
Die Berichte der Hamburger MORGENPOST
Die Enthüllungsserie der MORGENPOST-Redakteurin Nina GESSNER beginnt Mitte Dezember 2021. Wir dokumentieren die Artikel in Textform. Im Original sind sie reich bebildert, was wir aber hier nicht darstellen können, weil wir weder die Lizenzrechte dazu haben noch das Geld, solche zu erwerben.
Der 1. Bericht: Der fragwürdige Millionen-Deal der Finanzbehörde
13. Dezember 2021:
Ausnahmeregelung genutzt Keine Ausschreibung: Dicker Auftrag ging an einen Freund des Senators
Dieser Deal weckt Erinnerungen an „Roter Filz“-Zeiten: Vieles deutet darauf hin, dass die Finanzbehörde unter der Leitung von Andreas Dressel (SPD) einen Millionen-Auftrag entgegen der gesetzlichen Pflicht nicht ausgeschrieben hat. Er ging direkt an einen bekannten Parteifreund des Senators. Ausgerechnet die Corona-Situation wird als Ausrede für das fragwürdige Vorgehen benutzt.
Die Stadt Hamburg plant, sich zukünftig als Finanzstandort besser zu profilieren. Im April 2020 wurde dafür ein Sieben-Punkte-Plan verabschiedet, der das Ziel hat, die Banken-, Versicherungs- und Vermögensverwaltungsbranche, in der rund 50.000 Hamburger arbeiten, zu stärken.
Zentraler Punkt dabei ist die Förderung von Start-ups aus der sogenannten FinTech-Branche (Financial Technology) über eigens dafür entwickelte öffentliche Programme. Ziel war die Einrichtung eines sogenannten Accelerators, also eines Programms, das die Unterstützung und Weiterentwicklung der Start-ups koordiniert.
Wie aus einer öffentlichen Bekanntmachung hervorgeht, die am 2. Juli dieses Jahres publiziert wurde, stellte die Stadt neun Millionen Euro für den Accelerator zur Verfügung, von denen allein eine Million an das Management gehen. Das Problem: Bei der Veröffentlichung handelt es sich um eine „Freiwillige Ex-ante-Transparenzbekanntmachung“. Also eine Bekanntmachung, welche die Direktvergabe eines Auftrags verkündet. Die öffentliche Vergabe von neun Millionen Euro liegt jedoch deutlich über dem Schwellenwert von 215.000 Euro und unterliegt in jedem Fall einer Ausschreibungspflicht, die auch EU-weit erfolgen muss.
Warum die Ausschreibung umgangen wurde, wird in Abschnitt IV. (Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung) erklärt. Zitat: „Nach einer intensiven Markterkundung wurde festgestellt, dass die zwingenden Kriterien der FHH (Freien Hansestadt Hamburg, d. Red.) nicht durch potentielle andere Betreiber-Kandidaten erfüllt werden“. Es seien unter anderem eigene Räumlichkeiten in Hamburg vorausgesetzt sowie „sehr gute Kenntnisse der in Hamburg ansässigen Finanzunternehmen“. Darüber hinaus „sehr gute Kenntnisse des Vergabe-/Zuwendungs-/Beihilferechts und des Kapitalmarktrechts“ sowie „sehr gute Kenntnisse im Bereich Riskmanagement, globale Finanzmärkte, Tech-Entwicklung“.
An wen der Auftrag ging, wird in Abschnitt V bekannt gegeben: An das Unternehmen NMA.VC. Hinter der Abkürzung verbirgt sich das Programm Next Media Accelerator, das bisher mediennahe Start-ups koordiniert hat. Pikant: Kopf dieses Programms ist Nico Lumma, langjähriges SPD-Mitglied und Mitglied der Medien- und Netzpolitischen Kommission des SPD-Parteivorstandes. Hat Senator Dressel hier einem Parteifreund einen lukrativen Gefallen getan?
Dass Dressel und Lumma nicht nur politische Partner sind, sondern einander auch privat nahestehen, darauf lässt ihr reger Austausch bei Twitter schließen. Dort sind die beiden per „Du“, tauschen sich über familiäre Aktivitäten wie Ausflüge ins Grüne oder Begleitung der Kinder zum Sport aus. Tief blicken lässt ein Tweet des Senators vom 2. März 2020, in dem er sich über einen 440-Millionen-Euro-Überschuss im Hamburger Haushalt freut. Antwort Lumma: „Sag Bescheid, ich habe Ideen fürs Ausgeben.“ Darauf reagiert Dressel mit dem Hinweis, es gebe keinen Spielraum für Wahlgeschenke. Lumma: „Ach komm. Das sagst du doch nur so.“
Noch deutlicher wird ein Tweet von Lumma zum Thema Vergaberecht. Ein Hamburger IT-Unternehmer hatte sich am 30. März 2021 bei Twitter beschwert: „Wir versinken in Bürokratie und die handelnden Personen wollen, aber dürfen nicht. Vergaberecht steht Innovation und Geschwindigkeit im Wege. Muss ich in eine Partei eintreten?“ Darauf reagierte SPD-Mann Lumma mit den Worten: „klar, komm zu uns. Und rede mit @ADressel über den Umbau der Verwaltung, die ist nämlich längst dabei.“
Wie genau nimmt es der Senator mit der Vergabeverordnung, die den Verzicht auf einen Wettbewerb rechtlich nur in absoluten Ausnahmefällen zulässt – und zwar, wenn ein unvorhergesehenes Ereignis eintritt oder eine äußerste Dringlichkeit und es keinen anderen Wettbewerber gibt, der das Problem lösen kann? Das nimmt die Finanzbehörde mit der Transparenzbekanntmachung für sich in Anspruch.
Nur: Das trifft in diesem Fall nicht zu. Allein in Hamburg gibt es unzählige Player, die für den Job ebenfalls infrage gekommen wären. Bei „Fintech Hamburg“, einer Initiative des Vereins Finanzplatz Hamburg, sind allein 32 Unternehmen gelistet, darunter namhafte Akteure wie HaspaNext oder Comdirect. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Accelerator-Programmen und Inkubatoren, also Programmen zum Aufbau neuer Start-ups, die ebenfalls als Wettbewerber infrage gekommen wären und über stärkere Kompetenzen im Finanz- und Bankenbereich verfügen als Medien-Experte Lumma.
Lumma selbst erklärte gegenüber der MOPO: „Ich würde mir nicht anmaßen, ein FinTech-Experte zu sein.“ Er sei auch kein Universalgenie, sondern habe nach der Auftragsvergabe begonnen, ein Team aus FinTech-Experten zusammenzustellen. „Wir wollen zum Frühjahr 2022 durchstarten.“ Über den Auftrag habe er sich sehr gefreut, weil er seine Firma breiter aufstellen möchte und neue Standbeine suche, da er die Medien nicht mehr als Zukunftsbranche erachte.
In ihrer Stellungnahme zu den Vorgängen gab die Behörde gegenüber der MOPO denn auch gar nicht mehr die in der Transparenzbekanntmachung zur Direktvergabe noch so gepriesene Finanzexpertise von NMA.VC an, sondern – Corona. Dem Senat sei es um die „Bewältigung der Coronakrise“ sowie um eine „kurzfristige Stärkung der regionalen (Finanz-) Wirtschaftsstruktur“ gegangen.
Demnach sei der Senat von der Bürgerschaft im Frühjahr 2021 zur Gründung eines Accelerators unter Nutzung von Corona-Mitteln aufgefordert worden. Mit dem Masterplan Finanzwirtschaft seien dann zum 1. Oktober neun Millionen Euro für den Accelerator als „kurzfristig zu realisierende Maßnahme“ in den Jahren 2021 und 2022 vom Senat bereitgestellt worden. „Ein ‚klassisches‘ Vergabeverfahren wäre aufgrund des genannten ,Verfallsdatums‘ der Mittel zu langwierig gewesen“, so die Finanzbehörde. EU-weite Ausschreibungen dauern ein halbes bis Dreivierteljahr.
Nur: Die Transparenzbekanntmachung, in der die neun Millionen bereits erwähnt sind, war ja schon am 2. Juli! Davon ausgehend, dass es zuvor eine „umfassende Markterkundung“ gegeben haben muss, wird das selbst im Hinblick auf die am 28. April abgegebene Aufforderung seitens der Bürgerschaft eng. Reichen zwei Monate für eine umfassende Markterkundung? Für Gespräche mit mehr als 50 Finanz-Playern? Für Präsentationen, Gutachten, Auskünfte anderer öffentlicher Auftraggeber und Workshops, wie sie für ein solches Verfahren zwingend sind?
Dazu die Behörde: „Nach der Erstellung eines Anforderungsprofils für den Betreiber wurde der Markt erkundet und mit mehreren potentiellen Akteuren sondiert. Die Markterkundung wurde anhand der Kriterien des Anforderungsprofils vorgenommen und unter Einschaltung externer Akteure (HASPA, Handelskammer, Finanzplatz).“ Mit wem genau gesprochen wurde, darüber gibt die Behörde der MOPO gegenüber keine Auskunft. Auch nicht, wie genau die Markterkundung erfolgt ist.
Auch das Corona-Argument erscheint fadenscheinig, da der Sieben-Punkte-Plan zur Stärkung der FinTech-Startups in einer Zeit erarbeitet wurde, als die Pandemie gerade erst im Entstehen war und ihre Dauer überhaupt noch nicht absehbar war.
Schließlich steht auch das in der Stellungnahme angegebene „Verfallsdatum“ der Gelder Ende 2022 im Widerspruch zu der Transparenzbekanntmachung. Denn dort ist eine „vierjährige Laufzeit“ für das Accelerator-Programm beschrieben.
Warum hat die Behörde nicht schon im Frühjahr normal ausgeschrieben? Der EU-weite Wettbewerb wäre dann jetzt zu Ende und der daraus hervorgegangene Accelerator hätte genauso 2022 „durchstarten“ können wie SPD-Mann Nico Lumma.
Vieles deutet darauf hin, dass die Finanzbehörde versucht hat, eine unzulässige Direktvergabe durch die nachträgliche Transparenzbekanntmachung zu legalisieren. Die Behörde hält daran fest, dass die Vergabe „rechtskonform“ abgelaufen sei. Schließlich, so die Stellungnahme, hätten mögliche Wettbewerber ja die Möglichkeit gehabt, Widerspruch einzulegen. Zitat: „Rügen und Nachprüfungsanträge gegen diese Bekanntmachung sind weder in der dafür vorgesehenen Frist noch danach eingegangen.“ Die Frist beträgt zehn Tage. Der 2. Juli lag mitten in den Sommerferien. Reiner Zufall?
