Netzwerke, Literatur

Sport als Bestandteil des täglichen Lebens

Sport ist im weitesten Sinne ein Massenphänomen. Ein Großteil der Menschen betreibt selbst Sport (Breitensport). Ein vermutlich noch größerer Anteil kümmert sich um Sport, insbesondere um den Spitzensport und die sportlichen Ereignisse vor der Haustüre: Sportseiten in den Tageszeitungen, Sport auf fast allen Kanälen im TV.

Sport ist beliebt, das Interesse daran groß. (Spitzen-)Sportler haben Charisma, sind berühmt und weithin bekannt und sind regelmäßig Gegenstand der medialen Berichterstattung. Das gilt für den Fußball wie für Tennis und erst recht für Großereignisse wie Fußballweltmeisterschaften oder Olympia.

Wettbewerbe und Siege auf solchen sportlichen Giga-Events werden schnell und automatisch gerne mit nationalen Gefühlen und Identitäten verknüpft – Sport ist daher auch hochpolitisch. Um Sport und insbesondere um die in der öffentlichen Wahrnehmung besonders attraktiven Sportarten kümmern sich daher auch die Politiker; sie sitzen in Beiräten von Verbänden oder sind lassen sich zumindest bei solchen Veranstaltungen sehen – in der ersten Reihe natürlich.

Diese hohe Akzeptanz des Sports in der breiten Bevölkerung muss von den Medien, die hohe Einschaltquoten brauchen oder gelesen werden wollen, aufgenommen werden: Sportreporter müssen daher so nah wie möglich an den Sportlern dran sein – je näher, desto besser, denn umso eher kann man über Persönliches oder schon Privates berichten und umso besser sind die Bilder, die gesendet werden können.

Sport und Medien

Mit dieser Nähe geht sehr schnell die kritische Distanz verloren, die man braucht, wenn man unabhängig und im Zweifel auch kritisch fragen, analysieren und berichten will. Dies ist eines der Grundprobleme der Sportberichterstattung in den Medien.

Die enge Verflechtung der Politik mit dem Sport (oder auch umgekehrt) ist ein weiteres Problem, weil sich auch Staatsmänner und Kommunalpolitiker bevölkerungsnah und bürgerfreundlich präsentieren wollen: wer es als Politiker schafft, als Lobbyist Interessen des Sports oder von wichtigen Verbänden voranzubringen oder gar sportlichen Großereignissen den Weg bereiten kann, dem ist die breite Anerkennung sicher.

Weil Politik und Staat auch über (viel) Geld entscheiden und sich solche Gelder massenwirksam – im Zweifel wahlwirksam – für die politischen Geldgeber auszahlen (können), ist auch das Interesse des Sport ans der Politik sehr groß. Sport ist längst ein eigener Wirtschaftszweig geworden, nicht nur was die Finanzierung des Fußballs anbelangt. Sport ist ein ökonomisches, aber auch politisches Geschäft. Die vielen Skandale um Olympiabewerbungen, die unendlichen Korruptionsaffären auf der obersten IOC-Ebene oder ganz unten beim Fußball (Schiedsrichteraffäre) sind zwangsläufiges Ergebnis solcher Interessenidentitäten, wenn sie nicht transparent sind.

Transparenz herzustellen ist aber genau die „öffentliche Aufgabe“ der Medien. Sie funktioniert, wie wir inzwischen wissen und wie das auch Medienwissenschaftler regelmäßig konstatieren, im Sport nicht wirklich – aus den hier skizzierten Gründen. Kommt hinzu, dass Journalisten, die ‚kritisch’, d.h. mit einer gewissen notwendigen Distanz zu ihren Sportlern oder Sportmanagern über Sportler und Sportmanager schreiben oder senden, unter den eigenen Journalistenkollegen als Außenseiter, manchmal sogar als Nestbeschmutzer gelten – mit „Hurra“ oder einem sehr persönlichen Interview, das man nur bekommt, wenn man angenehme Fragen stellt, lässt sich auch innerhalb des Mediensystems mehr Anerkennung (und Geld) verdienen.

