Wie in Deutschland nach 1945 die Zivilgesellschaft entstand

Zivilgesellschaftliche Aktivitäten und gesellschaftliche Veränderungen entstehen immer durch zwei Dinge:

  • durch die handelnden Akteure
  • und dem Rahmen, in dem diese agieren (können).

Zum Rahmen bzw. Umfeld, in dem Menschen handeln können, zählen vor allem

  • die Möglichkeiten der Kommunikation der Akteure untereinander, aber auch mit dem Rest der Gesellschaft
  • sowie die rechtliche Verfassung eines Landes. Anders ausgedrückt: Ob und inwieweit die der Macht vor- oder nachgelagerten Gerichte, insbesondere das oberste Verfassungsgericht, die (Grund)Rechte der engagierten Menschen auch wirklich schützen.

Der westliche Teil Deutschlands hatte nach 1945 - auch wenn das paradox klingt - eine 'ideale' Ausgangssituation: Das Land war total zerstört und von den westlichen Alliierten besetzt, die demokratische Spielregeln durchsetzen wollten. Und dies auch taten. So durfte bis 1949, bis zur Gründung der Bundesrepublik, beispielsweise keiner der Zeitungsverleger mehr drucken, die das nationalsozialistische System unterstützt oder passiv mitgetragen hatten. Statt dessen wurden zunächst Menschen zu Zeitungs- und Zeitschriftenmachern auserkoren, die sich nichts zu Schulden hatten kommen lassen oder die im Widerstand waren: allesamt überzeugte Demokraten.

Was die Besetzung der Gerichte betraf, so waren diese teilweise flächendeckend mit alten Parteigenossen besetzt, was erst nach und nach zum öffentlichen Thema wurde. Allerdings: Das Bundesverfassungsgericht war 'sauber' - dessen Richter wurden vom neu entstandenen Parlament, dem Bundestag gewählt.

Die nachfolgende Skizze fokussiert daher vor allem auf die eigentlichen Akteure: die Menschen. So wie auf diesem Foto hier oben aus dem Jahr 1962, als die Bürger auf die Strasse gingen: die Bundesregierung unter Kanzler ADENAUER hatte die Redaktion des SPIEGEL in Hamburg besetzen und lahmlegen lassen. Sie wollte das unbotmäßige Medium loswerden. Die Menschen haben sich das nicht gefallen lassen ...

Phase 1: das bundesdeutsche "Wirtschaftswunder"

In Deutschland, das nach 1945 mehr oder weniger völlig zerstört am Boden niederlag, setzte ab 1949 mit der Währungsreform das ein, was man als "Wirtschaftswunder bezeichnet:

  • Hilfsgüter in riesigen Mengen und das Interesse der USA, das besiegte Land als Bündnispartner für den einsetzenden Kalten Krieg an sich zu binden,
  • sowie der sprichwörtliche Fleiß, die Disziplin und der Gehorsam der Deutschen auch am Arbeitsplatz

setzten eine gigantische Wiederaufbauwelle in Gang, die die deutsche Bevölkerung körperlich wie mental die ersten Jahre völlig in Anspruch nahm. Diskussionen um die jüngste Vergangenheit waren tabu. Ebenso die Frage, wie es künftig weitergehen sollte. Nur eines war wichtig: Hauptsache, man wurde wieder satt. 

Phase 2: ADENAUER's Wiederaufrüstung

Der erste Bundeskanzler, Konrad ADENAUER (CDU) wollte Deutschland als gleichberechtigten Partner in der neuen Militärallianz NATO sehen. Und deshalb den Aufbau einer "Bundeswehr".

Viele Bürger, aber auch die SPD, waren mehrheitlich dagegen: Wenn sich der Westen Deutschlands in die NATO integriert und eigene Waffen hat, ist es ersteinmal aus mit allen Träumen und Wünschen nach einer Wiedervereinigung des längst geteilten Deutschlands. Aber auch die Frage stand im Raum, ob es überhaupt opportun sein könne, dass ein Land, das zwei Weltkriege mit Millionen von Opfern und Toten entfesselt hatte, wieder einen militärischen Apparat aufbauen solle.

Die ersten Proteste und Demonstrationen formierten sich. Es kam zu teilweise blutigen Gefechten zwischen engagierten Bürgern und bewaffneter Polizei.

ADENAUER und die regierende CDU/FDP-Koalition setzten sich 1955 durch - nicht zuletzt getragen durch die bundesweite Mehrheitsmeinung in dieser Sache; man wollte zeigen, wer man wieder war ...

Phase 3: Die SPIEGEL-Affäre 1962

Auch das Hamburger Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL hatte Bedenken an den inzwischen neu aufgekommenen Plänen des neuen Verteidigungsministers Franz-Josef STRAUSS, die Bundesrepublik sogar mit eigenen Atomwaffen aufzurüsten. Nachdem ein NATO-Mannöver "Fallex62" an den Tag brachte, dass ein potenzieller Überfall der Warschauer Pakt-Staaten, allen voran durch die Sowjetunion, vor allem Deutschland in wenigen Tagen völlig zerstören würde, und DER SPIEGEL dies detailliert in einer Titelstory Bedingt abwehrbereit publizierte, schlug Franz-Josef STRAUSS, der nur auf einen solchen Augenblick gewartet hatte, zurück. Er hatte sich schon seit Jahren über das kritische Magazin geärgert.

STRAUSS ließ - intern und heimlich clever eingefädelt, aber illegal - das Bundeskriminalamt, den MAD (Militärischer Abschirmdienst) und im Wege der Amtshilfe reguläre Polizei in die SPIEGEL-Redaktion einrücken, alles besetzen und das kritische Blatt blockieren.

