Die Berichte der Frankfurter Rundschau, 06.02.2008

von Matthias THIEME

Sturm der Kritik trifft Unicef hart

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dringt auf eine schnelle Aufklärung der Vorwürfe gegen Unicef. "Wenn es Diskussionen gibt, dann sind alle Beteiligten aufgerufen, diese Vorwürfe aufzuklären, damit der Ruf von Unicef in Deutschland keinen Schaden nimmt", sagte Regierungssprecher Thomas Steg am Dienstag. Merkel habe die Diskussion in der deutschen Sektion sehr genau verfolgt und wisse, wie sensibel solche Debatten seien.

Unicef Deutschland will heute in einer Pressekonferenz in Berlin zu den Vorwürfen Stellung nehmen. Daran wird auch Geschäftsführer Dietrich Garlichs teilnehmen. Garlichs hat Fehler eingeräumt, einen Rücktritt bislang aber abgelehnt. "Ich bin mit voller Kraft dabei, zusammen mit dem neuen Vorsitzenden und vielen anderen, die sich engagieren, Unicef aus dieser Krise herauszuführen", sagte Garlichs am Dienstag im WDR.
Die ehemalige Unicef-Vorsitzende Heide Simonis hat nach FR-Informationen ihre Rücktritts-Erklärung mit den detaillierten Vorwürfen gegen Unicef Deutschland auch an die Direktorin der Unicef-Weltorganisation, Ann Venemann, nach New York geschickt. Dort hieß es, das Schreiben müsse noch übersetzt werden. Deshalb könne man noch keine Stellungnahme abgeben. Die Europa-Zentrale von Unicef in Genf verlangt volle Aufklärung: "Wir erlauben nicht das geringste Fehlverhalten, wir haben null Toleranz", sagte Unicef-Sprecherin Veronique Taveau. "Wenn unsere Reputation wie auch immer beschädigt wird, ist das problematisch", so Taveau. Sie warnte, dass die freiwilligen Helfer sich in Deutschland von Unicef abwenden könnten. Man sei "sehr besorgt über die ganze Affäre", sagte auch Michael Klaus, Chef der Genfer Kommunikationsabteilung. "Jetzt in dieser Krisensituation werden wir gefragt: Mensch, warum greift ihr denn nicht ein?" Doch Unicef Deutschland in Köln sei ein Verein nach deutschem Recht.

Die frühere Geschäftsführerin von Unicef Deutschland, Katharina Schippers, fordert ihren Nachfolger Garlichs auf, sein Amt niederzulegen. "Einen wahrhaften, ehrlichen Neuanfang bei Unicef Deutschland kann es nur geben, wenn Vorstand und Geschäftsführung geschlossen zurücktreten", so Schippers in einem Schreiben an Simonis (siehe Wortlaut).

Die Staatsanwaltschaft Köln äußerte sich am Samstag gegenüber der Kölner Zeitung Express zum Stand des Ermittlungsverfahrens gegen Garlichs. So sollen laut Oberstaatsanwalt Günther Feld fünfstellige Provisionen gezahlt worden sein. In einem Fall sei "eine Gegenleistung nicht ersichtlich", zitiert die Zeitung den Oberstaatsanwalt. Gegenüber der FR wollte sich die Staatsanwaltschaft am Dienstag dazu nicht äußern. Nach FR-Informationen könnte Geschäftsführer Garlichs vor allem eine Provision Probleme bereiten, die ein Unicef-Berater für eine Großspende der Firma Lidl bekam, obwohl er dafür keine Gegenleistung erbracht hatte.

Unicef verklagt die Frankfurter Rundschau wegen ihrer Berichterstattung heute vor dem Kölner Landgericht auf Unterlassung. Das Kinderhilfswerk will nicht mehr verbreitet sehen, dass die Prüfer der KPMG bei Unicef die intransparente, nicht nachvollziehbare Mittelverwendung kritisiert haben. Die Vorwürfe seien falsch.

Die Wirtschaftsprüfer waren mit der von Unicef verbreiteten Interpretation ihres Berichts jedoch nachweisbar "nicht einverstanden" und hatten das Kinderhilfswerk aufgefordert, "die Erklärung sofort aus dem Netz zu nehmen". Dennoch war die mit KPMG bis heute nicht abgestimmte Erklärung am Dienstag weiter auf der Unicef-Internetseite zu lesen. Derartige Täuschungen der Unicef-Zentrale in Köln sorgen inzwischen auch bei prominenten Unicef-Unterstützern für Aufruhr. Schwimmerin Sandra Völker entzog der Organisation ihre Unterstützung. Nina Ruge kritisierte, es sei den Helfern an der Basis nicht zu vermitteln, dass ein Berater als Pensionär für seine Arbeit 850 Euro Honorar am Tag von Unicef kassiert.
An der Basis herrscht Wut. Aus dem KPMG-Bericht "ergeben sich aus unserer Sicht jahrelange, nachhaltige Verstöße gegen die internen Ordnungs- und Kontrollvorschriften", schreibt die Leiterin der Arbeitsgruppe Essen in einem offenen Brief. "Herr Garlichs, Sie haben Unicef-Deutschland großen Schaden zugefügt", so Sabine Gesinn. Garlichs solle "sofort zurücktreten".