Kritische Berichterstattung

Kritische Sportjournalisten haben es daher schwer – einmal, was die Informationsbeschaffung anbelangt, zum anderen, was Sendeplätze betrifft oder Medien, in denen man schreiben und enthüllen kann. Die Sportseiten der Berliner Zeitung sind eine erfreuliche Ausnahme – sie bietet ihren Journalisten die dafür notwendigen zeitlichen und finanziellen Freiräume. Gleiches gilt für die Süddeutsche Zeitung, den Tagesspiegel, Berlin, und einige (wenige) andere. Für das Fernsehen, das sehr quotenorientiert ist, gilt dies eher nicht.

Wer auf dieser Website den Beitrag von Jens Weinreich „Sportberichterstattung: Faire Berichte?“ gelesen hat, kennt einige konkrete Beispiele und auch Namen von Journalisten, die inzwischen weltweit Ansehen genießen, weil sie sich nicht haben ‚kaufen’ lassen und deshalb sogar, wenn ein Skandal offenkundig geworden ist, als ‚Berater’ bei der politischen Aufarbeitung einer Affäre gefragt sind.

Einer der bekanntesten Enthüllungsjournalisten ist der Engländer Andrew Jennings, der Bücher schreibt, Filme dreht, für die BBC arbeitet und auch sein Wissen als Dozent an der Uni Brighton weitergibt. Viele andere machen den gleichen Job, sind aber nicht so bekannt.

Netzwerke

Um in diesem schwierigen Metier der Sportberichterstattung mit seinen spezifischen Interessen bei den Politikern, den Sportlern und jenen, die über Sport lesen und die Sport auf der Mattscheibe sehen wollen, auch Hintergründiges erfahren zu können, hat sich Ende der 90er Jahre ein internationales Netzwerk herausgebildet:

1) Sports Intelligence Units:

Diese Netzwerk, abgekürzt SIU, ist ein informelles Netzwerk von

Alle tauschen untereinander Informationen aus. Und nur auf diese Weise gelangen Informationen über Doping, Korruption und Affären innerhalb des IOC, der FiFa und der Politik ans Tageslicht.Die SIU arbeitet auf der Basis von persönlichen Kontakten. Sie ist entstanden auf einer inzwischen als Institution agierenden internationalen Konferenz, die alle Jahre stattfindet und auf der sich auch die Mitglieder des Netzwerkes Sports Intelligence Unit (SIU) treffen.Informationen über die Konferenz und die Institution, die ein Büro bei der Danish Gymnastics and Sports Associations (DGI) in Vejie, Dänemark, unterhält, finden Sie auf der Website www.playthegame.org

Der Koordinator von playthegame.org sowie der SIU ist der Däne Jens Sejer Andersen. Ihn bzw. die SIU erreichen Sie unter den email-Adressen siu(at)dgi(dot)dk und isa(at)playthegame(dot)org 

 

2) Sportnetzwerk:

Anfang des Jahres 2006 hat sich auch auf der deutschsprachigen Ebene ein neues Netzwerk gebildet, das Sportnetzwerk. Initiator ist Jens WEINREICH von der Berliner Zeitung. Mit ihm haben sich über 20 weitere Sportjournalisten aus bekannten Medien zusammengetan (FAZ, SZ, Deutschlandradio etc.), die keinen „Jubeljournalismus“ betreiben wollen und sich auch nicht als „Fans verstehen, die es über die Absperrung geschafft haben“. Vielmehr wollen sie die Realitäten des Sports und seiner Welten darstellen. Dazu gehören auch kritische Fragen und Berichte sowie investigative Recherchen.So ist z.B. für den Herbst in Berlin eine Anti-Dopingkonferenz geplant, bei der auch jene zu Wort kommen sollen, die es bisher nicht geschafft haben: die Doping-Opfer.Mehr über das neue Sportnetzwerk erfahren Sie auf dessen Homepage www.sportnetzwerk.org

