Michael KASPEROWITSCH, Nürnberger Nachrichten, deckt veruntreute Gelder in Millionenhöhe auf

Oder: Wie die Geschichte entstand. Der Autor und seine Recherche

„Man ist ein glaubwürdiger Journalist und nur dann kommen die Leute auf einen zu und erzählen einen etwas"

„Man ist ein glaubwürdiger Journalist und nur dann kommen die Leute auf einen zu und erzählen einen etwas", sagt KASPEROWITSCH. Und handelt danach.

Durch eigene Recherche und das Vertrauen von Informanten gelang es Michael Kasperowitsch, aufzudecken, wie die Führungsspitze des bayerischen Arbeiter-Samariter-Bunds jahrelang Abrechnungen manipulierte, sowie Krankenkassen und deren Beitragszahler in Millionenhöhe geschädigt hat. Die Arbeit des Rechercheurs der Nürnberger Nachrichten wurde mit Platz 3 des Wächterpreises belohnt.

Kein Tag ist wie der andere für einen Redakteur einer Tageszeitung. Hinter jedem Tag verbirgt sich eine neue Story. Und manchmal ist es eine ganz große, eine, die einen wochenlang, manchmal auch monatelang nicht loslässt. Und viele solcher Geschichten beginnen wiederum ganz klein. So wie an jenem Tag im Januar 2019, als eine Gruppe von Informanten die Redaktion der Nürnberger Nachrichten aufsuchten und an Kasperowitschs Tür klopften. Informanten aus dem ASB, die sich vertrauensvoll an ihn wandten.

Kasperowitschs journalistischer Weg begann mit einem Studium in Politikwissenschaft, Neuerer Geschichte und Kommunikationswissenschaft. „Es ist gut, andere Erfahrungen zu sammeln und dann erst in den Journalismus zu gehen“, erzählte er. Seine ersten journalistischen Berührungspunkte hatte er, als er Ende der 70er Jahre Flugblätter eines Jugendzentrums im bayerischen Wald gestaltete. Den ersten Grundstein legte er mit dem „Grafenauer Fehlanzeiger“: In Planung war die Herausgabe einer eigenen Zeitung, deren Aufgabe darin bestehen sollte, die dominierende „Passauer Presse“ zu korrigieren. „Ich hatte damals einen Bericht für die Passauer Presse über den Kabarettisten Siegfried Zimmerschied geschrieben, der zu Besuch auf einer unserer Veranstaltungen der Jugendzentrumsinitiativen war“.

In den Augen der Passauer Presse vertrat Zimmerschied u.a. falsche Ansichten zu den damals aktuellen politischen Themen. Aus diesem Grund wurde Kasperowitschs Bericht nicht publiziert. Schockiert über das Verhalten der Passauer Presse, beschloss er im „Grafenauer Fehlanzeiger“ genau über die Themen zu berichten, die sonst verschwiegen werden sollten. „Es gab Nachrichten, die fehlten in dieser Zeit“. Der Newcomer schaffte immerhin eine Ausgabe. Dann setzte er seinen Weg in die journalistische Welt fort, indem er eine Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München absolvierte.Davon, Journalismus zu studieren, halte er wenig. Wer nach der Schule direkt mit einem journalistischen Studium beginne, dem fehle es meist an breitem Wissen und an Neugier, sie richten ihren Fokus nur auf das journalistische Fach. „Es ist wichtig, seinen Horizont mit anderen Themen und Fächern zu erweitern“.

Deshalb habe er zunächst sein Studium abgeschlossen und dann Praxiserfahrung gesammelt. Zusätzlich absolvierte Kasperowitsch Praktika bei der Nürnberger Zeitung, sowie beim damaligen Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt in Hamburg. Auch für den evangelischen Pressedienst arbeitete er in der Vergangenheit als freier Journalist. Seit über 30 Jahren ist er nun in diesem Beruf erfolgreich tätig. „Ein guter Journalist sollte Neugierde entwickeln, ein Gespür für wichtige Themen haben und erkennen, wo nachgehakt werden muss, und wissen, was die Menschen interessiert“.

Auf eine Recherche ist er besonders stolz. Er erhielt dafür die Auszeichnung des „Goldenen Engelshaares“. Für eine Geschichte über zwei Frauen, die sich verbotenerweise 2002 auf einem Schiff in Passau von einem katholischen Bischof aus Südamerika zu Priesterinnen weihen ließen. Obwohl dieser bereits exkommuniziert war, habe er die Befugnis zu dieser Handlung weiterhin gehabt. Allerdings habe der Vatikan die Frauen kurz darauf exkommuniziert. Kasperowitsch schmunzelte: „Es war eine der witzigsten Recherchen, die ich gemacht habe“.

Ganz und gar nicht lustig war die Recherche über den Justizskandal von Gustl Mollath, dem er 2011 als erster auf die Spur gekommen sei. Für diese Recherche gewann er bundesweit Aufmerksamkeit, die bis heute nachwirkt. „Ich habe den Ruf eines Rechercheurs, der gut arbeitet und aufdecken kann, und sich in die Themen reinkniet“, erzählte er.

