Die aktuelle Diskussion ums Helikoptergeld

Aktuell

Die derzeitige Situation (2016) ist durch Absurditäten gekennzeichnet:

  • Das Zinsniveau ist so niedrig wie noch nie. Für Banken, die sich neues (Bar)Geld von der Zentralbankgeld besorgen, um damit zu arbeiten, kostet Geld inzwischen nichts mehr – der Leitzins liegt bei Null. Mit den entsprechenden Folgen:

  • Sparer, die für ihr Alter vorsorgen oder das machen, was man ihnen immer geraten hat, einen Notgroschen anzulegen, werden quasi „enteignet“ – Geldanlegen auf klassische Weise (Sparbuch, Termineinlagen, Tagesgeld etc.) bringt sozusagen garnichts mehr - Preissteigerungsrate (Inflation) und Magerzins halten sich die Waage. Das Wort „Enteignung“ macht immer mehr die Runde.

  • Ökonomen, die den Zins als „Preis“ begreifen, sprich als Indikator für die Verfügbarkeit von Geld oder als Maßzahl für die Nachfrage nach Krediten oder gar als Meßlatte für potenzielle Kreditrisiken,  können einpacken – derlei Theorien sind längst widerlegt. Und ‚out‘ dazu. Die Welt des Geldes ist eine eigene. Und noch nicht sehr erforscht, wie wir inzwischen wissen.
  • Lebensversicherer, die – bisher – bei ihren Geschäftsmodellen neben einer (potenziellen) Überschussbeteiligung auch einen Garantiezins leisten mussten, wurden ganz offiziell von der Politik entlastet: sie waren gezwungen, den sog. Garantiezins drastisch abzusenken. 2016 liegt er bei nur noch 1,25%. Ab 2017 soll er weiter sinken: auf 0,9%. Der Garantiezins bestimmt, welche Rendite die Lebensversicherer ihren Kunden vertraglich versprechen dürfen.
    Lebensversicherungen abzuschließen, als langfristige Kapitalanlage, kann man vergessen.
  • Bausparkassen versuchen, mit allen Tricks und Mitteln, aus alten Bausparverträgen auszusteigen, die vergleichsweise hohe Zinsen versprachen, damit es sich für die Bausparer und späteren Bauherren lohnte, die Mindesthöhe des späteren Baudarlehens anzusparen. Jetzt kostet ein normaler Hypothekenkredit allenfalls ein Drittel eines solchen Darlehens - das Geschäftsmodell ist außer Funktion.
    Normalerweise sind Verträge „Verträge“. Doch der finanzielle Druck ist längst so groß und die ‚Rücksichtnahme‘ der Justiz darauf so ausgeprägt, dass nun der Bundesgerichtshof wird entscheiden müssen: Gilt die bundesdeutsche Rechtsordnung (Vertragsrecht) oder hat das finanzielle Wohlergehen der Bausparkassen Vorrang?
  • Aber auch bei ganz normalen Unternehmen ist die absurde Situation angekommen. Firmen, die ihren Mitarbeitern Betriebsrenten zugesagt haben oder Pensionen für das Management, müssen aus ihren versteuerten Gewinnen massiv mehr Gelder in der Bilanz unter „(Pensions)Rückstellungen“ einstellen als bisher – der interne Rechnungszins (Zins + Zinseszins), der die zugesagte Pensionssummen garantieren soll,  orientiert sich – ähnlich wie bei den Lebensversicherern – am allgemeinen Zinsniveau. Bis zu 30% haben beispielsweise die im DAX notierten Konzerne allein im ersten Halbjahr 2016 zusätzlich auf die Seite legen müssen: insgesamt runde 35 Milliarden Euro, wie das Handelsblatt recherchiert hat.

Ausnahmebereiche: Aktien und Immobilien

Das Zinsniveau pendelt um den Nullpunkt. Banken kaufen bei der EZB für Null ein. Einlagen bei der EZB werden inzwischen mit einem negativen (Straf)Zins belegt. Große Institutionen wie z.B. die Allianz AG sind gerade dabei, riesige Tresorräume aufzubauen und ihr Geld dort einzulagern.

