Die beiden CBL-Berichte der Wochenzeitung DIE ZEIT, 12.03.2009

von Roland KIRBACH

Für dumm verkauft

 

Man stelle sich vor, ein verzweifelter Mann würde eine Schuldnerberatung betreten und erzählen, dass er Schulden von mehr als 100 Millionen Euro angehäuft habe - weil er einen Vertrag unterschrieben habe, den er nicht verstanden, ja nicht einmal gelesen habe. Mehr als 1000 Seiten seien es wohl gewesen, verfasst in englischer Sprache und leider nicht übersetzt. Nur eine zehn Seiten lange Zusammenfassung auf Deutsch habe er einsehen dürfen. Zur Vertragsunterzeichnung, erzählt der Schuldner weiter, habe er zu einer Anwaltskanzlei in New York reisen müssen. Dort sei in großer Hektik nachverhandelt worden - unklar, warum.

Am Ende habe ihm das Geschäft nicht den versprochenen Millionengewinn, sondern einen riesigen Verlust eingebracht. Schlimmer noch: Der Vertrag habe dazu geführt, dass er große Teile seines Eigentums verloren habe.

Der Schuldnerberater würde den Klienten vermutlich fragen, ob er noch bei Trost gewesen sei, sich derart fahrlässig und naiv auf ein Geschäft einzulassen, das er nicht durchschaute.

Und nun stelle man sich vor, dass sich jeden Tag weitere Verzweifelte an den Schuldnerberater wenden, und sie alle erzählen ähnliche Geschichten, die von verlorenen Vermögen handeln, von Wasserwerken, Straßenbahnen, Krankenhäusern, alles perdu. Eine sehr ungewöhnliche Geschichte käme da zustande, eine Parabel auf die unbekannte Bundesrepublik, eine Geschichte der Dummheit und der Gier.

So blauäugig wie die Verzweifelten in der Schuldnerberatung haben sich viele deutsche Bürgermeister, Kämmerer und Gemeinderäte jahrelang verhalten - mit dem Unterschied, dass es nicht ihr Privateigentum war, das sie veruntreut hatten, sondern öffentliches Gut. Sie vertrauten einem Geschäftsmodell namens Cross Border Leasing, von dem sie sich Gewinne versprachen. Nun stehen sie mit leeren Händen da. Den Schaden haben die Bürger.

 
Die Gier erfasste kleine wie große Städte, reiche wie arme

Peter Kaminski wartet im Café Augustus in Leipzig, einem Pavillon, eingeklemmt zwischen dem Gewandhaus und der Baustelle des neuen Universitätsgebäudes. Kaminski war in den neunziger Jahren Stadtkämmerer, er hat das neue Geschäftsmodell in Leipzig durchgesetzt. In Jeans, schwarzem Rollkragenpulli und kariertem Sakko sitzt er da und macht einen entspannten Eindruck, so, als sei er mit sich im Reinen. Seit der Wiedervereinigung seien »die Kommunalfinanzen katastrophal gewesen«, sagt der Christdemokrat. Zwar habe es für Investitionen in der Stadt hohe Fördermittel des Bundes gegeben, »aber es waren immer auch Eigenmittel erforderlich« - die Leipzig nicht aufbringen konnte.

Wie gerufen sei da Mitte der neunziger Jahre jener Rechtsanwalt namens Smith - »der hieß wirklich so!« - von der Finanzberatung PricewaterhouseCoopers in New York gekommen. Eines Tages habe dieser Mister Smith unangemeldet in Kaminskis Amtszimmer gestanden und ihm ein Geschäft vorgeschlagen, mit dem Leipzig viel verdienen könne. Drei Buchstaben nur: CBL. Cross Border Leasing, Leasing über Staatsgrenzen hinweg. Eine Kommune verkauft öffentliches Eigentum an einen ausländischen Investor - de facto war es stets ein amerikanischer - und mietet es sofort zurück.

