Hermann THEISEN - ein Whistleblower, der nicht aufgibt, auf illegale Waffenexporte und unbekannte Atomwaffenlager aufmerksam zu machen

Das Amtsgericht München hatte ihn noch wegen "öffentlicher Aufforderung zu Straftaten", konkret zum "Geheimnisverrat" nach § 111 des Strafgesetzbuches verurteilt - Hermann THEISEN hatte Flugblätter vor dem Gelände des Rüstungsproduzenten Krauss-Maffei-Wegmann (KMW) in München verteilt und die Beschäftigten darin aufgerufen, die Öffentlichkeit über die Hintergründe der illegalen Rüstungsexporte ihres Arbeitgebers zu informieren. Nun die Berufungsverhandlung vor dem Münchner Landgericht im Januar 2019.

THEISEN wurde freigesprochen. Der Staatsanwalt zog seinen ursprünglichen Strafantrag zurück. Ein Gesetz, das drei Monate später mit deutlicher Mehrheit den Bundestag passieren sollte, hatte seine Schatten vorausgeworfen: Das "Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen". Dort steht in § 5 klipp und klar, dass "zur Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit" oder auch "zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung" dieses Geschäftsgeheimnisgesetz nicht gilt, wenn "die Offenlegung geeignet ist, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen." Dass die Öffentlichkeit ein Recht auf solche Informationen hat, wie Hermann THEISEN sie kommuniziert,betont das Bundesverfassungsgericht seit Jahrzehnten.

Das Gerichtsverfahren in München ist nicht das erste für Hermann THEISEN. Auch nicht das zweite. Und auch nicht das dritte. Schon seit seiner Jugend ist THEISEN ein Anti-Militarist, hatte sich in der Friedensbewegung engagiert und sich in den 80er Jahren gegen den NATO-Doppelbeschluss sowie die Stationierung von Atomwaffen auf deutschem Boden gewehrt und dagegen mit Sitzblockaden demonstriert. Und dafür auch schon im Gefängnis gesessen. Das Bundesverfassungsgericht hatte erst 10 Jahre später den politisch längst antiquierten Gewaltbegriff modifiziert und "demonstrative Blockaden" als legales "Mittel zur Erzielung von Aufmerksamkeit für einen politischen Stadpunkt" erklärt, wenn dies gewaltfrei abläuft.

Genau darauf achtet Hermann THEISEN. Ihm geht es um die inhaltliche Auseinandersetzung, um die sachliche Diskussion.

Auch mit der Justiz. Um die sogenannte Judikative herauszufordern, nicht nur nach 'Schema F' pflichteifrig und ohne Nachdenken Urteile zu fällen, konkret: Flugblätter für gefährlicher zu halten als atomare Sprengkörper, zieht THEISEN regelmäßig und konsequent durch alle juristischen Instanzen. Er will Sinn und Zweck gesetzlicher Regelungen hinterfragen. Und obsiegt am Ende.

So auch mit seinen Flugblattaktionen vor der weltweit bekannten Waffenschmiede Heckler & Koch in Oberdorf am Neckar.

Gegen Heckler & Koch hatten Friedensaktivisten bereits im Jahr 2010 eine Anzeige wegen illegaler Exporte des Sturmgewehrs G3 bzw. G 36 gestellt, das das Waffenunternehmen in Länder und Regionen geliefert hatte, u.a. in mehrere Unruheprovinzen in Mexiko, wo die Polizei mit dem Schießen auf Demonstranten schnell bei der Hand war. In Stuttgart wiederum zierten sich die Staatsanwälte, gegen ein so bekanntes Unternehmen wie H & K Ermittlungen einzuleiten.

Fünf Jahre später, 2015, will Hermann THEISEN wieder Schwung in die Diskussion um Waffenexporte bringen und die Mitarbeiter des Unternehmens an ihre Verantwortung erinnern. THEISEN verteilt Flugblätter (siehe Bild) auf dem Parkplatz vor dem Betriebsgelände und ruft zum Whistleblowing auf.

Die Folgen: THEISEN kassiert ein Hausverbot und eine Strafanzeige seitens des Unternehmens - wegen öffentlichen Aufrufs zur Verletzung von Geschäftsgeheimnissen. Genau darauf hat THEISEN in seinem Flugblatt die Mitarbeiter selbst aufmerksam gemacht (siehe Flugblatt). Aber THEISEN will es wissen: Ob illegale Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse tatsächlich schützenswert sind, wie er seine Aktion erklärt?