Von dieser stagnierenden Nullentwicklung unterscheiden sich zwei andere Bereiche:

  • Der DAX hat seit der Finanzkrise 2007/2008 sein bisherig größtes Hoch erreicht - Ergebnis der Finanzkrise bzw. der staatlichen Rettungsmilliarden. Auf diesem hohen Niveau geht es nun auf den Aktienmärkten weltweit weiter: regelmäßig rauf & runter. Auch der DAX springt mal über die 10.000-Punktemarke, mal stürzt er wieder ab - „Gewinnmitnahmen“ und gezieltes Spekulieren sind die Trendsetter dieser Entwicklung. Alles ein riesiges Nullsummenspiel: Was der eine gewinnt, verliert der andere. Die Größenordnungen, die da gehandelt werden, spielen bei den beteiligten Akteuren keine Rolle – Hauptsache, man macht – irgendwann - unterm Strich Profit. Wer deshalb privat in Aktien als langfristig investieren will, braucht einen sehr sehr langen Atem. Denn nur mit Wertsteigerungsgewinnen kann man dort Geld verdienen.
  • Der andere Bereich, der boomt: Grundstücke und Immobilien. Die einen kaufen Ackerland auf – nicht zum be-ackern, sondern als Spekulationsobjekt. Andere greifen sich Baugrundstücke. Deren Preise schießen nur so in die Höhe - jedenfalls in den Ballungsräumen, dort wo die meisten Menschen wohnen.
    Das Bundesfinanzministerium fürchtet um eine neue Blase. Um die zu beobachten bzw. verhindern, baut es seit 2016 ein neues Statistikregister auf: Jetzt sollen alle Käufe, Preise, Kredite usw. gelistet werden.

    Wenn auf den Wertpapiermärkten nichts mehr zu holen ist, weil Anleihen sich nicht rentieren und Aktien mittel- und langfristig zu unsicher sind, weichen viele, die über ausreichend überschüssiges Geld verfügen, auf diese Märkte aus: Grund und Boden sind eine sichere Investition, repräsentieren quasi Betongold.

    Ackerland, Baugrundstücke und Wohnhäuser sind aber das, was normale Menschen zum (Über)Leben brauchen. Das muss jetzt immer als Spielball herhalten bzw. als Ersatz für die völlig aus den Fugen geratenen Finanz- und Kapitalmärkte.

Die Politik der EZB

Der Grund für diese absurde Situation: Die EZB flutet Banken mit (Bar)Geld. Für 1,16 Billion Euro (Stand Juli 2016, Summe entspricht einem Drittel des bundesdeutschen Bruttoinlandprodukts) hat die europäische Zentralbank – indirekt im Auftrag der nationalen Regierungen – Staatsanleihen aufgekauft: zunächst von den Banken, die sich mit griechischen Staatskrediten verzockt haben. Nach Griechenland kam Italien an die Reihe (und zwang dort 2011 Silvio BERLUSCONI zum Rücktritt), dann Spanien und Portugal. Danach andere.

Das Ziel der EZB: Mit dem vielen (Bar)Geld die (ungleiche) wirtschaftliche Entwicklung in einigen europäischen Ländern anzukurbeln. Funktioniert hat es bisher nicht. Absehbar wird es auch nicht funktionieren, weil dies noch nie funktioniert hat. „Man kann Pferde zur Tränke führen, aber nicht zum Saufen zwingen“, so die sprachlich vereinfachte wirtschaftswissenschaftliche und politische Erkenntnis aus inzwischen vielen vergleichbaren Situationen.