Damals, sagt Kaminski heute, habe er gleich erkannt, dass dies ein Handel sei, von dem beide Seiten nur profitieren könnten. In den USA galt Cross Border Leasing als förderungswürdige Auslandsinvestition, der Geldgeber erhielt deshalb einen Steuervorteil. Davon gab er der Stadt einen Teil ab. »Barwertvorteil« haben die Erfinder des CBL diese Zahlung getauft - ein Begriff, der nach Expertise klingt, den es aber in Wahrheit im Finanzwesen gar nicht gibt. Beide Seiten bereicherten sich auf Kosten eines anonymen Dritten - des amerikanischen Steuerzahlers. Bis das Geschäft unterschriftsreif war, habe er jedoch noch einige Überzeugungsarbeit leisten müssen, erzählt Kaminski. Viele Stadträte hätten zunächst argwöhnisch reagiert, hätten gefragt: »Was wollen denn die Amerikaner mit unserer Infrastruktur?«

Am Ende stimmten alle Fraktionen, außer der PDS, dem Deal zu; Leipzig verkaufte Straßenbahnen an die amerikanische Bank First Union und leaste sie umgehend zurück. Es war eines der ersten CBL-Geschäfte in Deutschland, und Kaminski sieht sich selbst im Rückblick als einen Wegbereiter, als kreativen Kopf, dem es gelungen ist, auf unkonventionelle Weise den Haushalt seiner Stadt zu entlasten. »Wir sind die Erfinder des CBL!«, ruft er. Fragen nach Details kommen ihm da jetzt eher kleinlich vor, etwa die, ob die Stadträte wussten, worüber sie abstimmten. Oder wie die Risiken dieser Verträge verteilt sind.

Das Geschäftsmodell Cross Border Leasing hat deutsche Kommunalpolitiker kollektiv um den Verstand gebracht. Bremen, Halle, Ludwigshafen, Rostock, Köln, Berlin, Düsseldorf, Jena, Bielefeld, Essen, Dresden, Bonn, Karlsruhe, Kassel, Darmstadt, Herford, Wittenberg, Nürnberg, Konstanz, Zwickau, Duisburg, Kaiserslautern, Heidenheim, Magdeburg, Ulm, Mannheim - all diese Städte und noch etliche mehr machten ihre Straßenbahnen, Kläranlagen oder Messehallen zu Geld. Je nachdem, was sich anbot. Totes Kapital schien mit einem Mal lebendig zu werden.

In ganz Europa haben Städte, Zweckverbände und kommunale Unternehmen seit den neunziger Jahren solche Verträge mit amerikanischen Investoren unterzeichnet. Die Deutschen waren besonders gierig. Rund 150 Städte, so viele wie in keinem anderen Land der Europäischen Union, haben diese Geschäfte abgeschlossen, manche gleich mehrere. Schätzungen über das Gesamtvolumen der deutschen Verträge schwanken zwischen 30 und 80 Milliarden Euro.

Die Gier erfasste kleine wie große Städte, reiche wie arme. Anfangs war es vor allem das sogenannte Rollmaterial der Verkehrsbetriebe, Straßen- und U-Bahnen, die verkauft wurden. Danach kamen wertvollere Einrichtungen wie Müllverbrennungsanlagen, Klärwerke und Abwassersysteme an die Reihe. Später folgten Messehallen, Tunnel, Bahnhöfe und Oberleitungen. Weil allmählich die Objekte ausgingen, wurden schließlich Krankenhäuser verleast (in Leipzig und Chemnitz), Schulzentren und sogar das Rathaus (in Gelsenkirchen). 

Ein Deal über das Abwassernetz einer Großstadt samt Klärwerken kann, wie in Köln und Düsseldorf, ein »Transaktionsvolumen« von etwa 1,2 Milliarden Dollar umfassen, sagt der Kölner Publizist Werner Rügemer, der vor vier Jahren, lange vor der aktuellen Finanzkrise, in seinem Buch Cross Border Leasing vor den Risiken dieser Geschäfte warnte.

