Die Berichte des Hamburger Abendblatt, 31.10.2008

von Ulrich GASSDORF

Das System Poggendorf

Hamburger Abendblatt , 31.10.2008 

Er suchte einen neuen Job und stieg zum fast allmächtigen Geschäftsführer des Hamburger Tierschutzvereins auf. Wolfgang Poggendorf schuf ein Netz aus Abhängigkeiten und - da ist sich die Staatsanwaltschaft sicher - bereicherte sich selbst. Um mehrere Hunderttausend Euro. Ab Montag steht er vor Gericht. Wegen Betrugs und Untreue.

Ein Dossier von Ulrich Gaßdorf

Klaus Nahrstedt wirkt ein wenig verlegen. Es fällt nicht leicht, einzugestehen, dass man benutzt worden ist. Ohne es zu merken. Klaus Nahrstedt ist 69 Jahre alt, er ist das, was man einen ehrenwerten Mann nennt. So wie man sich einen Vorsitzenden des Hamburger Tierschutzvereins (HTV) vorstellt. Sechs Jahre war er es, von 1999 bis 2005. Und eigentlich doch nicht: "Ich habe nur einmal im Monat die Vorstandssitzung geleitet", erzählt er. Alles andere hat er gemacht: Wolfgang Poggendorf. Der wird am kommenden Montag um 9.30 Uhr im Saal 388 des Landgerichts Hamburg sitzen. Untreue in mehreren Fällen und Unterschlagung werden ihm in der 72-seitigen Anklageschrift vorgeworfen.
Es geht um Hunderttausende Euro - Geld, das dem HTV gehört. Dem Verein, in dem es einige Gefolgsleute gab, viele Mitläufer und noch mehr, die gar nicht wissen wollten, was da vor sich geht. Und nur ganz wenige Kritiker, die sich nicht durchsetzen konnten. Das System Poggendorf.

Wie konnte es dazu kommen?

Feiner Anzug, teure Uhr - so stellt Poggendorf sich vor

Rückblende: 1988. Poggendorf, rund 30 Jahre vorher aus Mecklenburg in den Westen gekommen, Inhaber eines Porzellangeschäfts in Eilbek, sucht einen Job. Er hört sich um, er bietet sich an. Immer wieder auch bei Herbert C. Andresen, seinem Nachbarn in Tonndorf. Andresen ist Schatzmeister beim HTV, und der Verein hat sich gerade von seinem Betriebsleiter getrennt - wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten. Andresen stellt ihn dem Vorstand vor. Poggendorfs erster Auftritt beim HTV - mit feinem Anzug und einer teuren Uhr. "Irgendwie passten für mich Tierschutz und diese protzige Uhr nicht zusammen", erinnert sich Friedrich Engelke, der damals im Vorstand sitzt. Aber ansonsten macht Poggendorf einen "handzahmen und zupackenden Eindruck". Er wird zum 1. November 1988 eingestellt und am 1. April 1989 zum Geschäftsführer des HTV ernannt. Ein Jahr später wird sein Porzellangeschäft aus dem Handelsregister gelöscht.

Poggendorf, der in seiner Jugend boxte - nach eigener Aussage durchaus erfolgreich -, beweist schnell Organisationstalent: "Aber mit der Zeit wurde sein intrigantes Verhalten immer offensichtlicher", sagt Ex-Vorstand Engelke. So habe Poggendorf immer wieder versucht die Vorstände gegeneinander auszuspielen. "Wenn Poggendorf etwas durchsetzen wollte, hat er die Leute so lange besabbelt, bis er im Vorstand die Mehrheiten hatte. Meist ging es um Personalentscheidungen. Tanzte einer nicht nach seiner Pfeife, wollte er ihn loswerden", sagt Engelke.