Aber: Er und sein ihn stützender Kanzler ADENAUER hatten sich verkalkuliert:

  • Die Hamburger Verleger von stern, DIE ZEIT, Constanze, Hamburger Echo solidarisierten sich, boten den SPIEGEL-Redakteuren jede nur erdenkliche Hilfe an, so dass DER SPIEGEL weiterhin erscheinen konnte. Auch wenn die Chefredakteure und die beiden Artikelschreiber ersteinmal ins Gefängnis mussten 
  • Jetzt gingen aber auch die Menschen auf die Strasse, demonstrierten, protestierten und diskutierten: in Hamburg, Hannover, Berlin, Frankfurt, Stuttgart, München, usw. Sie sahen zum ersten Mal die Pressefreiheit und damit auch ihre eigenen Informationsbedürfnisse bedroht. Es waren nicht nur junge Studenten, die der "Macht" Paroli boten. Ganz normale Menschen gingen auf die Strasse, um gegen diese Invasion und den Versuch aufzustehen, ein den Mächtigen unbequemes Magazin wirtschaftlich zur Strecke zu bringen
  • Weil der bayerische CSU-Kraftprotz Franz-Josef STRAUSS diese Machenschaften illegal inszeniert und deshalb auch nicht den zuständigen Justizmininister der FDP eingeweiht hatte, trat der FDP-Mann als Minister zurück. Als dann - scheibchenweise - die illegale Inszenierung ans Tageslicht kam, wurde aus der Affäre eine Regierungskrise und STRAUSS zum Rücktritt gezwungen. ADENAUER musste seinen Abgang für das kommende Jahr ankündigen


Die Zivilgesellschaft war erwacht, hatte Meinungsfreiheit und Pressefreiheit als unverzichtbare Güter erkannt, für die man sich im Zweifel auch einsetzen musste. Die SPIEGEL-Affäre gilt daher als einer der wichtigsten Meilensteine in der politischen und zivilgesellschaftlichen Entwicklung Deutschlands: als Zäsur zwischen althergebrachtem Obrigkeitsglauben und erwachender Demokratie 

Phase 4: Die 60er Jahre, insbesondere das Jahr 1968

Das Infragestellen und Hinterfragen der Legitimität aller Institutionen der "Macht" erreichte auch bald die Universitäten.

1958 schockierten erstmals Zeugen, die KZ und Holocaust überlebt hatten, vor Gericht die Öffentlichkeit mit Details an bestialischen Grausamkeiten, die bisher niemand wissen oder zur Kenntnis nehmen wollte. Als es dem Mossad gelang, den Schreibtischtäter und Massenschlächter Adolf EICHMANN in Argentinien zu entführen und in Israel vor Gericht zu stellen, geriet Deutschland in Zugzwang. Auf politischer, aber vor allem auch in den Köpfen von immer mehr jungen Menschen stand die Frage an: Was hatten die eigenen Eltern in der Nazi-Zeit gemacht? Und wie waren sie verstrickt?
Ein Buch, quasi ein Namenslexikon "Die braune Universität" machte 1964 klar, dass nicht nur Politik und Justiz, sondern auch die Wissenschaft nicht unschuldig waren. Als die etablierten universitären Institutionen Diskussionen darüber verhindern wollten, begann sich studentischer Widerstand zu formieren, den auch immer mehr Menschen außerhalb mittrugen.

Die zeitgleich zunehmende Brutalisierung des Vietnamkriegs (z.B. "Agent Orange") und der Todesschuss beim Besuch des iranischen Schah, eine von den USA gesteuerte Marionette im Nahen Osten, wo das große Ölvorkommen lagerte, waren dann der Auftakt zu dem, was man "Außerparlamentarische Opposition" (APO) nannte. 1968 brannten dann die Barrikaden - in Berlin vor dem Axel-Springer-Gebäude, in Paris, in Mexiko und anderswo. Die Jugend hatte in vielen Ländern ein Fanal gesetzt, dass sie es nicht akzeptieren würde, wenn es so weitergehen würde ...

Das Jahr 1968 markiert auch deswegen eine weitere Zäsur, weil viele andere Ereignisse weltweit mehr als nur Risse in den Fassaden einer heilen und angeblich menschengerechten Weltordung offenkundig machten:

  • Im vietnamesischen My Lai schlachteten US-Marines, die den Gedanken der Freiheit vermitteln sollten, ein ganzes Dorf ab, nachdem sie Frauen und Kinder brutal vergewaltigt hatten. Das US-Militär vertuschte alles. Der Journalist Semour HERSH brachte es ans Tageslicht
  • in den USA wurde Martin-Luther KING erschossen - Rassismus, Ku-Klux Klan und Rassenunruhen waren im Amerika des Abraham LINCOLN, Thomas JEFFERSON oder George WASHINGTON an der Tagesordnung
  • in Lateinamerika regierten Diktatoren und US-amerikanische Konzerne im Schutz der CIA
  • in Südafrika, in dem deutsche Konzerne wie Daimler- Benz oder Siemens gute Geschäfte machten, regierte die Apartheid und Nelson MANDELA war bereits seit 4 Jahren auf der Gefängnisinsel Robben Island eingekerkert
  • in Prag wagte es der KP-Führer Alexander DUBCEK, Pressefreiheit und einen menschlicheren Sozialismus durchzusetzen - bis am 21. August die sowjetische Kreml-Führung alle freiheitlichen Regungen durch Panzer niederwalzen ließ.

Ein Jahr später, 1969, kam es zu einem Aufstand in der Christopher Street in New York: auf die permanenten gewalttätigen Razzien der Polizei reagieren homosexuelle und andere sexuell anders orientierte Minderheiten mit einer Demo, die in einer Strassenschlacht mit der staatlichen Macht in Gestalt prügelnder Polizisten endete - in einem Land, in dem die Verfassung Menschenrechte und das "Streben nach Glück" ("persuit of happiness") garantiert.

So war die zivilgesellschaftliche Gegenwehr in fast allen Ländern vor allem eine Sache junger Menschen, insbesondere von Studenten. Die 60er Jahre gelten daher auch als die Ära der Studentenbewegung(en).

Phase 5: Die Zivilgesellschaft entfaltet sich - in den sogenannten Siebzigern

Spätestens Ende der 60er Jahre wurde klar, dass die von den Regierenden und Mächtigen 'von oben' herab inszenierte Ordnung vielem widersprach, was sie eigentlich repräsentieren sollte. Bzw. wollte:

  • Menschenwürde und Gleichberechtigung - unabhängig von Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder sexueller Orientierung
  • Meinungs- und Informationsfreiheit
  • demokratische Transparenz
  • Abkehr und Verzicht auf Gewalt und militärische Stärke zur Durchsetzung politischer und wirtschaftlicher Interessen.

