Making-of: die Putzfrauenaffäre

von Thomas Fritz und Rainer Stumpf

Die Gemeinde Zell am Main ist bekannt für ihre exzentrischen Bürgermeister. Dieter Weidenhammer (SPD) hat es geschafft innerhalb weniger Jahre die hochverschuldete Gemeinde in die Zukunft zu führen. 2002 hinterließ Weidenhammer ein Gemeindevermögen von fünf Millionen Euro. Die Bürger dankten es ihm nicht. Sie wählten Franz Nagelstutz (CSU) zu seinem Nachfolger.

Seitdem kommt die Vorortgemeinde von Würzburg mit ihren 4.100 Einwohnern nicht zur Ruhe. Nagelstutz gilt als ein eifriger Bürgermeister. Ein CSU-Mann mit Ideen, ein gestandener Niederbayer, der mit dem Wahlslogan »Frühjahrsputz mit Nagelstutz« angetreten war.

Das Leben in Zell verläuft eher ruhig und spielt sich in den wenigen Geschäften des Altortes ab. Hier kennt fast jeder jeden. Und wenn die Reinigungskraft des Rathauses dabei beobachtet wird, wie sie das Privatauto des Ortsoberhauptes aussaugt und wäscht, dann spricht sich diese Neuigkeit in Windeseile herum.

Schließlich legen die Leute in Zell Wert darauf, dass ihre Steuergelder nicht unnütz ausgegeben werden. Deswegen war es für die Zeller auch ganz normal, die Rathausangestellte auf ihr Tun anzusprechen: »Warum putzt Du denn das Auto des Bürgermeisters? Das ist doch gar nicht Dein Job«, bekam sie zu hören.

Ihre Gutmütigkeit machte sie zum Ortsgespräch. Das wollte sie nicht. Sie ging zum Bürgermeister und stellte klar, dass sie das Auto wohl zum ersten und zum letzten Mal geputzt habe. Franz Nagelstutz war neu im Amt.

Unbeholfen, was Bürokratie und Verwaltung angeht. Ungeschickt agierte der gelernte Bauingenieur auch in Sachen Personalführung. Nagelstutz reagierte, so die Reinigungskraft, sauer. So sauer, dass er ihr einige Wochen später plötzlich die Arbeitszeiten änderte. Fortan sollte die »gute Fee« das Rathaus am Nachmittag putzen. Zu einer Zeit, zu der sie eigentlich gar nicht kann. Schließlich bekam die Landkreis-Redaktion der Main-Post Wind von dem Vorgang. Ein Tipp aus der Bürgerschaft.

Thomas Fritz, ein junger freier Mitarbeiter, wurde mit der Recherche betraut. Bürgermeister Nagelstutz räumte den Vorfall ein, rechtfertigte sich aber, er habe kein Dienstauto und müsse somit sein privates Auto für Dienstfahrten nutzen. Für die Nutzung seines Privatautos zu dienstlichen Zwecken bekommt Nagelstutz eine pauschale Aufwandsentschädigung, und in der ist das Reinigen des Autos inbegriffen, schrieb Fritz in der Main-Post.

Auch wenn sich die Putzfrauen-Geschichte zunächst nur nach einer witzigen Provinzposse anhörte, ist sie der Auftakt für eine längere Artikelserie über Bürgermeister Franz Nagelstutz und letztlich für eine wichtige presserechtliche Gerichtsentscheidung. Nagelstutz nämlich sah sich als das Opfer einer Hetzkampagne. Die Main-Post hätte die Putzfrauenaffäre niemals recherchieren und veröffentlichen dürfen. »Das geht niemanden etwas an«, rechtfertigte sich der beleidigte Ortschef. Schließlich sei darüber in einer nichtöffentlichen Sitzung des Gemeinderates diskutiert worden.

Und im Mitteilungsblatt der Marktgemeinde Zell schreibt der Bürgermeister von einem Vorfall, der dem Steuerzahler maximal zehn Euro gekostet habe. In Briefen an die Redaktion greifen Zeller Bürger ­ Anhänger des Bürgermeisters ­ genau diesen Punkt auf und sprechen von einer Kampagne gegen Nagelstutz, der doch gar nichts Böses getan habe.

Bürgermeister Nagelstutz stolperte unterdessen weiter. Mal verstieß er gegen die Verschwiegenheitspflicht der Bayerischen Gemeindeordnung und plauderte Geheimnisse aus, mit denen er den politischen Gegnern schaden wollte. Andere Male geriet er in die Schlagzeilen, weil die Marktgemeinde Zell verschiedene Architekten- und Bauaufträge nicht ausschrieb. Davon profitierte dann ein Mitglied des Gemeinderates, ein freiberuflicher Architekt.