Filz-Verdacht: Opposition verlangt Aufklärung
14. Dezember 2021
Finanzsenator: Nach dubiosem Millionen-Deal mit SPD-Parteifreund ist die Empörung groß
Hat Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) einem Parteifreund einen Millionen-Auftrag zukommen lassen? Der dubiose Deal zwischen der Finanzbehörde und dem SPD-Medienexperten Nico Lumma sorgt in Hamburg für Empörung. Die Opposition fordert Aufklärung.
Für den Vorsitzenden der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Dennis Thering, ist die Direktvergabe des Auftrags zur Bildung eines Accelerators (ein Programm, das die Unterstützung und Weiterentwicklung von Start-ups koordiniert) an Nico Lumma „ungeheuerlich“. „Grundsätzlich ist die Förderung von Start-ups eine gute Sache und trifft auch auf unsere Unterstützung. Die Vergabe der Mittel muss allerdings transparent erfolgen und darf sich nicht als verdeckte Förderung von SPD-Parteifreunden herausstellen“, so Thering zur MOPO. Hamburg sei ein Standort für sehr viele FinTech-Unternehmen. „Viele gute Leute wurden außen vor gelassen, nur weil sie nicht das richtige Parteibuch haben.“
Die Finanzbehörde hatte gegenüber der MOPO erklärt, die aus Corona-Mitteln stammenden Gelder hätten schnell vergeben werden müssen. Für eine EU-weite Ausschreibung des Auftrags sei keine Zeit gewesen. Dazu Thering: „Das darf aber ausdrücklich kein Grund dafür sein, auf die Schnelle mehrere Millionen ohne Überprüfung und dann auch noch zufälligerweise an einen guten SPD-Parteigenossen zu vergeben.“ Der CDU-Politiker erinnerte an Zeiten von „rotem Filz“ in Hamburg und argwöhnte, „dass an dem Vorgang etwas faul ist“.
Die CDU-Fraktion fordert nun vollständige Aufklärung und Transparenz. Dafür will Thering eine Aktenvorlage fordern und darüber hinaus eine Senatsanfrage auf den Weg bringen.
Auch die Linkspartei wird heute als Reaktion auf den MOPO-Bericht, der den verdächtigen Deal offenlegte, eine Anfrage an den Senat stellen. „Finanzsenator Dressel muss jetzt darlegen, in welcher Beziehung er zum Empfänger des Auftrags stand und wie das Verfahren genau abgelaufen ist. Der Verdacht der Begünstigung steht im Raum“, erklärte der finanzpolitische Sprecher David Stoop. Der Verzicht auf Ausschreibung öffentlicher Vergaben habe in letzter Zeit überhandgenommen. „Dies öffnet Interessenkonflikten bis hin zur Korruption Tür und Tor“, so Stoop. Die Corona-Krise dürfe nicht als Ausrede für intransparente Verfahren herhalten.
Der FDP-Landesvorsitzende Michael Kruse erklärte: „Ich fordere Senator Dressel auf, sein Vorgehen transparent zu machen und den Filz-Vorwurf nachvollziehbar auszuräumen. Ist dies nicht möglich, muss der Senat das Projekt neu ausschreiben und es aus dem Kernhaushalt der Stadt finanzieren. Das Argument, wobei Mittel quasi verfallen, taugt nicht.“ Erst gestern habe der Rechnungshof erklärt, dass staatliche Mittel nur für den richtigen Zweck verwendet werden dürften und auch der Senat Regeln einhalten müsse. Kruse: „Das gilt auch hier.“
Auch der Bund der Steuerzahler in Hamburg meldete sich zu Wort: „Als Bund der Steuerzahler fordern wir in dieser Angelegenheit Aufklärung. Die Unterstellung, Steuergeld sei hier nicht ordnungsgemäß eingesetzt worden, darf nicht im Raum stehen bleiben“, so die Landesvorsitzende Petra Ackmann. Grundsätzlich gelte für Senator Dressel die Unschuldsvermutung, der Fall reihe sich jedoch ein in den Pimmel-Gate-Skandal um Senator Grote (SPD), den Untreueverdacht gegen den Ex-Ehemann von Senatorin Gallina (Grüne) und den Cum-Ex-Untersuchungsausschuss. „Der Hamburger Senat hat selten so ein klägliches Bild in der Öffentlichkeit abgeben wie in diesen Tagen. Bürgermeister Tschentscher gibt sich gern kompromisslos, wenn es um Corona geht. Gut wäre, wenn er auch endlich in seinem Senat deutliche Worte sprechen würde“, so Ackmann.
Finanzsenator Andreas Dressel wies gestern gegenüber der MOPO jegliche Filz-Vorwürfe zurück: „Wer in Zukunftsbranchen einen kräftigen Neustart nach Corona will, sollte nicht nur beim Impfen boostern, sondern auch bei Innovationen“, so Dressel. Das Accelerator-Programm zur Förderung von Start-ups werde aus Corona-Mitteln finanziert und habe ein Verfallsdatum Ende 2022, weshalb Eile geboten gewesen sei. Dressel: „Wären wir anders vorgegangen, hätte die Gefahr bestanden, dass die Mittel verfallen und das Förderziel verfehlt wird.“
Warum die Finanzbehörde den Auftrag nicht schon im Frühjahr 2021 EU-weit öffentlich ausgeschrieben hat, wie es gesetzlich vorgeschrieben wird, ist damit allerdings nicht erklärt. Auch bei einer Verfahrensdauer von einem halben Jahr wäre noch genug Zeit für die Erfüllung des Auftrags gewesen.
Ex-Handelskammer-Vize kritisiert Millionen-Deal scharf
16. Dezember 2021
Der dubiose Deal zwischen der Finanzbehörde und dem SPD-Medienexperten Nico Lumma zieht immer weitere Kreise. Erst reagierte die Opposition, nun kommt auch offene Kritik aus der Finanzbranche selbst. Der ehemalige Vize-Präses der Handelskammer, Torsten Teichert, selbst ehemaliges SPD-Mitglied, hält die filzverdächtige Personalie obendrein für eine Fehlbesetzung.
„Wenn Lumma und sein Next Media Accelerator (ein Accelerator ist ein Programm, das Start-ups unterstützt) die beste Anlaufstation für FinTech ist, dann ist Hamburg in größter Not“, schimpft Torsten Teichert, der sich als ehemaliger Chef eines börsennotierten Finanzunternehmens in der Branche besser auskennt als mancher andere. Nico Lumma, der von der Behörde per Direktvergabe und unter Umgehung einer öffentlichen Ausschreibung mit dem Management eines FinTech-Accelerators beauftragt wurde, habe von dem Thema „keine Ahnung“.
Dass das so ist, hatte Nico Lumma gegenüber der MOPO selbst eingeräumt („Ich würde mir nicht anmaßen, ein FinTech-Experte zu sein“). Wie sinnvoll ist es also, so jemandem die Bewertung über die Förderung oder Nicht-Förderung von Start-ups zu überlassen?
Zwar ist Lumma nach eigener Aussage aktuell dabei, ein FinTech-Expertenteam zusammenzustellen, und genau dafür darf er auch 1,5 Millionen Euro von den ingesamt neun Millionen Euro, die die Finanzbehörde ihm zur Verfügung gestellt hat, verwenden. Allerdings: Hätte es eine ordentliche öffentliche Ausschreibung gegeben und hätte man dabei einen Manager mit Expertise ausgewählt, hätten die 1,5 Millionen Euro auch direkt für die Förderung der Start-up-Szene verwendet werden können, meint Torsten Teichert. „Hier wird die Umschulung eines Medienunternehmens zum Finanzunternehmen mit öffentlichen Mitteln finanziert.“
Hinzu kommt, dass Nico Lummas Erfolge auch eher bescheiden ausfallen. Für den bisher von ihm gemanagten Next Media Accelerator (NMA.VC) hatten Lumma und sein Partner zwei Fonds aufgelegt: Bei einem kamen zwei Millionen Euro aus der Privatwirtschaft zusammen, bei dem anderen 700.000 Euro – nach der Bewertung von Branchenkenner Torsten Teichert eine „klägliche Summe“.
Wie soll Lumma nun also plötzlich 15 bis 20 Millionen Euro aus der Privatwirtschaft zusammenbekommen, wie es sich die Finanzbehörde vorstellt? Diese Summe soll den Beitrag der Stadt für den Fonds aufrunden. Noch mal zur Klarheit: Die neun Millionen Euro der Finanzbehörde verteilen sich auf fünf Millionen für den Fonds, 1,5 Millionen für das Management und 2,5 Millionen Euro als Ansiedlungsprämie für Start-ups aus Europa.
Pikant ist auch Folgendes: Nach Auskunft der Finanzbehörde gegenüber der MOPO gibt es keine Eigenkapital-Beteiligung durch Lumma an dem Fonds. „NMA.VC ist Dienstleister für den Betrieb des Accelerators“, heißt es auf Anfrage. Dazu Torsten Teichert: „Lumma und NMA gehen keinerlei eigenes Risiko ein“, stellt Torsten Teichert fest. In Wahrheit handele es sich hier nicht um einen echten Venture Capital Fonds, denn dazu gehöre eine Beteiligung der Initiatoren von mindestens zehn Prozent.
Wie sicher ist es also, Nico Lumma einen Hochrisiko-Fonds von 20 bis 25 Millionen Euro anzuvertrauen? Einen Fonds, in dem auch noch Corona-Mittel stecken, die eigentlich zur Rettung der durch die Pandemie in Not geratenen Kleinstbetriebe gedacht sind. Und nicht zur Förderung einer Branche, die sich um die Vermögensverwaltung wohlhabender Bürger kümmert. Und was passiert eigentlich, wenn keines der geförderten Start-ups den erhofften wirtschaftlichen Erfolg bringt, der Rückflüsse aus dem Fonds erst ermöglicht?
