Wie das 1969 mit dem allerersten Wächterpreis so abgelaufen ist

Eine Erinnerung nach 40 Jahren

Im Folgenden dokumentieren wir die Festrede des ehemaligen WESER-Kurier -Redakteurs Ulrich MANZ während der Preisverleihung des Wächterpreises im Jahre 2010 im Frankfurter Römer. MANZ hatte diesen im Dezember 1969 als allererster Preisträger zugesprochen bekommen: für seine unerschrockenen und standhaften Recherchen.

Dies war im Jahre 1970 allerdings nicht ohne Komplikationen abgegangen.

Daran erinnert Ulrich MANZ in seinem Beitrag.



"Als ich diesen ersten Wächterpreis überreicht bekam, war ich gerade 26 Jahre alt geworden.

Und da Sie wissen, dass dies 41 Jahre her ist, wissen Sie auch, dass ich mich jetzt in einer Altersklasse befinde, in der oft geklagt wird, dass früher alles besser war.

Auch über unseren Berufsstand höre ich das immer wieder. MEIN Wächterpreis ist der Beleg dafür, dass solche Sprüche nicht stimmen – was nicht heißen soll, dass mir alles gefällt, was ich heute im Journalismus erlebe.

Ich bekam den Preis damals für eine Artikelserie, die als „Bremer Baulandskandal“ in die Annalen einging. Der Inhalt in Kurzform: Führende Politiker aller drei im Landtag vertretenen Parteien hatten ihr Mandat benutzt, um sich privat bedeutende Beträge in die Taschen zu schaufeln. Unter dem Vorwand, das beste für die Stadt und ihre weitere Entwicklung zu wollen, schwatzten sie über die Jahre vielen Dutzend Landwirten große Flächen ab – die gingen preiswert erst an einen Makler. Und der erst verkaufte sie dann teuer an Baugesellschaften.

Profitiert hatten die Initiatoren aus der Politik auf vielfältige Weise.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende etwa, zugleich Bremer DGB-Chef, bekam in seinem Hauptberuf tüchtig Prämien für die erfolgreiche Baulandbeschaffung; der Mann war eben auch Chef der Wohnungsbaugesellschaft „Neue Heimat“ in Bremen.

Der Spitzenverdiener bei der CDU war ein Notar, Mitglied der Baudeputation. Der hatte sich vorbehalten, sämtliche Verträge dieser Geschäftskette zu protokollieren – Multimillionen-Honorare. Und wenn einer der düpierten Bauern später noch eine Frage an den Herrn vom Bauausschuss hatte, bekam er die beantwortet, aber umgehend auch eine Anwaltsrechnung.

Auch FDP-Vertreter nahmen am einträglichen Spiel teil, deren Dreh allerdings habe ich vergessen. Ist auch egal, das alles war jedenfalls von ungeheurer Dreistigkeit getragen.

Zarte Hinweise auf diese Praktiken hatte ich schon 1968 erhalten, von zwei jungen Beamten aus der Bauverwaltung, beide Genossen, die sich heftig über die Praktiken aufregten. Aber erst im Frühjahr 1969 hatten sie offenbar so viel Vertrauen zu mir gefasst, dass sie mir ein Bündel Dokumente in die Hand drückten, die vieles belegten, manches aber auch nur ahnen ließen.

Und jetzt kommen wir zum ersten Unterschied zwischen damals und heute.

Der Journalist, der heute aus einer solchen Quelle eine solche Geschichte in die Hand bekommt, und sei es nur in groben Umrissen, der denkt nicht lange nach, sondern geht zu seinem Chef, informiert ihn, sagt, was er noch braucht, um die Geschichte rund zu kriegen, und macht sich an die Arbeit.

Das war vor 41 Jahren nicht so. Denn ich wusste natürlich, dass die Spitzen der Redaktion ausgerechnet mit jenen Politikern gesellschaftlich eng verbandelt waren, die in meinen Dokumenten auftauchten.

Also am nächsten Morgen erst mal die Kollegen gefragt – ich saß damals mit drei weiteren Volontären und zwei Jungredakteuren in einem abgeschlossenen Glaskasten mitten in der Lokalredaktion. Die Kollegen beurteilten die Geschichte genauso und rieten, erst zu recherchieren, ohne dass es einer merkt – dann würde es entsprechend schwerer fallen, eine derartige Geschichte abzulehnen.

So geschah es, und es hat zweieinhalb Monate lang wirklich niemand gemerkt, woran ich da rumrecherchierte. Die Kollegen im Glaskasten arbeiteten für mich mit, zwei oder drei Mal am Tag kam ich in die Redaktion, um das abzuzeichnen, was sie für mich geschrieben hatten, und so stimmte die Autoren-Statistik.

Dann war die Geschichte rund. Ich war zwischenzeitlich stolzer Jungredakteur geworden, schrieb den Stoff als dreiteilige Serie auf, penibel redigiert von den Kollegen im Glaskasten, und ging damit zum Lokalchef.