Und schließlich die unendliche Geschichte mit der Putzfrau. Sie endete zunächst mit einem Vergleich vor dem Arbeitsgericht. Beide Parteien einigten sich darauf, die Arbeitszeiten so zu legen, dass die Reinigungskraft ihrer Tätigkeit weiterhin nachgehen kann. Trotzdem sorgte der Prozess vor dem Arbeitsgericht für Aufsehen. Denn das Gericht wollte weder der Presse noch der Öffentlichkeit den Verhandlungstermin bekannt geben. Begründung: Der Verhandlungstermin ­ der beiläufig gesagt öffentlich war­ stünde in den Akten. Die aber sind nichtöffentlich und deswegen dürfe der Termin auch nicht genannt werden. Nach einer Beschwerde über den Richter bei seinem Vorgesetzten, erfuhren wir den Verhandlungstermin dann doch und berichteten.

Mit dem Kompromiss vor dem Arbeitsgericht war die Putzfrauenaffäre zunächst aus den lokalen Schlagzeilen. Nagelstutz selbst sorgte jedoch im Fasching 2004 für ihre Neuauflage. Der CSU-Kommunalpolitiker ließ sich als »Franz 1« im roten Cabriolet durch den Ort kutschieren. Neben ihm stand ein Narr, verkleidet als Rathausputzfrau und rief den Zuschauern entgegen: »Ich bin die Putzfrau des Bürgermeisters.« Ab und an erwähnte die verkleidete Putzfrau dann auch den richtigen Namen der Rathausangestellten. Und der Chef stand daneben und ließ alles zu. Damit verletzte Nagelstutz jedoch die Persönlichkeitsrechte seiner Mitarbeiterin.

Erbost stellte der Ehemann der Reinigungskraft Nagelstutz am Aschermittwoch zur Rede. Das Ortsoberhaupt zeigte den Ehemann wegen Hausfriedensbruch und Beleidigung an. Gleichzeitig bekam auch Nagelstutz eine Anzeige von der Reinigungskraft. Die Situation eskalierte soweit, dass der Ehemann der Putzfrau einen Strafbefehl über 1.800 Euro bekam. Dagegen legte er Widerspruch ein. Alles sah danach aus, als ob die Affäre erneut vor das Gericht kommen würde. Schließlich wurden beide Verfahren eingestellt. Doch jede der Veröffentlichungen zu dieser Provinz-Posse stieß auf Kritik bei den Bürgermeister-Anhängern. Sie reagierten verwundert und erbost. Im Fasching sei doch alles erlaubt, meinten sie.

Zunehmend geriet die Berichterstattung über das Geschehen in der Marktgemeinde Zell in Kritik. Wir stärkten in der Redaktion Thomas Fritz den Rücken, verfassten Kommentare und kümmerten uns um Beschwerden. Auch der stellvertretende Chefredakteur Anton Sahlender schilderte in einem ausführlichen Editorial die Situation in Zell am Main. Er verwies unter anderem darauf, dass Journalisten, die Bundeskanzler Gerhard Schröder kritisieren, auch nicht die Bundesrepublik Deutschland in Verruf bringen. Jenen, die sich über den Schreibstil beschwerten und das Abo kündigten, bot Sahlender ein Gespräch mit der Redaktion an oder eine Teilnahme an der großen Redaktionskonferenz. Ein Angebot, das niemand aus Zell annahm.

Mittlerweile kommunizieren wir mit Bürgermeister Nagelstutz bevorzugt in Schriftform, bei Telefonaten ruft er Mitarbeiter hinzu, die das Gespräch bezeugen sollen. Auch bei Begegnungen im Rathaus, beispielsweise um Dokumente abzuholen, sind immer Zeugen anwesend. Zweimal wies Nagelstutz auch den Kollegen Fritz darauf hin, dass er als Bürgermeister über das Hausrecht verfüge. Auf diese kalte Art versuchte der Bürgermeister, die Berichterstattung zu beeinflussen oder gar zu verhindern.

Verhindern wollte Nagelstutz auch, dass wir über Personaleinstellungen während seiner Amtszeit berichten. So weigerte er sich, die schriftlichen Anfragen zu seiner Personalpolitik zu beantworten. Ausgehend von den geschilderten Vorgeschichten und unbestätigten Vermutungen Zeller Bürger, stand der Vorwurf im Raum, der Bürgermeister hätte Bekannten und befreundeten Personen Jobs im Rathaus verschafft. Fakt war, dass er nicht alle Stellen öffentlich ausgeschrieben hatte. Und immerhin: Es wurde auch die Frau eines Gemeinderates eingestellt, ohne dass sich andere Zeller Bürger bewerben konnten. »Vetternwirtschaft«, lautete der Vorwurf der Opposition. Thomas Fritz wollte mehr wissen und fragte beim Bürgermeister nach. Die Einstellungen, so argumentierte das Oberhaupt, waren Gegenstand einer nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung und darüber dürfe er keine Auskunft geben.

