Das Making-of der Geschichte

rekonstruiert von Angela Böhm

Vorbemerkung

Ein Buch sorgt in Bayern für Wirbel. 254 Seiten, knallrotes Cover, dicke weiße Buchstaben: „Die Selbstbediener“. Hans Herbert von Arnim hat wieder zugeschlagen. „Wie bayerische Politiker sich den Staat zur Beute machen“, steht darunter in dünner schwarzer Schrift.

Am 15. April 2013 stellt der Parteienkritiker sein neuestes Werk in Berlin vor. Es ist ein Nebensatz auf Seite 80, der mich elektrisiert: „Theoretisch“, schreibt von Arnim, könnten Abgeordnete sogar noch heute Ehefrauen, Söhne und Töchter auf Staatskosten beschäftigen, deren Verträge bereits im Dezember 2000 bestanden haben. Und praktisch? Das ist der Schlüssel zur „Verwandtenaffäre“.

Sie ist kein Beispiel für geschickte, investigative Recherche. Vielmehr zeigt die Aufdeckung der bayerischen Vetternwirtschaft, dass Journalismus streitbar, hartnäckig und unnachgiebig sein muss. Sie demonstriert aber auch, wo Recherche an Grenzen stößt. Und die Informationspflicht, auf die die Öffentlichkeit ein Anrecht hat, nur noch mit juristischer Hilfe durchgesetzt werden kann. Im Notfall vor Gericht. Hier das Protokoll:

Der Knall

Ob es tatsächlich noch solche Altfälle gibt, frage ich sofort am Tag der Buchpräsentation in der Pressestelle im Bayerischen Landtag nach. Am 15. April bleibt die Antwort aus. Auch am nächsten Tag gibt es keine Information. Man rät mir, die Frage morgen, am 17. April, auf einer Pressekonferenz zu stellen. Die hat Landtagspräsidentin Barbara Stamm extra anberaumt, um sich gegen die Vorwürfe, die das Buch enthält, zu wehren.

Ich komme zu spät. Eigentlich ist schon alles gelaufen. „Wie viele Altfälle gibt es, und welche Abgeordneten beschäftigen noch heute ihre Ehefrauen und Kinder?“, melde ich mich. Anzahl und Namen will ich wissen.

„Ab diesem Moment fuhren zwei Dampflokomotiven unaufhaltsam aufeinander zu“, beschreibt Landtagssprecherin Heidi Wolf später den „unvergessenen Auftritt“. „Es ist mein Recht, es nicht zu sagen“, weigert sich Landtagspräsidentin Barbara Stamm trotzig immer wieder. „Dann klage ich die Informationen vor Gericht ein“, drohe ich.

Innerhalb der Landtagspresse bin ich in diesem Moment isoliert.  Ich sei zu weit gegangen, bewerten Kollegen nach der Pressekonferenz die Sache anders als ich. Das sei „keine Geschichte“. Später entschuldigen sie sich dafür.

Am nächsten Tag schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ über Stamm: „Auch mit einer Journalistin, die immer wieder kritisch zu Landtagsdetails nachfragt, legt sie sich an und liefert sich vor der versammelten Presserunde mehrminütige Wortgefechte. Als dann der Auftritt vorbei ist, steht sie im Zimmer, schnauft durch.“ 

Die Veröffentlichung

„Abzocker im Landtag? Stamm schweigt.“ Mit dieser Story erscheint die Abendzeitung in ihrer Ausgabe vom 18. April. Im Landtag hatte ich mich in den vergangenen Tagen schon umgehört und war auf Kultusminister Ludwig Spaenle gestoßen. Nach der Pressekonferenz rufe ich ihn an. Sofort räumt der Minister ein, dass er seine Frau auf Staatskosten beschäftigt. Kurz darauf veröffentlicht Stamm auf Druck der Abendzeitung nun doch eine Zahl der aktuellen Altfälle, die sie später korrigieren muss: 19 Abgeordnete. 18 von der CSU, einer von der SPD.

Zwei Tage danach, am 19. April, um 13.24 Uhr rückt sie die offizielle Namensliste heraus. Es sind 17 Abgeordnete. Alle von der CSU.

Der Druck war für die Landtagspräsidentin zu groß geworden. In der Zwischenzeit haben sich die Nachrichten überschlagen. Immer mehr Namen waren von den Medien recherchiert worden.

Der Abzocker

Am Morgen des 18. April passe ich im Landtag CSU-Fraktionschef Georg Schmid ab. Der bittet mich bereitwillig in sein Büro. Selbstbewusst räumt er ein, seit 23 Jahren seine Ehefrau als Mitarbeiterin zu beschäftigen: „Ich zahle anständig Steuern in diesem Lande, bin ein anständiger Mensch und halte mich an die Gesetze.“ Das geht wie ein Lauffeuer durch das Maximilianeum. Nun ist es für alle Medien die Story.

Ministerpräsident Horst Seehofer spricht am nächsten Tag ein Machtwort. Die CSU-Abgeordneten müssen die Verträge mit Ehefrauen und Kindern kündigen. Über Georg Schmid senkt er den Daumen. Der gesteht am 23. April, dass er seiner Frau bis zu 5500 Euro pro Monat gezahlt hat. Das Geld lief über eine extra dafür gegründete Firma.