Die Konditionen sind immer die gleichen: Der Mietvertrag der Kommune mit dem Investor läuft 99 Jahre. Ihren Verkaufserlös - einen kleinen Teil der Steuerersparnis - erhält die Stadt gleich am ersten Tag, in der Regel vier Prozent des »Transaktionsvolumens«. Eine einmalige Zahlung. Danach wird der Stadt nichts mehr ausbezahlt. Der Rest des Kaufpreises bleibt in den Händen einer Bank - die Stadt hat während der gesamten Laufzeit nur noch Pflichten. Möchte sie ihren einstigen Besitz nicht erst nach 99 Jahren zurückbekommen, muss sie nach 30 Jahren kündigen und ihre Anlagen gegen einen hohen Betrag zurückkaufen. Bis dahin muss die Stadt Anwälte in New York sogar um Erlaubnis fragen, wenn sie nur ihre Abwasserrohre erneuern will.

Doch die städtischen Honoratioren sahen nur die Aussicht auf das schnelle Geld. Auch öffentliche Haushalte, so redeten plötzlich Finanzdezernenten, müssten unkonventionelle Lösungen suchen. Menschen wie der Grüne Manfred Busch, früher Kämmerer in Wesel, heute in Bochum, warfen mit Begriffen wie » plain vanilla -Deals« und »Swapgeschäften« um sich. Es war zu verlockend: Ohne einen Kredit aufnehmen zu müssen, kam Bargeld in die Stadtkasse, und für die Bürger änderte sich vorerst nichts. Die Straßenbahnen fuhren weiter, das Wasserwerk lieferte weiter Wasser.

In Leipzig stieg der Kämmerer, der so leicht Millionen beschaffen konnte, zum kleinen Star auf, die CDU nominierte Kaminski 1998 zum Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters, doch unterlag er seinem Kontrahenten von der SPD, Wolfgang Tiefensee. Heute ist Kaminski Unternehmensberater.

 

Das Geheimnisumwitterte hat die Politiker fasziniert

Der tiefe Fall folgte 2004: Als Kämmerer wurde er abgewählt, Sachsens Antikorruptionseinheit hatte wegen mehrerer Affären gegen ihn ermittelt. So habe er einem Leipziger Unternehmer, der ihn in seinem OB-Wahlkampf unterstützte, eine unangemessen hohe Provision für die Suche nach einem Stadioninvestor zukommen lassen. Bis heute hat das Leipziger Landgericht nicht entschieden, ob es deswegen noch den Prozess gegen Kaminski eröffnet. In einem anderen Fall wurde er wegen Vorteilsnahme zu einer Geldstrafe verurteilt. 

Sieben CBL-Verträge hat Leipzig abgeschlossen, mehr als jede andere deutsche Stadt. Nach den Straßenbahnen verkauften die Leipziger das Schienennetz und die Oberleitungen, später die Kongresshalle, die Neue Messe, die Kläranlagen, die Trinkwasserversorgung, am Ende auch ihr Klinikum. Wie bei einem Junkie, der immer höhere Dosen braucht, stieg mit jedem Handel das Volumen und damit der Anteil, den die Kommune ausbezahlt bekam. 23,3 Millionen Dollar erhielt sie für den Verkauf der Trinkwasserversorgung. Doch was sind 23 Millionen im Vergleich zum Wert der Anlage von 630 Millionen Dollar, die Leipzig dafür aus der Hand gab?

Während der Verhandlungen sprachen Kämmerer wie Kaminski nicht direkt mit den Investoren, sondern mit den Anwälten großer amerikanischer Kanzleien wie Clifford Chance, Allen & Overy oder Weil, Gotshal & Manges. Diese Anwaltsfirmen agieren wie Spinnen im Netz, viele von ihnen haben sich die verschachtelten Geschäftsmodelle ausgedacht. In den Jahren des Cross-Border-Leasing-Booms haben sie Filialen in Europa gegründet oder bestehende Kanzleien aufgekauft.