Laut dem Online-Magazin „Hansevalley“ kritisieren Vertreter der Hamburger Start-up-Szene seit Langem die Verstrickungen Lummas mit der Stadt: Der SPD-Funktionär sitzt nicht nur im Vergabeausschuss für Start-up-Mittel der landeseigenen Förderbank IFB, sondern ist auch bei Parteifreund Andreas Dressel seit Dezember 2019 im Verwaltungsrat der „Kasse Hamburg“. „Damit bestehen zwischen Finanzsenator Dressel und Parteifunktionär Lumma auch handfeste wirtschaftliche und politische Interessen“, schreibt das Magazin. Und: Die neun Millionen Euro von der Stadt seien wohl eher als „persönlicher Rettungsschirm“ für Lumma zu sehen, da er mit dem Geschäftsmodell seiner bisherigen Firma NMA gescheitert sei.
Kommentar: Wie sozial ist die SPD?
16. Dezember 2021
Der Senat vergibt einen Startup-Förderauftrag ohne öffentliche Ausschreibung. Als herauskommt, dass der Auftrag auch noch an einen SPD-Parteifreund des Finanzsenators geht, gerät die Behörde in Erklärungsnot. Gezückt wird die Corona-Karte. Das Geld stamme aus dem Corona-Hilfe-Topf und hätte schnell vergeben werden müssen, weil es sonst verfallen wäre. Tatsächlich erlaubt die EU im Rahmen der Corona-Krise in dringenden Fällen, z. B. für die Beschaffung von Beatmungsgeräten, die Vergabe auch größerer Summen ohne europaweite Ausschreibung. Ob das für den Fall von Risiko-Invest- ments auch zutrifft, müssen Juristen klären. In Hamburg sollen nun Millionen an Steuergel- dern in FinTech-Start- ups gepumpt werden, deren Fokus unter anderem Vermögensverwaltung ist. Sie sorgen dafür, das Geld der Wohlhabenden, die unter der Corona-Krise finanziell am wenigsten gelitten haben, zu mehren. Für die Gastronomen, die bis heute unter den entgangenen Einnahmen leiden, muss sich das wie Hohn anfühlen. Ebenso für die vielen Einzelhändler, die ihre Läden schließen mussten, die Selbstständigen, die ihre Überbrückungshilfen zurückzahlen müssen, obwohl sie durch die Pandemie ans Existenzminimum geraten sind.
Wo bleibt die soziale Gerechtigkeit, liebe SPD?
Noch mehr Widersprüche
28. Dezember 2021
Neue Details zum Filz-Verdacht in der Finanzbehörde: Jetzt kommt raus, dass Finanzsenator Andreas Dressel den umstrittenen Millionenauftrag an seinen SPD-Parteifreund Nico Lumma persönlich abgesegnet hat. Zudem gibt die Finanzbehörde zu: Vorher traf sich Dressel mit Lumma und dessen Geschäftspartner. Weitere Angaben des Senats werfen Fragen auf. Die Opposition spricht von einem „skandalösen Vorgang“.
In den Antworten des Senats auf die Kleinen Anfragen von CDU und Linkspartei zu dem dubiosen Deal heißt es: Am 6. Januar 2021 traf sich Dressel mit Parteifreund Lumma und dessen Geschäftspartner. Nur acht Tage später, am 14. Januar, bereits fiel die Entscheidung, ihnen den millionenschweren Auftrag zur Gründung eines „Accelerators“ zur Förderung von Finanz-Start-ups zu geben – und zwar direkt, ohne die eigentlich bei solchen Summen vorgeschriebene europaweite Ausschreibung. Abgesegnet wurde das Ende April vom Senator persönlich.
Merkwürdig: Gegenüber der MOPO hatte sich die Finanzbehörde bisher darauf berufen, dass sie überhaupt erst Ende April 2021 von der Bürgerschaft mit der Bildung des Accelerators beauftragt worden sei, und zwar unter Verwendung von zeitlich befristeten Corona-Mitteln. Im Anschluss habe es eine „umfassende Markterkundung“ gegeben, aus der der SPD-Medien-Experte Nico Lumma mit seinem Unternehmen „Next Media Accelerator“ (NMA) als überzeugendster Wettbewerber hervorgegangen sei. Die Entscheidung wurde am 2. Juli durch eine Ex-ante-Transparenzbekanntmachung öffentlich gemacht, durch welche die gesetzlich vorgeschriebene EU-weite Ausschreibung umgangen wurde.
Auf die Frage der CDU, wann der Senator seit Anfang 2021 im Kontakt mit Nico Lumma stand, gibt der Senat nun zu, dass es bereits am 6. Januar zu einem Treffen kam, also lange vor dem Accelerator-Auftrag durch die Bürgerschaft. Bei diesem Gespräch sei es darum gegangen, „Corona-Hilfen und Corona-Neustart-Unterstützung praxistauglich zu gestalten“, wie es in der Senatsantwort auf Kleine Anfragen von CDU und Linke heißt.
Insgesamt, so der Senat, habe man „drei potenziellen Betreibern die Möglichkeit gegeben, ihr Konzept für Aufbau und Betrieb eines Accelerators in Hamburg vorzustellen. Davon haben zwei Anbieter die Chance zur Präsentation wahrgenommen.“ Wer diese angeblichen Anbieter waren, diese Antwort verweigert der Senat allerdings gegenüber der Linksfraktion bei ihrer Anfrage und beruft sich auf den Datenschutz. Und das, obwohl es sich hier ja keineswegs um Privatpersonen handelt und ein klares öffentliches Interesse besteht.
„Es bleibt der Eindruck, dass der Auftrag in einem unsauberen Verfahren vergeben wurde. Dass die Vergabe an einen Parteifreund des Senators erfolgte, rückt die ganze Sache in ein zweifelhaftes Licht. An diesem Beispiel wird deutlich, weshalb unbedingt transparente Verfahren eingehalten werden sollten“, kritisiert David Stoop, finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion.
Auch der Vorsitzende der CDU-Bürgerschaftsfraktion Dennis Thering erklärte: „Die Direktvergabe von SPD-Finanzsenator Andreas Dressel an einen Parteifreund ohne Ausschreibung bleibt ein skandalöser Vorgang. Von vornherein wurde überhaupt nur ein kleinster Kreis potenzieller Bewerber angesprochen, um dann ohne nachvollziehbare Kriterien bei einem SPD-Genossen zu landen, der nachweislich kein FinTech-Experte ist.“
In der Antwort an die Oppositionsparteien betont der Senat des Weiteren wie zuvor gegenüber der MOPO die gebotene Eile. Zitat: „Eine europaweite Ausschreibung nimmt nach Erfahrung der Beschaffungsstellen in der Regel einen Zeitraum von planmäßig bis zu neun Monaten in Anspruch. Inklusive der zeitaufwendigen Vor- und Nachbereitung wäre hier davon auszugehen gewesen, dass der FinTech-Accelerator voraussichtlich erst zur Jahresmitte 2022 einsatzfähig gewesen wäre.“
Gleichzeitig gibt der Senat an, wie erwähnt, die Entscheidung für Lumma und den NMA sei am 14. Januar 2021 gefallen. Zwischen dem 14. Januar und Mitte 2022 liegen aber 18 Monate und nicht neun. Rechnet man noch die Sondierungsphase hinzu, stellt sich die Frage, warum die EU-weite Ausschreibung nicht schon Ende 2020 erfolgt ist.
Dazu David Stoop: „Angesichts der Tatsache, dass die Entscheidung über die Auftragsvergabe bereits am 14. Januar 2021 getroffen wurde, wäre ausreichend Zeit für ein ordentliches Vergabeverfahren gewesen. Die Argumentation des Finanzsenators, es sei in der Eile kein ordentliches Verfahren möglich gewesen, überzeugt nicht.“
Auch Dennis Thering sieht in der Eile keinen Grund: „Das einzige Argument für die Vergabe ohne Ausschreibung bleibt, es hätte alles schnell gehen müssen. Das kann aber am Ende nicht ausreichen, um das im Raum stehende Filz-Geschmäckle auszuräumen“, so der CDU-Fraktionschef.
Nach MOPO-Informationen soll inzwischen eine Anzeige wegen Beihilferechtsverstoßes bei der EU-Kommission eingegangen sein. Möglicherweise wird die dubiose Direktvergabe noch ein juristisches Nachspiel haben. Denn es bleibt zu klären, ob die vom Senat angesichts der Coronakrise beanspruchte Ausnahme von der Ausschreibungspflicht überhaupt auf diesen Fall zutrifft. Schließich geht es hier nicht um eine dringend zu bewältigende Versorgungskrise innerhalb des Pandemiegeschehens wie beispielsweise die Beschaffung von Beatmungsgeräten, sondern um Wirtschaftsförderung.
Dennis Thering: „Aus meiner Sicht muss die gesamte Direktvergabe umgehend rückgängig gemacht werden – dann haben tatsächlich auch Mitbewerber eine Chance, die von der Sache etwas verstehen.“
Filz-Verdacht: Linke fordert von Dressel Rede und Antwort
30.12.2021
Der Filzverdacht in der Finanzbehörde zieht immer weitere Kreise. Die Opposition will die dubiose Direktvergabe eines Auftrags durch Senator Andreas Dressel an einen SPD-Parteifreund weiter überprüfen. F ü r uns ist der Fall noch lange nicht erledigt, so David Stoop von der Linksfraktion zur MOPO.
Nach Ansicht der Linksfraktion hat der Senat in seiner Antwort auf die Anfragen der Opposition nicht überzeugend darlegen können, welche konkreten Kriterien den Ausschlag für die Millionen-Auftragsvergabe zur Bildung des Fin-Tech-Accelerators an Nico Lumma und seine Firma N M A gegeben haben.
Die persönliche Verbundenheit des Finanzsenators mit dem Bewerber und die direkten Gespräche der beiden unmittelbar vor der Entscheidung für Lumma als Auftragsnehmer sieht die Partei als problematisch an.
Die Linksfraktion kritisiert darüber hinaus. dass der Senat die Frage nach den Namen möglicher Wettbewerberunbeantwortet gelassen hat. „Andreas Dressel m u s s volle Transparenz herstellen zu der Frage, wie die Vergabe ans e i n e n Parteifreund zustande kam. Hier steht der Eindruck der Begünstigung im Raum – dies muss der Finanzsenator klären", so der finanzpolitische Sprecher David Stoop.
Die Linksfraktion will in der kommenden Sitzung des Haushaltsausschusses im Januar eine Selbstbefassung beantragen. Stoop: „Der Senator muss sich dann den kritischen Fragen der ParlamentarierInnen stellen. Erinnerungslücken werden wir dabei sicher nicht gelten lassen.