Damit gaben wir uns nicht zufrieden. Ohne große Diskussion über eventuelle Konsequenzen entschied sich die Chefredaktion der Main-Post, den Bürgermeister per einstweiliger Verfügung zur Auskunft zu verpflichten. Ein Fall, der sicherlich nicht alltäglich ist. Doch nach all den Vorgeschichten und gerade, weil Nagelstutz schon vorher öfter schriftlichen ­ für ihn unangenehmen Fragen ­ ausgewichen war, wollten wir ein Zeichen setzen. Main-Post-Anwalt Dr. Johannes Weberling aus Berlin hatte keinen Zweifel daran, dass wir vor dem Verwaltungsgericht Würzburg Recht bekommen.

Ein großer Vorteil dabei war der Schriftverkehr. Wir hatten all die Fragen an den Bürgermeister schriftlich formuliert und aufbewahrt. Der Bürgermeister hatte wiederum in Schriftform geantwortet. Aber das alles nutzte nichts. Das Verwaltungsgericht Würzburg lehnte am 3. Juni 2004 die Beschwerde ab. Bürgermeister Nagelstutz bekam Recht, weil die Würzburger Richter die Meinung vertraten, die Geheimhaltungspflicht der Bayerischen Gemeindeordnung stünde vor dem Auskunftsrecht der Presse. Ein Schock. Damit hatte niemand in der Redaktion gerechnet. Nagelstutz feierte seinen Triumph. Er stellte sich als Sieger dar, wurde von Gemeinderäten bejubelt und nutzte das Mitteilungsblatt der Marktgemeinde dazu, seinen Sieg auszukosten und berichtete über den »Fall Fritz«.

Im Hause Main-Post herrschte indes Einigkeit. Chefredakteur Michael Reinhard reagierte gelassen: »Dann gewinnen wir eben in zweiter Instanz.« Währenddessen wollten wir über den »Fall Franz 1« in der Berichterstattung Zurückhaltung üben. Nagelstutz jedoch hetzte im Mitteilungsblatt der Marktgemeinde weiter. So schrieb er an seine Bürger, dass er auf keinem Fall Steuerbescheide und vertrauliche Daten der Zeller an die Presse weiter geben werde. Derartige Unterlagen hatten aber weder Redaktionskollegen noch Thomas Fritz von ihm je erbeten.

Schließlich bekam selbst der Bayerische Journalistenverband die Eskalation in Markt Zell mit und warf Nagelstutz vor, dass gemeindliche Mitteilungsblatt zu missbrauchen, um seine Bürger zu manipulieren. Auch der Bayerische Rundfunk in München berichtete zweimal über die Vorgänge in Zell. Einer der Autoren bekam auch prompt Ärger mit Franz Nagelstutz, der versucht hatte, über den Rundfunkrat Druck auszuüben.
Bürgermeister Nagelstutz forderte indessen von der Main-Post-Chefredaktion, Thomas Fritz nicht mehr als Berichterstatter für Zell einzusetzen ­ zumindest solange, bis der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in München über seine Beschwerde entschieden habe. Die Chefredaktion reagierte deutlich: Nein, Fritz bleibt.

Schließlich, so schrieb die Chefredaktion an den Bürgermeister, fordere sie ja auch nicht, dass er ­ solange der Bayerische Verwaltungsgerichtshof über die Beschwerde entscheidet ­ sein Amt ruhen lassen solle.

Große Freude herrschte im Hause Main-Post dann am 13. August 2004. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in München – das höchste Verwaltungsgericht in Bayern – hob das Urteil der Würzburger Richter auf, gab der Beschwerde statt und urteilte neu: Das Urteil und dessen Bedeutung für die Pressefreiheit können Sie unter „Urteil, die Konsequenzen“ nachlesen.

Der Urteilsspruch besagt: Der Bürgermeister muss über seine Personalpolitik Auskunft geben. Nur zu einem Punkt ­ wir wollten wissen, welche Begründungen der Auswahl der Mitarbeiter zu Grunde lagen ­ darf der Bürgermeister schweigen. Denn derartige Auskünfte könnten nach Ansicht der obersten bayerischen Verwaltungsrichter in das Persönlichkeitsrecht der Bewerber eingreifen.

Dafür musste der Bürgermeister nun sagen, wer eingestellt wurde, wie viele Bewerbungen jeweils eingingen und welche Aufgaben die neu eingestellten Mitarbeiter haben.

Mittlerweile versucht Bürgermeister Nagelstutz die Main-Post-Mitarbeiter mit Unterlassungserklärungen mundtot zu machen. Er gibt auf spezifische Fragen Auskunft, bestreitet dann allerdings, das so gesagt zu haben. Für die gerichtliche Auseinandersetzung wählt er keine Würzburger Anwälte und Richter mehr, sondern bevorzugt, alles über das Münchner Landgericht auszutragen. Der Fall Nagelstutz geht also weiter.