Ein unmoralisches Angebot

Immer wieder muss der Vorstand sich mit Personalangelegenheiten beschäftigen, weil Poggendorf mal wieder einem Mitarbeiter kündigen will. Bis es den Tierschützern reicht: Am 7. Mai 1991 ist der erste Tagesordnungspunkt "Ausscheiden von Herrn Poggendorf". In dem Protokoll der Sitzung ist zu lesen: "Alle Beteiligten sind sich klar darüber, dass durch das Intrigieren innerhalb des ehrenamtlichen Vorstands durch Herrn Poggendorf dieser in große Schwierigkeiten bei der Führung des Vereins gebracht wurde." Auch seine eigenmächtige Pressearbeit kommt beim Vorstand nicht gut an. Sie glauben, er sieht sich auffallend gerne in der Zeitung. Poggendorf ist nur noch ein paar Tage im Büro - die Zusammenarbeit wird schnell beendet, obwohl sein Vertrag offiziell erst zum Jahresende ausläuft. Er ist jetzt 54 Jahre alt, hat kein Geschäft mehr - keine Perspektive? Doch Poggendorf ist keiner, der sich hängen lässt. Er schafft es, Arbeit zu finden: in der Marketing-Abteilung des HSV. Sein Wirken dort hat keinen bleibenden Eindruck hinterlassen - jedenfalls weiß beim HSV heute niemand mehr, was er dort genau gemacht hat und wie lange er da war. Der damalige Präsident Jürgen Hunke kann sich an "keine Auffälligkeiten" erinnern.
Poggendorf sieht seine Zukunft sowieso beim HTV. Hinter den Kulissen versucht er "Strippen zu ziehen", erinnert sich ein Mitarbeiter. Er will seinen Job zurück. Doch er stößt auf Widerstand bei Susanne Kubiak. Sie ist die Vereinsvorsitzende: "Ich habe ihm erklärt, dass er in diesem Verein nichts mehr zu suchen hat", sagt Kubiak. Doch Poggendorf gibt nicht auf; er bereitet seinen wohl größten Coup vor - im September 1995: "Ich war nur ein Wochenende nicht in Hamburg", berichtet Kubiak. Und erinnert sich weiter: "Da hat Poggendorf die damalige Zweite Vorsitzende und die Schatzmeisterin aufgesucht und es geschafft, dass sie ihm seinen Arbeitsvertrag unterschrieben haben", sagt Kubiak. Den habe er selbst vorbereitet - inklusive seines Gehalts: 7200 DM brutto pro Monat, Weihnachtsgeld und 35 Tage Urlaub. 1995 ein sehr stolzes Gehalt. Kubiak ist entsetzt und entscheidet: "Mit diesem Intriganten wird es für mich keine Zusammenarbeit geben." Poggendorf schlägt Kubiak, obgleich die Juristin bereits am 11. September ihren Rücktritt erklärt, unterdessen einen Deal vor und soll damals laut Kubiak sinngemäß gesagt haben: "Überdenken Sie Ihre Entscheidung noch einmal. Wir könnten ein unschlagbares Team sein. Sie kümmern sich um den Vorsitz und lassen mich ansonsten hier alles erledigen. Wir werden gut zusammenarbeiten, und ich werde Ihre Kanzlei mit Mandaten versorgen." Auf dieses für sie unmoralische Angebot geht Kubiak nicht ein - damit ist der Weg für Poggendorf beim HTV frei. Er kann bald fast nach Belieben schalten und walten. Poggendorf ist Chef der Vereinsverwaltung, des Tierheimbetriebes und für die von ihm so geliebte "Öffentlichkeitsarbeit" verantwortlich.