Der las, wurde immer begeisterter – er wurde später Leiter des STERN-Büros in Bonn -, gratulierte mir, und sagte nur noch, „ob der Verlag das auch druckt, weiß ich allerdings nicht.“ Sprachs, und verschwand mit den Manuskripten in Richtung Chefredaktion. Nach einer knappen Stunde kam er bedrückt und entmutigt zurück: „Keine Chance, die halten das für eine Schmutzgeschichte.“

Ich hatte fast schon damit gerechnet und mir vorgenommen, nun umgehend zum Verleger zu marschieren. Das klingt harmlos, war aber damals alles andere als normal. Der Verleger, Herrmann Rudolf Meyer, war Gott persönlich, jedenfalls eine Respektsperson, vor der man nur mit weichen Knien erschien. Von Hause aus ein Kaufmann, auch ein Antinazi, weshalb die Amerikaner ihn auch an der Lizenz für den Weser-Kurier beteiligt hatten. In der Stadt redeten viele Alteingesessene durchaus abfällig über ihn, den vermeintlichen Emporkömmling.

Mein Eindruck war anders. Er stellte seine Redakteure persönlich ein, also auch mich als Volontär, und meine Erfahrung dabei war, dass er die Aufgabe sehr ernst nahm – Vokabeln wie verlegerisches Ethos gehörten damals noch nicht zu meinem, aber vielleicht zu seinem Sprachgebrauch.

Ich bat also in seinem Vorzimmer um einen Termin, bekam auch gleich einen für den Nachmittag, marschierte mit weichen Knien nach oben. Und dann ging alles ganz schnell. Er sprach nur zwei kurze Sätze: „Was gibt’s?“ Und als ich ihm sagte, dass ich ihm ein Manuskript vorlegen möchte, das die Chefredaktion nicht drucken will, ich aber die Geschichte für die Zeitung und für die Stadt für wichtig halte, sagte er nur „Sie hören von mir“, und winkte mich raus.

Eine halbe Stunde später erschien ein aufgeregter Lokalchef und erklärte, wir seien zum Verleger bestellt, sofort. Im Vorzimmer wartete bereits die Chefredaktion, wir wurden hinein gebeten, und der Verleger erklärte, die Zeitung werde „das Manuskript von Herrn Manz“ veröffentlichen. Der Chefredakteur holte Luft, wollte antworten, aber der Verleger beschied ihn, „ich habe das so entschieden, da gibt’s nichts mehr zu sagen“. Er ordnete nur noch an, dass der Justitiar des Verlages die Texte genauestens presserechtlich polieren solle, was der auch tat, so dass am Ende alle Versuche scheiterten, juristisch gegen den Verlag oder gegen mich vorzugehen. Der Mann, der das fertig brachte, ist hier in Frankfurt bestens bekannt. Es ist Klaus Kottmeier, später hoch erfolgreicher Chef des Deutschen Fachverlags in Frankfurt und heute dessen Aufsichtsratsvorsitzender.

Die Geschichte wurde also publiziert, das war im Frühsommer 1969. Sie schlug heftig ein. Über Monate beherrschte nur noch dieses Thema die Stadt, Es kam zu einer regelrechten Rücktrittswelle in der Regierung, aber auch im Parlament, dort auch in der Opposition. Ein Untersuchungsausschuss, stets life von Radio Bremen übertragen, bot über Monate einen hohen Unterhaltungswert. Die Schilderungen der düpierten Bauern und Grundstücksverkäufer würde man heute als Comedy bezeichnen.

Irgendwann im Herbst eben dieses Jahres entdeckten meine Kollegen in der Wochenzeitung DIE ZEIT eine Anzeige – die Stiftung "Freiheit der Presse" schrieb zum ersten Mal ihren Wächterpreis aus. Und die Kollegen aus dem Glaskasten schlugen mich der Stiftung als Preisträger vor.

Und ich bekam ihn dann tatsächlich zugesprochen. Natürlich große Freude, auch im Verlag, dessen Mut und Konsequenz in der Preisbegründung ehrenvoll hervorgehoben wurden. Und für den Dezember wurde ich nach Frankfurt eingeladen, in den feudalen Kaisersaal im Römer, zur feierlichen Verleihung des Preises.

Zwei, drei Wochen vorher erkundigte sich eine Dame aus der Stiftung, ob denn alles klar sei, die Reise gebucht? Und wie es mir denn sonst so gehe, und der Geschichte? Alles gut, beschied ich sie, nur die ewige Fragerei der Staatsanwaltschaft sei lästig. Sie fragte weiter, und ich berichtete ihr, dass die Zeitung und ich je 15 Klagen am Hals hätten, eben das Übliche, Verleumdung, Beleidigung usw., dass aber die Juristen versicherten, da käme nichts bei raus.

Für mich war das längst täglich Brot, so wie es das heute für jeden Journalisten ist, der sich um heiße Recherchen kümmert. Andere sahen das nicht so.

Vier Tage später bekam ich doppelt Post von der Stiftung Freiheit der Presse. Das eine war eine elegant gedruckte Absage der feierlichen Preisverleihung im Kaisersaal in Frankfurt. Das andere war ein Brief der Stiftung, die mich nunmehr zur Preisverleihung im ganz kleinen Kreis einlud – in das Büro des Stiftungsvorsitzenden nach Darmstadt. Die Herren hatten Angst, dass an ihnen etwas hängen bleiben könnte, sollte eine der Klagen Erfolg haben.

So lernte ich dann in jungen Jahren, dass den Stiftern eines so wichtigen Preises nicht automatisch auch Mut vor Fürstenthronen zuwächst.

Die Geschichte, finde ich, ist es wert, erzählt zu werden, weil eben früher wahrlich nicht alles besser war. Und Sie kennen jetzt auch meinen Grund, hier zu stehen: Ich wollte endlich mal im Kaisersaal auf einer Preisverleihung sprechen."