Der Redakteur der Nürnberger Nachrichten ist sich sicher: ohne seinen auch durch diese Enthüllung erworbenen Ruf wären die Informanten nicht auf ihn zugegangen, die sich ihm anvertrauten und ihm darlegten, dass der Arbeiter-Samariterbund Bayern offenbar unlauter abgerechnet habe. Der Grund, weshalb die Informanten den finanziellen Manipulationen ein Ende setzen wollten, lag darin, dass sie den ASB und dessen Ruf zukünftig schützen wollten, resümierte Kasperowitsch. Die Informanten waren auch bei der Kriminalpolizei, doch dort sei kein Ermittlungsansatz gesehen worden.

Bis Kasperowitsch die Geschichte publik machen konnte, musste er viel Zeit in die Recherche investieren. „Die Hauptarbeit ist vor der Veröffentlichung“, erzählte er im virtuell geführten Interview. Viele Stunden verbrachte er an seinem Schreibtisch und überprüfte Abrechnung für Abrechnung. Es galt, insgesamt 340 Megabyte große Listen mit ASB-Abrechnungen zu kontrollieren. „Die Hauptrecherche lag darin, genau nachzuweisen, was da getrickst worden ist. Der Kernpunkt ist der Nachweis“. Nach etwa einem Vierteljahr, am 6. April 2019 war es so weit. Er veröffentlichte er den ersten Text über die Rechnungsmanipulationen.

Doch wie konnte es sein, dass ein Journalist anhand von Abrechnungen einen Betrug feststellen konnte, den im Verband niemand entdeckt haben und wahrhaben wollte? „Keiner hat reagiert!“, wundert er sich bis heute. ASB-Landesgeschäftsstelle und Landesvorstand haben alle Anschuldigungen von sich gewiesen. „Es war eine gewisse Weigerung da, sich die Abrechnungen anzuschauen.“ Denn offenbar soll es schon länger ASB-intern Hinweise und Warnungen gegeben haben, dass mit den Abrechnungen etwas nicht stimmte.

sich zunächst nicht äußern. Erst als der Skandal zum ersten Mal an die Öffentlichkeit drang und der Druck stärker wurde, reagierte die Verbandsspitze und meldete sich zu Wort. Kasperowitsch wunderte sich weiter. Denn zunächst sei versucht worden, einzelne Mitarbeiter in ein schlechtes Licht zu rücken und die Schuld von sich zu weisen. Der ASB holte sich Hilfe bei einer Wirtschaftsberatungsfirma und hoffte, dadurch Schaden von sich abzuwenden. Diese ging der Frage nach, ob die angeblichen Missstände zutrafen. Einige Monate später, im August, war klar: Es stimmte.

Der Skandal hatte Folgen für etliche Funktionäre des ASB. Die zur Verantwortung gezogenen Führungskräfte wurden entlassen. Der Landesvorsitzende Thomas Klüpfel musste den Hut nehmen und trat zurück. Auch der Landesvorstand soll komplett neu gewählt werden. Die Wahlen hierfür sind für Anfang September geplant. Im März wurde Gerhard Körner an die Führungsspitze als Landesvorsitzender gewählt.

Manche fanden, der ASB tue doch so viel Gutes und werde durch diese Veröffentlichungen nun in ein schlechtes Licht gerückt, erzählte Kasperowitsch. Doch der 63-jährige Journalist blieb standhaft und ließ sich kein schlechtes Gewissen machen. „Dafür bin ich nicht empfänglich. Man muss sich vorher überlegen, ob das, was dort passiert ist, es wert ist, um einem so großen Verband wie den ASB Schwierigkeiten zu bereiten.“ Und das sei zweifellos der Fall gewesen bei der Art wie hier Millionenbeträge von Krankenkassen und damit letzten Endes von Beitragszahlern kassiert wurden.

Aktuell konnten die Ausgaben von den rund 6,3 Millionen Euro noch nicht komplett nachvollzogen werden. Vermutungen wurden laut, ob dies als finanzielles Polster für den ASB gedacht war oder ob das Geld für andere Aktivitäten ausgegeben wurde; geklärt ist dies noch nicht. „Auch das ist eine Grauzone, denn ich habe gehört, dass die Leute, die an den Tricksereien beteiligt waren, sehr aufwendige Dienstreisen gemacht haben“. Momentan wird gegen die Hauptverantwortlichen juristisch ermittelt. Der neue Landesgeschäftsführer Jarno Lang beteuerte, dass die fehlenden Millionen zurückgezahlt werden.

Die intensive Recherche und die vielen Stunden am Schreibtisch haben sich gelohnt. Michael Kasperowitsch hat mit seiner preisgekrönten Recherche deutlich gemacht, wie wichtig es ist, solche Missstände aufzudecken, investigativ zu recherchieren und der Öffentlichkeit die Wahrheit nicht vorzuenthalten. Glaubwürdigkeit und Vertrauen sind die Schlüssel zum Enthüllungsjournalismus, legt er dar: „Nur wenn man ein glaubwürdiger Journalist ist, kommen die Leute auf einen zu und erzählen einem etwas.“

(hochschule macromedia köln)

Online am: 04.06.2020
Aktualisiert am: 07.01.2021


Inhalt:

Manipulierte Abrechnungen beim bayerischen Arbeiter-Samariter-Bund


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"Wächterpreis der Tagespresse" 2020