"Mr. Tierschutz" plant sein Comeback

Eine langjährige Mitarbeiterin erinnert sich an sein "Comeback": "Herr Poggendorf kam breit grinsend über den Hof geschritten. Behängt mit Goldschmuck und nach Veilchen riechend." Viele Mitarbeiter sind alles andere als glücklich über die "Rückkehr des Königs": "Es herrschte ein unangenehmes Klima. Sein Wort war Gesetz", erinnert sich die Mitarbeiterin.
Jetzt kommt das "System Poggendorf" zur Blüte: Als Erstes sichert er sich die Loyalität einiger Mitarbeiter: "Die haben dann höhere Gehälter bekommen, oder es wurden sogar extra Positionen geschaffen", sagt ein Mitarbeiter. Im Gegenzug hatte er sie nicht nur auf seiner Seite - sie erstatteten ihm auch regelmäßig Bericht. "Die haben ihm dann immer alles, was so auf dem Gelände passierte, brühwarm berichtet. Man musste immer aufpassen, was man wem erzählte", erinnert sich ein Mitarbeiter.
Unterdessen läuft es für Poggendorf gut. Er ist der "Mr. Tierschutz" in den Medien, und der Deutsche Tierschutzbund verleiht ihm die Franz-von-Assisi-Medaille für seine "wertvolle Mitarbeit im Dienste des Tierschutzes". Der Autonarr fährt in großen Mercedes-Limousinen vor, betont immer wieder, auch vor Journalisten: "Ich muss gar nicht mehr arbeiten, besitze in der ehemaligen DDR große Ländereien." Im Jahre 1999 macht Poggendorf den entscheidenden Schritt zur Alleinherrschaft im HTV: Der damalige Vorstand, vertreten durch den Schatzmeister Manfred Elsen und die Zweite Vorsitzende Kirsten Weckel, ermächtigt Poggendorf in einer bei einem Notar ausgefertigten Vollmacht, "den HTV allein in allen Grundstückangelegenheiten und Nachlasssachen zu vertreten". Jetzt kann Poggendorf die Geschäfte führen und braucht nicht mal mehr die Unterschriften eines Vorstands. Vorsitzender ist jetzt Klaus Nahrstedt. Doch wie seine Kollegen ist er nur eine Marionette: "Der HTV ist wie eine Spielzeugeisenbahn für mich. Ich drehe an den Rädchen, und alles läuft", gesteht Poggendorf einmal einer langjährigen Mitarbeiterin. Es scheint gut zu laufen, nicht nur für Poggendorf, auch für den HTV. Die Spenden und Erbschaften fließen reichlich. Die Weihnachtsfeiern für den Vorstand und die Mitarbeiter sind legendär: Es gibt Hummer und Lachs - und reichlich andere Leckereien. Deshalb gibt es gegen Ende der Feier ein Ritual: "Die Frauen aus dem Vorstand gingen mit Tupperschalen herum und packten sich die Reste ein", wird aus Mitarbeiterkreisen berichtet.
Auch sonst zeigt sich Poggendorf gerne großzügig. Im sogenannten "ZBV(zur besonderen Verwendung)-Raum" im Verwaltungstrakt stapeln sich zu Weihnachten die Geschenke für die Mitarbeiter. Einmal gab es Douglas-Gutscheine, ein anderes Mal edle Montblanc-Kugelschreiber, die allerdings im Safe aufbewahrt wurden. Auffällig: "Er hat immer viel mehr Gutscheine und Stifte gekauft, als für die Mitarbeiter benötigt wurden", berichtet eine misstrauisch gewordene ehemalige Sekretärin. Vielleicht waren die überschüssigen Exemplare für Geschäftsfreunde gedacht.

"Beste Kontakte" auch in die Politik

Poggendorf residiert geradezu im Verwaltungstrakt auf dem Gelände an der Süderstraße. In die "Residenz" kommt nicht jeder rein - der Zugang ist mit einem Code gesichert: "Neben der Tür zu dem ,Thronzimmer' von Herrn Poggendorf war eine Lampe, wenn die rot leuchtete, durfte keiner stören", erinnert sich die ehemalige Sekretärin. Die bearbeitete auch die Erbschaften, die Tierfreunde dem HTV hinterließen: "Wenn aus dem Testament hervorging, dass da viel zu erwarten war, dann steigerte sich seine Stimmung. Er konnte gar nicht erwarten, dass der Erbschein eintraf."
Wenn Immobilien aus Erbschaften verkauft werden, dann nutzt Poggendorf die Gelegenheit, seine Machtposition auszubauen. Denn er beauftragt meist dieselben Handwerker mit der Renovierung. Diese Firmen arbeiten auch im Tierheim und in der Wohnanlage, in der Poggendorf wohnt und im Beirat die Geschicke lenkt. Die Rechnungen fallen durchaus üppig aus. So lässt Poggendorf zum Beispiel im Jahr 2004 eine 43-Quadratmeter-Wohnung am Mittelweg (Harvestehude) für mehr als 40 000 Euro renovieren. Der Clou im System: Einige der Handwerker treten in den HTV ein und helfen so, Poggendorfs Macht zu sichern.
Eine besondere Vorliebe hat Poggendorf für die Presse und sorgt häufig für Schlagzeilen. So auch bei Kampfhündin Sugar. Wochenlang wird das Tauziehen um die Hündin im Jahr 2005 medial begleitet. Poggendorf fordert die Einschläferung des Vierbeiners und stellt fest: "Das Tier ist das gefährlichste, was wir je hatten." Schließlich legt das Bezirksamt Mitte fest, dass der Hund auf einen Gnadenhof nach Bayern verlegt werden soll. Dort entwickelt sich Sugar dann zu einem problemlosen Hund, wie Tierpfleger bestätigen.
Auch in die Politik pflegt Poggendorf inzwischen beste Kontakte. Dazu gehört zum Beispiel der einflussreiche CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Karl-Heinz Warnholz. Der ist auch als Makler tätig und verkauft mehrfach Immobilien aus HTV-Erbschaften. Allein beim Verkauf des "HTV-Gnadenhofes" in Ellerhoop nahe Elmshorn erhält Warnholz vom Käufer eine Courtage von 36 000 Euro (inklusive Mehrwertsteuer).
Zufall oder nicht? 2005 schlägt Warnholz Poggendorf sogar bei Staatsrat Volkmar Schön, dem Chef der Senatskanzlei, für das Bundesverdienstkreuz vor. Das erhält Poggendorf nicht: Aber dafür wird dem HTV im September 2005 von dem damaligen Gesundheitssenator Jörg Dräger die "Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes in Bronze" verliehen.