Weitere Literatur zu diesem Thema

1) über Geschäft und Filz im Sport, das IOC, die Medien:

  • SIMSON, Viv/JENNINGS, Andrew (1992): Geld, Macht und Doping. Das Ende der olympischen Idee. München: Albrecht Knaus

  • JENNINGS, Andrew (1996): Das Olympia-Kartell. Die schäbige Wahrheit hinter den fünf Ringen. Reinbek: Rowohlt

  • JENNINGS, Andrew/SAMBROOK, Clare (2000): The Great Olympic Swindle. When the World Wanted its Games Back. London: Simon & Schuster

  • JENNINGS, Andrew (1996): Das Olympia-Kartell. Die schäbige Wahrheit hinter den fünf Ringen. Reinbek: Rowohlt

  • JENNINGS, Andrew (2006): "FOUL!"

  • KISTNER, Thomas/WEINREICH, Jens (1996): Muskelspiele. Ein Abgesang auf Olympia. Berlin: Rowohlt Berlin

  • KISTNER, Thomas/WEINREICH, Jens (1998): Das Milliardenspiel. Fußball, Geld und Medien. Frankfurt: Fischer Taschenbuchverlag

  • KISTNER, Thomas/WEINREICH, Jens (2000): Der olympische Sumpf. Die Machenschaften des IOC. München: Piper 

 

2) über missglückte Olympia-Bewerbungen in Deutschland und ihre Affären:

  • HARTMANN, Grit/JESKE, Cornelia/WEINREICH, Jens (2004): Operation 2012 – Leipzigs deutscher Olympiatrip. Leipzig: Forum Verlag
  • ROSE, Mathew D. (1997): Berlin – Hauptstadt von Filz und Korruption, München: Droemer Knaur, Kapitel „Ein 86-Millionen-Mark-Leichenschmaus ohne Leiche“, S. 101-124

 

3) über Korruption, die Intransparenz und die internationalen Machtstrukturen im Sport weltweit:


Dass Kritiker oder „Nestbeschmutzer“ verleumdet, kaltgestellt oder sogar kriminalisiert werden, kennt man z.B. aus totalitären Staaten. Dass Gleiches auch im Bereich des Sports geschieht, konkret in den vielfältigen Verbands- und Funktionärsstrukturen des Sportgeschehens gang und gäbe ist, darüber gibt jetzt erstmals ein Sammelband detailliert Auskunft, der sich dem Thema „Korruption im Sport. Mafiose Dribblings – Organisiertes Schweigen“ nähert.

Die Sport-Branche setzt weltweit Hunderte von Milliarden um und kassiert ebenso viel Geld aus staatlichen Töpfen – eine Branche, die „nicht konsequent über die Verwendung dieser Milliarden Auskunft geben muss; ein Wirtschaftszweig, der flankiert wird von der Politik und der sich dabei zunehmend unverfrorener nationalen und internationalen Gesetzgebungen entzieht. Das Netzwerk des Sports ist dicht verwoben, ein nahezu undurchschaubares Gewebe. Und so wurden einige jener Sportkameraden, die es als FIFA-Funktionäre, als Ehrenamtliche also, in mitunter äußerst kurzer Zeit zu märchenhaftem Reichtum gebracht haben, zu Fußball-Weltmeisterschaften wie Staatsgäste empfangen“, wie der Herausgeber des Buches, Jens WEINREICH, Sportchef bei der Berliner Zeitung, in seinem Vorwort schreibt.