Auch die CDU fordert weitere Aufklärung in der Sache. „Wir werden im nächsten Schritt Aktenvorlage ersuchen", erklärte der Vorsitzende der CDU-Bürgerschaftsfraktion Dennis Thering gegenüber der MOPO. Der Senat müsse die kompletten Akten zu der Direktvergabeoffenlegen. Zuvor hatte Thering bereits gefordert, die gesamte Auttragsvergabe rückgangig zu machen, um auch anderen Wettbewerbern eine Chance einzuräumen.
Interview: Hat Hamburg ein Filz-Problem, Herr De Masi?
4. Januar 2022
Ex-Politiker kritisiert Senator Dressel für Direktvergabe von Millionenauftrag.Das Interview führte Nina Gessner
Mit Finanzskandalen kennt er sich aus wie kaum ein anderer. Fabio De Masi saß vier Jahre lang als Abgeordneter der Linken im Bundestag, sorgte dort für Aufklärung in der Wirecard-Affäre. Zuvor war er Europaabgeordneter. Seit seinem Rückzug aus der Politik ist der 41-Jährige unter anderem für die Bürgerbewegung Finanzwende aktiv. Die MOPO sprach mit ihm über den Filz-Verdacht um Senator Andreas Dressel (SPD).
MOPO: Herr De Masi, nach der dubiosen Direktvergabe eines Millionenauftrags seitens des Finanzsenators an einen Parteifreund fordert die Opposition in Hamburg Aufklärung. Wie bewerten Sie den Vorgang?
Fabio De Masi: Der Hamburger Senat beharrt darauf, dass die Vergabe ohne öffentliche Ausschreibung zulässig war, weil es sich bei den Geldern um Corona-Mittel handeln soll. Es ist sinnvoll, dass in der Corona-Situation Gelder zur Bewältigung von Krisen schnell abfließen. Ich bezweifle aber, dass das EU-Beihilferecht bei dieser Förderung von Start-ups eine Ausnahme zulässt. Das muss juristisch überprüft werden. Die Hamburger haben einen Anspruch auf Transparenz. Schließlich geht es hier um neun Millionen Euro Steuergeld.
Die Gelder sollen Start-ups unterstützen, deren Fokus unter anderem Vermögensmanagement ist. Wie passt das mit Corona-Hilfe zusammen?
Wenn man sich in der Corona-Krise um eine Branche keine Sorgen machen muss, dann ist es die Finanzbranche. Die soziale Ungleichheit hat in den vergangenen zwei Jahren weiter zugenommen. Pflegekräfte leiden, der Einzelhandel, Kinder aus ärmeren Familien, die einen Bildungsrückstand haben. Sie sind es, die Unterstützung verdienen. Gerade durch die Sozialdemokratie.
Der Senat möchte Hamburg als Finanzstandort stärken ...
Natürlich braucht Hamburg einen regionalen Finanzsektor. Auch die Förderung von Start-ups ist wichtig. Aber nicht mit Corona-Mitteln. Und nicht unter Umgehung der öffentlichen Ausschreibungspflicht.
Der Senat meint, eine EU-weite Ausschreibung hätte zu lange gedauert. Die Gelder wären verfallen. Ist das ein Grund für eine Direktvergabe?
Das überzeugt mich nicht. Denn der Senator hat sich doch bereits vor einem Jahr mit seinem Parteifreund zu dem Projekt getroffen. Selbst wenn die Ausschreibung neun Monate gedauert hätte, wäre genug Zeit gewesen für ein faires Auswahlverfahren. In der Behörde sitzen ja keine Amateure. Das Europarecht erschwert öfters Dinge, wie Tariflöhne bei öffentlichen Aufträgen einzufordern. Aber darum ging es ja gar nicht. Solche Entscheidungen müssen sauber getroffen werden. Wenn Herrn Dressels Parteifreund der Beste war, hätte er auch eine Ausschreibung gewonnen.
Der Senat behauptet, es habe Gespräche mit weiteren Wettbewerbern gegeben. Welche das sind, wird aus Datenschutzgründen aber nicht verraten. Wie kann es dann eine Aufklärung geben?
Sich bei einer angeblichen Marktanalyse hinter dem Datenschutz zu verstecken, ist ein schlechter Witz. Es geht doch nicht darum, welche Krankheit jemand hat, sondern ob Wettbewerber fair behandelt wurden. Wer ein öffentliches Amt bekleidet, ist zu Transparenz verpflichtet. Der Senator redet sich um Kopf und Kragen.
Warum?
Dressel und der Begünstigte sind ja nicht nur Parteifreunde. Sie sind auch dadurch verbunden, dass Nico Lumma im Verwaltungsrat der Kasse Hamburg sitzt. Ein Senator muss jeden Anschein von Vetternwirtschaft vermeiden. Wenn er merkt, dass er befangen ist, muss er andere entscheiden lassen. Das ist das kleine Einmaleins der politischen Hygiene. Dass Dressel sich sogar mit Lumma getroffen hat, ist instinktlos. Die Staatskasse ist ja kein Privateigentum von Politikern.
Hat Hamburg ein neues Roter-Filz-Problem?
Hamburg hat da eine ungute Tradition. In einem Stadtstaat kennt man sich. Vieles wird per Handschlag geregelt. Politik ist aber nicht dazu da, Geschäfte mit dem Parteibuch zu machen. Hamburg darf nicht Panama an der Elbe und die Finanzbehörde nicht der Trump Tower werden. Der Ruf der Hansestadt hat genug unter dem Cum-Ex-Skandal um die Warburg Bank gelitten.
In der FinTech-Szene möchte niemand öffentlich über den dubiosen Deal sprechen. Wovor haben die Leute Angst?
Dass die verprellten Wettbewerber Angst haben, zeigt ja, wie in Hamburg Industriepolitik betrieben wird. Bei den Unternehmen scheint der Eindruck vorzuherrschen, dass politische Nähe und ein Wohlverhalten gegenüber dem Senat wichtig sind, um einen Auftrag zu bekommen. Das darf es in unserer Stadt nicht geben.
Könnte die Sache noch gefährlich werden für den Senator, wenn noch mehr Details herauskommen?
Wenn das das Dschungelcamp wäre und man könnte Leute rauswählen, dann wäre Dressel jetzt fällig. Nachdem die Sache rauskam, hätte Dressel den Fehler einräumen und versprechen müssen, dass so etwas in Zukunft nicht noch mal vorkommt. Sonst wird er unglaubwürdig und die Bürger verlieren das Vertrauen in die Politik. Die Hamburger haben Professionalität verdient
5.000 Euro für Hinweise zu Filz-Verdacht gegen Dressel
10. Januar 2022
Strittige Auftragsvergabe Online-Magazin lobt Geld zur Aufklärung aus
Nun kommt der Filz-Verdacht auf den Prüfstand: Morgen muss Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) im Haushaltsausschuss Rede und Antwort stehen. Es geht um die Vergabe eines Millionen-Auftrags an einen Parteifreund. Inzwischen wurden 5000 Euro Belohnung für Hinweise zur Aufklärung des Falls ausgelobt.
Auf Antrag der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft wird sich der Haushaltsausschuss auf der kommenden Sitzung am 11. Januar mit der strittigen Vergabe des Neun-Millionen-Auftrags zur Förderung von FinTech-Startups an den Unternehmer Nico Lumma und seiner Firma NMA beschäftigen. Nach Auskunft der Linken hat Senator Dressel zugesagt, sich den Fragen der Abgeordneten zu stellen.
David Stoop, finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion, erklärte gegenüber der MOPO: „Es ist das Mindeste, dass Senator Dressel dem Ausschuss jetzt lückenlose Auskunft erteilt. Wir erwarten, dass dabei sowohl die Natur der Beziehung des Finanzsenators zum Auftragsempfänger als auch die Kriterien und der Prozess der Vergabe vollständig offengelegt werden.“
Die bisherige Begründung der Finanzbehörde, für eine ordnungsgemäße Ausschreibung nach EU-Recht sei keine Zeit gewesen, bezeichnete Stoop als „Unsinn“. Aus Sicht des Linken-Abgeordneten steht der Vorwurf der Begünstigung im Raum. „Hamburgs Haushalt ist nicht die Privatschatulle des Finanzsenators, aus der nach Belieben Gelder für Freunde und Bekannte lockergemacht werden können“, so Stoop weiter.
Auch der Hamburger CDU-Landeschef Christoph Ploß wirft dem SPD-Senat Vetternwirtschaft vor. „Dass mit Herrn Lumma ausgerechnet derjenige, der für die SPD massiv Wahlkampf macht, ohne Ausschreibung mit einem Millionen-Auftrag aus Steuergeldern belohnt wird, erweckt den Eindruck, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht“, so Ploß zur MOPO. Und: „Das ist roter Filz pur!“
Die SPD mache sich die Stadt zur Beute, so der CDU-Bundestagsabgeordnete. Ploß forderte, das Verfahren müsse neu aufgerollt und der Auftrag neu ausgeschrieben werden. „Es gibt Grundsätze, die eingehalten werden müssen. Wer dagegen verstößt, sorgt für Misstrauen bei den Wählern und schadet damit dem Ansehen des Staates“, so Ploß.
Das Online-Magazin „Hansevalley“ hat unterdessen eine Belohnung in Höhe von insgesamt 5000 Euro für sachdienliche Hinweise zur Aufklärung des von der MOPO aufgedeckten dubiosen Deals ausgelobt. Die Prämie werde im Rahmen einer „Hanse Digital Recherche“ Tippgebern oder Whistleblowern anteilig pro Person bis zu einer Höhe von maximal 2000 Euro ausgezahlt.
Ziel des Ankaufs der Informationen sei „die Klärung eines haushalts- und/oder vergaberechtlichen bzw. gesellschaftlich und sozial relevanten Verstoßes der federführend beteiligten Hamburger SPD-Parteigenossen und mit ihnen verbundenen Handlungsgehilfen im Umfeld der Hamburger Finanzbehörde, der Hamburger Finanzwirtschaft und des Start-up-Accelerators ,NMA‘“, heißt es in der Auslobung von „Hansevalley“.
Darüber hinaus will „Hansevalley“ am Montag einen Fragenkatalog veröffentlichen, der ebenfalls zur Aufklärung des „Subventionsskandals bei den Hamburger SPD-Parteigenossen“, so das Magazin, beitragen soll.
Millionen-Auftrag an Parteifreund: Hat der Senator gelogen?
11. Januar 2022
Hat Senator Dressel seinem Parteifreund einen Millionen-Auftrag zugeschustert? Vieles deutet darauf hin. Jetzt meldet sich erstmals einer der verprellten Wettbewerber zu Wort. Er widerspricht der Darstellung der Finanzbehörde.