Als Reaktion(en) darauf begannen sich immer mehr Themen, gesellschaftspolitische Diskussionen und Initiativen herauszubilden, die wir hier nur stichwortartig skizzieren können:

  • Friedensbewegung und Großdemonstrationen gegen Entscheidungen der 'hohen Politik' 
  • Emanzipation und Frauenbewegung
  • 1971 erschien die Illustrierte stern mit einem Titelbild "Wir haben abgetrieben", auf dem bekannte weibliche Persönlichkeitenzu sehen sind. Sie outeten sich und setzten ein Zeichen - sie setzten sich gegen den Umstand zur Wehr, dass Abtreibung ein Straftatbestand (§ 218 StGB) darstellt - und zwar legitimiert und rechtlich geahndet immer nur durch eine Gruppe: Männer. Es begann die Zeit von Alice SCHWARZER und ihrer neuen Zeitschrift Emma.
  • im selben Jahr gründen Friedensaktivisten im kandaischen Vancouver die NGO Greenpeace
  • Die erste Aktion gleich zu Beginn, mit einem Fischkutter einen geplanten Atomtest des US-Militärs zu verhindern, misslang. Aber aufgrund einsetzender Proteste in Kanada und den USA sah sich das Militär gezwungen, den Test zu verschieben. Zwar schlug auch der zweite Störversuch von Greenpeace fehl, aber die Bevölkerung auf dem nordamerikanischen Kontinent war jetzt sensibilisiert: Die USA veranstalteten seither keine Atomversuche mehr in diesem Gelände. Inzwischen ist die Arbeit von Greenpeace jedem Menschen auf dieser Welt bekannt 
  • Anti-Atomkraft und AKW-Bewegung / Ostermärsche
  • Dass Atomkraft nicht sicher beherrschbar ist, schon wegen der unabsehbaren Langzeitfolgen (vgl. "Halbwertzeiten"), ist vielen klar. Nur die Mächtigen in Staat und Wirtschaft setzen auf diese Technologie, von der sie politisch (Arbeitsplätze, angeblich günstigere Stromkosten) und ökonomisch (neue Aufträge) zu profitieren hoffen. 1979 kommt es zu einer folgenschweren Havarie im Kernkraftwerk von Harrisburg (USA): "Three Mile Island" - zwei Jahre nach der Buchveröffentlichung des Zukunftsforschers Robert JUNGK ("Die Zukunft hat schon begonnen") mit dem Titel "Der Atomstaat" 
  • in vielen Waldgebieten zeigen die Bäume nachhaltige Schäden, u.a. durch Sauren Regen. Der Begriff "Waldsterben" entsteht - und erste Bürgerinitiativen, die auf dieses Problem hinweisen
  • war Städtebau, z.B. die Sanierung ganzer Stadtteile und Wohnkieze bisher die Domäne von verbeamteten Bürokraten in den Rathäusern, so mischten sich auch hier jetzt die Bewohner, sprich die Betroffenen, mit ein. Sie organisierten sich in Mieterverbänden und Bürgerinitiativen (BI's) und verschafften sich politisch Gehör. Der Gesetzgeber reagierte mit einer Novellierung des Städtebauförderunsgesetzes, das die Einbindung der Bürger in die Planung zwingend vorschrieb. 

1979 - zehn Jahre nach den Knüppeleien und Strassenschlachten in der New Yorker Christopher Street outeten sich erstmals in Berlin und Bremen Gleichgeschlechtliche auf einem größeren Demonstrationszug - sie organisierten den ersten "CSD" - "Christopher Street Day". Anfangs von breiten Schichten der Bevölkerung und traditionellen 'staatstragenden' Parteipolitikern (CDU, SPD, FDP) abgelehnt, belächelt und nicht ernst genommen, kann es sich heute - im 21. Jahrhundert - keine politische Gruppierung und kein Unternehmen mehr leisten, auf wesentliche Teile der Bevölkerung nur wegen ihrer sexuellen Orientierung zu verzichten.

Soweit war es jedoch Ende der 70er noch nicht, weshalb es zu zwei bedeutsamen und nachhaltigen Gründungen aus den Reihen der Zivilgesellschaft kam:

  • 1978 gründete sich in (West)Berlin eine neue politische Gruppierung, die "Alternative Liste" (AL). Sie wird sich später zu einer regulären Partei verwandeln und in den GRÜNEN, später BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aufgehen 
  • Zeitgleich entstand in (West)Berlin) ein alternatives und selbstverwaltetes Zeitungsprojekt: die taz, die tageszeitung. Es schreiben dort u.a. Journalisten und Autoren, die der bayerische Politkraftprotz Franz-Josef STRAUSS (CSU), der gerade Ministerpräsident von Bayern wurde, als "Ratten und Schmeißfliegen" bezeichnete. 

Bereits seit längerem war zu dieser Zeit unterwegs - undercover, sprich unter anderem Namen - der Journalist und Publizist Günter WALLRAFF. Er will hinter die Kulissen schauen und darüber ungeschminkt berichten. Z.B. in seinen "13 unerwünschten Reportagen" (erschienen 1969). Die Justiz machte ihm zunächst das Undercover-Leben schwer. Doch je höher die gerichtlichen Instanzen, umso größer auch die Einsicht, dass demokratische Kontrolle ohne Transparenz nicht funktionieren könne. 1977 gelang es ihm, über ein Vierteljahr unerkannt in der Redaktion der BILD-Zeitung in Hannover zu arbeiten. Sein Buch darüber und wie bei BILD Geschichten entstehen, wurde zum Gegenstand mehrerer Gerichtsprozesse, die durch alle Instanzen gingen ...