Die Anwälte arbeiteten mit den sogenannten Arrangeuren zusammen, die alles einfädelten. Deren Aufgabe war es, die Partner eines Geschäfts zusammenzubringen, den Investor, die Banken, die Anwälte und die Kommunen. Als Arrangeure traten Tochtergesellschaften renommierter Banken auf, beispielsweise die Deutsche Bank Export Leasing GmbH, oder Finanztöchter von Konzernen wie DaimlerChrysler Services Structured Finance (debis). Auch die öffentlich-rechtlichen Geldinstitute mischten über ihre Tochterbanken mit. Oft arbeiteten die Kanzleien fest mit einem Arrangeur zusammen, so etwa Allen & Overy mit der Deutsche Bank Export Leasing GmbH. 

Der Investor selbst war den Kommunen oft nicht einmal bekannt. Er habe sich Vertraulichkeit ausbedungen, teilten die Anwälte mit, und die Kommunalpolitiker gaben sich meist damit zufrieden. Das Geheimnisvolle hat sie offenbar fasziniert; es vermittelte ihnen das Gefühl, zu einer Avantgarde der Eingeweihten zu gehören. Das Geheimnisumwitterte ist auch Bestandteil der Verträge: Zu absoluter Verschwiegenheit mussten sich die Städte verpflichten.

Den deutschen Kommunalpolitikern stand ein Geflecht von Akteuren gegenüber, das sie oft nicht durchschauten. So sind in der Regel weder der Arrangeur noch der Investor - der im eigentlichen Sinn gar nicht investierte, sondern nur abkaufte - Vertragspartner der Stadt, sondern ein Trust, der eigens für das jeweilige Geschäft gegründet wurde und seinen Sitz immer in einer der beiden amerikanischen Steueroasen hat, in Delaware oder Connecticut. Der Trust werde zwar ins Handelsregister eingetragen, sagt der CBL-Experte Rügemer, aber es werde »nicht ersichtlich, wem der Trust gehört« - wer also der Geldgeber ist.

Die Geschäfte wurden oft wie im Fall der Leipziger Trinkwasserversorgung abgewickelt: Die Kaufsumme von 630 Millionen Dollar leiht sich der Investor bei einer Darlehensbank. Vier Prozent davon, 23 Millionen, bekommt die Stadt Leipzig ausbezahlt, die restlichen 96 Prozent werden auf die drei anderen Banken zu unterschiedlichen Teilen gestreut. Alle sollen mit dem Geld wirtschaften und es mehren. 

Alle Verträge mit den Kommunen wurden in New York unterzeichnet, New York ist Gerichtsstand - vor allem aus einem Grund: Dort gilt die Bestimmung, dass Verträge auch dann gültig bleiben, wenn sich herausstellen sollte, dass sie gegen US-Bundesrecht verstoßen. Bald setzte ein reger Tourismus deutscher Kommunalpolitiker nach New York ein, meist reisten sie in großen Delegationen an. Ort der Zeremonie war jedes Mal ein prachtvoller Saal in den Räumen einer der beteiligten Anwaltskanzleien. Auch der Leipziger Peter Kaminski flog zum Unterzeichnen in die USA. »Sehr viele Anwälte« hätten sich um den Tisch aufgestellt, sagt er noch heute beeindruckt. Fast immer, berichten Teilnehmer, habe es noch nächtelange »Letztverhandlungen« gegeben, was dem Ereignis etwas Dramatisches wie Einschüchterndes verliehen habe.

Davon hatten die meisten Leipziger Stadträte keine Ahnung, als sie im Rathaus über den Vertrag zur Trinkwasserversorgung abstimmten. Ebenso wenig wie die Politiker in anderen Städten, als sie den Verkauf von Kanalnetzen, U-Bahnen, Kläranlagen beschlossen. Kein einziger der CBL-Verträge in Deutschland ist je übersetzt worden, in den Rathäusern liegen sie oft nicht einmal vor, sie lagern in New York. Sie umfassen bis zu 1500 Seiten, manchmal auch mehr. Der Prokurist der Bielefelder Stadtwerke hat einmal auf die Frage, wie umfangreich der Vertrag über den Verkauf von 64 Stadtbahnwagen sei, geantwortet: »Den können Sie allein nicht tragen.« Zehn Aktenordner.