Seit Wochen betont die Finanzbehörde, die Auswahl für den Auftrag zur Förderung von FinTech-Start-ups sei nach einer „intensiven Markterkundung“ erfolgt. Sowohl gegenüber der MOPO als auch gegenüber den Oppositionsparteien gab die Behörde an, sie habe im Januar 2021 „drei potentiellen Betreibern die Möglichkeit gegeben, ihr Konzept für Aufbau und Betrieb eines Accelerators in Hamburg vorzustellen“, so
der Wortlaut in der Senatsantwort auf die Anfragen von CDU und Linken. Zwei Anbieter hätten die Chance zur Präsentation wahrgenommen. Nur wer diese Wettbewerber sind, das wurde nicht verraten.
Einer, das ist klar, war der von Dressel Begünstigte Nico Lumma. Die anderen beiden ergeben sich aus einem Hinweis des Senats weiter unten in der Antwort, wo auf die zwei einzigen bereits in Hamburg existierenden Acceleratoren im Bereich Finanztechnologie verwiesen wird. Sie seien bei „Fintech Hamburg“ gelistet, so der Senat. Auf der Webseite dieser Initiative des Branchenverbands Finanzplatz Hamburg finden sich dann einmal der Next Commerce Accelerator (NCA) sowie die „comdirect Startup garage“. Die MOPO hat mit beiden gesprochen. 0:16 / 01:01
„Zu Ihren Fragen können wir Ihnen mitteilen, dass wir nicht angefragt wurden, eine Präsentation im Hinblick auf die Ausübung des Accelerator-Auftrags abzuhalten“, erklärte jetzt NCA-Geschäftsführer Christoph Schepan, der zusammen mit seinem Geschäftspartner – anders als Dressels Parteifreund Lumma – über weitreichende Kompetenzen im Bereich FinTech-Start-up-Förderung verfügt.
So hat NCA unter anderem das Start-up „Pockid“ hervorgebracht, das kürzlich zum „Newcomer Fintech of the Year 2021“ gekürt wurde. Nico Lumma und sein New Media Accelerator, dessen Kompetenz sich auf die Medienbranche richtet, wird bei Finanzplatz Hamburg nicht einmal erwähnt.
Auch die „comdirect Startup garage“, die mit dem besonders bei jüngeren Menschen äußerst beliebten Online-Broker „Trade Republic“ großen Erfolg im Bereich FinTech verbuchen konnte, wäre als Manager für den Neun-Millionen-Auftrag bestens geeignet gewesen. Gegenüber der MOPO hält sich die comdirect bedeckt: „Die Entstehung des Hamburger FinTech-Accelerators sehen wir als positiven und notwendigen Schritt, um den FinTech-Standort Hamburg weiter auszubauen. Das Modell ergänzt sich gut mit unserer comdirect Start-up-Garage, in der wir Start-ups für den Commerzbank-Konzern fördern“, so eine Sprecherin.
Nach MOPO-Informationen fühlt man sich auch bei Finanzplatz Hamburg durch die Direktvergabe ohne öffentliche Ausschreibung komplett umgangen. So soll Senator Dressel auf allen vier Mitgliederversammlungen 2021 kein Wort über das Vergabeverfahren verloren haben, obwohl er hier der geballten Branchen-Kompetenz gegenüber saß und sich Rat bei der Suche nach einem geeigneten Betreiber hätte holen können.
Die Finanzbehörde weist diese Darstellung von Teilnehmern als „falsch“ zurück. Senator Dressel habe auf der Mitgliederversammlung am 23. April über den Sachstand zum Accelerator informiert und dabei auch auf das Vergabeverfahren verwiesen. Zu dem Widerspruch zwischen der angeblich durchgeführten „intensiven Marktanalyse“ und der Darstellung von NCA-Geschäftsführer Schepan, nicht kontaktiert worden zu sein, wollte die Behörde „aus datenschutzrechtlichen Gründen“ keine Angaben machen. Nur so viel: Die bei FinTech Hamburg gelisteten Acceleratoren seien in die Markterkundung einbezogen worden. Zitat: „Die Einladungen für eine Präsentation haben sich schlussendlich aus den Diskussionen der teilnehmenden Unternehmen/Institutionen des Arbeitskreises ergeben.“
Insidern aus der Hamburger Finanzbranche zufolge wurde durch die Umgehung einer EU-weiten Ausschreibung des Auftrags die Chance vertan, Talente von internationalem Rang nach Hamburg zu holen, um die hiesige Szene nach vorne zu bringen und weltweit zu vernetzen. Am Dienstagabend ist der dubiose Deal Thema im Haushaltsausschuss der Bürgerschaft.
Nach Filz-Vorwürfen: Jetzt rudert Dressel zurück
12. Januar 2022
Überraschung gestern Abend: Umstrittener Deal wird rückgängig gemacht
Der Filz-Verdacht war zu stark, die Unstimmigkeiten groß: Der dubiose Neun-Millionen-Auftrag des Finanzsenators an seinen SPD-Parteifreund Nico Lumma ist geplatzt. In der Haushaltssitzung der Bürgerschaft gab Andreas Dressel gestern Abend völlig überraschend bekannt, dass der Vertrag gestoppt wird.
Als Begründung für die Rückabwicklung gab Senator Dressel an, dass das Projekt zur Bildung eines sogenannten FinTech-Accelerators, also eines Programms zur Förderung von Startups aus der Finanzbranche, nach den wochenlangen Filz-Diskussionen so stark beschädigt worden sei, dass die Aussicht, private Geldgeber für das Vorhaben zu finden, nur noch gering sei.
Dressel räumte ein, dass er mit Nico Lumma, der die SPD im Wahlkampf beraten hat und überwies im Verwaltungsrat der „kasse.hamburg“ sitzt, bekannt sei. „Wir sind aber nicht befreundet“, betonte der Senator.
Vorwürfe, sich nicht an das EU-Vergaberecht gehalten zu haben, wies Dressel zurück und betonte erneut, bei den neun Millionen habe es sich um Corona-Mittel gehandelt, deren Vergabe schnell hätte erfolgen müssen. Widersprüche, die dazu in den vergangenen Wochen aufgetaucht waren, hätten möglicherweise zeitnah zu einer juristischen Aufarbeitung der Direktvergabe geführt. Durch die Rückabwicklung hat Dressel sich dieser Verantwortung entzogen.
Auch die Kritik, es habe keine umfassende Marktanalyse gegeben, wies Dressel zurück. Er betonte, dass die Auswahl an fähigen Playern zur Bildung eines Accelerators in Hamburg klein sei. Den einzigen drei geeigneten Wettbewerbern sei die Möglichkeit gegeben worden, eine Präsentation abzuhalten. Zwei hätten die Gelegenheit wahrgenommen.
Die Namen dieser Wettbewerber legte Dressel allerdings nicht offen und verwies dabei auf „datenschutzrechtliche Gründe“. Einer dieser drei hatte in der MOPO erklärt, er sei nie um eine Präsentation gebeten worden. Ein weiterer hielt sich bedeckt. Der dritte war Nico Lumma, der im MOPO-Interview selbst erklärt hatte, von der Finanzbranche wenig Ahnung zu haben: „Ich würde mir nicht anmaßen, ein FinTech-Experte zu sein.“ Er selbst müsse erst ein Team aus Experten aufbauen.
Zahlreiche Branchenkenner hatten darauf verwiesen, dass Lumma mit seinem bisherigen Accelerator im Medienbereich wenig Erfolg gezeigt hatte, die Zuwendung von neun Millionen Euro an Steuergeldern also ein großes Risiko darstellen würden.
Dazu wird es nun also nicht kommen. Die Linke wollte im Haushaltsausschuss von Dressel wissen, welcher Schaden der Stadt durch das gescheiterte Verfahren nun schon entstanden ist und welche Kosten dabei entstanden sind. Darauf konnte der Senator keine Antwort geben. Er versprach, eine Kostenaufstellung nachzuliefern. Klar sei aber, dass Nico Lumma für die ihm durch das Verfahren bisher entstanden Kosten zum Beispiel für Berater und für die Zusammenstellung des Teams entschädigt werden müsse.
Zu dem gescheiterten Deal erklärte David Stoop, haushaltspolitischer Sprecher der Linksfraktion: „Die Fördermittel fließen nicht. Aber der Imageschaden bleibt. Statt einen eigenen Fehler einzugestehen, kritisiert Finanzsenator Dressel lieber Medien und Opposition, die hier gemeinsam Aufklärungsarbeit geleistet haben. Es ist doch schon mehr als grenzwertig, Fördermittel in dieser Höhe ohne europaweite Ausschreibung und ohne Transparenz zu vergeben. Wenn dann aber auch noch ein lieber Parteikollege in den Genuss des Auftrags kommt, obwohl dessen Unternehmen nach eigener Aussage gar keine Kernkompetenz in diesem Förderbereich hat, dann ist das übler roter Filz.“
Hamburgs CDU-Chef Dennis Thering erklärte: „Der Versuch von Finanzsenator Dressel, einen SPD-Parteigenossen mit einer Direktvergabe in Millionen-Höhe zu bevorteilen ist gescheitert. Eine gute Nachricht. Der Druck auf Andreas Dressel durch die Opposition war am Ende offenbar zu hoch, zu klar war der offensichtliche rote Filz.“ Der Auftrag könne nun ordnungsgemäß neu ausgeschrieben werden. Eines sei klar: „Finanzsenator Dressel ist jetzt angezählt!“
"Standpunkt" von Nina GESSNER: Jetzt steht Dressel ganz schön im Regen
13. Januar 2022
Hat Senator Andreas Dressel einem SPD-Parteifreund einen Neun-Millionen-Auftrag zugeschustert? Vier Wochen ist es her, dass die MOPO erstmals exklusiv über den Filz-Verdacht in der Finanzbehörde berichtete. Seitdem kamen immer mehr Details ans Licht und Dressel geriet unter enormen Druck. Am Dienstagabend knickte der Senator ein und zog den Auftrag zurück. Die Schuld gab er der Opposition – und den Medien, maßgeblich der MOPO. Dabei haben unsere Recherchen offensichtlich geholfen, einen Steuerskandal zu verhindern.