Seit den 80er Jahren die letzte Entwicklungsphase: Medien und Zivilgesellschaft legen sich mit den Mächtigen an

Nachdem durch die vorausgegangenen Entwicklungen

  • zivilgesellschaftliches Selbstbewusstein entstanden war und sich regelmäßig - d.h. nicht nur zu den Wahlterminen - politisches Gehör verschafft hatte
  • und Journalisten und Autoren nicht nur eine Kommunikatorenrolle in der Öffentlichkeit für diese Anliegen übernahmen, sondern eigenständig Themen setzten und Diskussionen initiierten,

traf dies in immer größeren Maße die Vertreter und Repräsentanten der staatlichen, politischen und wirtschaftlichen Macht. Beispiele:

  • 1978 bezeichnete der Schriftsteller Rolf HOCHHUTH den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Kurt FILBINGER (CDU), als "furchtbaren Juristen" und "Hitler's Marinerichter" und trat damit eine öffentliche Debatte über individuelle Verantwortung zur Nazi-Zeit los. FILBINGER musste zurücktreten
  • 1982 nahm DER SPIEGEL ein gewerkschaftseigenes gemeinnütziges Wohnungsbauunternehmen, die "NEUE HEIMAT" ins Visier. Folgen: Hohe Gewerkschaftsfunktionäre wurden als geldgierige Bonzen enttarnt, ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss im Bundestag brachte die vielfältigen Verfehlungen ans Licht, das (bisherige) Gemeinnützigkeitsgesetz wurde beerdigt 
  • im selben Jahr kamen die illegalen Parteispenden- und Geldwäschepraktiken der etablierten Großparteien CDU, FDP und SPD ans Tageslicht. Einer der maßgeblichen Drahtzieher, dem eine Verurteilung wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung aber lange Zeit nichts anhaben konnte: Bundeswirtschaftsminister Otto Graf LAMBSDORFF, der daraufhin von "journalistischen Todesschwadronen" sprach
  • Auch der Ministerpräsident des kleinen Saarlandes geriet wegen anderer Selbstbedienungspraktiken ins Visier der Medien: Oskar LAFONTAINE, SPD. Seine Retourkutsche: "Schweinejournalismus"
  • 1987 machte DER SPIEGEL die Praktiken des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe BARSCHEL (CDU) publik - die "Waterkant-Affäre" endete in zwei parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, BARSCHEL wurde tot in der Badewanne aufgefunden, sein Nachfolger, Jörn ENGHOLM (SPD) musste aufgeben, weil er gelogen hatte
  • nicht gelogen, aber verschwiegen, hatte der TV-Moderator Werner HÖFER, relevante Teile seiner Vergangenheit zur Nazi-Zeit. Der bekannte Frühschoppen-Chef beim WDR musste sich für einen früheren Artikel aus dem Jahre 1943 rechtfertigen, in dem er eine Art "Hymne" auf einen wegen einer kritischen Äußerung über Adolf HITLER zum Tode verurteilten Pianisten geschrieben hatte. Medienmacher waren nicht ausgenommen von kritischer Berichterstattung, die im konkreten Fall mal wieder DER SPIEGEL geleistet hatte: Tod eines Pianisten. Werner HÖFER stritt ab. Und zeigte sich uneinsichtig. Werner HÖFER musste gehen - zu groß war der Druck empörter Menschen ...


Die Liste ließe sich verlängern - ohne Ende

  • um Affären, die Rücktritte und Verurteilungen ausgelöst haben (z.B. Berliner Bauskandal), letztlich aber durch Informanten, Whistleblower und Medien öffentlich wurden
  • um Erfolge nachhaltiger Proteste (so musste beispielsweise die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf in Bayern aufgegeben werden)
  • sowie die vielen Wechsel der politischen Mehrheiten in allen Parlamenten.


Die 80er Jahre setzten jedenfalls nachhaltige Meilensteine in der zivilgesellschaftlichen Entwicklung:

  • Protest und ziviler Widerstand wurden immer selbstverständlicher 
  • 1983 gelang es den GRÜNEN, in den Bundestag einzuziehen und im Bundesland Hessen gab es die erste rot-grüne Koalition mit dem "Turnschuhminister" Joschka FISCHER (GRÜNE). Seither werden immer mehr "grüne Forderungen" umgesetzt - von der Pfandflasche bis hin zum Ausstieg aus der Kernenergie
  • das Bundesverfassungsgericht entschied in Sachen BILD-Zeitung versus Günter WALLRAFF 1984 in letzter Instanz: Die Verbreitung auch von "rechtswidrig erlangten Informationen" ist in einem demokratischen Rechtsstaat legal, wenn das "öffentliche Interesse" den privaten Wunsch nach Geheimhaltung bzw. die Bedürnisse nach "Privatsphäre" überwiegt.

1989: Das Meisterstück zivilgesellschaftlichen Engagements

War bisher ausschließlich von den Entwicklungen in der westlichen Hemisphäre der Erde die Rede, die bis Ende der 80er Jahre von einer Zweiteilung, sprich durch den "Eisernen Vorhang" und "Kaltem Krieg" gekennzeichnet war, so ließ sich weltweit beobachten, was der Wille nach Freiheit und entsprechendes Engagement bewirken können: eine friedliche Revolution in der DDR, dem östlichen Teil Deutschlands. 

Eine der entscheidenden Aktionen: Die Besetzung der verhassten Geheimdienstzentrale in Ost-Berlin, des "Ministeriums für Staatssicherheit", kurz "Stasi". Die Bürger stellen sicher, dass keine Akten verschwinden und die ehemaligen Häscher zur Verantwortung gezogen werden können. Auch die Opfer sollen künftig wissen dürfen, wer sie heimlich beobachtet, verraten und unter Druck gesetzt hatte.

Die Parlamentarier im Deutschen Bundestag müssen reagieren: Sie einigen sich nach langen Diskussionen auf ein Gesetz, dass verschiedenen Personengruppen Einsicht in die Stasi-Unterlagen gewährt. Und es bilden sich Initiativen heraus, die eine Aufarbeitung der SED-Diktatur und den Zusammenbruch des Sowjet-Imperiums organisieren. Über die zentrale (nicht politisch organisierte) Institution "H und G" finden sich u.a. aktuelle Informationen - derzeit ergänzt um die Vorgänge in der Ukraine seit dem Einmarsch russischer Truppen im Februar 2022. 