Der Sammelband, in dem 23 Autoren aus 9 Ländern geschrieben haben, enthält z.T. grundsätzliche Überlegungen zum Problem „Korruption im Sport“ und, vor allem aber viele konkrete Fallbeispiele, die im Detail beschrieben und rekonstruiert sind. Die Fälle dokumentieren gleichzeitig, „dass die internationale Welt des Sports ein, milde gesagt, gespanntes Verhältnis zur Meinungsfreiheit und offenen Diskussion hat“, so Jens Sejer ANDERSEN aus Dänemark, der das internationale Netzwerk und die internationalen Konferenzen „Play the Game“ initiiert hat (Motto: „home for homeless questions in sport“). Er beschreibt in seinem Kapitel „Reaktionen einer global operierenden Bewusstseinsindustrie“.Die Vielfalt des Buches lässt sich dem Inhaltsverzeichnis und seinen unterschiedlichen Autoren entnehmen: 

  • Andrew JENNINGS: The author-Crminal. One fascist, team of fixers and the decline of investigative journalism

  • Jens WEINREICH: Die globale Spezialdemokratie. Korruption als strukturelles Problem des Sportsystems

  • Herbert FISCHER-SOLMS: Die Pest des Schmierens. Ein Gespräch mit Wolfgang Schaupensteiner über Nehmen und Geben

  • Jens Sejer ANDERSEN: Play the Game. Reaktionen einer global operierenden Bewusstseinsindustrie

  • Mario GOIJMAN: Volleygate. The breathtaking story of King Rubén and Queen Malú

  • Jean Francois TANDA: Liebling Schweiz. Liberales Vereinsrecht, nachsichtige Richter, niedrige Steuern

  • Ezequiel Fernandez MOORES: Brazilian pizza. Parliamentary committees, investigating corruption ending in nothing

  • Gustavo POLI: The dribbling routine. Football and corruption have always been close in Brazil

  • Ezequiel Fernandez MOORES: The Godfather Don JULIO. The Argentine dictator behind FIFA President Joseph Blatter

  • Lasana LIBURD: The Jack Warner Production. How a humble school teacher became a multimillionaire

  • Bob MUNRO: Greed vs Good Governance. The fight for corruption-free Football in Kenya

  • Thomas KISTNER: Amigo-Kultur in Reinformat. Wie eine ominöse Deutschland AG die Fußball-WM akquirierte

  • Holger JAKOB: Außerhalb des Wettbewerbs. Die öffentliche Finanzierung von WM-Stadien und das EG-Beihilferecht

  • Jörg WINTERFELD: Operation Goldene Pfeife. In der Grauzone des globalen Geschäfts der Fußballwettmanipulationen

  • Oliver PRAGAL: Das Betrugsdreieck. Zur Bekämpfung der Strukturen von Wettmanipulationen im Fußball

  • Britta BANNENBERG/Dieter RÖSSNER: Straftat gegen den Wettbewerb. Plädoyer für den Einsatz des Strafrechts bei Dopingverstößen

  • Hans LEYENDECKER: Klebrige Nähe. Anmerkungen zur Korruption im modernen deutschen Sportjournalismus

  • Werner W. FRANKE: Olympische Lügen-Rekorde. Das Treiben korrupter Wissenschaftler

  • Hans Wilhelm GÄB: Die Überlebensfrage. Der Sport muss Korruption und Doping mehr Widerstand entgegensetzen

  • Michael REINSCH: Nicht immer gewinnt der Beste. Vom Kodex der Tagelöhner des Leistungssports

  • Barbara KLIMKE: Grüße von der Mafia. Korruption im olympischen Schieds- und Kampfrichterwesen

  • Jürgen KALWA: Vetternwirtschaft jeder Art. Der größte Skandal in der Geschichte des US-amerikanischen NOK

  • Anno HECKER: Herr der Steuereinheiten. Wie Max MOSLEY mit allen Schikanen über die Formel 1 gebietet  

    Wer sich für Hintergründe im Sportgeschehen interessiert, für den ist dieses 318-seitige Werk (18,60 €) aus dem Forum Verlag Leipzig unverzichtbar. Aus dem Autorenverzeichnis lässt sich ersehen, wer mit welcher Kompetenz etwas zu sagen hat.