Am 13. Dezember hatte die MOPO erstmalig über den Fall berichtet. Der Auftrag zur Bildung eines sogenannten FinTech-Accelerators, also eines Programms zur Förderung von Start-ups aus der Finanzbranche, war unter Umgehung einer EU-weiten öffentlichen Ausschreibung direkt vergeben worden – an die Firma Next Media Accelerator von SPD-Mitglied Nico Lumma, der nicht nur im Verwaltungsrat der „Kasse Hamburg“ sitzt, sondern auch den SPD-Vorstand im Wahlkampf beraten hat. Auf Twitter sind Dressel und Lumma per „Du“, tauschen sich regelmäßig aus.
Das warf viele Fragen auf. Nicht nur weil Nico Lumma bisher nichts mit der Finanzbranche zu tun hatte und im MOPO-Interview zugab, davon auch keine Ahnung zu haben („Ich will mir nicht anmaßen, ein FinTech-Experte zu sein“). Er ist Experte für digitale Medien. Sondern auch weil es in Hamburg sehr viel naheliegendere Wettbewerber gibt, die in der Finanzbranche bereits Acceleratoren betreiben und erfolgreiche Start-ups wie den bei jungen Leuten beliebten Online-Broker „Trade Republic“ oder „Pockid“ hervorgebracht haben. Letzteres wurde kürzlich zum „Newcomer Fintech of the Year 2021“.
Wie MOPO-Recherchen ergaben, wurden die Wettbewerber, anders als die Finanzbehörde behauptet, nicht alle zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Obwohl sie deutlich mehr Expertise haben, wurde Lumma der Vorzug gegeben. Als Kritiker auch noch die bisherigen wirtschaftlichen Erfolge Lummas infrage stellten, knickte Dressel ein.
„Der Vertrag wird rückabgewickelt“ – die bahnbrechende Nachricht versteckte der Finanzsenator bei seinem Auftritt im Haushaltsausschuss der Bürgerschaft am Dienstagabend, wo er sich den Fragen der Opposition zu der dubiosen Direktvergabe stellen musste, eher in einem Nebensatz. Länger als eine halbe Stunde sprach Dressel über den umstrittenen Vorgang und wiederholte dabei nur das, was er schon seit Wochen gebetsmühlenartig sagt: Der Begünstigte sei ihm bekannt, aber kein Freund. Lumma sei der geeignetste Kandidat gewesen. Die Vergabe sei juristisch sauber gelaufen. Eine EU-weite Ausschreibung hätte zu lange gedauert. Da es sich um befristete Corona-Mittel handele, hätten die Gelder schnell ausgegeben werden müssen.
Dafür präsentierte Dressel zwei Juristen aus seiner eigenen Behörde, die – wenig überraschend – seine vom Blatt abgelesene Darstellung stützten. Einen Hinweis des CDU-Abgeordneten Thilo Kleibauer, die Kriterien, auf die Lumma angeblich am besten passe, seien doch eindeutig auf ihn zugeschrieben worden, überging der Senator geflissentlich. Ebenso wie Kleibauers Einwand, der Antrag der rot-grün dominierten Bürgerschaft zur Bildung eines FinTech-Accelerators sei erst gestellt worden, als die Finanzbehörde schon längst die Entscheidung für Lumma gefällt hatte. Nämlich drei Monate vorher.
Immer wieder wies der Senator darauf hin, dass niemand nach der Veröffentlichung der Auftragsvergabe an Lumma Rüge eingelegt hätte. Jeder Wettbewerber in ganz Europa hätte es ja im Amtsblatt der Europäischen Union lesen können. „Es hat sich niemand gemeldet. Unser Briefkasten blieb leer“, so Dressel. Nur: Glaubt wirklich irgendjemand, dass Start-up-Inhaber so regelmäßig das EU-Amtsblatt lesen? Nicht erwähnt hat der Senator, dass die Frist zum Widerspruch nur zehn Tage beträgt. Und dass die Veröffentlichung zufällig Anfang Juli lag – genau zu Beginn der Sommerferien. Nicht nur in Hamburg, sondern auch in Frankreich, Griechenland, Spanien und Portugal, wo viele FinTechs sitzen. Mal abgesehen davon, dass die Kosten einer Nachprüfung jedes Start-up in den Ruin treiben würde.
Es fällt schwer, die Rückabwicklung des Auftrags als etwas anderes als ein Schuldeingeständnis Andreas Dressels zu sehen. Er hatte gar keine andere Wahl. Denn eine juristische Aufarbeitung, die der Fall in naher Zukunft schon wegen der gewählten Verfahrensart „Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung“ nach sich gezogen hätte, hätte seine politische Zukunft ernsthaft gefährdet. Wohl aus diesem Grund hat Dressel sich am Dienstagabend auch nicht für seinen offensichtlichen Fehler, seine Behörde dem Verdacht der Vetternwirtschaft ausgesetzt zu haben, entschuldigt. So wie es sein Vorgänger Peter Tschentscher als Finanzsenator im Cum-Ex-Skandal getan hat.
Dressel beharrt nicht nur auf seiner löchrigen Version der Geschehnisse. Er gibt auch noch der kritischen Öffentlichkeit die Schuld für sein Versagen. Die „Medien“ mit ihrer Berichterstattung und die Opposition hätten dem Accelerator-Vorhaben so sehr geschadet, dass es nun kaum möglich sei, private Investoren für das Projekt zu gewinnen. Nur das sei der Grund für die Rückabwicklung. Wer’s glaubt.
Eigene Fehler nicht selbstkritisch eingestehen zu wollen ist das eine. Mit seiner Medienschelte und der Diffamierung der Opposition, die die Vergabe auf dem üblichen parlamentarischen Weg mit Kleinen Anfragen überprüft hat, schadet Senator Dressel dem demokratischen Prozess. Das sollte einem über Parteigrenzen angesehenen Politiker, der einmal Bürgermeister werden möchte, nicht passieren. Aufgabe der Opposition und der Medien ist es, den Senat und sein Handeln zu prüfen – besonders, wenn eine Partei jahrelang regiert und damit immer leicht anfällig für Filz und Korruption ist. Gerade die SPD sollte das sehr genau wissen.
Die MOPO wird die Sache weiter verfolgen und genau prüfen, was jetzt mit dem Geld der Steuerzahler passiert. Wie viel davon an Nico Lumma und seine Firma für die entstandenen Kosten fließen wird. Und was mit dem Rest des Geldes geschieht. Ebenso werden wir weiter ein Auge darauf haben, wie die Stadt es mit der Ausschreibung von öffentlichen Aufträgen hält. Weil es unser Job ist.
Jetzt wird’s richtig ernst für den SPD-Finanzsenator
4. Februar 2022
Nun wird es ernst für den Finanzsenator: Die Opposition wird im Fall der fragwürdigen Direktvergabe eines Millionenauftrags an einen SPD-Parteifreund von Andreas Dressel (SPD) Akteneinsicht beantragen und verspricht „umfassende Aufklärung“. Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags und eine Vergaberechtlerin bewerten das Vorgehen der Finanzbehörde kritisch.
Seit Wochen steht der Verdacht im Raum, Finanzsenator Dressel könnte einen Unternehmer, der den SPD-Parteivorstand im Wahlkampf beraten hat, mit einem Neun-Millionen-Auftrag zur Förderung von Start-ups begünstigt haben. Die Opposition will der Sache nun endgültig auf den Grund gehen.
In seltener Eintracht werden CDU und Linke in der nächsten Bürgerschaftssitzung die Aushändigung sämtlicher Dokumente zu dem umstrittenen Vorgang einfordern. Die zu jedem Vergabeverfahren gehörende umfassende Dokumentation könnte Licht in die noch teils im Dunkeln liegenden Abläufe des Falls bringen.
Die Finanzbehörde hatte mit der Direktvergabe die EU-weite Ausschreibungspflicht umgangen und dies mit der juristisch zweifelhaften Angabe begründet, es habe sich um Corona-Gelder gehandelt, die eilig vergeben werden müssten. Nach der Aufdeckung des Falls durch die MOPO und massiver Kritik am Verfahren hatte Dressel am 11. Januar die Rückabwicklung der Vergabe bekannt gegeben.
Auch wenn die Vergabeentscheidung inzwischen rückgängig gemacht worden sei, müssten die Hintergründe umfassend aufgeklärt werden, erklärt die CDU. Dafür müssten die Vorgänge der Bürgerschaft vorgelegt und transparent gemacht werden.
„Der Vorwurf von einem erneuten schweren Fall von rotem Filz steht weiterhin im Raum, und auch wenn die dubiose Vergabeentscheidung inzwischen wieder rückgängig gemacht wurde, müssen die Hintergründe des vom Finanzsenator geplanten Neun-Millionen-Auftrags an einen SPD-Genossen umfassend aufgeklärt werden“, erklärte CDU-Fraktionschef Dennis Thering. Die Direktvergabe sei offensichtlich schon in die Wege geleitet worden, bevor der Antrag dazu in der Bürgerschaft überhaupt gestellt worden sei. Die Kriterien der Auftragsvergabe, die am 2. Juli in einer Ex-ante-Transparenzbekanntmachung im EU-Amtsblatt veröffentlicht wurden, seien genau auf den Begünstigten zugeschrieben worden.
Aus Sicht der CDU wurde der Stadt durch den Vorgang ein großer Schaden zugefügt. „Die fragwürdige und fehlerhafte Vergabe geht somit bedauerlicherweise zulasten der wirtschaftlichen Entwicklung des Standortes Hamburg“, so Thering. Die Hansestadt hätte die Start-up-Förderung dringend benötigt, um deutschlandweit als Innovationsstandort nicht weiter hinter anderen Bundesländern wie Berlin und Bayern zurückzufallen.