Die tragende Idee und das Motto dieser friedlichen Revolution, die in wenigen Wochen ein ganzes Staats- und Wirtschaftssystem zusammenbrechen ließen und letztlich Initialzündung auch für den Zusammenbruch des gesamten "Ostblocks" waren, ist letztlich nichts anderes als die treffende Umschreibung, was Zivilgesellschaft eigentlich bedeutet: "Wir sind das Volk!"

Diese Erkenntnis ist das, was viele Vertreter der Macht - auch heute noch - nicht immer zur Kenntnis nehmen (wollen). Aber immer öfter müssen. Egal ob es sich um das Oberlandesgericht in Koblenz, um Stuttgart 21 oder um das Thema Fukushima handelt. Und vieles, was inzwischen längst selbstverständlich ist, war anfangs die Idee von sogenannten linken Spinnern - angefangen bei der Pfandflasche bis hin zum Ausstieg aus der Kernenergie.

Nach der Wende 1989: Saubere Regeln statt Korruption und Selbstbereicherung

Ein Problem seit Menschengedenken: Die Stärkeren denken immer nur an sich und weil sie sich besser durchsetzen können, praktizieren sie auch das "Gesetz des Stärkeren". Das ist bei Krisen und Kriegen der Fall, aber eben auch im Bereich der Wirtschaft. Wenn es keine fairen Regeln gibt, die auch durchgesetzt werden, fressen die Großen die Kleinen, kommt es zu Korruption und Bestechung, die vor allem eines bedeuten:

  • Nicht der Bessere oder die bessere Alternative gewinnt die Oberhand, sondern jene, die schmieren.
  • Gleichzeitig bedeutet dieses Prinzip der Selbstbereicherung und der Vetternwirtschaft: Es geht auf Kosten aller Übrigen. Von einer fairen Verteilung von Geld und Ressourcen kann nicht die Rede sein.
  • Langfristig behindert Ungleichheit Fortschritt und Gerechtigkeit.

"Transparency"

Dies zu ändern entschließt sich Anfang der 90er Jahre einer der Direktoren der Weltbank, Dr. Peter EIGEN, der über lange Jahre zusehen musste, wie sinnvoll gedachte Weltbankkredite für sich entwickelnde Länder vor allem in den Taschen, sprich: auf den privaten Bankkonten der Mächtigen und Regierenden in diesen Ländern versickern. EIGEN steigt aus, sucht sich als Verbündeten einen politisch weltweit erfahrenen 'Manager', den ehemaligen US-Verteidigungsminister Robert McNAMARA, der erst den Vietnamkrieg eskalieren ließ, dann von diesem Posten zurücktrat und politisch eine Kehrtwendung vollzog, um Präsident der Weltbank bis zu seiner offiziellen Pensionierung 1981 zu werden. Jetzt reist er von Land zu Land, zog von Regierung zu Regierung um allen klar zu machen, wie ineffizient doch Korruption ist.

Auch in Deutschland. Dort waren die sogenannten Altparteien CDU/CSU, SPD und FDP mit Korruption und Bestechung bestens vertraut. Bis zum Bekanntwerden der FLICK-Affäre (ausführlich hinter dem Link; ein praktiziertes Beispiel: siehe die Grafik) ließen sie sich regelmäßig mit Zuwendungen verwöhnen und konnten sich nicht dazu aufraffen, Bestechungsgelder von Unternehmen zu verbieten. Zwar brandmarkten die Politiker Schmiergelder regelmäßig in der Öffentlichkeit, ließen aber zu, dass Firmen in Deutschland solche Gelder als "nützliche Aufwendungen" steuerlich als Betriebsausgabe geltend machen konnten - im Gegensatz zu den USA. Von den unzähligen Parteispendenaffären hierzulande ganz zu schweigen.

Angesichts des Umstands, dass die durch den 'Handlungsreisenden' in Sachen Korruption, Robert McNAMARA,  vermittelte Einsicht in die Unfairniß solcher Praktiken weltweit zunahm, konnte sich auch die CDU/CSU und FDP-geführte Bundesregierung unter Kanzler Helmut KOHL dem nicht verschließen. Nachdem die 1993 in Deutschland gegründete "TI" (Transparency International) -Sektion viele Gespräche geführt, Hearings veranstaltet und auch die OECD (Organization für Economic Cooperation and Development) zum Tätigwerden animieren konnte, wird in Deutschland die Abgabenordnung und das Strafgesetzbuch ergänzt: Die steuerliche Abzugsfähigkeit von Schmiergeldern wurde abgeschafft, Korruption und Bestechung wurden zu "Straftatbeständen".

"Corruption Perception Index"

Das funktioniert natürlich nicht von heute auf morgen. Aber es beginnt zu wirken. Nach und nach. Immer stärker.

TI veröffentlicht zudem jedes Jahr einen aktuellen Korruptions-Wahrnehmungsindex für alle Länder. Damit schlägt die NGO, die heute als führende Anti-Korruptionsinstitution anerkannt ist, zwei Fliegen mit einer Klappe:

  • weltweite Aufmerksamkeit für das Problem
  • und Orientierung für jedes Land an "best practice".

Anderes Problem: Internationale Steuerhinterziehung und Steuergerechtigkeit

Korruption und Bestechung lösen immer begleitende Maßnahmen aus: Bestecher und Bestochener wollen das immer verheimlichen - vor allen anderen und vorm Finanzamt. Steuerhinterziehung ist die ökonomisch-logische Folge. Heute wissen wir: Etwa ein Drittel aus der weltweiten Wirtschaftsleistung in Form von Einkommen und Gewinnen werden in sogenannten Steueroasen gebunkert. Unversteuert. 

