Die Berichte der Frankfurter Rundschau, 30.11.2007

von Jörg SCHINDLER

"Ich lüge nicht"

Frau Simonis, sind bei Unicef Millionenbeträge verschwendet worden?
Unicef hat seit Jahren einen hervorragenden Ruf als Beschützer der Kinder im In- und Ausland. Deswegen sind solche Vorwürfe wirklich eine ernstzunehmende Beunruhigung für alle Mitglieder. Ich habe deswegen um eine Sondersitzung des Vorstands am kommenden Samstag gebeten. Ich möchte zudem, dass es noch einmal zu einer Sonderprüfung durch externe Wirtschaftsprüfer kommt. Und ich habe unseren Geschäftsführer Herrn Garlichs gebeten, bis zur Klärung aller Fragen seine Tätigkeit ruhen zu lassen.
Haben Sie Zweifel daran, dass die Vorwürfe stimmen?
Was ich weiß, ist, dass im Vorstand die Fakten, die ich erst durch einen anonymen Brief erfahren habe, vorher nicht diskutiert wurden – bis auf die eine Frage, nämlich ob es eine Erweiterung der Büroräumlichkeiten im Erdgeschoss der Kölner Zentrale geben soll. Das wurde im November 2005 diskutiert. Dass daraus dann die Komplettrenovierung des gesamten Hauses wurde und welche Kosten entstehen, darüber wurde nie gesprochen.
Können Sie die Honorare in sechsstelliger Höhe für "freie Mitarbeiter" bestätigen?
Das stimmt im Wesentlichen. Konkret kann ich es Ihnen aber nicht sagen, weil wir zum Teil keine Unterlagen bekommen haben. Ich kann die Summen auch im Haushaltsplan nirgendwo identifizieren.
Nirgendwo?
Ich kann sie jedenfalls nicht finden. Das war ja von Anfang an mein Problem. Sonst hätte ich ja nachgefragt.
Herr Garlichs sagt, der Vorstand sei "im Detail" informiert gewesen. Sie sagen: "Wir waren nicht informiert." Wer lügt?
Also ich lüge nicht. Ob andere lügen, das müssen die Sonderprüfungen und Sondersitzungen zeigen.
Warum hat der Vorstand Herrn Garlichs noch entlastet, nachdem er von üppigen Beraterhonoraren und dem wahren Ausmaß des Umbaus erfahren hatte?
Weil er, so hat das jedenfalls der Schatzmeister erklärt, seine Aufgaben so wahrgenommen habe, wie das in seinem Anstellungsvertrag erlaubt wurde. Das bedeutet, er konnte mehr tun als andere und andere Verträge abschließen als andere. Da der Schatzmeister den Vertrag 1989 mit ihm ausgehandelt hat, haben wir ihm dies geglaubt. Im Übrigen hatte unsere Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ein Testat erteilt.
Bedauern Sie im Nachhinein, dass Sie den Vorwürfen nicht noch akribischer nachgegangen sind?
Wenn die Vorwürfe stimmen, dann bedauere ich das sehr wohl.
Ist es nicht merkwürdig, dass der Geschäftsführer eines gemeinnützigen Vereins offenbar freihändig über Millionenbeträge verfügen kann?
Der Schatzmeister berichtete, dass der Geschäftsführer von Unicef seit 1989 Sondermöglichkeiten hat, die in seinem Anstellungsvertrag festgelegt sind. Der damalige Vorstand war offensichtlich der Meinung, das so unterschreiben zu können.
Ist das nicht eine Einladung zum Missbrauch?
Wenn der Vorstand regelmäßig informiert würde, wäre es das wohl nicht.
Warum hat man dem Geschäftsführer eine solche Machtposition zuerkannt?
Herr Garlichs hatte hervorragende Beurteilungen, er hatte gute Zeugnisse, er hatte gute berufliche Erfahrungen. Und er schien der richtige Mann zu sein, um bei Unicef moderne Zeiten anbrechen zu lassen und ein Unternehmen zu formen, das sich einerseits auf dem Spendenmarkt behaupten kann, andererseits dabei nicht seine Seele verliert.
Ist er noch der richtige Mann?
Das müssen die Sondersitzungen und Sondergutachten klären. Wenn alles, wie er sagt, seine Ordnung hat, kriegt er ja seine Testate.
Kann es danach einfach so weitergehen?
Nein. Für mich ist klar, dass es künftig neue Spielregeln geben muss. Die Spielregeln bedeuten: Information des Vorstandes – wenn das gewesen wäre, dann hätten wir jetzt nicht diesen Ärger. Außerdem brauchen wir eine andere Form der Verbuchung und des Haushaltsentwurfs, damit jeder jederzeit nachprüfen kann, wo Geld verplant und geblieben ist.
Wie wollen Sie den Imageschaden für Unicef beheben?
Ich kann da nur werben und sagen: Die Mitarbeiter von Unicef, die Ehrenamtlichen, die sich krumm laufen und Ideen entwickeln, die geben sich die größte Mühe, dass die Kosten so klein wie möglich gehalten werden. Sie versuchen alles, damit die Spenden da ankommen, wo sie gebraucht werden. Nämlich bei den Kindern in der Dritten Welt. Ich bin überzeugt davon, wir kriegen das in den Griff.
Glauben Sie, das ganze Ausmaß der Affäre ist schon bekannt?
Das ist eine Frage, die die Geschäftsleitung beantworten müsste. Die sollte jetzt alles, was noch kommen könnte, auf den Tisch legen.


Zur Person

Heide Simonis ist seit zwei Jahren Vorsitzende der deutschen Unicef-Sektion. Die SPD-Politikerin war bis 2005 Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein. Nach dem Skandal bei Unicef müsse es neue Spielregeln geben, sagt Simonis. "Die Spielregeln bedeuten: Information des Vorstandes." Sie forderte am Donnerstag Geschäftsführer Dietrich Garlichs auf, sein Amt ruhen zu lassen, bis alle Vorwürfe und Fragen geklärt seinen.