Großprojekt als Seifenblase enttarnt

Es ist viel einfacher, die Bundeskanzlerin zu kritisieren als den Bürgermeister... Ein Beispiel aus dem Rottal dafür, wie schwierig kritischer Lokaljournalismus ist - und wie notwendig.

Stimmt es, dass ein beredter Marketingprofi einer Kleinstadt aus der Patsche helfen will? Hat er nicht nur hochfliegende Pläne, kann er auch Investoren beibringen? Wenn dem kritisch nachfragenden Lokalredakteur vorgeworfen wird, er vermassle durch seine Berichterstattung einer Kommune "die Chance des Jahrhunderts" - dann sind gute Nerven gefragt. Und ein dickes Fell, denn in einer Schmähschrift öffentlich als Geisteskranker tituliert zu werden, ist nicht jedermanns Sache. Die üblen Beschimpfungen ertragen zu haben und das Wagnis eingegangen zu sein, beides hat sich gelohnt:

 

Die Stadt vor einer Dummheit bewahrt


Die Stiftung "Freiheit der Presse", die seit Ende der sechziger Jahre in Frankfurt am Main an kritische und couragierte Journalisten den "Wächterpreis der Tagespresse" verleiht, kam 1996 zu dem Schluss: Ich habe dank hartnäckiger Recherchen meine Heimatstadt vor einer "Riesen-Dummheit" bewahrt. Was hat sich zugetragen Mitte der neunziger Jahre in Eggenfelden im Landkreis Rottal-Inn? Nun, die Kommune ist - für rund 1,5 Millionen Mark - stolzer Besitzer ziemlich maroder Gebäude im Ortsteil Hofmark Gern geworden: des Ökonomie- und Brauereikomplexes eines dort ansässigen Grafengeschlechtes. Dieses Ensemble, wie beim Kauf der Liegenschaften geplant, aus eigener Kraft in ein Kultur- und Bildungszentrum umzuwandeln, dazu sieht sich die Stadt trotz damals noch gut gefüllter Kasse außer Stande.

Eineinhalb Jahre nach dem Erwerb der Gerner Schlossökonomie erscheint eine vermeintliche Lichtgestalt und verspricht den Stadt-Oberen, Sanierung und Nutzung der Gebäude mit Hilfe privater Investoren zu meistern. Klasse, sagen sich Bürgermeister und Stadtrat, endlich haben wir diesen Klotz vom Bein. Und überdies bekommen wir etwas ganz Besonderes, in Deutschland noch nie Dagewesenes: eine "Akademie für Innovation und Querdenken". Für ein Gesamthonorar von 800 000 Mark erhält besagter Marketingfachmann, der schon längere Zeit im Raum Eggenfelden lebt und der Stadt bereits ein Image-Konzept verkauft hat, Anfang 1994 den Auftrag, die Akademie zu realisieren.

Der selbst ernannte Sanierer bringt eine Investitionssumme von rund 35 Millionen Mark ins Gespräch, verspricht bei Vertragsabschluss, Sanierung und Nutzung in Eigenregie zu betreiben. Referenzen, ob dieser Mann aus der Werbebranche im Stande sein würde, ein solches Großprojekt zu schultern, holt die Stadt nicht ein. Zu groß sind die Begehrlichkeiten, zu groß ist die Erleichterung, die Verantwortung auf anderen Schultern abladen zu können. In meinen Artikeln geht es mir nicht darum, die Inhalte der geplanten "Akademie" madig zu machen - obwohl die auch reichlich spinös erscheinen. Zu "durchleuchten" beginne ich den "Eggenfeldener Messias" deshalb, weil er sich in der Gretchenfrage der Finanzierung immer mehr in Widersprüche verwickelt. Auskünfte zu Geldgebern für das Millionen-Projekt weist er grundsätzlich schroff zurück. Ich komme nicht umhin, absolut jede Aussage des "Visionärs" systematisch auf ihren Wahrheitsgehalt abzuklopfen.

In vielen Fällen erweisen sich die Angaben tatsächlich als vollmundige Sprüche. Je mehr der angebliche "Akademie-Macher" seine Felle davonschwimmen sieht, weil er nichts Handfestes vorzuweisen hat, desto mehr geht er auf Distanz. Er setzt mich unter Druck, droht damit, eine Stadtratssitzung zum Tribunal gegen mich umzufunktionieren. Eggenfelden verliere durch mein kleinkariertes Denken die "Chance des Jahrhunderts", so sein Vorwurf - und auch der des damaligen Kulturreferenten und eines Gros des Stadtrats.

Letztlich aber verliert der "Querdenker" - die Nerven: Er verschickt per Fax einen "Leserbrief" quer durch Eggenfelden. In diesem Pamphlet bezichtigt er mich unter anderem der Geisteskrankheit. Auszug: " . . . sind die Leser mit der Paranoia eines frustrierten Provinzredakteurs konfrontiert (...). Wie heißt die Formel für untergürtel- und parteilichen Journalismus? Berg, berger, am bergsten." Da meine Recherchen sachlich nicht zu widerlegen sind, jetzt also der Versuch, den unbequemen Journalisten persönlich kaputtzumachen. Damit überzieht der Mann jedoch den ihm noch verbliebenen Kredit: Dreieinhalb Wochen nach diesem verbalen Um-sich-Schlagen beendet die Stadt die Zusammenarbeit mit dem "Querdenker". Ein knappes Jahr nach den geschilderten Vorfällen honoriert die Stiftung "Freiheit der Presse" mein Engagement mit dem "Wächterpreis der Tagespresse 1996".

 

Die Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel


Der Preis stellt - so steht es in den Vergabe-Richtlinien - "eine Auszeichnung für herausragende publizistische Leistungen dar, in denen die Autoren als ,Wächter' Missstände aufdecken und behandeln, sachfremde Einflüsse oder Einflussversuche auf die Presse abwehren und damit der verfassungspolitischen Funktion der Tagespresse in besonderem Maße entsprechen". Jene 15 "heißen" Monate zwischen Frühjahr 1994 und Sommer 1995 haben mich enorm geschlaucht: Migräneanfälle, Magenschmerzen, Schlafbeschwerden, im Gehirn Leere und Reizüberflutung in ständigem Wechsel. Denn mir war klar: Bei der Recherche eines heiklen Themas auf lokaler Ebene ist jeder Fehler tödlich - weil er die Glaubwürdigkeit unwiderruflich erschüttert.

Oberste Journalistenpflichten: Ruhe zu bewahren, nicht den Überblick zu verlieren, an die Richtigkeit des eigenen Tuns und Handelns zu glauben. Dazu bedarf es verlässlicher Stützen im beruflichen und privaten Umfeld: Um nicht im eigenen Sud zu köcheln und betriebsblind zu werden bis hin zum Recherche-Autismus, habe ich die Thematik oft stundenlang mit meinem Redaktionsleiter Wolfgang Gruber und zu Hause mit meiner Frau Doris erörtert. Beide haben unendliche Geduld bewiesen und sind mir eine große Stütze gewesen.


Dieser Artikel war in der Sonderausgabe der PNP zu ihrem 60. Jubiläum im Jahre 2006 abgedruckt. BERGER, Jahrgang 1957, schreibt seit 25 Jahren für die PNP, seit 1992 in seiner Heimatstadt Eggenfelden.