Hermann THEISEN lässt sich nicht beirren. Er taucht eine Woche später wieder auf und verteilt erneut Flugblätter, diesesmal auf der Strasse, nicht auf dem Parkplatz, der zum Betriebsgelände von Heckler & Koch gehört.

Nun kommt die schwäbische Behördenmaschinerie in Gang:

  • Die Polizei kassiert auf Antrag des zuständigen Landratsamts Rottweil alle Flugblätter.
  • Die Stadt Oberndorf verhängt einen Bußgeldbescheid wegen angeblicher Störung des Verkehrs. Höhe: 78,50 Euro.
  • Das Polizeipräsidium Tuttlingen macht Mitteilung an THEISEN's Arbeitgeber: Er habe während einer Arbeitspause ein Fax an das Verwaltungsgericht Freiburg versandt: eine "unmittelbar drohende Gefahr für die öffentliche Sicherheit", da während dieser Minute die Funktionsfähigkeit des Krankenhauses beeinträchtigt gewesen sei.
  • Die Staatsanwaltschaft erhebt Strafantrag.
  • Der Direktor des Amtsgerichts Oberndorf erlässt einen Strafbefehl: 90 Tagessätze a 40€, zusammen 3.600 €.

Doch THEISEN wäre nicht THEISEN, würde er das akzeptieren. Denn inzwischen hat das Stuttgarter Landgericht gegen die Waffenschmiede die Anklage zugelassen. Und vier Monate später, im September 2015, gestaltet die ARD einen ganzen Themenabend im Ersten Programm: "Tödliche Exporte - Wie das G 36 nach Mexiko kam". Erst ein Spielfilm "Meister des Todes", dann die Dokumentation. Inzwischen ist das Thema Waffenexporte längst ein öffentliches Thema.

Das macht sich auch in der Gerichtsverhandlung des Amtsgerichts Oberndorf bemerkbar, vor dem THEISEN klagt. Zur Verhandlung kommt es aber erst zwei Jahre später, im September 2017. Zu einem Urteil dann am 9. April 2018. THEISEN wird freigesprochen. Und hat sich durch sein konsequentes Handeln wieder einmal durchgesetzt.

Wie auch bei seinen diversen Aufrufen und Flugblattaktionen vor dem Fliegerhorst Büchel in der Eiffel die ganzen Jahre, wo offenbar immer noch und im Gegensatz zu den offiziellen Verlautbarungen Atomwaffen des neuesten Typs "B61-12" heimlich lagern. Deren Sprengkraft: 80 Mal so stark wie die Bombe über Hiroshima.

Hermann THEISEN wird nicht aufgeben. Jetzt erst recht nicht, wo gerade das Landgericht Lüneburg am 3. Mai 2019 in zweiter Instanz ein Urteil des Amtsgericht Celle aufgehoben und ihn freigesprochen hat. THEISEN hatte vor dem Werksgelände, diesesmal von Rheinmetall, Flugblätter mit dem Aufruf zum Whistleblowing verteilt.

Die Bilanz

Folgen für die Gesellschaft:

Recht und Gesetz spiegeln immer das, was gesellschaftlich und politisch gewollt ist. Manchmal braucht die Judikative länger, bis sie reagiert. Aber sie reagiert, indem man sie herausfordert. Das hat Hermann THEISEN getan. Transparenz und Wissen um illegale Vorgänge, die gerne als "Geheimnis" deklariert werden, sind Voraussetzungen für demokratisches Mitwirken. Dazu bedarf es Whistleblower.

Folgen für den Whistleblower:

Hermann THEISEN hat sich seiner Aufgabe seit seiner Jugendzeit verschrieben. Seine Familie weiß es und akzepiert es. Den Stress mit Behörden, Staatsanwaltschaften und Gerichten nimmt er auf sich, denn er weiß, worauf er sich immer einlässt. Und er vertraut dem Rechtssystem. Das hat ihm - letztlich - fast immer Recht gegeben.


Hinweis:

Diesen Text können Sie direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Theisen.

Mehr zum Thema Waffenexporte und anderen Namen, die sich gegen illegale Geschäfte einsetzen, finden Sie unter www.ansTageslicht.de/Waffenrepublik .

(JL)

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