Am 25. April, 13.37 Uhr, verschickt die CSU-Fraktion seine Rücktrittserklärung. Am Vormittag hatte ich Schmid noch per SMS die Frage gestellt, ob es sich bei der Tätigkeit seiner Frau um eine Scheinselbstständigkeit handelt. Der wunde Punkt! Die Staatsanwaltschaft leitet ein Verfahren gegen ihn ein. Am 17. Mai durchsuchen Fahnder wegen des Verdachts der Scheinselbstständigkeit Schmids Haus in Donauwörth. Die AZ ist vor Ort.

Die Kinderarbeit

Auch der mächtige Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Georg Winter, steht auf der Liste. Er hat seine beiden Söhne beschäftigt. Die musste er bereits im Dezember 2000, also vor 13 Jahren, angestellt haben, um als Altfall zu gelten. Er bestätigt meine Vermutung, dass seine Söhne „zum Zeitpunkt des Beschäftigungsbeginns vierzehneinhalb und dreizehneinhalb Jahre“ alt waren.

Nach langem Hin und Her entscheidet der Landtag: Die Kinderarbeit war illegal! Winter muss sein Amt aufgeben und den gesamten Lohn, den der Landtag für seine Söhne gezahlt hat, zurücküberweisen.

Die Summe will  Barbara Stamm geheim halten. Diesmal bleibt sie stur. Mir bleibt nur die Möglichkeit, einen Rechtsanwalt einzuschalten. Der bereitet alles für eine Klage vor, um die Auskunftspflicht, wenn nötig, gerichtlich durchzusetzen. Stamm bittet um eine Verlängerung der gesetzten Frist. Am Ende gibt sie nach und am 28. Mai die Summe bekannt: 91.382 Euro und 87 Cent hat Winter zu Unrecht für seine Söhne kassiert.

Das Archiv

Gut 13 Jahre ist es her. Am 25. November 1999 hatte ich unter dem Titel „So wird der Landtag zum Familienbetrieb – Wie Abgeordnete mit der Ehefrau 23.564 Mark im Monat verdienen können“ über die Abzock-Möglichkeit in Bayern berichtet. Die Folge: Zum ersten Dezember 2000 wurde die Beschäftigung von Ehepartnern und Kindern verboten. Altfälle durften weitermachen, was mir entgangen war.

Barbara Stamm will nun aufklären: Am 3. Mai veröffentlicht sie eine neue Liste, die bis ins Jahr 2000 zurückreicht, mit 79 Namen. 56 von der CSU. 21 von der SPD, darunter auch Renate Schmid, die 2002 als Familienministerin in die Bundesregierung wechselte. Ein Grüner und ein Parteiloser.

Erst nach Tagen hole ich mein altes Papierarchiv mit den Artikeln von damals heraus und finde ganz andere Zahlen: Im November 1999 gab es laut Landtagsamt 45 Abgeordnete, die ihre Ehefrauen beschäftigt hatten. Bei Stamm fand nun eine wundersame Vermehrung statt: Auf 79 im Jahr 2000!

Abgeordnete mussten also noch im letzten Moment Verwandte angestellt haben, um als Altfälle zu gelten. Am 14. Mai schicke ich eine schriftliche Anfrage an die Landtagspräsidentin: „Welche Parlamentarier haben zwischen November 1999 und der Gesetzesänderung Anfang Dezember 2000 noch schnell Familienmitglieder angestellt?“ Sie antwortet nicht. Horst Seehofer mauert mit. Er rät am 16. April im Landtag, Journalisten sollten doch mit ihren Fragen warten, bis der Oberste Rechnungshof, der sich eingeschaltet hat, mit seiner Untersuchung fertig ist. Die dauert Monate.

Wieder nur auf Druck der Abendzeitung gibt Stamm am 28. April die Namen der Last-Minute-Abzocker doch noch bekannt: Es sind 16 Abgeordnete. 12 von der CSU, drei von der SPD. Ein Name bleibt geheim. Der Volksvertreter ist bereits verstorben.

Das Gericht

Fünf Kabinettsmitglieder haben enge Familienmitglieder für sich in ihrer Eigenschaft als Abgeordnete arbeiten lassen. Landwirtschaftsminister Helmut Brunner, die damalige Justizministerin Beate Merk, Kultusminister Ludwig Spaenle und die beiden Staatssekretäre Franz Pschierer und Gerhard Eck. Ministerpräsident Horst Seehofer hat sie verdonnert, den Lohn, der während ihrer Regierungszeit angefallen ist, an die Staatskasse zurückzuzahlen. Totschweigen aber herrscht über die Summen. Am 28. Juni 2013 reicht die Landtags-SPD Klage beim Verfassungsgerichtshof ein, um die Staatsregierung zur Auskunft zu zwingen. Am 22. Mai 2014 soll das Urteil verkündet werden. Gut 13 Monate nach der Aufdeckung der Verwandtenaffäre.

Das Fazit

Bayern hat nun ein neues Abgeordneten-Gesetz. Das strengste der ganzen Republik. Verwandte bis zum 4. Grad dürfen nicht beschäftigt werden. Verträge mit Firmen, an denen ein Parlamentarier, dessen Verwandte oder andere Mitglieder des Landtags beteiligt sind, dürfen nicht geschlossen werden. Abgeordnete, die nebenher eine Anwalts- oder Steuerkanzlei führen, dürfen ihre Mitarbeiter nicht zur Unterstützung ihrer Mandatsausübung heranziehen.

Hans Herbert von Arnim hat sein Buch aktualisiert. Das Cover ist das alte. Knallrot mit dicken weißen Buchstaben: „Die Selbstbediener“. Es hat jetzt 320 Seiten.