Die Berichte der Frankfurter Rundschau, 27.08.2008

von Matthias THIEME

"Was sind uns unsere Kinder wert?"

Herr Heraeus, Sie haben mal gesagt: "Sie müssen ein Unternehmen fest in der Hand halten, das ist keine demokratische Veranstaltung." Nach vier Monaten als Vorsitzender: Haben Sie Unicef in der Hand?
Was der neue Vorstand vor vier Monaten versprochen hatte, wurde alles umgesetzt. Wir haben die Satzung geändert, Vorstand und Geschäftsführung klar voneinander getrennt. Wir haben einen Wirtschafts- und Investitionsausschuss, der auch Beraterverträge genehmigen muss. Wir haben eine interne Revision, die von einer unabhängigen Prüfungsgesellschaft durchgeführt wird.

Ist es für Sie nachvollziehbar, dass es das vorher alles nicht gegeben hat?
Ja, ein Stück weit ist das schon nachvollziehbar. Schließlich gibt es auch andere kleine Unternehmen und Institutionen, die solche Regelungen nicht haben. Was ich nicht nachvollziehen kann, ist: Warum die ehemals Verantwortlichen bei Unicef – und dazu zählt sowohl die Geschäftsführung als auch der Vorstand – nicht genauer auf Strukturen geschaut haben.

Ist die Aufarbeitung der Vergangenheit aus Ihrer Sicht abgeschlossen?
Ja, die ist abgeschlossen. Wir haben alles geprüft, was geprüft werden konnte. Sicher wurden viele Fehler gemacht, aber es hat niemand in die Kasse gegriffen. Das ist bewiesen! Auch viele weitere Anschuldigungen, die erhoben wurden, haben sich im Nachhinein als unhaltbar erwiesen. Aber lassen Sie uns nach vorne schauen.

Eine der wichtigsten ersten Maßnahmen, mit denen Sie die Arbeit von Unicef transparenter machen wollten, war die Veröffentlichung eines viel detaillierteren Geschäftsberichts. Es werden nun Gehälter von Bereichsleitern, Referenten, sogar Sekretärinnen veröffentlicht. Aber nicht die Einkünfte des Geschäftsführers. Warum nicht?
Das hätte ich haben wollen. Allerdings war der frühere Geschäftsführer nicht damit einverstanden und vertraglich auch nicht dazu verpflichtet. Deshalb konnten wir diese Zahl nicht veröffentlichen. Bei dem neuen Geschäftsführer werden wir das aber machen.

Sie haben vor vier Monaten auch angekündigt, dass es keine Provisionszahlungen mehr für Spendeneintreiber geben soll. Bleibt es dabei?
Grundsätzlich sind Provisionen ja nichts Verwerfliches und unter bestimmten Voraussetzungen vom Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen auch erlaubt. Ich habe anfangs gesagt, dass ich mir das auch bei Unicef vorstellen könnte, wenn es offen gemacht wird. Inzwischen bin ich etwas anderer Meinung. Das liegt an der Konstruktion der Organisation: Die 8000 Ehrenamtlichen kriegen ja kein Geld und geben sich trotzdem große Mühe, Spenden zu sammeln. Wenn man jetzt einen auf Provisionsbasis hinsetzt und sagt, der kriegt sieben Prozent oder maximal soundsoviel, ist das etwas problematisch. Deswegen würde ich dieses Thema im Moment nicht weiter verfolgen. Ob das auf Dauer richtig ist, weiß ich nicht. Das wird ja in großem Umfang gemacht. Die Zeiten, wo man nur auf der Straße mit der Büchse geklingelt hat, sind vorbei.

Haben Sie inzwischen das Vertrauen der ehrenamtlichen Basis zurückgewonnen?
Also, erst mal: Über 80 Prozent der Fördermitglieder sind uns auch in der Krise treu geblieben! Auch die ehrenamtlichen Helfer waren natürlich tief getroffen. Aber nur eine von über 100 Unicef-Gruppen hat sich aufgelöst. Das Vertrauen zurückzugewinnen, ist eine unserer vordringlichsten Aufgaben. Dabei stimmt mich zuversichtlich, dass es beispielsweise im Juni mehr Veranstaltungen der Arbeitsgruppen gab als im Vorjahr. Und natürlich würde ich mich freuen, wenn auch die FR in ihrem Einzugsgebiet diese Arbeit wieder positiv begleitet.

Es gibt neue Vorwürfe an Unicef, das Kinderhilfswerk führt einen Rechtsstreit um die Frage, ob es rechtmäßiger Erbe der Kunstsammlung Rau ist. Sind Sie im Einzelnen über diesen langjährigen Streit informiert?
Ja. und deshalb weiß ich auch, dass es keine "neuen Vorwürfe" gibt. Diese sind lediglich durch eine verzerrte Berichterstattung aufgetaucht. Man muss doch erst mal eines sehen: Nach allem was wir wissen, hat Herr Dr. Rau nie daran gedacht, den Urenkeln der Schwester seiner Frau sein Vermögen zu vermachen. Sein Bestreben war es, sein Vermögen Hilfsprojekten zur Unterstützung von Kindern in der Dritten Welt zukommen zu lassen. Er hat dann unterschiedliche Stiftungen gegründet, zunächst in der Schweiz, dann in Liechtenstein. 1999 kam er zu Unicef und hat uns einen Teil seiner Sammlung geschenkt. Dann kam das Erbe. Und das hat er ja gemacht, weil er gesehen hat, dass das bei Unicef in guten Händen ist. Sein Krankenhaus in Afrika mit 5000 Patienten am Tag, das sollte auf jeden Fall unterstützt werden, das war sein Wunsch. Den Streit haben die Schweizer Stiftungen und die Urenkel der Schwester von Frau Rau angefangen.

Die sich auf ärztliche Gutachten stützen, wonach Rau zum Zeitpunkt seiner Unterschrift nicht mehr geschäftsfähig war.
Das war ein Privatgutachten, das die Erben in Auftrag gegeben haben. Unicef hat nichts anderes gemacht, als seine Rechte zu verteidigen. Wenn Ihre Zeitung schreibt, dass wir das bleiben lassen sollen, kann ich nur sagen: Das kann nicht Ihr Ernst sein! Wenn ich a) eine Schenkung und b) ein Erbe habe und gebe das auf, nur weil das jemand anficht, würde ich bei einer Aktiengesellschaft der Untreue angeklagt werden.

Sie sehen sich verpflichtet, diesen Streit so zu führen?
Verpflichtet und berechtigt. Das Wichtigste ist doch, dass am Ende der Wille des Verstorbenen erfüllt wird. Wenn stattdessen irgendwelche Verwandte an das Geld kommen, die an sechster Stelle stehen, aber zu Lebzeiten nichts mit Herrn Dr. Rau und seinen Zielen zu tun hatten, dann habe ich dafür null Verständnis.

Noch mal: Sie haben keinerlei Zweifel, dass Rau noch genau wusste, was er tat?
Habe ich nicht. Das Landgericht Konstanz hat einen unabhängigen Gutachter beauftragt, alle Tatsachen und Gutachten nochmals zu überprüfen. Daraufhin wurden alle Beschwerden zurückgewiesen. Ich habe keinen Zweifel an der Neutralität. Übrigens hat sich Herr Dr. Rau Ende der 90er Jahre über seinen Anwalt an Unicef gewendet und nicht umgekehrt.

Herr Heraeus, Sie treten seit jeher für die "moralischen Werte des ehrbaren Kaufmanns" ein. Wie weit darf man moralisch gehen, um an das Geld eines Erblassers zu gelangen?
Um an das Geld eines Erblassers zu kommen, so lange er lebt, da sehe ich klare Grenzen, die Unicef einhält. Wenn das Erbe aber vermacht wurde, dann ist das ein normaler Vorgang, dafür zu streiten, dass der Wille des Erblassers erfüllt wird.

Können Sie sich einen Vergleich vorstellen?
Ich wüsste nicht, mit wem.

Mit denen, die sonst noch Ansprüche erheben.
Wenn wir sicher sein könnten, dass die das Geld in derselben Richtung verwenden, wie Dr. Rau es wollte, wäre es sicherlich unsinnig, einen Streit fortzuführen, von dem die Kinder nichts haben.

Mal angenommen, Sie gewinnen den Rechtsstreit, dann dürfen Sie die Kernsammlung, deren Wert auf weit mehr als 100 Millionen Euro geschätzt wird, nicht vor dem Jahr 2026 veräußern. Was soll so lange mit ihr geschehen?
Wir haben den Rechtsstreit gewonnen – zumindest in erster Instanz. Und mit der Sammlung werden wir so verfahren, wie Dr. Rau es wollte. Zu den Einzelheiten können wir aber erst dann etwas sagen, wenn die Vereinbarungen spruchreif sind. Bislang gibt es bloß Spekulationen.

...zum Beispiel über das Arp-Museum im rheinland-pfälzischen Remagen.
Das wird man sehen. Darüber entscheidet der neu besetzte Rat der Unicef-Stiftung.

Wofür braucht Unicef eigentlich so eine Stiftung?
Der Verein Unicef leitet ja das Geld, das rein kommt, zügig über die Zentrale in New York in die Programme weiter. Gerade bei Vermächtnissen will der spätere Erblasser aber oft, dass da etwas Dauerhaftes geschaffen wird und die Arbeit für Kinder mit den Erträgen aus seinem Vermögen über viele Jahre gefördert wird. Das ermöglichen wir über die Stiftung – so wie fast alle großen Spendenorganisationen in Deutschland.

Was bleibt noch zu tun, damit Unicef wieder ein makelloses Image bekommt?
Wir müssen konsequent unseren eingeschlagenen Weg weitergehen, transparent und gut über die wichtige Arbeit für Kinder, die Unicef macht, informieren, zum Beispiel über die Nothilfe in Myanmar. Nach dem Wirbelsturm konnte Unicef dort trotz der Blockadehaltung der Regierung sofort helfen, weil wir seit langem im Land sind und über einheimisches Personal verfügen. Heute gehen in den verwüsteten Gebieten mit Hilfe von Unicef Zigtausende Kinder wieder zur Schule. Oder jetzt in Georgien versorgt Unicef Flüchtlingsfamilien mit Trinkwasser, Notutensilien und hilft, provisorischen Schulunterricht einzurichten. Hierfür und für die langfristige Verbesserung der Lebensverhältnisse der ärmsten Kinder werben wir bei den Menschen in Deutschland um Unterstützung. Und Unicef tritt auch in Deutschland gemeinsam mit dem Kinderschutzbund und dem Kinderhilfswerk für benachteiligte Kinder ein. Denn auch hier gibt es eine Kluft zwischen den Kindern, die abgesichert, behütet, und gefördert aufwachsen, und solchen, die keine Chance haben. Hierauf hat Unicef zusammen mit der Familienministerin mit einer Studie aufmerksam gemacht. Auch wir in Deutschland müssen uns fragen: Was sind uns unsere Kinder wert?

Herr Heraeus, Sie werden in wenigen Tagen 72 Jahre alt. Ist man in dem Alter nur ein Übergangschef?
Das sehe ich nicht so. Ich bin für vier Jahre gewählt und werde das vier Jahre machen. Aber ich habe nicht die Absicht, noch mit 80 Unicef-Chef zu sein. Wer mich kennt, weiß, dass ich bislang alle meine Ämter pünktlich abgegeben habe.