erscheint, Einzelheiten hier noch besonders und weitschweifend zu kommentieren. Wohl aber kann man in dieser Pause doch einige allgemeinere Betrachtungen zur Lage anstellen:

Politiker stehen im Leben, einmal, versteht sich, im privaten, denn sie verkehren und reden mit Verwandten, Freunden, Nachbarn, Bekannten, und sie sitzen am Stammtisch, in der Skatrunde oder in der Sauna, zum anderen stehen sie auch noch im öffentlichen Leben, allwo sie mit Parteigenossen, ausschußkollegen, Kemmermitgliedern konferieren und Parlamentarierbänke oder „höhere“ Sitzgelegenheiten, etwa Minister- oder Senatorensessel, drücken. Sie kommen also mit einer ganzen Menge Leute zusammen, und sie stehen somit, sozusagen, in einer Doppel-Lebenssituation.

Gleichwohl scheinen sie, wohl gerade durch diese anstrengende Doppelstellung bedingt, nur noch der Hälfte einer natürlichen Gabe teilhaftig geblieben zu sein, worüber einfache Staatsbürger offenbar in ungeschmälertem Umfange voll verfügen: die Mitteilsamkeit und die Neugierde, radiotechnisch ausgedrückt die Fähigkeit, zu senden und zu empfangen.

So haben denn die Antennen (sprich Ohren) der im einfachen Leben stehenden Normalbürger im Laufe der Jahre manches aufgefangen, was man wohl als verstümmelten Empfang aus dem Äther bezeichnen möchte und woraus sich niemand einen voll verständlichen Klartext zusammenreimen konnte. Doch immerhin hat die erfindungsreiche Volksseele ebenso beziehungsreiche Begriffe geprägt, wie etwa „Millionen-Willy" und „König Richard", und hinter der vorgehaltenen Hand hat man sich, listig zwinkernd oder vielwissend grienend, manches zugeflüstert, alles natürlich Unbewiesenes und möglicherweise schwierig Beweisbares, denn wer, aus dem regierten Volk, meinen wir, sollte das wohl können.

Nur eben die Politiker, von der Natur schmählich um die Empfangsantenne benachteiligt, konnten gar nichts hören. Neugier ist eben nicht ihr Metier, und darum hat „niemand nichts gewußt" und keiner hat sich bei irgend etwas etwas denken können.

Vom ersten Verhandlungstage an zeigte sich ein auffälliges, für jedermann deutliches, wirklich unübersehbares Symptom des großen Hin und Her — das Nichtwissen. Es war von vornherein da, breitete sich wie ein Ölfleck über die drei Tage aus, epidemisch, seuchenhaft, wie eine Krankheit. In allen Spielarten schillernd war es da, dieses grandiose Nichtwissen, von der Ignoranz bis zur gut geschauspielerten und bieder, aber auch manchmal zynisch vorgetragenen Ahnungslosigkeit.

Diese Ahnungslosigkeit bei Politikern, maßgeblichen Beamten und anderen Persön-lichkeiten muß für die Ohrenzeugen der Vorgänge, und das waren ja durch die Rund-funkübertragungen recht viele, ein faszinierendes und tiefgreifendes Erlebnis gewesen sein. Freilich ein nicht gerade vertrauenstärkendes, denn wenn schon die führenden Politiker, wenn schon die mit den Dingen befaßten, verantwortlichen Beamten nichts wissen, ja, wem sollen die Leute dann wohl noch trauen!

Da gab es welche, denen erschien alles zufällig oder aber gar nicht besonders wichtig oder nicht üblich; da gab es andere, die nie etwas von der gleichzeitigen Zahlung von Makler- und Anwaltsgebühren gehört hatten, denen die Bedenken des Bundesrechnungshofes und des Bundesverkehrsministeriums ganz neu (wenn nicht piepe) waren, die den Namen der Frau Scholz, der Schwester Lohmanns, bis zum Freitag, dem ersten Sitzungstag, nie gehört hatten und auch nichts von den familiären Verflechtungen im Hause des Maklers Lohmann wissen wollten. Und die Hauptpersonen — ja, die wußten eigentlich am allerwenigsten.

Es gibt Bezirke des öffentlichen Lebens, in denen das vorgebliche oder wirkliche Nichtwissen Verantwortlicher sträflich ist (und politisch tödlich), auch wenn es zunächst so aussehen mag, als sei es in dem Spielchen „Rette sich, wer kann!" das kleinere Übel. Es ist das größere, und wenn sich wenigstens diese Auffassung mög-lichst noch vor Ende der Ausschußarbeit, das ja wohl noch in beträchtlicher Feme liegt, durchsetzen sollte, wäre schon Nützliches erreicht. Politiker müssen nun einmal mehr hören und erkennen als Herr Jedermann. Sie müssen auch außerhalb ihres eigenen Ressorts handeln, um in solchem Sinne an der politischen Gesamtverant-wortung mitzuwirken und mitzutragen.

Das ist einer der Leitgedanken, die wir unserer weiteren Arbeit in dieser Sache zugrunde legen wollen, die sich nach den Erfahrungen des letzten Verhandlungsabends mit dem Versuch der offenbaren Zeugeneinschüchterung (gegenüber unserem Redakteur Manz) durch den Rechtsanwalt Dr. Augstein aus Hannover und anderen Erscheinungen wohl leider nicht mehr allzu eng mit der des Ausschusses koordinieren lassen wird.

Unser Redakteur Ulrich Manz hat Spuren aufgezeigt, deren Verfolgung ja nun Sache des Untersuchungsausschusses ist, denn „untersuchen" heißt schließlich, das zu suchen, was „darunter" ist. Mit Fragen wie „Woher wissen Sie das?", „Wer hat Ihnen das gesagt?" oder „Mit wem haben Sie gesprochen?" ist man, so will es uns scheinen, schon nicht mehr beim Hauptthema, und die Rolle, in die man Herrn Manz und schlechthin die Presse durch die Art der Vernehmung gedrängt hat, will nicht gefallen. 

Statt uns inquisitorisch zu vernehmen, sollten die Politiker sich nun lieber selber anstrengen. Wäre damit der Öffentlichkeit nicht besser gedient?