Lokaljournalismus: kritische Berichterstattung im Kreuzfeuer

Arbeitsbedingungen in einer Lokalredaktion

 

Dieser Leitspruch ist im Verlagshaus der Passauer Neuen Presse (PNP) zu lesen:

Und das sagt einer, der aus Erfahrung spricht:
...für den kleinen Reporter in einer kleinen Stadt ist die Erfüllung der Wächterfunktion mit einem großen persönlichen Risiko verbunden. Er habe es doch ein wenig schwerer als der Kollege in der Großstadt....“ Das sagte mal Horst BAUER 1996. Er war lange Mitglied und auch Vorsitzender der Wächterpreisjury und ist im Hauptberuf Verleger des Hanauer Anzeiger . BAUER spricht aus Erfahrung.

Und diese Aussage wird in vielen Veröffentlichungen immer wieder bestätigt.

Denn, zum einen ist das Aufgabenfeld des Lokaljournalisten um einiges umfangreicher, als das vieler seiner Kollegen. Noch in den 80er Jahren kümmerten sich die Lokaljournalisten ausschließlich um den Inhalt ihrer Berichte. Die fertigen Artikel wurden dann in den Satz gegeben und damit war die Arbeit für die Journalisten meistens erledigt. Heute sind in der Regel 3 bis 6 Redakteure in einer Lokalredaktion tätig, von denen die Seiten komplett erstellt werden. Vom Datum bis zum letzten Satz, von der Korrektur bis zur Fotobearbeitung, einfach alles.

„Die ganze Arbeit vom Anfang bis Ende ist in der Regel in einer Hand. Und gerade diese Vielseitigkeit und Verantwortung ist auch der Reiz, an unserer Tätigkeit“, so Jörg KLOTZEK vom Vilshofener Anzeiger , der zur PNP gehört. – Doch, was den Reiz ausmacht, birgt gleichzeitig auch ein Problem in sich: die Lokalredaktion hat kaum Kapazitäten, einen Redakteur für aufwendige Recherchen, wie sie für die „HUBER-Affäre nötig waren, freizustellen.

Die Unterstützung von den Kollegen und ein hoher Einsatz über die normale Arbeitszeit hinaus ist hier unerlässlich, berichtet Martin RIEDLAICHER. Oft habe er nach der alltäglichen Arbeit nach 19Uhr noch mehrere Stunden an diesem Fall gearbeitet. „Freizeit ist für Journalisten ein dehnbarer Begriff." – Aufwendige Berichte, die investigative Recherchen mit sich ziehen, sind in der Regel während des alltäglichen Redaktionsgeschäfts nicht möglich.

Ein viel größeres Problem indes ist die gegenseitige Verflechtung einzelner Akteure in Vereinen, Parteien, Kirchen und der Wirtschaft, die einen freien und unabhängigen Informationsfluss erschwert oder sogar unmöglich macht. Wenn - wie bei der HUBER-Affäre - der Rechungsprüfungsausschuss mit politischen Bekannten oder Freunden des zu Kontrollierenden besetzt ist, dann „beißt sich die Katze in den Schwanz“, weil die Selbstreinigung dann nicht funktioniert, so der praktizierende Journalist KLOTZEK.

Der ehemalige Soziologe, Prof. Dr. Erwin SCHEUCH von der Uni Köln, wurde ebenfalls nie müde, diese Zusammenhänge immer wieder zu betonen. Er hatte viele Beispiele in Köln, seiner politischen Heimat, untersucht und in mehreren Büchern veröffentlicht. U.a. „Cliquen, Klüngel und Karrieren“, erschienen 1992. Manches konnte er allerdings gar nicht so ohne weiteres veröffentlichen – z.B. dann, wenn sich kein Kölner Verlag dazu bereit fand, weil auch Verlage mit heimischen Strukturen verbandelt sein können (mehr über ein solch konkretes Beispiel über diesen Link , der Sie zur Kölner Müllverbrennungsaffäre führen wird).