Die 2004 gegründete NGO "Tax Justice Network" gibt inzwischen ebenfalls regelmäßig einen zweijährlich aktualisierten Index heraus: den Corporate Tax Haven Index:

Weltweit gibt es unzählige Standorte und Locations, wo unversteuertes Geld vor dem Zugriff anderer versteckt werden kann. Die British Vergin Islands (Britische Jungferninseln) in der Karibik stehen an erster Stelle, die EU-Länder Niederlande und Luxembourg auf der vierten und siebten Spitzenposition - allen Unkenrufen zum Trotz, dass die "EU" eine "Wertegemeinschaft" sei.

Cayman Island, ebenfalls eine Karibikinsel, belegt in diesem Ranking Platz 2. Dort beginnt Ende der 90er Jahre eine Art steuerpolitisches Erdbeben, in dessen Folge

  • die Plattform WikiLeaks weltweit bekannt wird
  • und das Ende des schweizerischen Bankgeheimnisses eingeläutet wird.

Wir haben diese seismographische Entwicklung an anderer Stelle detailliert rekonstruiert: in unserer Dokumentation über den Whistleblower Rudolf ELMER. Die meisten Erschütterungen, die nachhaltige Änderungen nach der Jahrtausendwende auslösen, kommen vor allem durch sogenannte Hinweisgeber zustande, die man auch "Whistleblower" nennt.

Privatbank Julius Bär, Zürich und Cayman Island

Offiziell hat das Unternehmen "Julius Baer Bank and Trust Company Ltd." auf der Karibikinsel natürlich nichts mit der verschwiegenen Schweizer Privatbank in Zürich zu tun. So jedenfalls gestatten es die gesetzlich geltenden Regelnn aller weltweit agierenden Politiker, die ständig über "Steuergerechtigkeit" predigen, aber nicht wirklich gegen Steuerflucht und Geldwäsche vorgehen.

Das jedenfalls muss Ende der 90er Jahre Rudolf ELMER erfahren, der sich dort in gutem Glauben auf seine Karriere bei seinem Arbeitgeber Bankhaus Bär versetzen ließ und schnell feststellte, dass in der dortigen 'Filiale' nicht nur schräge Spekulationsgeschäfte abgewickelt werden, sondern Milliardäre, Großbetrüger, Drogenbarone und südamerikanische Ex-Präsidenten Konten besitzen. Auch Mario Arture ACOSTA CHAPARRO, ein ehemaliger mexikanischer Brigadegeneral, der 1976-1981 für die "flights of death" verantwortlich war: Oppositionelle und unliebsame Personen wurden aus einem Flugzeug heraus ins Meer geworfen.

Rudolf ELMER beginnt Fragen zu stellen. Erst wird er abgemahnt, dann einem Lügendetektortest unterworfen, zuletzt gekündigt. ELMER geht zurück in die Schweiz, wird anonym bedroht, von insgesamt 11 Detektiven gestalkt, findet keinen neuen Arbeitsplatz mehr. Wird krank, gerät in finanzielle Schwierigkeiten. Einige Jahre später muss er sich vor Schweizer Gerichten verantworten. Die Schweiz, liberal wie sie sich gerne gibt, ist in Sachen Bankgeheimnis knallhart. Noch.

Die Züricher Steuerverwaltung interessiert sich für ELMER's Informationen und Dokumente nicht, es kommt zu einer Panne, die schweizerische "Weltwoche" erhält Kenntnis und outet Rudolf ELMER öffentlich, der sich jetzt direkt an die Konzernleitung von Julius Bär wendet, aber ebenfalls ohne erwähnenswerte Reaktion. ELMER will an die Öffentlichkeit, doch wer glaubt in der Schweiz einem "Verräter" von Steuergeheimnissen?

Eine neue digitale Online-Institution macht es. Sie nennt sich "WikiLeaks" und verspricht, alles zu veröffentlichen, was so an 'Schweinereien' auf der Welt passiert, unzensiert. ELMER nimmt Kontakt auf und so geht im Februar 2008 eine Pressemitteilung weltweit über die Ticker. In Deutschland nimmt sogar die eher traditionell und konservativ ausgerichtete "Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)" Notiz davon: "Diese Dokumente bergen Sprengstoff". Jeder kennt jetzt "WikiLeaks" - ausführlich nachzulesen unter www.ansTageslicht.de/Elmer-Chronologie.

Parallel in diesen Jahren werden andere Whistleblower aktiv: In den USA outet sich ein US-amerikanischer Manager der schweizerischen Großbank UBS gegenüber Steuerbehörden. Folge: Die Bank muss über eine dreiviertel Milliarde Strafe zahlen. Aus der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein werden sogenannte "Steuer-CD's" geleakt und heizen z.B. in Deutschland die Diskussion an: "Verbrecher" und "Verräter" von Bankgeheimissen oder "Whistleblower"? Die Finanzminister der Länder haben wenig Probleme mit diesem Phänomen: Sie kassieren für jede "Steuer-CD", die sie ankaufen, hinterher ein Vielfaches an hinterzogenen Steuern.

NGO "Tax Justice Network"

Die öffentlichen und politischen Diskussionen beginnen sich zu versachlichen, als sich eine neue NGO 2004 gründet: Das Tax Justice Network (TJN), in dem sich Wissenschaftler, Steuerexperten und ehemalige Angestellte von Finanzbehörden zusammentun. Sie wollen der zunehmenden Ungleichheit der Verteilung von Geld und Lebenschancen dadurch entgegenwirken, indem sie die Mechanismen und Hintergründe von Steuerhinterziehung und Steuerflucht öffentlich machen. Diese beiden Stichworte stehen nun auf der medialen Agenda und zwingen die Politik zum Handeln: Der öffentliche Druck wird immer stärker.

Zeitgleich fliegen immer mehr honorige "Persönlichkeiten" auf. So z.B. der ehemalige "Manager des Jahres" Ex-Postchef Klaus ZUMWINKEL; die Emanzipationsaktivistin Alice SCHWARZER; Fussballikone Uli HOENEß; der frühere Chefredakteur der 'seriösen' Wochenzeitung "DIE ZEIT" Theo SOMMER und viele andere Personen des öffentlichen Lebens und sogenannte VIP's, die sich - bisher - in der Öffentlichkeit im Glanz ihres untadeligen Rufes sonnen konnten.

