Die Berichte der Frankfurter Rundschau, 28.11.2007

von Jörg SCHINDLER

Für die Kinder der Welt – aber nicht nur

Im Spendenshop von Unicef kostet ein Moskitonetz sechs Euro. Auch für Einwegspritzen und Malaria-Tabletten verlangt das Kinderhilfswerk nicht die Welt. Für ein ganzes Nothilfepaket müssen Spender 50 Euro zahlen – mit etwas Glück kann ein Kind damit überleben. Jeder noch so kleine Betrag sei willkommen, heißt es auf der Internetseite von Unicef. "Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass jedes Kind ohne Hunger und Krankheit aufwachsen kann."

Das ist schön gesagt. Es gibt jedoch Hinweise, dass das Geld der Gutwilligen in den letzten Jahren auch noch für ganz andere Aufgaben genutzt wurde.

Ende Mai 2007 geht im Kieler Büro der Unicef-Vorsitzenden Heide Simonis ein anonymes Schreiben ein. In der Kölner Bundesgeschäftsstelle, heißt es darin, "werden in letzter Zeit Gelder in seltsamer Höhe ausgegeben". Auf dubiose Weise würden an so genannte Berater "wahre Geldgeschenke" verteilt. In der Zentrale finde zudem ein "für viele nicht nachvollziehbarer Umbau" statt, dessen Kosten "den guten moralischen Geschmack weit übersteigen", so der unbekannte Absender. Verantwortlich für die seltsamen Machenschaften sei der langjährige Geschäftsführer Dietrich Garlichs, der im Hause Angst und Schrecken verbreite. Alle Hoffnung ruhe daher auf der "lieben Frau Simonis".

Die reagiert sofort. "Im ersten Moment habe ich gedacht, das ist eine frustrierte Seele", sagt Simonis heute. Die in dem Brief genannten Namen und Summen geben ihr jedoch zu denken. Einen Tag später alarmiert die seit zwei Jahren amtierende Unicef-Vorsitzende daher den geschäftsführenden Vorstand und regt eine Sondersitzung an. Zur Vorbereitung des Treffens am 18. Juni bittet der Vorstand Verwaltungschef Manfred Boos um die Zusendung relevanter Unterlagen. Und was Boos den Unicef-Spitzen wenig später auftischt, lässt nicht nur Simonis den Atem stocken.

Aus den Unterlagen, die der Frankfurter Rundschau vorliegen, lässt sich, vorsichtig formuliert, ein überaus großzügiger Umgang von Unicef mit dem Geld von Spendern ablesen. So leistet sich das Kinderhilfswerk etwa seit August 2005 einen "freien Mitarbeiter", der zeitweise mindestens 16 000 Euro monatlich verdiente.

Bei dem Mitarbeiter handelt es sich um den früheren Bereichsleiter Mittelbeschaffung bei Unicef, Ulrich Z., der unmittelbar nach seiner Pensionierung mit verschiedenen Projekten beauftragt wurde. Der vereinbarte Tagessatz: zunächst 850, später 700 Euro. Allein bis Mai 2007 verdiente der viel beschäftigte Rentner auf diese Weise läppische 260 000 Euro. Plus Umsatzsteuer. "Dafür", sagt ein Unicef-Mitarbeiter, "hätte man mehrere Leute fest anstellen können."

Aber auch seither mochte Geschäftsführer Garlichs nicht auf die Dienste des "hervorragenden Mannes" verzichten: Z. ist von ihm persönlich damit beauftragt worden, den Umbau der Kölner Zentrale zu koordinieren. Der dauert bis heute an und brachte dem vielseitig einsetzbaren Mitarbeiter seit Juni weitere rund 20 000 Euro ein. Z., behauptet Garlichs, habe "viel Erfahrung in solchen Dingen". Der Grund: Er habe, vor 16 Jahren, schon einmal einen Unicef-Umzug beaufsichtigt. Z.s fürstliches Gesamthonorar von annähernd 300 000 Euro stritt Garlichs am Dienstag gegenüber der FR glattweg ab. "Das ist Unsinn." Merkwürdig: Boos‘ Unterlagen sind in diesem Punkt eindeutig. Einen schriftlichen Vertrag mit Z., sagt Simonis, habe bislang allerdings noch kein Vorstandsmitglied gesehen.

"Das alles fällt mir schwer zu erklären. Ich kann bis heute nicht sagen, woher dieses Geld fließt."

Es ist längst nicht die einzige seltsame Investition des Kinderhilfswerks, das sich ausschließlich durch private Spenden finanziert. Ausweislich der Unterlagen, die dem geschäftsführenden Unicef-Vorstand vorgelegt wurden, ist auch der Umbau der Kölner Zentrale nie offiziell beschlossen worden. In den Vorstandsprotokollen findet sich lediglich eine Notiz aus dem Jahr 2005: Damals trug Garlichs die Idee vor, die im Haus liegenden Räume eines Masseurs zu kündigen, um "einige zusätzliche Büros und einen größeren Besprechungsraum" zu schaffen. Von einer vollständigen Renovierung der Geschäftsstelle oder gar einer Abstimmung darüber ist in den Unterlagen keine Rede.