Unbelastet von Faktenwissen stimmten fast alle Fraktionen in den Rathäusern den Verträgen begeistert zu. »Es kam einem ja vor wie eine Gelddruckmaschine«, sagt Christian Schulze, der Vorsitzende des Finanzausschusses und stellvertretende SPD-Fraktionschef im Leipziger Stadtrat. Mit seiner barocken Leibesfülle und dem gestutzten Vollbart macht Sozialdemokrat Schulze einen gutmütigen Eindruck. Im Hauptberuf leitet er ein Seniorenzentrum der Arbeiterwohlfahrt. Seine Welt ist das Soziale, Finanzprodukte sind ihm fremd.

Kennt Schulze die Namen der Investoren der Leipziger Geschäfte? Im Zusammenhang mit dem Verkauf des städtischen Klinikums St. Georg habe er »mal an einer Telefonschaltung mit Anwälten teilgenommen«, sagt er. »Kann sein, dass der Name des Investors genannt wurde.« Gemerkt habe er ihn sich nicht. 

Nach und nach sind die Fesseln, die in den umfangreichen Verträgen versteckt sind, an die Öffentlichkeit gedrungen. Zum Beispiel, dass Amerika von nun an über deutsche Infrastruktur bestimmt. Die Trinkwasserversorgung in Leipzig etwa darf nicht verkleinert werden, sollte die Bevölkerung schrumpfen, sonst würde sie an Wert verlieren. Den Schaden hätten auch in diesem Fall die Bürger, sie müssten höhere Gebühren zahlen als notwendig, um die überflüssigen Kapazitäten weiter aufrechtzuerhalten.

Das Gleiche gilt für das Leipziger Straßenbahnnetz, das zweitgrößte in Deutschland nach dem in Berlin. Die Stadt darf keine Strecken stilllegen, nicht einmal alte Straßenbahnzüge darf sie verschrotten oder, wie früher geschehen, nach Osteuropa weiterverkaufen. Im Süden Leipzigs liegt, umgeben von Kleingewerbe, der Straßenbahnhof Dölitz. Hier draußen haben die Verkehrsbetriebe rund 50 betagte Tatra-Straßenbahnzugmaschinen abgestellt, nicht mehr besonders ansehnlich, aber betriebsbereit; das schreibt der Vertrag vor.

New York bestimmt, was deutsche Städte dürfen. Will die Stadt Gelsenkirchen ein städtisches Gymnasium umbauen, müsse sie mit einer Firma verhandeln, die aus »einem Briefkasten auf den Cayman-Inseln« bestehe, sagt der SPD-Bürgermeister, der die Verträge von seinem CDU-Vorgänger geerbt hat. In Stuttgart musste die Planung für eine Brücke über den Neckar geändert werden. Ein Pfeiler sollte auf dem Gelände des Klärwerks im Stadtteil Mühlhausen stehen. Der amerikanische Investor, dem das Klärwerk vor zehn Jahren übertragen wurde, hätte wegen dieser »Wertminderung« Schadenersatz von der Stadt verlangen können. Deshalb wird die Brücke jetzt ein paar Kilometer flussabwärts gebaut.

Die Anbahnung und Betreuung der Leasinggeschäfte, zu denen sich die Kommunen verpflichtet haben, ist so aufwendig, dass Experten zweifeln, ob sich das Modell für die Städte je hätte lohnen können - ganz unabhängig von der Finanzkrise. Vor dem Vertragsabschluss müssen städtische Mitarbeiter in monatelanger Vorbereitung das sogenannte Wertgutachten schreiben. Danach haben sie jährlich Berichte an den Trust beziehungsweise an den Investor zu verfassen - auf Englisch. Während der gesamten Laufzeit müssen sie die Bonität der Schuldübernahmebanken beobachten. Sinkt deren Rating - so wie jetzt aufgrund der Finanzkrise -, müssen sie mit den Anwälten in den USA verhandeln und Banken für eine Umschuldung finden. Außerdem sind die Städte verpflichtet, die verkauften Anlagen gegen Risiken wie Beschädigung oder Stillstand zu versichern und den Versicherer ebenfalls zu wechseln, wenn der bisherige im Rating herabgestuft worden ist. Jede beteiligte Stadt müsste ein eigenes Amt für Leasinggeschäfte eröffnen, wenn sie diesen Aufgaben nachkommen wollte.