Auch die Linke will genau prüfen, ob „ein ordentliches Markterkundungsverfahren durchgeführt wurde oder die Ausschreibung von Anfang an auf einen Bewerber aus dem Umfeld des Finanzsenators zugeschnitten wurde“: „Dass Finanzsenator Dressel den Millionenauftrag nach einem zweifelhaften Vergabeverfahren zurückziehen musste, hat der Entwicklung von FinTechs in Hamburg schweren Schaden zugefügt. Der Vorwurf einer Bevorzugung seines Parteifreundes konnte nicht überzeugend ausgeräumt werden und es bestehen weiterhin Zweifel an der Durchführung des Verfahrens“, erklärte David Stoop, Finanzexperte der Linksfraktion. „Wir brauchen dringend mehr Transparenz und Verlässlichkeit in der Vergabe!“
Die SPD-Fraktion kritisiert das Aktenvorlage-Ersuchen der Opposition. CDU und Linke würden „bewusst die Ergebnisse der Sitzung des Haushaltsausschusses vom 11. Januar außer Acht“ lassen. Der Finanzsenator habe in dieser Sitzung bereits Transparenz über den Vergabeprozess hergestellt und belegt, „dass die Vergabe sich an Recht und Ordnung gehalten“ habe. Der haushaltspolitische Sprecher Milan Pein: „Wer Fakten aber ignoriert und immer wieder mit gespielter Empörung nicht belegbare Behauptungen aufstellt, verliert seine eigene politische Glaubwürdigkeit.“
Mittlerweile hat der Filz-Verdacht auch die bundespolitische Ebene erreicht. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat sich mit dem Inhalt der Direktvergabe beschäftigt und untersucht, ob Corona-Mittel überhaupt zur Förderung von Start-ups verwendet werden dürfen. Ergebnis: „Alle staatlichen Beihilfen, die eine Begünstigung eines bestimmten Unternehmens bezwecken und dadurch den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen“, seien „mit dem Binnenmarkt unvereinbar und somit unzulässig“. Und weiter: „Dies gilt grundsätzlich für alle Formen von Unternehmen und somit auch für die Förderung von Start-ups.“
Zwar erlaube die EU-Rechtsprechung in ganz besonderen Ausnahmen einen Verzicht auf die Ausschreibungspflicht. Zwingende Voraussetzung sei aber eine dringliche Notlage, deren Bewältigung nur durch einen einzigen Wirtschaftsteilnehmer erfüllt werden kann.
„Dass die besondere Dringlichkeit eines Auftrags zur Koordinierung von Start-up-Förderung speziell mit einem pandemiebedingten Mangel an Waren und Dienstleistungen gemäß den einschlägigen Leitlinien der Kommission begründet werden könnte, erscheint hingegen eher zweifelhaft“, heißt es in dem Papier des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages.
Diese kritische Bewertung ist nach Aussage der auf Vergaberecht spezialisierten Rechtsanwältin Sylvia Meyerhuber „sehr deutlich“. Die Juristin erklärt: „Deutlicher kann der Dienst ohne Einsicht in die Akten und ohne juristische Prüfung gar nicht werden.“
Klar sei, dass es bei der Förderung von Start-ups nicht um die Bewältigung einer pandemiebedingten Krise gehe. Die EU-Kommission habe die Ausnahmen für Fälle wie beispielsweise die dringende Beschaffung von Masken oder Beatmungsgeräten vorgegeben. Auf die Förderung von Start-ups treffe das jedoch nicht zu. „Es lassen sich hier anhand der vorliegenden Informationen keine Beschaffungsprobleme begründen“, so Meyerhuber.
Auch die Zeitnot, die Senator Dressel als Grund für die Umgehung eines angeblich langwierigen Ausschreibungsverfahrens von neun Monaten angegeben hatte, lässt Meyerhuber nicht gelten. „Man kann ein ordnungsgemäßes Verfahren auch in weniger als neun Monaten durchführen. Neun Monate ist schon der worst case und rechnet schon einen Rechtsstreit mit ein.“
Senator Dressel war durch die Rückabwicklung der Vergabe Mitte Januar einer juristischen Überprüfung zuvorgekommen. Durch die Vorlage der Akten soll nun zumindest eine parlamentarische Prüfung der dubiosen Vergabe erfolgen. Unter anderem geht es dabei auch um die Frage, ob der Senator tatsächlich eine Marktanalyse durchführen lassen hat, wie es in der Ex-ante-Transparenzbekanntmachung im Juli 2021 behauptet worden war und wie sie bei einer Direktvergabe als Abweichung vom Wettbewerbsgrundsatz vorgeschrieben ist. MOPO-Recherchen hatten ergeben, dass der Senator Wettbewerber, die fachlich möglicherweise besser geeignet gewesen wären als sein Parteifreund, nicht einmal kontaktiert hat, um ihnen eine Chance für den Auftrag einzuräumen.
Bürgerschaft stimmt über Filz-Vorwurf ab
17. Februar 2022
Jetzt wird es ernst für Finanzsenator Andreas Dressel (SPD): Am Mittwoch war der Filz-Vorwurf um die dubiose Direktvergabe eines Millionenauftrags an einen SPD-Parteifreund des Senators Thema einer hitzigen Debatte in der Bürgerschaft. Der Antrag der Opposition auf Akteneinsicht wurde angenommen. Kommen jetzt weitere Details ans Licht?
Zwei Monate ist es her, dass die MOPO den Vorgang aufgedeckt hat. Und obwohl der Senator den Auftrag nach massiver Kritik seitens der Opposition Mitte Januar wieder zurückgezogen hat, bleiben viele Fragen offen. CDU und Linke wollen die Abläufe aufklären und haben deshalb Akteneinsicht beantragt. Mit Erfolg!
„Im Mai vergangenen Jahres hat die Bürgerschaft beschlossen, einen FinTech-Accelerator zur Förderung junger Unternehmen in der Finanzwirtschaft einzurichten“, erklärte Thilo Kleibauer, haushaltspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion in seiner Rede. Und an den Senat gerichtet: „Was Sie uns allerdings verschwiegen haben: Zu diesem Zeitpunkt haben Sie längst festgelegt, wer diesen Auftrag über neun Millionen Euro erhalten soll!“
Seit Januar habe die Finanzbehörde ausschließlich mit einem Bewerber gesprochen, keine Markterkundung durchgeführt und den Auftrag nicht ausgeschrieben, sodass die Wettbewerber erst im Dezember aus der Zeitung von dem Programm erfahren hätten. Das sei „fragwürdig“, die Hintergründe müssten aufgeklärt werden.
Der Finanzsenator habe direkt Einfluss auf die Auftragsvergabe genommen, so Kleibauer. Nach Bekanntwerden der Vergabe habe er sich mit seinen Begründungen für die fehlende Ausschreibung in Widersprüche verstrickt. Fragwürdig sei auch, dass der begünstigte Hamburger Unternehmer sich mit dem Thema FinTech gar nicht auskenne, dafür aber gut vernetzt sei in die Hamburger SPD.
Auch die Rückabwicklung des Auftrags ist für Kleibauer ein klares Zeichen: „Wenn die Vergabe eines Auftrages über neun Millionen durch den Finanzsenator nicht einmal zwei Kleinen Anfragen und einem Artikel in der MOPO standhält, dann sollten Sie sich fragen, welche Fehler hier gemacht wurden!“
Auch der Linken-Abgeordnete David Stoop stufte die schnelle Rücknahme des Auftrags durch Senator Dressel als „Merkwürdigkeit“ ein und sieht darin ein Zeichen von „Nervosität“. Stoop verwies auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, welches die Direktvergabe als juristisch „zweifelhaft“ bewertet hatte.
Bei der Durchführung der Vergabe seien viele Fragen offen geblieben: „Zu welchem Zeitpunkt hat welche Kommunikation mit welchem Marktteilnehmer stattgefunden? Welche Absprachen gab es? Wann hat der Senator zum ersten Mal Kontakt zu dem Marktteilnehmer aufgenommen, der es am Ende wurde?“, so Stoop. Die Akteneinsicht sei notwendig, um die Abläufe zu klären und für Transparenz zu sorgen.
Der AfD-Abgeordnete Dirk Nockemann kritisierte das Vergabeverfahren als „mangelhaft“. Die Rückabwicklung des Auftrags und die Begründungen dafür würden das schlechte Gewissen des Senators widerspiegeln. „Die Stadt gehört nicht Ihnen!“, so Nockemann.
Die Regierungskoalition wies alle Vorwürfe zurück und verteidigte den Millionenauftrag an den Unternehmer Nico Lumma. Der SPD-Abgeordnete Milan Pein verwahrte sich gegen den Vorwurf des „roten Filzes“ und bezeichnete die Direktvergabe als „rechtlich zulässiges Verfahren“. Die Verwaltung habe nach Recht und Gesetz gehandelt. Die Kritik daran bewertete er als „Polit-Theater“. Pein: „Darf man nicht mehr parteipolitisch engagiert sein, wenn man sich um öffentliche Aufträge bewirbt?“
Der Grünen-Abgeordnete Dennis Paustian-Döscher pflichtete dem bei. Die Vorwürfe wären konstruiert und würden nur das Vertrauen in die Politik beschädigen. Die Schuld am Scheitern des Projekts gab er der Opposition mit ihrem „negativen Aufklärungsinteresse“.
Am Ende einigten sich die Parteien darauf, die Ergebnisse aus der Überprüfung der Akten erneut in der Bürgerschaft öffentlich zu thematisieren.
Filz-Verdacht: EU-Kommission kritisiert Senator Dressels Millionendeal
14./15. April 2022
Anfang Januar hatte Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) auf massiven Druck hin seinen umstrittenen Millionenauftrag an Parteifreund Nico Lumma zurückgezogen. Jetzt hat sich auch die EU-Kommission mit dem zweifelhaften Deal beschäftigt. Sie kritisiert die unter Filz-Verdacht stehende Direktvergabe deutlich.
Zur Erinnerung: Bei dem Deal zwischen dem Finanzsenator und dem Unternehmer Nico Lumma ging es um den Auftrag zur Förderung von Start-ups in der FinTech-Branche. Obwohl es sowohl in Hamburg, in Deutschland und erst recht in der EU zahlreiche Player gegeben hätte, die für den Auftrag infrage gekommen wären, hatte Senator Dressel den SPD-Mann Lumma ausgewählt und dabei die vorgeschriebene EU-weite Ausschreibungspflicht umgangen.
Zur Begründung hatte der Senator angegeben, es habe nur einen einzigen passenden Bewerber gegeben. Den Beweis, dass eine in solchen Fällen vorgeschriebene Markt-Erkundung durchgeführt wurde, ist die Behörde bis heute schuldig geblieben. Die Opposition hatte bereits Mitte Februar Akteneinsicht beantragt. Bisher ist die Dokumentation jedoch nicht vorgelegt worden.
Die EU-Kommission ist durch die Beschwerde eines Bürgers auf die Sache aufmerksam gemacht worden und hat den Vorgang geprüft. Ergebnis: „In dem von Ihnen dargelegten Fall ist es nicht ersichtlich, weshalb es nur einen bestimmten Anbieter geben könne, der die gewünschte Leistung erbringen kann“, heißt es in dem Schreiben vom 11. April, das der MOPO vorliegt.