Das lokale und gesellschaftliche Netz ist eng und dicht, im Zweifel kompliziert. So ist es durchaus möglich, dass man sich aus der früheren Schulzeit her, über gemeinsame Freizeitaktivitäten (Sauna, Fußball, Golf, Tennis usw.) kennt und nun soll man über diese Bekannten kritisch berichten.

Andererseits hat diese soziale Nähe natürlich auch seine Vorteile. Denn da, wo jeder jeden kennt, kommt man auch leichter an vertrauliche Informationen heran.

Für engagierte Lokaljournalisten wird es immer eine Gratwanderung zwischen notwendiger Distanz und unausweichlicher Nähe zum Objekt der Berichterstattung sein.

Da ein Journalist als „Wächter“ nicht nur staatliche Einrichtungen, sondern auch private Institutionen in ihrem Tun und Nicht-Tun aufmerksam beobachtet und Missstände aufdeckt, muss er mit Druck und eventuellen Drohung von außen rechnen.

Diese bittere Erfahrung musste beispielsweise Ulrich BERGER von der PNP machen, der 1995 ein Großprojekt in seiner Heimatstadt Eggenfelde als „große Seifenblase“ enttarnte. Peter KAPFHAMMER, ein wortgewandter „Marketingprofi“ wollte angeblich der Kleinstadt aus der Patsche helfen. Durch die kritischen Fragen BERGERs verstrickte sich der angebliche „Marketingprofi“ immer mehr in Widersprüche und fing schließlich an, auszuteilen. Er setzte BERGER unter Druck, drohte damit, eine Stadtratssitzung zum Tribunal gegen ihn umzufunktionieren. Letztlich schickte KAPFHAMMER einen Leserbrief durch Eggenfelde in dem er BERGER der Geisteskrankheit bezichtigte. Da die Recherchen von BERGER sachlich geschrieben und nicht zu wiederlegen waren, beendete die Stadt einige Wochen nach diesem Vorfall die Zusammenarbeit mit dem „angeblichen Retter“ (Hier geht es zu einer Zusammenfassung über diese Story, die 1995 einen Wächterpreis erhielt: ”Großprojekt als Seifenblase enttarnt”.

Solche üblen Beschimpfungen zu ertragen und dennoch weiter an der Geschichte dran zu bleiben, erfordert eine Menge Rückrat und eine Verlagsleitung, die Vertrauen in ihre Mitarbeiter hat und Ihnen den Rücken stärkt, notfalls auch juristisch. Denn nur so können Redakteure gute Arbeit leisten.

„Sanktionen“ von außen können aber auch noch anders aussehen: beispielsweise, indem der Journalist von Informationen abgeschnitten wird. Auch dies wird oft praktiziert. Für einen Lokaljournalisten wiegt dies besonders schwer, denn er muss ja weiterhin über das lokale Geschehen berichten. Seine Kollegen aus der Wirtschafts- oder Kulturredaktion nehmen einfach ein anderes Unternehmen unter die Lupe oder rezensieren andere Schriftsteller.

Zum anderen kann Druck von außen natürlich auch durch eine ganz bestimmte Kundengruppe kommen: den Werbetreibenden, konkret den Anzeigen schaltenden Betriebe und Geschäfte, über die eine Zeitung ab und an ja auch berichtet. Hier sind die Probleme buchstäblich vorprogrammiert: freundliche und zahnlose Veröffentlichungen und regelmäßige Werbeanzeigen oder kritische Berichte und möglicherweise Anzeigenboykott. 50 bis 60% der Einnahmen stammen bei Zeitungen immerhin von dieser Kundengruppe.

Hier ist klares Management gefragt: eine Zeitung muss klar entscheiden, für wen sie in erster Linie arbeiten will: fürs Anzeigengeschäft oder die Leser. Das werden dann auch die Anzeigenkunden verstehen, denn eigentlich können sie aufs Anzeigenschalten für die Leser, die ja wiederum ihre eigenen Kunden sind, nicht verzichten.

Insofern gilt auch heute noch der Satz des Hanauer Verlegers: ein „kleiner Reporter in einer kleinen Stadt“ hat es wirklich „ein wenig schwerer“, wenn er sein Wächteramt ausfüllen will.

 

(tz)