 

Die Stuttgarter SPD bedauert heute, was sie gestern beschloss

Die Öffentlichkeit konnte die Brisanz der Geschäfte zunächst nicht erkennen. Erst als mehr und mehr Details publik wurden, begann sich in den Städten Widerstand zu regen. In Kulmbach und Bergisch Gladbach verhinderten Bürgerentscheide den Abschluss von CBL-Verträgen. In Stuttgart verhinderte das »Wasserforum«, dass Schulzentren und Verwaltungsgebäude verscherbelt wurden. Zuvor hatte die Stadt bereits drei Kläranlagen und 136 Straßenbahnwagen verkauft.

Die Proteste bewegten nur wenige Ratsfraktionen zum Umdenken. So distanzieren sich in Stuttgart SPD und Grüne inzwischen von den Geschäften, denen sie zuvor begeistert zugestimmt hatten. Selbstkritisch räumt Manfred Kanzleiter, der SPD-Fraktionschef im Gemeinderat, ein, dass »die Risiken nicht voll überschaubar« seien und dass es sich um »moralisch fragwürdige« Geschäfte handele, »zu Lasten der öffentlichen Hand in den USA«. Man könnte Kanzleiter, einen weißhaarigen Herrn im dunklen Anzug, für einen konservativen hanseatischen Kaufmann halten, zumal wenn er Sätze wie diesen sagt: »Geld zu kassieren, ohne dass ein Mehrwert entstanden wäre, ist ja leistungsloses Geld, rein auf Spekulationsbasis.«

Das sehen die amerikanischen Behörden seit wenigen Jahren ebenso. 2004 beschloss der US-Kongress, dass neue CBL-Verträge keine Steuervorteile mehr mit sich bringen. Damit haben die Geschäfte ihren Reiz verloren, in Deutschland wurden seither keine Verträge mehr geschlossen. Die oberste Finanzbehörde in den Vereinigten Staaten erklärte, dass sie auch Abschreibungen aus bestehenden Verträgen nicht weiter anerkennen werde, und nannte die CBL-Geschäfte »missbräuchliche Steuerumgehung«.

Ein entscheidendes Urteil sprach das Bezirksgericht von Ohio im vergangenen Jahr. Geklagt hatte ein Trust, der die Wuppertaler Abfallwirtschaftsgesellschaft übernommen hatte und für die Jahre 1999 bis 2003 rund 88 Millionen Dollar Steuernachlass einforderte. Das Gericht lehnte ab. Es rekonstruierte den Deal und kam zu dem Schluss, dass es sich um ein reines Buchgeschäft gehandelt habe. Der Vertrag ist damit aber noch nicht aufgelöst, denn das Gericht beschäftigte sich nur mit der steuerlichen Absetzbarkeit des Geschäfts in den USA. Die Verträge deutscher Städte mit den Banken und der Versicherung laufen weiter.

Auf alle deutschen Kommunen, die solche Verträge abgeschlossen haben, kommen jetzt unsichere Zeiten zu: Wie werden die Investoren reagieren, wenn der eigentliche Geschäftszweck, der Steuervorteil, entfällt? Werden sie die Verträge auflösen? Zu welchen Bedingungen? Oder werden sie die umfangreichen Vertragswerke durchforsten auf der Suche nach Verstößen, die sie den Kommunen anlasten und für die sie sich entschädigen lassen könnten? Die Finanzkrise hat dazu geführt, dass fast alle Banken und Versicherungen, welche die Geschäfte absichern, im Rating gesunken sind, also Kreditwürdigkeit eingebüßt haben. Für diesen Fall jedoch verpflichten die Verträge die Städte dazu, gleichwertigen Ersatz zu beschaffen. Deshalb suchen die Kommunen jetzt verzweifelt nach neuen Banken und Versicherungen. Der Kampf um die wenigen verbliebenen Anbieter, die heute noch die erforderliche Bonität haben, ist hart. Wird eine Kommune nicht innerhalb von 90 Tagen fündig, muss das Geschäft im schlimmsten Fall rückabgewickelt und der Geldgeber entschädigt werden. Die Verluste könnten in die Millionen gehen. Was auf die öffentlichen Haushalte und damit auf die Bürger zukommen kann, zeigt das Beispiel der beiden Wasserverbände Baden-Württembergs.