Garlichs behauptete am Dienstag: "Natürlich gab es dazu einen Vorstandsbeschluss." Simonis dagegen sagt: "Wir waren nicht informiert." Eine Vorlage oder eine Beschlussfassung existierten ihres Wissens nach nicht. Gleichwohl rückten Ende 2006 die Bauarbeiter an, um mal eben das gesamte Haus auf Vordermann zu bringen. Veranschlagte Kosten bislang: 963 500 Euro – das satte Honorar von Ulrich Z. noch nicht mitgerechnet.

Spendabel zeigte sich die Geschäftsführung auch im Fall eines weiteren freien Mitarbeiters: Victor L. Auch er arbeitete bis Februar 2004 im Bereich Mittelbeschaffung – also genau dort, wo auch "Berater" Z. tätig war. L.s Zeitvertrag wurde seinerzeit nicht verlängert. Dafür wurde er anschließend sogleich beauftragt, auf Honorarbasis "verschiedene Projekte" zu betreuen. Für den Mann rechnete sich das durchaus: Bis Mai 2007 erhielt er 191 500 Euro – Geld, das direkt von Spendern stammt. Umgerechnet sind das gut 30 000 Moskitonetze.
Was Mitarbeiter von Unicef besonders empört: L. bekam zunächst zwölf Prozent des gesamten Spendeneinkommens zugesichert, das er aufzutreiben half. So sackte er etwa von den 1,5 Millionen Euro, die Unicefs Städtepartner Heilbronn 2005/6 sammelte, ein Honorar ein, das vermutlich nicht mal der dortige Bürgermeister erhält. "Wie", fragt ein Mitarbeiter, "kann man so etwas eigentlich noch rechtfertigen?" Vor allem vor den 8000 Ehrenamtlichen Unicef-Helfern, die sich auch in diesem Advent wieder für wenige Euro Spenden die Beine in den Bauch stehen.

Fragen, die auch die Unicef-Spitze in der Sondersitzung am 18. Juni von Geschäftsführer Garlichs ursprünglich beantwortet haben wollte. Der 60-Jährige aber ließ sich auf solche Diskussionen gar nicht erst ein, sondern wies sämtliche Vorwürfe in Bausch und Bogen zurück. Sein gesamtes Vorgehen, behauptet Garlichs, sei durch seinen Vertrag und die Unicef-Satzung gedeckt. In der freilich steht auch, dass niemand "durch unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigt" werden darf und dass der Haushalt vom Vorstand abzusegnen ist. Der Millionenumbau und die üppigen Beraterverträge allerdings tauchen nach bisheriger Aktenlage nirgendwo im Unicef-Haushalt für 2007 auf.

Der Vorstand war alarmiert. Aber er entlastete den Geschäftsführer trotzdem

Gleichwohl gelang es Garlichs offenbar, Simonis und die anderen Mitglieder des geschäftsführenden Vorstands mit seinem Auftreten einzuschüchtern: Ende Juni jedenfalls entlasteten sie den Geschäftsführer – mit der butterweichen Auflage, dass dergleichen künftig nicht mehr vorkommen dürfe. Simonis sagt dazu heute: "Mir blieb nichts anderes übrig." Garlichs habe sich auf seinen Vertrag berufen, "der die Satzung des Vereins sozusagen aushebelt". Dagegen sei der Vorstand machtlos gewesen. Moralisch freilich sei der gesamte Vorgang sicher fragwürdig, sagt die ehemalige Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein. "Die Außenwirkung wird nicht schön sein."

Die Innenwirkung ist es auch nicht. Immer lauter werden in Köln die Stimmen derer, die Garlichs Gebaren nun nicht mehr schweigend erdulden mögen. In einem Brief an die FR schreibt eine Mitarbeiterin, die Stimmung in der Geschäftsstelle sei "desaströs". Garlichs, seit 18 Jahren quasi Alleinherrscher von Unicef, kenne "keine Skrupel", verhalte sich zu seinen Mitarbeitern "zutiefst beleidigend" und trickse, "wo er nur kann". "Die Luft in Köln ist eisig", sagt auch Simonis. Der Chef aber will davon nichts wissen: Sämtliche Vorwürfe seien "absoluter Quatsch", sagte Garlichs der FR. "Wir gehen hier wirklich vorsichtig mit Geld und Ressourcen um." Die Fakten sprechen eine andere Sprache.

Inzwischen rechnet man in Vorstandskreisen damit, dass noch weitere dubiose Geldgeschäfte ruchbar werden könnten. Bislang, sagt einer, wisse man ja nur, wie viel Geld Garlichs in den vergangenen drei Jahren großzügig ausgegeben habe. Die restlichen 15 Jahre seiner Amtszeit habe man sich noch gar nicht angeschaut. "Ich fürchte, dass da noch eine Menge Leichen im Keller sind."