Die Berichte der Frankfurter Rundschau, 09.07.2008

von Matthias THIEME

Viel Geld für Rechtsanwälte – wenig für Afrika

Heute Abend soll im Londoner Auktionshaus Sotheby’s ein äußerst delikates Geschäft über die Bühne gehen: Versteigert werden zehn Bilder aus einer der wertvollsten privaten Kunstsammlungen der Welt, die der 2002 verstorbene schwäbische Arzt und Millionär Gustav Rau zu Lebzeiten zusammengetragen hat. Das Problem: Um Raus Nachlass tobt seit Jahren ein erbitterter Rechtsstreit und im Moment ist noch nicht abschließend geklärt, wer die Bilder sein Eigen nennen darf.

Um die rund 600 Millionen Euro teuren Kunstwerke der Sammlung Rau prozessieren das deutsche Kinderhilfswerk Unicef sowie Schweizer Stiftungen und Privatpersonen vor dem Landgericht Konstanz seit Jahren. Der gesamte Rechtsstreit, an dem Kanzleien schon Millionen verdienten, wirft Fragen auf nach der Rolle von Unicef in diesem Pokerspiel.

Rau, der unverheiratet und kinderlos unter mysteriösen Umständen gestorben ist, war am Ende seines Lebens schwer krank und auch von Personen mit zweifelhaften Motiven umgeben. Über die Frage, ob er sein riesiges Vermögen zuletzt wirklich an Unicef Deutschland vermachen wollte, oder ob sein desolater Gesundheitszustand ausgenutzt wurde, streiten die Juristen.

Es ist ein Testaments-Prozess, wie es ihn selten gab in der Geschichte der Bundesrepublik. Mit Dutzenden Anwälten, mit horrenden Kosten, Mordverdächtigungen, politischem Druck und raffinierten juristischen Schachzügen.

Die schiere Summe, um die es hier geht, scheint bei den Beteiligten ungeheure Energie zu wecken. Dabei wollte Rau, der als Arzt Jahrzehnte im Kongo tätig war, unbestritten nur dies: Sein ganzes Geld der Entwicklungshilfe in Afrika vermachen. Fast nichts ist davon bislang im Süden angekommen. Vieles dagegen auf den Konten der Kanzleien. Immer wieder geht es um die Frage, zu welchem Zeitpunkt Gustav Rau noch geschäftsfähig war, als er seine zahlreichen widersprüchlichen Testamente aufsetzte.

Der 26. Oktober 1999 muss ein aufregender Tag gewesen sein für Dietrich Garlichs, damals Geschäftsführer von Unicef Deutschland. In Stuttgart ging es für Garlichs an diesem Tag um etwas ganz Besonderes. Den größten Erfolg seines Werbens um Testamente, vielleicht sogar den größten Coup in der Geschichte einer deutschen Hilfsorganisation: Unicef sollte zur alleinigen Erbin des riesigen Vermögens des Kunstsammlers Gustav Rau werden.

Dieser war nach einem Schlaganfall seit Jahren schwer krank, war in Monaco schon unter Vormundschaft gestellt und in der Schweiz nur wenige Tage vorher vom obersten Gericht für geschäftsunfähig erklärt worden. Rau hatte bereits drei eigene Stiftungen in der Schweiz und eine in Liechtenstein gegründet, denen er sein Vermögen schon übertragen hatte, um Hilfsprojekte in der Dritten Welt zu unterstützen.

In Deutschland hingegen standen die Zeichen günstig für Unicef. Hier war Rau von einem Amtsrichter für geschäftsfähig erklärt worden und Unicef genoss einen schier unantastbaren Ruf. Lange vor dem Spendenskandal galt die Hilfsorganisation mit ihren vielfältigen Kontakten zu Prominenz und Politik als Garant für Seriosität – und Garlichs war damals noch in uneingeschränkter Machtfülle als "alleiniger Stiftungsvorstand" und "Alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer" ihr Aushängeschild.

In den Räumen eines Stuttgarter Notars schritt man zur Tat und setzte die verhängnisvolle Urkundenrolle 551 auf, die jetzt zum Angelpunkt der Auseinandersetzung werden könnte. Damals anwesend: Ein schwer kranker Gustav Rau, der mit kaum lesbarer Krakelschrift seine Unterschrift unter den Satz setzte: "Der Erschienene (…) setzt vertraglich bindend zu seinem alleinigen und unbeschränkten Erben die Unicef-Stiftung mit dem Sitz in Köln ein."

Für Unicef steht nach dem denkwürdigen Notar-Termin und bis heute fest: Das Vermögen Raus inklusive seiner auf 600 Millionen Euro geschätzten Gemälde-Sammlung steht dem deutschen Kinderhilfswerk zu. Doch bei genauerer Betrachtung des Erbvertrages, der der FR vorliegt, stößt man auf Unstimmigkeiten.

Auf Seite vier des Vertrags beziffert Rau das Privatvermögen, das er Unicef vermachen will, auf "etwa 3 000 000 DM". Eine andere Zahl wird im Vertrag nicht genannt. Von der Absicht, eine 600 Millionen Euro teure Kunstsammlung zu vererben, steht nichts in dem Dokument. Rau vererbt sein Vermögen "ohne Berücksichtigung der Werte, die er in die von ihm errichteten Stiftungen eingebracht" hat, heißt es in dem Vertrag.

Wie war es Unicef Deutschland trotzdem möglich, Ansprüche auf die ganze Sammlung zu erheben und die Gemälde, die in der Schweiz unter Beschlag standen, nach Deutschland zu holen, obwohl der Rechtsstreit noch gar nicht endgültig entschieden war?

Wer dieser Frage nachgeht, entdeckt eine erstaunliche politische Einflussnahme von höchsten Regierungsstellen in Deutschland: "Das Auswärtige Amt hatte erheblichen Anteil an der Freisetzung des (…) Kunsteigentums" heißt es im offiziellen Bericht der Bundesregierung über "Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen" von 2002. "Das Auswärtige Amt hat durch Botschafter in Bern mehrfach (…) demarchiert", so die Bundesregierung. "Schließlich konnten die Kunstwerke im Sommer 2001 nach Deutschland überführt werden." Ob sie hier bleiben, ist bis heute nicht geklärt. Nahe bei Unicef in Köln liegt der Schatz nun im Lager der Kunstspedition Hasenkamp. Der gerichtlich eingesetzte Nachlasspfleger Ernst Haug kontrolliert von Konstanz aus die Sammlung, er will heute zur Deckung von Kosten zehn Gemälde versteigern lassen. Die heute zur Versteigerung stehenden Bilder seien "zum jetzigen Zeitpunkt nicht Eigentum von Unicef", so das Hilfswerk. Man gehe davon aus, dass Raus restliches Vermögen nach Abschluss des Verfahrens "in den Besitz der Unicef-Stiftung übergeht". Die Aufwendungen für den Rechtsstreit würden "aus dem laufenden Etat der Unicef-Stiftung" beglichen.

Nachdem in London der Hammer gefallen ist, geht der Skandal um die Kunstsammlung Rau vor dem Landgericht Konstanz in die nächste Runde. Weiterhin werden Juristen verdienen und Hilfsprojekte warten müssen.