An einem Mittwoch im Februar stürmt der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer aus dem Rathaus, setzt sich aufs Rad, fährt zum Bahnhof und steigt in die Regionalbahn nach Esslingen. Der Grünen-Politiker muss zu einer Versammlung, auf der womöglich über die Zukunft deutscher Städte entschieden wird.

Tübingen hat zwar selbst keine CBL-Geschäfte abgeschlossen, ist aber dennoch infiziert: Der Zweckverband Bodensee-Wasserversorgung, dem die Stadt angehört und von dem sie ihr Wasser bezieht, hat sein Leitungsnetz und alle Wasserwerke für 841 Millionen Dollar an die First-Union-Bank verkauft und dafür 35 Millionen Euro ausgezahlt bekommen. Auch der zweite große Zweckverband des Landes, die Landeswasserversorgung, hat das Leitungsnetz und alle Wasserwerke den Amerikanern überschrieben.

 

Ein krummes Geschäft sichert ein anderes krummes Geschäft ab

Beide Verbände haben an jenem Mittwoch in Esslingens Stadthalle, das Neckarforum, geladen. Es wird kein leichter Tag für die Verbandsführer werden. Sie werden sich für diese leichtsinnigen Geschäfte rechtfertigen müssen, die bloß noch Verluste bringen.

Aus dem ganzen Land sind die Bürgermeister angereist, an die 300. Im Foyer steht ein Büffet mit Kaffee, Kuchen und Butterbrezeln bereit. Lokalreporter hasten zwischen Stehtischen hin und her, um die grimmig dreinschauenden Bürgermeister zu befragen.

Boris Palmer möchte, dass juristische Schritte gegen den Investor geprüft werden und notfalls gegen den Vertrag geklagt wird. Der Tübinger Gemeinderat steht geschlossen hinter seinem Oberbürgermeister. Damit stellt sich Tübingen gegen den Rettungsplan, den die Verbandsspitze um den Vorsitzenden, Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU), ausgearbeitet hat. Mit düsterer Miene sitzt Schuster auf dem Podium und mustert die Reihen, neben ihm seine Stellvertreter, die Geschäftsführer und ganz außen ein Anwalt der Kanzlei Clifford Chance.

Es war der Versicherungskonzern American International Group (AIG), der die Wasserverbände ins Verderben stürzte. Jener Gigant, den die amerikanische Regierung mit 152 Milliarden Dollar Steuergeld gestützt hat, um ihn vor dem Kollaps zu bewahren, und der nun weitere Milliarden braucht. Noch nie hat eine Regierung so viel Geld zur Rettung eines privaten Unternehmens eingesetzt (ZEIT Nr. 8/09). Der Konzern AIG ist der Vertragspartner der baden-württembergischen Wasserverbände und sichert die Leasinggeschäfte gegen Wertverluste ab. Da der Konzern im Ranking tief gestürzt ist, müssen die Baden-Württemberger Ersatz für ihn finden. AIG ist der mit Abstand am häufigsten eingesetzte Versicherer bei deutschen CBL-Geschäften. Viele Städte werden sich nun neue Versicherungen suchen und dafür teuer bezahlen müssen.

Die Lösung, die sich die Baden-Württemberger Verbandschefs ausgedacht haben: Die beiden Wasserverbände kaufen als neue Sicherheiten amerikanische Staatsanleihen für 70 Millionen Euro. Um Steuern zu sparen, sollen die Anleihen - am deutschen Fiskus vorbei - über eine Tochterfirma der Deutschen Bank in Luxemburg in eine Stiftung in Amsterdam fließen.