Davon abgesehen: Zinsen sind für Unternehmen steuerlich abziehbare Betriebsausgaben, die zudem in die Verkaufspreise einkalkuliert werden. Dort machen sie – im Gegensatz zum Bauen und beim Wohnen – nur einen einstelligen Prozentbetrag aus. Teilweise sogar weniger als 1%. Wir haben Beispiele unter Weshalb das Helikoptergeld gerade im Wohnungsbau Sinn machen würde genannt. Ein billiges Zinsniveau war noch nie ausschlaggebender Faktor für Investitionen.

Weil dieser Zusammenhang für jeden erkennbar nicht funktioniert und zusätzliches Wachstum vielerorts einfach nicht entstehen will, versucht die EZB es anders: Jetzt malt sie das Gespenst einer Stagflation an die Wand: Zu niedrige Preissteigerungsraten könnten die Menschen und Unternehmen in Agonie fallen lassen, niemand kauft und investiert mehr, mit der Wirtschaft (und dem Euro) geht es bergab.

Daher das neue EZB-Rezept: Nur wenn die Inflationsrate wieder steigt (und nicht unter 2 Prozentpunkten bleibt), können wieder wirtschaftliche Zuwachsraten entstehen. Daher pumpt die Bank jeden Monat runde 80 Milliarden Euro in den Wirtschaftskreislauf. Zum Vergleich: Dieser monatliche Betrag entspricht dem Dreieinhalbfachen des Berliner Landeshaushalts eines ganzen Jahres (2015: 23 Mrd. €).

Denn wie auch die EZB als staatliche Geldpumpe aus der Geldverkehrsgleichung weiß (siehe Geld ist nicht gleich Geld):

  • das Bruttoinlandprodukt mal dem Preisniveau ist gleich der umlaufenden (Bar)Geldmenge mal der Umlaufgeschwindigkeit. Also: BIP x P = M x V
  • Wächst die Geldmenge „M“ stärker als das BIP, dann entsteht Inflation.

Aus der Sicht der EZB ist jetzt genau das erwünscht. Dumm nur, dass auch dies nicht funktioniert. Denn inflationäre Entwicklungen gibt es vor allem auf 2 Märkten: dort, wo das Geld hinfließt. Konkret: in Aktien und in Grund & Boden.

Versuchslabor Japan

Dort versucht Ministerpräsident Shinzo ABE seit mehreren Jahren genau die Politik anzuwenden, die die EZB jetzt auf die EU-Staaten übertragen hat. „Die bisherige Bilanz von ‚Abenomics‘ ist desaströs: Kein Ziel wurde erreicht, gleichzeitig wachsen die Risiken“, konstatiert das Handelsblatt am 8. August in einer ausführlichen Darstellung (Zugang nur via HB Digitalpass). 5 Ziele und deren Erfolge listet das Handelsblatt auf:

  • Ziel 1: Abes Politik sollte Löhne und Preise endlich wieder zum Wachsen bringen … doch beides stagniert weiterhin
  • Ziel 2: Die Geldschwemme sollte die Währung schwächen und so die japanischen Exporte ankurbeln --- aber bisher funktioniert das nicht
  • Ziel 3: Die monetäre Lockerung sollte Kredite billiger machen und Investitionen stimulieren --- doch zuletzt sanken die Investitionen wieder – trotz niedriger Zinsen
  • Ziel 4: Abenomics soll den Abstieg von Corporate Japan beenden --- aber sie hat ihn nur gebremst
  • Hauptziel: Insgesamt wollte Abe das japanische Wachstum endlich wieder ankurbeln. Doch das funktioniert bisher nicht.

Ergebnis: Das Experiment ist gescheitert. Es wird absehbar auch in Europa scheitern.

Wachsende Zweifel – zunehmender Widerstand

So wie das jährliche Wirtschafts-Gipfeltreffen im schweizerischen Davos ein ‚muss‘ für die Wirtschaftslenker und wichtigen Politiker ist (sowie für alle, die sich dafür halten), treffen sich alljährlich im US-amerikanischen Jackson Hole (Wyoming) am Rande der Rocky Mountains die Zentralbanker der Welt. Zuletzt im August 2016. Da tauschen sich die Damen und Herren des weltweiten (Notenbank)Geldes untereinander aus - man ist unter sich, kann sich weiterhin Mut zusprechen. Ob da Einsicht in die Wirkungslosigkeit der bisherigen Maßnahmen erfolgt, ist fraglich. 