Nach den NGO's sind es Journalisten, die die Führung der Diskussion in der Öffentlichkeit übernehmen. Und die Politiker weiter unter Druck setzen. Jetzt veröffentlicht die "New York Tines", dass Weltgiganten wie "google" oder "Microsoft" so gut wie keine Steuern auf ihre ausländischen Gewinne zahlen: zwischen 1 und 3% - mit Hilfe des Steuerrechts in Irland und den Niederlanden. Die Reporter erhalten einen "Pulitzer-Preis": How Apple Sidesteps Billions of Taxes

Was noch keiner ahnt: Ein australischer Informant übergibt einem Journalisten mehrere Festplatten: über 400 GB. Eineinhalb Jahre werten 86 Journalisten aus 46 Ländern die Informationen aus, die im "International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ)" vernetzt sind. Am 4. April 2013 dann das Erdbeben weltweit: Zur gleichen Zeit veröffentlichen die Journalisten ihre Erkenntnisse. In Deutschland sind es die "Süddeutsche Zeitung" und der "NDR", in Frankreich "Le Monde", in Spanien "El Paiz", in Großbritannien der "Guardian" und in den USA die "New York Times". Die Namen der Firmen und Personen sind in einer öffentlich zugänglichen Datenbank gesammelt. Jeder kann da nachschauen (siehe die anklickbare Weltkarte).

Den Schweizer Banken wird es immer ungemütlicher. So viel Öffentlichkeit lässt sich nicht mehr mit ihrer Geschäftsphilosophie "absolute Diskretion" verbinden. Sie ändern ihre Philosophie: ab jetzt eine "Weißgeld"-Strategie - das Markenprodukt "Bankgeheimnis" ist löchriger geworden als ein Schweizer Käse, ausführlich rekonstruiert unter www.ansTageslicht.de/Bankgeheimnis.

Zwei Monate später: Whistleblower Edward SNOWDEN

Jeder kennt den Namen. Jeder weiß, was er öffentlich gemacht hat: Die ganze Welt wird überwacht durch eine Institution namens "NSA". In einem bis dahin nicht vorstellbaren Ausmaß. Selbst das Handy der Bundeskanzlerin Angela MERKEL (CDU) ist den Amerikanern nicht tabu. Die "Lichtgestalt" Barack OBAMA ist "not amuzed", lässt SNOWDEN's Pass für ungültig erklären. Im Gegensatz zu OBAMA's Wahlkampfankündigungen werden in seiner 8jährigen Amtszeit so viele Whistleblower verfolgt und teilweise ins Gefängnis gesteckt wie unter keinem anderen US-Präsidenten zuvor.

Andere Whistleblower

Eine(r), der ins US-Gefängnis muss: Bradley MANNING, US-Soldat im Irak, der 2010  brisante Informationen und Dokumente an WikiLeaks weitergibt. Zum Beispiel das Bordvideo eines US-Kampfhubschraubers. Zu sehen: GI's knallen Zivilisten auf offener Strasse ab. Die Soldaten gehen straffrei aus. Der Überbringer der schlechten Nachricht, der heute Chelsea MANNING heißt, geht ins Gefängnis.

Es ist die Ära, in der immer mehr Whistleblower Informationen leaken, um der Welt vor Augen zu halten, was alles schief läuft. Wir dokumentieren eine kleine Auswahl unter www.ansTageslicht.de/Whistleblower-kurz.

Darunter auch jene, die den Kampf gegen Steuerflucht und für eine steuerlich gerechte Welt weiterführen. Nach Offshore-Leaks folgt Lux-Leaks: Firmen wie Coca Cola, amazon und ebay oder IKEA sowie rund weitere 300 Firmen handeln in Luxembourg, einem Mitgliedsland der "Wertegemeinschaft EU", ihre steuerlichen Gewinne individuell mit der dortigen Finanzbehörde aus. Die Entrüstung im EU-Parlament ist groß, insbesondere weil der Whistleblower Antoine DELTOUR gerichtlich abgestraft wird. Nachdem weitere Leaks die Runde machen (Swiss-Leaks, 2016: panama-papers , 2017: paradise papers usw.) schreiten die Abgeordneten zur Tat: Das Öffentlichmachen illegaler, sprich asozialer und gemeinschädlicher Praktiken darf nicht als Verletzung von Geschäftsgeheimnissen gelten. Seit 2019 gibt es daher im neu auf den Weg gebrachten "Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) einen Ausnahmeparagraphen Nr. 5. Die mit diesem Gesetz angedrohten Sanktionen gelten nicht

  • „zur Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit, einschließlich der Freiheit und Pluralität der Medien;
  • zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens, wenn die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung geeignet ist, das öffentliche Interesse zu schützen.“

Ein großer Schritt nach vorn. Ohne den Mut und das Engagement vieler Hinweisgeber und Informanten wäre es nicht so weit gekommen, dass Themen wie Steuerflucht und Steuergerechtigkeit, Geldwäsche und Korruption jetzt auf den politischen Ebenen ernster genommen werden als je zuvor.

"icct - The International Council on Clean Transportation". Oder: saubere Luft und Gesundheit für die Menschen

Bereits seit 2005 als NGO gegründet, in der sich Verkehrswissenschaftler, Technik-Ingenieure, Politikwissenschaftler, aber auch engagierte Politiker und pensionierte Staatsbeamte sowie Mediziner weltweit vernetzt haben, wird sie bekannt als eigentlicher Auslöser der "Dieselgate"-Affäre, dem Abgasbetrug, der vor allem mit dem Namen "VW" verbunden ist - einem Unternehmen, an dem der Staat beteiligt ist und im Aufsichtsrat sitzt. VW hatte schon mehrere Skandale ausgestanden: Industriespionage, Korruption, "Lustreisen"-Affäre u.a.