Auf dem Gipfel der Macht

Wenig später, Ende 2005, gibt Poggendorf seinen Posten als Geschäftsführer auf. Damit ist aber noch lange nicht Schluss: Der inzwischen 69-Jährige lässt sich nach dem "überraschenden" Rücktritt von Klaus Nahrstedt zum Ersten Vorsitzenden küren. Einen neuen Geschäftsführer gibt es nicht. Poggendorf ist weiter der "Chef" und lässt sich jetzt, er bekommt ja kein Gehalt mehr, für seine journalistische Mitarbeit bei der Vereinszeitschrift "ich & du" üppige Honorare bezahlen. 2006 und 2007 sind das zusammen mehr als 86 500 Euro.
Keiner kann oder will Poggendorf stoppen. Die damaligen Vorstände scheinen kaum Fragen zu stellen. Heute will eigentlich keiner mehr über diese Zeit sprechen. Nur Christine Kimpfel-Neumaier, die dem Vorstand viele Jahre angehörte, räumt ein, dass sie Poggendorf einfach gewähren ließ: "Ich verstehe von Finanzen nichts, ich wollte mich doch nur um die Katzen kümmern."
Poggendorf ist auf dem Gipfel der Macht. Er hält sich offenbar für unangreifbar: "Er trug Züge von Größenwahn", sagt seine ehemalige Sekretärin.
Dass er zu Fall kommt, liegt an einem Fotoalbum: Nachdem ein Freund von Renate Beckendorf verstorben ist und dem HTV zwei Wohnungen vererbt hat, fragt die Diplom-Sozialpädagogin an, ob sie einige persönliche Gegenstände wie Fotoalben aus der Hamburger Wohnung haben könne. Poggendorf weist Beckendorf barsch ab: "Der HTV verschenkt keine Gegenstände aus Erbschaften." Die Marienthalerin ist empört. Wenig später erfährt sie durch Zufall, dass Poggendorf Interesse an einer der Wohnungen aus der Erbschaft signalisiert hat. Renate Beckendorf meldet sich beim Abendblatt. Die Recherchen ergeben: Der damalige HTV-Vorsitzende hat sich tatsächlich die Wohnung auf Sylt gekauft, für einen viel zu günstigen Preis. So bezahlt Poggendorf für die Immobilie in bester Strandlage in Westerland 130 000 Euro inklusive Tiefgaragenplatz. Als Poggendorf den Kauf schließlich rückabwickelt, weil der öffentliche Druck zu groß wird, bezahlen die neuen Käufer 250 000 Euro für die Wohnung.

Der erste Bericht über Poggendorfs "Sylt-Deal" löst eine Lawine aus: 

Das Landeskriminalamt nimmt die Ermittlungen auf, es folgt eine Großrazzia, und es sollten immer neue Verfehlungen Poggendorfs ans Tageslicht kommen.
Zunächst weist Poggendorf alle Vorwürfe zurück und versucht den Medien mithilfe von Staranwälten einen Maulkorb zu verpassen - ohne Erfolg. Als im Dezember 2007 die Staatsanwaltschaft mehr als 179 000 Euro von seinen Privatkonten beschlagnahmt, die aus einer HTV-Erbschaft und Spende stammen sollen, tritt Poggendorf zurück.
Das Abendblatt hat bereits am 21. Oktober Poggendorf um ein Interview gebeten. Sein Anwalt war der Auffassung, dass es sich verbiete, vor der Hauptverhandlung Erklärungen gegenüber Journalisten abzugeben. Auch kurzfristig war Poggendorf gestern nicht bereit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen.