Anonymus - ein Whistleblower aus der HVB-Bank, der dafür sorgte, dass ein Justizskandal zum Justizskandal werden konnte

Die Geschichte

Manchmal bleiben Recherchen und absehbare Enthüllungen stecken. Dann wenn es einfach nicht mehr weitergehen will. Dann hilft nur noch "Kommissar Zufall". Oder ein Whistleblower. So geschehen im Frühjahr 2012 beim Fall "Gustl MOLLATH". 

Dessen Schicksal hatten bisher das SWR-Politmagazin "Report Mainz" und die "Nürnberger Nachrichten" thematisiert: Aus einem ehelichen Rosenkrieg war eine juristische Schlammschlacht geworden, die für "Gustl" in der Psychiatrie endete. Er hatte seiner Frau regelmäßig vorgehalten, dass sie als Angestellte der HypoVereinsbank (HVB-Bank) ständig Gelder der Bankkunden in die Schweiz fuhr: als Kurier für Reiche und Prominente, die ihre Vermögen vor dem Finanzamt verstecken wollten. "Gustl" soll sie deswegen auch geschlagen haben. Glaubt jedenfalls auch der Richter in Nürnberg, der mit dem neuen Freund von Gustl's "Ex" im gleichen Sportclub trainiert.

Der Richter macht im wahrsten Sinne des Wortes "kurzen Prozess" mit Gustl und bescheinigt ihm ein "paranoides Gedankensystem", weil Gustl MOLLATH ihm erklären will, wie das mit der Steuerhinterziehung funktioniert. Und wer alles bereits seine 'Schäflein ins Trockene' gebracht hat. Statt einer Verurteilung wegen Körperverletzung sperrt ihn der Richter ein: in die Psychiatrie. Der vom Richter beauftragte Gutachter bestätigt die Entscheidung des Richters.

In der Psychiatrie schmort Gustl MOLLATH, bis er in der Illustrierten "stern" eine Geschichte von vier hessischen Steuerfahndern liest. Die wurden erst durch einen Gutachter als "paranoide Querulanten" abqualifiziert und daraufhin aus dem Staatsdienst entlassen. Sie wollten einer Dienstanweisung nicht Folge leisten, die vorsah, beim Steuerschummeln nicht mehr so genau hinzuschauen (ausführlich unter www.ansTageslicht.de/Steuerfahnder).

MOLLATH nimmt Kontakt auf und Rudolf SCHMENGER, einer der vier entlassenen Steuerfahnder, spitzt das Fernsehformat "Report Mainz" an. Dessen Redakteure kommen mit den "Nürnberger Nachrichten" ins Gespräch. Jetzt recherchieren beide, berichten auch und können eine erste öffentliche Diskussion in Gang setzen. Die verhallt - die Bayerische Justizministerin erklärt, dass hierzulande niemand eingesperrt werde, nur weil er eine Anzeige erstattat hat. Genau das hatte MOLLATH gemacht. Und die Ministerin erklärt das, was Gustl MOLLATH seinem Richter übergeben hatte als "abstruses Sammelsurium".

Dass dieses "abstruse Sammelsurium" Hand und Fuß hat, wissen inzwischen die Nürnberger Staatsanwälte. Denn die Bank selbst hatte die Veröffentlichungen ernster genommen als die Politik und eine interne Untersuchung eingeleitet. Und das Ergebnis der Staatsanwaltschaft zugeleitet. Das Ergebnis: Die Vorwürfe von Gustl MOLLATH stimmen. Die Bank entlässt mehrere Mitarbeiter. Und auch Gustl MOLLATH's "Ex".

Allerdings: Die Staatsanwälte, die wissen, dass Gustl in der Psychiatrie eingesperrt ist, erweisen sich als kalt und herzlos. Sie unternehmen nichts und so scheint das Schicksal von Gustl MOLLATH besiegelt.

Der Fall ist nur ein lokaler, allenfalls ein regionaler, sprich bayerischer Fall. Und entfaltet keinerlei Reaktion. Weder in der Justiz noch in der Politik.

Irgendein beherzter Mensch, den wir nicht kennen und deshalb als "ANONYMUS" bezeichnen, gibt sich einen Ruck. Im Gegensatz zu den Staatsanwälten oder dem fraglichen Richter, die als Vertreter von "Justitia" - eigentlich - Recht und Gesetz anwenden sollen, unternimmt er etwas. Er kann dem nicht länger zusehen, wie sich Politik, Recht und Gesetz absolut blind stellen. Bayerns Justizministerin versteigt sich sogar zu der Behauptung, dass die bankinterne Untersuchung MOLLATH's Vorwürfe genau nicht bestätigt hätten.

ANONYMUS sucht sich ein Internetcafe. Dort, wo man anonym surfen, aber auch Emails verschicken und Unterlagen mit anhängen kann.

ANONYMUS setzt eine Mail an Gustl MOLLATH's Anwältin auf und hängt den HVB-internen "Sonderrevisionsbericht" als PDF mit an. Allerdings mit vielen Schwärzungen. Er will niemanden ans Messer liefern, sondern Gustl MOLLATH helfen. Aus dem Dokument geht klipp und klar hervor, dass Gustl MOLLATH's Vorwürfe stimmen und auch das, was er in der Anzeige geschrieben hat.

Jetzt kann der Fall weitergehen und er tut es auch. Denn jetzt steigen in die Berichterstattung auch die überregionalen Medien ein: Tagesschau, Süddeutsche Zeitung und andere.

Bevor der Strafprozess gegen Gustl MOLLATH neu aufgerollt, sprich wiederholt werden muss, entscheidet das Bundesverfassungsgericht: MOLLATH muss auf der Stelle aus der Zwangspsychiatrie entlassen werden.

So kommt Gustl MOLLATH nach genau 2.717 Tagen aus der Psychiatrie wieder frei. Dank unter anderem dem Whistleblower ANONYMUS.

Die Bilanz

Folgen für die Gesellschaft:

Der Fall "Gustl Mollath" hat - mal wieder - gezeigt, wie schnell Behörden und Gerichte bei der Hand sind, sogenannte Querulanten ohne nachhaltigen Grund in die Psychiatrie einzuweisen. Und wie wenig man sich auf Staatsanwälte verlassen kann, die gerne ihre Untätigkeit mit vorgeschobenen Argumenten wie "Dienstgeheimnis" oder "Datenschutz" begründen. Dies sind Relikte einer vergangenen Zeit und haben mit einem modernen und demokratischen Staatswesen wenig gemein.

Deswegen hat dieses Beispiel dokumentiert, wie unverzichtbar couragierte Whistleblower sind.

Folgen für den Whistleblower:

Über den wissen wir nichts. Außer dass er so clever war und den entscheidenende Hinweise bzw. die entsprechende Unterlage nicht von seinem eigenen PC, sondern anonym von einem Internetcafe aus abzusetzen. Deswegen gehen wir auch davon aus, dass sein Whistleblowing ohne negativen Folgen für ihn geblieben ist.


Hinweis:

Diesen Text können Sie direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Anonymus. Ausführlich dokumentiert ist der Fall "Gustl Mollath" und was alles geschehen musste, bis MOLLATH wieder freikam, unter www.ansTageslicht.de/Mollath

(JL)

 

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