Die Berichte der Frankfurter Rundschau, 09.04.2008

von Jörg SCHINDLER

Viele Herzen für Kinder

Jetzt also auch noch Thomas Anders. Zur Wochenmitte spross der Barde mit der Samtstimme plötzlich aus dem Blätterwald und wird seither als weiterer Kandidat für den Unicef-Vorsitz gehandelt. Die adrettere Ex-Hälfte von Modern Talking als Retter für ein SOS funkendes Kinderhilfswerk? Vermutlich wird es nicht so kommen. Und doch zeigt die Personalie, wie schwer sich Unicef damit tut, die richtigen Leute für einen Neuanfang zu finden.

Am Donnerstag werden die rund 60 Mitglieder des deutschen Unicef-Komitees in Berlin zusammenkommen, um Wege aus der Krise zu suchen. Es ist eine illustre Runde, die sich dort in Klausur begibt: Mit von der Partie sind voraussichtlich die TV-Frauen Nina Ruge und Sabine Christiansen, Marianne Birthler von der Stasi-Unterlagenbehörde und Ex-Siemens-Chef Heinrich von Pierer, dazu etliche Politiker wie Bremens früherer Rathauschef Henning Scherf. Sie alle wollen einen Schlussstrich unter die hausgemachte Krise setzen und einen neuen Vorstand bestimmen. Einfach wird das nicht. Es wird schon wieder heftig gerangelt.

Eine gewichtige Rolle wird wohl Alexander Rittweger spielen. Der Chef von Payback, Deutschlands erfolgreichstem Rabattbetrieb, hatte schon im Februar maßgeblichen Anteil an der Kapitulation des bis dahin stur die Realität leugnenden Unicef-Vorstands. Wenn der nicht bald "personelle Konsequenzen" aus der Krise ziehe, so Rittweger damals, werde der Geldhahn zugedreht. Die Drohung wirkte: Erst gab Geschäftsführer Dietrich Garlichs als Hauptbeschuldigter auf, später auch dessen Getreuen.

Am Donnerstag nun strebt Rittweger selbst in den Vorstand. Vor allem aber rührt er die Trommel für Thomas Heilmann, den langjährigen Chef der Werbeagentur Scholz & Friends. Die Unicef-Spitze, sagt Rittweger, brauche Menschen, "die etwas von Wirtschaft und Kommunikation verstehen" – als sei die Krise nur ein PR-GAU gewesen. Dass auch der Chef der Unternehmensberatung Roland Berger für den Vorstand gehandelt wird, passt so gesehen ins Bild.

Längst nicht allen bei Unicef ist der Club der smarten Unternehmer geheuer. Nicht wenige fürchten, die "Business-Clique" könne den Laden zwar wieder in Schuss bringen – dabei aber den Gründungsgedanken von Unicef vergessen. Da gehe es nun mal um selbstlose Hilfe für notleidende Kinder. Politikerinnen wie die Grüne Ekin Deligöz und die Linke Monika Knoche wollen daher im Vorstand die Position der 8000 Ehrenamtlichen stärken. "Die bringen vielleicht nicht die Masse der Spenden", sagt Deligöz, "aber sie machen die Kultur von Unicef aus."

Als Retter werden deshalb auch andere gehandelt: Etwa Ann Kathrin Linsenhoff, Olympiasiegerin im Dressurreiten und Unicef innig verbunden. Oder die Grünen-Politikerin Anne Lütkes, die jahrelang Ministerin im Kieler Kabinett von Heide Simonis war und als Ziehtochter des Interim-Vorsitzenden Reinhard Schlagintweit gilt. Lütkes sagte der FR: "Ich kann mir gut vorstellen, dass ich künftig im Vorstand arbeite." Andere können sich vorstellen, dass sie gar Nachfolgerin von Simonis als Unicef-Vorsitzende wird. Das Gleiche galt auch für Sabine Christiansen – bis sie wegen vermeintlicher Schleichwerbung in die Schlagzeilen geriet. Noch einen Skandal kann Unicef eher nicht gebrauchen.

Noch ist alles offen. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, dass einzelne aus dem zurückgetretenen Vorstand erneut kandidieren. Es gebe da welche, sagt der scheidende Schatzmeister Peter von der Heydt, die würden gern gefragt werden. Ein Neuanfang mit alten Seilschaften? Selbst das scheint möglich. Sicher ist nur: Wohl keiner der Neuen wird ähnlich große Macht auf sich vereinen können wie der ehemalige Geschäftsführer, Vorstand und Stiftungschef Dietrich Garlichs. So viel haben inzwischen alle gelernt.