Dafür wird die Kritik von außen immer stärker und unüberhörbarer. Der deutsche Bundesbankpräsident WEIDMANN hatte schon immer Zweifel an der EZB-Politik von Mario DRAGHI, der zuvor Notenbankchef in Italien war und vorher Vice President bei Goldman Sachs. Über dieses Bankhaus ist so einiges bekannt.

Ebenso haben führende Manager der Allianz AG schon immer an der Effizienz der EZB-Politik gezweifelt.

Aber jetzt meldet sich auch der neue Deutsche Bank-Chef, John Cryan, öffentlich zu Wort: „Die EZB wird mit ihrer Geldpolitik die Ziele nicht erreichen“, schreibt er am 25.8. im Handelsblatt (Zugang via HB-Digitalpass).

Und er erhält Unterstützung eines Mitglieds des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage, Prof. Dr. Volker WIELAND, von der Uni Frankfurt: Die Niedrigzinspolitik führe „zu einer Destabilisierung des Finanzsektors“.

„Helikoptergeld“

EZB-Chef DRAGHI ist ein Vertreter des Typus ‚Konsequent‘. Eine Maßnahme, einmal installiert, wird durchgezogen. Bis zum Ende. Auch wenn das bitter ist. So jedenfalls hat er sich im Hinblick hinsichtlich aller Hinweise, Empfehlungen oder Vorschlägen anderer verhalten. Dass er seine Meinung leicht korrigiert oder ändert, ist nicht zu erwarten. Er würde das als Selbsteingeständnis seiner Fehler ansehen. Da aber einerseits der geldpolitische Instrumentenkasten ausgereizt ist, andererseits der Druck von außen ob der totalen Wirkungslosigkeit zunehmen dürfte, bleibt Mario DRAGHI ein allerletztes Instrument: das Helikoptergeld. Angedeutet – als theoretisch potenzielle Möglichkeit – hat er das bereits.

Konkret: Nicht mehr Geld in den Kreislauf durch Aufkaufen von Staatsschulden zu pumpen (die EZB hat inzwischen 12% der gesamteuropäischen Staatsanleihen aufgekauft), sondern das frische Geld dorthin zu lenken, wo es mit einer größeren Wahrscheinlichkeit ausgegeben wird. Und zwar nicht für Aktienkäufe, sondern für den Konsum. So wie das bekannte Wirtschaftswissenschaftler vorgeschlagen haben: im übertragenen Sinne als Helikoptergeld, als geschenktes Geld für alle (siehe Geldmengensteuerung und Finanzierungskarussell: Banken oder Staatshaushalt).

Dies technisch zu bewerkstelligen ist einfach. Jeder der über ein Konto verfügt, erhält Geld überwiesen.  

Das ist die eine Variante.

Eine andere, die vermutlich die gleichen Effekte auslösen würde, aber nachhaltiger wirken würde: das „Helikoptergeld“ bzw. die Frischgeldzufuhr der zusätzlichen „Geldschwemme“ in den Wohnungsbau zu investieren. Das würde die (Bau)Wirtschaft ankurbeln (aber nicht nur die), das Mietniveau absenken helfen und die Menschen hätten mehr Geld für andere Zwecke zur Verfügung: z.B. für den Konsum, der sonst mit dem Helikoptergeld angeregt werden soll. Anders gesagt: mehrere Fliegen mit einer Klappe.

Mehr dazu unter Warum das Helikoptergeld gerade im Wohnungsbau Sinn machen würde.

Hinweis: Alle diese Texte (die bei uns "Kapitel" heißen), können Sie auch direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/billigwohnen.

(JL)