Damit ist auch die seitens des Senators vor dem Haushaltsausschuss vorgebrachte Darlegung, man habe sich an die Vorschriften des Vergaberechts gehalten, hinfällig.
Glück für den Senator: Angesichts der hohen Zahl an Beschwerden verweist die Kommission darauf, dass sie sich bei der Weiterverfolgung nur auf Fälle konzentriere, bei denen ein systematischer Verstoß gegen EU-Recht erkennbar ist. Der Deal Dressel-Lumma wird als Einzelfall betrachtet. So lange, bis der nächste Verdachtsfall vorliegt.
Dazu erklärte David Stoop, finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft: „Die EU-Kommission hat zwar angekündigt, das Verfahren nicht weiter prüfen zu wollen, weil es sich aus ihrer Sicht nicht um eine generelle Praxis, sondern einen Einzelfall handele – die Darstellung des Senators, es handele sich um ein ordentliches Verfahren, ist jedoch widerlegt und der Verdacht der Begünstigung steht weiterhin im Raum“, so Stoop.
Unklar ist auch nach wie vor, wie hoch die Kosten sind, die der Stadt durch den dubiosen Vorgang entstanden sind. Möglicherweise soll Lumma für den entgangenen Auftrag entschädigt werden.
Stoop: „Umso wichtiger ist es jetzt, dass wir endlich die Akten vorgelegt bekommen, um die Darstellungen der Finanzbehörde prüfen zu können. Es ist mehr als ärgerlich, dass uns diese immer noch nicht zur Verfügung gestellt wurden!“
Akten sollen Filz-Verdacht erhärten
6. Mai 2022
Diese Akten enthalten ein gut geschütztes Geheimnis: Seit vergangener Woche stehen die Ordner, welche den fragwürdigen Direktvergabe-Vorgang zwischen der Finanzbehörde und dem SPD-nahen Unternehmer Nico Lumma dokumentieren, den Oppositionsparteien zur Einsicht zur Verfügung. Diese prüfen, ob bei dem aufgrund des öffentlichen Drucks zurückgezogenen Neun-Millionen-Auftrag ein „Filz-Fall“ vorliegt. Wird die Sache doch noch aufgeklärt?
Vier dicke Ordner, 917 Seiten mit jeglicher Korrespondenz zu der Vergabe des Auftrags eines sogenannten FinTech-Accelerator. In diesen vertraulichen Akten steht, warum der Auftrag an den SPD-Parteifreund von Senator Andreas Dressel und seine Firma NMA direkt vergeben wurde und es keine öffentliche Ausschreibung gab.
Sowohl der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages als auch die EU-Kommission hatten den Verzicht auf ein ordentliches Wettbewerbsverfahren gerügt. Senator Dressel hatte die Vergabe jedoch stets als ordnungsgemäß verteidigt.
Nach Durchsicht der Akten hat die Linksfraktion den Senat um weitere Auskünfte ersucht. Die Antwort liegt noch nicht vor, doch aus der Anfrage lässt sich schließen, dass der Auftrag anscheinend von Anfang an auf Lumma und seine Firma zugeschnitten wurde. Lumma, der in Hamburg und seiner Partei als Digitalexperte gilt, hatte die SPD im Wahlkampf beraten und sitzt im Verwaltungsrat der „Kasse Hamburg“.
„Nach der Akteneinsicht musste ich den Eindruck bekommen, dass es nie darum ging, das beste Konzept an den besten Bewerber zu vergeben, sondern fast nur um die Frage, wie man diesen Auftrag rechtssicher an Lummas Firma vergeben kann“, sagt David Stoop, finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion.
Stoop ist überzeugt, dass Senator Dressel bei seinem Auftritt vor dem Haushaltsausschuss am 11. Januar 2022 unvollständige Angaben bezüglich der Chronologie der Vergabe gemacht haben soll. Laut Dressel hat die Behörde im September 2020 begonnen, ein Konzept für einen „FinTech-Accelerator“ zur Förderung von Finanz-Start-ups zu erarbeiten und im Januar 2021 Interessenten eingeladen.
Doch diese angeblichen Wettbewerber wurden nur formell eingeladen. Und auch nicht alle, die in Hamburg dafür geeignet gewesen wären. Liegt es daran, dass Lumma nach MOPO-Informationen bereits im Sommer 2020 ein fertig ausgearbeitetes Konzept für den „FinTech-Accelerator“ vorgelegt hat?
Dieses wurde in der Folge von der Verwaltung unverändert übernommen und sollte ohne Ausschreibung vergeben werden. Die Finanzbehörde verwies zur Begründung u.a. auf den zeitlichen Druck, um Corona-Hilfsmittel dafür zu verwenden. Für Stoop aber ist dies der Beleg, dass hier nicht ergebnisoffen nach dem besten Konzept und der besten Firma für die Umsetzung gesucht wurde. „Das ist gegen die Grundidee des Vergaberechts. Das ist so einfach nicht in Ordnung“, so David Stoop.
Unklar bleibt weiter, ob der Senator die Vergabe selbst gesteuert hat oder nicht. Zumindest soll er innerhalb der Behörde immer wieder auf die Einhaltung der Vergaberichtlinien gepocht und dazu Fragen gestellt haben.
Und auch die Höhe der Entschädigungssumme, die Lummas Firma NMA für den am Ende entgangenen Auftrag bekommen soll, bleibt im Dunkeln. Von den insgesamt neun Millionen Euro des Auftrags war eine Million für das Management vorgesehen. Ein Sprecher der Finanzbehörde erklärt dazu: „Nach Beendigung des Accelerator-Projekts haben NMA und die Finanzbehörde Gespräche aufgenommen, wie mit einer möglichen Kostenerstattung umzugehen ist. Die Gespräche sind noch nicht abgeschlossen.“
Dabei stellt sich auch die Frage, ob die Stadt überhaupt verpflichtet ist, eine Entschädigung zu zahlen. Gab es einen Vorvertrag, der eine Ausgleichszahlung im Fall eines Scheiterns des Auftrags zusicherte? Das versucht die Senatsanfrage der Linken zu klären.
David Stoop: „Die Vergabe und ihre Folgen und finanziellen Risiken sind für Hamburg von überragendem öffentlichen Interesse. Wir fordern, dass der Senat endlich reinen Tisch macht und sagt, in welcher Höhe Entschädigungsforderungen für die geplatzte Vergabe vorliegen.“
Jetzt geht es ums Geld. Um viel Geld!
12. Mai 2022
1,3 Millionen Euro – so viel Geld sollte Lummas Firma NMA für die Bildung eines sogenannten FinTech-Accelerators bekommen, mit dem Start-ups aus der Finanzbranche gefördert werden sollten. Weil der Auftrag nicht öffentlich ausgeschrieben wurde, geriet die Vergabe in die Kritik und wurde schließlich von Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) zurückgezogen.
Nun will NMA eine Entschädigung für den entgangenen Auftrag. Nach MOPO-Informationen hat Lummas Firma der Stadt Hamburg 1,05 Millionen Euro in Rechnung gestellt. Also einen großen Teil der bei kompletter Auftragsausführung fälligen Summe.
Zur Begründung soll Lummas Firma den entstandenen Imageschaden, bereits entstandene Kosten sowie entgangene Provisionen angeführt haben. Bei der Finanzbehörde soll die Forderung für Kopfschütteln gesorgt haben, heißt es aus gut informierten Kreisen – und das, obwohl man den Vorgang eigentlich „schnell und kulant“ abwickeln wollte.
Ergebnis: Die Forderung soll abgewiesen worden sein. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken bestätigt der Senat am 10. Mai den Erhalt von Entschädigungsansprüchen. Weiter heißt es dazu: „Die Gespräche hierzu sind noch nicht abgeschlossen. Zu Einzelheiten nimmt der Senat zur Wahrung seiner Verhandlungsposition nicht Stellung.“ Gegenüber der MOPO hatte die Finanzbehörde mitgeteilt: „Nach Beendigung des Accelerator-Projekts haben NMA und die Finanzbehörde Gespräche aufgenommen, wie mit einer möglichen Kostenerstattung umzugehen ist.“
Angeblich soll NMA noch einmal eine genaue Kostenaufstellung nachliefern. Erst dann soll über die Höhe der Entschädigung entschieden werden. Anspruch auf die Zahlung hat NMA nicht. Es gab keinen juristischen Vorvertrag.
Die Senatsantwort auf die Linken-Anfrage bestätigt auch, dass Senator Dressel in der Haushaltsausschusssitzung am 11. Januar 2022 unvollständige Angaben hinsichtlich der Chronologie der Ereignisse gemacht hat (die MOPO berichtete). So gab es bereits im Juni 2020 ein erstes Informationsgespräch zwischen der Finanzbehörde und der Firma NMA, ein weiteres Ende Juli – und nicht erst im Herbst, wie es der Senator dargestellt hatte.
Dass NMA dadurch möglicherweise zu einem sehr frühen Zeitpunkt erheblichen Einfluss auf das Vergabeverfahren genommen haben könnte, sieht der Senat nicht als Problem an: „Seit Inkrafttreten der Vergabeverordnung (VgV) am 12. Juni 2016 können Unternehmen, die an der Vorbereitung eines Vergabeverfahrens mitgewirkt haben, gleichwohl am weiteren Vergabeverfahren teilnehmen“, so die Antwort.
Der Linken-Abgeordnete David Stoop sieht das anders: „Die Lumma-Vergabeaffäre ist ein Lehrstück, wie ein unsauberes und intransparentes Vergabeverfahren zum Schaden aller Beteiligten führt.“ Es sei nie darum gegangen, welchen Auftrag welche Firma bekommen sollte, „sondern nur darum, wie die Vergabe an NMA abzuwickeln ist“.
Aus Stoops Sicht sollte die Stadt keine Entschädigung an Lumma zahlen: „Ohne Vertrag und ohne Leistung kann es auch keine Vergütung geben“, so der Abgeordnete.
Online am: 20.03.2023
Aktualisiert am: 05.07.2023
Inhalt:
Millionendeal des Hamburger Finanzsenators mit einem Parteigenossen
- Das Making-of der Millionendeal-Enthüllung
- Die Berichte der Hamburger MORGENPOST
- Die Journalistin Nina GESSNER
Tags:
Hamburg | parliament | Selbstbedienung | Steuerzahler | Whistleblower

Auszeichnungen:
"Wächterpreis der Tagespresse" 2023