Das Ziel der engagierten Mitmacher: saubere Luft, Gesundheit für die Menschen, emissionsfreier Transport und Verkehr, u.a. wegen des Klimas. So sammeln die Mitstreiter Daten aus unterschiedlichen Testlaboren vergleichen sie mit Herstellerangaben, stellen fest, dass die offiziell genannten Sauberkeitswerte (Grenzwerte) regelmäßig überschritten werden. Sie wundern sich, dass VW in den USA seine Dieselautos als absolut sauber verkauft, in Deutschland aber nicht. In den USA gelten sehr viel strengere Abgasregeln. Und so machen sie Tests. Nicht im Labor, sondern auf der Strasse. Und sind nicht allzu überrascht, dass die Herstellerangaben von VW nicht stimmen. Sprich: falsch und die Tests manipuliert sind. Weil von diesen Tests die US-Umweltbehörden erfahren, führen sie selber Untersuchungen durch und sehen die Ergebnisse von "icct" bestätigt. Sie laden die Manager vor. Und jetzt wird weltweit öffentlich, was unter den Stichworten "Abgasbetrug" oder "Dieselgate" in die Annalen eingehen wird.

Bis heute sind die Gerichte in Deutschland, insbesondere die oberen Instanzen damit beschäftigt, die "Dreckschleudern" aus dem Verkehr zu ziehen, den Käufern solcher manipulierten Fahrzeuge Schadensersatz zuzusprechen und die Verantwortlichen für den Betrug zur Rechenschaft zu ziehen. In den USA ging das sehr schnell. Runde 40 Milliarden musste VW dort zahlen: Rücknahme der Autos und Ersatz sowie Strafe. Ohne die Aktivitäten dieser inzwischen rund um den Globus agierenden NGO würden vermutlich noch heute Millionen von manipulierten Autos die Umwelt verpesten. Und den Klimawandel beschleunigen.

US-Datenkrake facebook & Co versus Datenschutz für die Menschen

"Privatsphäre" und "Schutz der persönlichen Daten" versprachen und versprechen bis heute die großen Digitalkonzerne Amazon, Apple, facebook, google & Co. Nachdem bekannt wurde, dass alle gleichzeitig heimliche Zulieferer für die NSA waren (und womöglich immer noch sind), glauben nicht mehr alle Menschen an deren Ankündigungen. Auch der Österreicher Max SCHREMS nicht, wollte wissen, was facebook so alles archiviert hatte über ihn. Nichts mehr, alles längst gelöscht, so die Auskunft der Datenkrake "facebook". Es war gelogen. Und so zogen er und seine zivilen Mitstreiter durch alle in Europa denkbaren Behörden und Instanzen vor die diversen Gerichte. 2015 dann das höchstinstanzliche Urteil des EuGH: das von der EU-Kommission mit den USA ausgehandelte "Safe-Harbor-Abkommen" ist mit EU-Recht nicht vereinbar. Also ungültig.

Mit seinem gegründeten Verein "europe-v-facebook" bringt Max SCHREMS eine Sammelklage gegen facebook auf den Weg. Rund 25.000 Menschen machen mit. Und wieder geht es vor den EuGH, der auch das Nachfolgeabkommen der EU mit den USA im Jahr 2020 kippt: die "Privacy-Shield"-Datenschutzvereinbarung.

Die Europäer sind inzwischen (daten)sensibel geworden. Inzwischen gelten strenge Regeln, hierzulande beispielsweise die Datenschutzgrundverordnung und andere Gesetze. Ohne das hartnäckige Agieren der Zivilgesellschaft wäre es wohl so weit nicht gekommen: Unternehem dürfen personenbezogene Daten nicht mehr auf Servern oder Clouds außerhalb Europas speichern.Denn nur hier gelten die strengen Regeln.

"Es gibt nichts Gutes. Außer man tut es": Whistleblowing

Fortschritt und Verbesserungen, Qualität und Effizienz, Gesundheit und Wohlbefinden für die Menschen gibt es nur, wenn illegales und unmoralisches Verhalten geächtet und sanktioniert wird. Bis dato wurden nur die "Überbringer der schlechten Nachrichten" bestraft: die Whistleblower. Für die Allgemeinheit von großem Nutzen trugen sie - bisher - die Risiken persönlich, wenn sie auf Probleme, Missstände, Risiken oder Gefahren aufmerksam gemacht haben.

Das soll sich nun ändern. Seit 2. Juli 2023 gibt es auch in Deutschland ein "Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG)". Es soll Whistleblower vor Repressalien und Rache schützen und dadurch potenzielle "Hinweisgeber" zum Handeln animieren. Einiges ist (noch) nicht perfekt. Und so wird es weiterer Aktivitäten bedürfen, die letzten Lücken dieses Gesetzes zu schließen. So wie die Vertreter der Zivilgesellschaft dies bisher getan haben: allen voran das Whistleblower-Netzwerk, Transparency, Reporter ohne Grenzen und die Gesellschaft für Freiheitsrechte

Aktuelle Informationen dazu stellt das Whistleblower-Netzwerk bereit. Erfolgsgeschichten von Whistleblowern für die Allgemeinheit und gleichzeitig deren persönlichen Schicksale haben wir ausführlich dokumentiert unter www.ansTageslicht.de/Whistleblower und in kürzerer Form unter www.ansTageslicht.de/Whistleblower-kurz. Zum Nachmachen! Jetzt unter anderen Voraussetzungen.

"Der Fortschritt ist eine Schnecke"

So sagt man. So heißt es. Und deswegen gilt die Devise: nicht aufgeben! Dranbleiben!

Andere formulieren es auch anders: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.

Egal wie: Je mehr mitmachen, desto schneller geht es. Das Frauenwahlrecht gibt es in Deutschland (erst) seit 1919. Ein Ergebnis der Revolution ein Jahr zuvor. In der "liberalen" Schweiz gab es keine Revolution. Und deshalb dieses selbstverständliche Menschenrecht erst seit 1971 - ein halbes Jahrhundert später.

Nur eines der vielen Beispiele, wie Menschen Veränderungen durchsetzen (können).

(JL)

Online am: 03.10.2023
Aktualisiert am: 05.10.2023


Inhalt:

Wie in Deutschland nach 1945 die Zivilgesellschaft entstand


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