 

»Die Geschäfte waren undurchsichtig«, sagt ein Ministerialrat

Als Boris Palmer ins Neckarforum läuft, bebend vor Ärger darüber, dass ein krummes Geschäft durch ein weiteres krummes Geschäft abgesichert werden soll, hat sich die Lage über Nacht gedreht. Der amerikanische Investor habe am frühen Morgen, wenige Stunden vor dem Versammlungsbeginn, per Fax überraschend einen Ausstieg aus dem Leasinggeschäft angeboten, verkündet Verbandschef Schuster. Die Vertragsauflösung aber soll - merkwürdige Koinzidenz - genauso viel kosten wie der geplante Kauf der US-Anleihen zur Absicherung. Dann geht alles sehr schnell, die Versammlung nimmt das Angebot mit großer Mehrheit an. Wenige Tage später werden die Verbände und der Investor handelseinig. Ende März werden die Verträge unterzeichnet sein. Verrechnet man die Ausstiegskosten mit den finanziellen Vorteilen, bleibt am Ende ein Minus von 10 Millionen Euro.

Schlimmer hat sich das krisengebeutelte Bochum verspekuliert: Die Stadt im Ruhrgebiet hat ihr Abwasserkanalnetz verleast und dafür 20 Millionen Euro erhalten. Nun musste die Stadt zur Absicherung des Geschäfts US-Staatsanleihen für 90 Millionen Euro kaufen. Die sozialdemokratische Oberbürgermeisterin und damalige Kämmerin Ottilie Scholz zog das Geschäft 2003 durch. Sie behauptete, sie stehe unter Termindruck, und kam so einem Bürgerentscheid zuvor. Die Grünen, ihr Koalitionspartner, versuchten das Geschäft mit Blick auf den damals bevorstehenden Irakkrieg sogar zur guten Tat zu veredeln. Jeder Dollar, der so dem »amerikanischen Kriegshaushalt« entgehe, sei »ein Beitrag für den Frieden«, meinten sie.

Auch für die hoch verschuldete Hauptstadt könnte es noch teuer werden. Berlin hat seine Straßen- und U-Bahnen einem amerikanischen Investor überlassen. Die Verkehrsbetriebe (BVG) haben schon für alle Fälle Rückstellungen gebildet, 156 Millionen Euro. Bis heute allerdings »hat noch niemand von uns Geld haben wollen«, sagt eine BVG-Sprecherin. Sollte es aber so kommen, werde überlegt, den damaligen Berater, die Investmentbank JP Morgan, »wegen schlechter Beratung« zu verklagen. Das Geld, mit dem die Geschäfte bisher abgesichert waren, ist zum Teil in solchen Papieren angelegt, die die weltweite Finanzkrise ausgelöst haben und die nun so gut wie unverkäuflich sind. Darunter Papiere von Banken, die es nicht mehr gibt, wie Lehman Brothers.

Nicht alles hätte man im Voraus wissen können, aber Skepsis gegen diese Art von Geschäften hat es von Anfang an gegeben. In einigen Städten setzten sich Kritiker durch und verhinderten Vertragsabschlüsse in München, Saarbrücken, Wiesbaden, Bottrop, Erfurt und Leverkusen.

In Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben Aufsichtsbehörden, im Unterschied zu den anderen Bundesländern, die CBL-Geschäfte nicht gebilligt. »Uns waren die Geschäfte zu undurchsichtig«, sagt der Ministerialrat Klaus Stöfen von der Kommunalaufsicht Schleswig-Holstein. »Vertragswerke von tausend Seiten, nach amerikanischem Recht! Und dann müssen noch fünf Juristen kommen, um einem den Vertrag zu erklären - das kann kein einfaches Geschäft sein!«

In anderen deutschen Regionen haben Anwälte neue Marktlücken entdeckt. So wie sie damals die Geschäfte vermittelten, so bieten sich die Juristen heute den Kommunen als Berater an, wenn es um Ersatz für die im Ranking gesunkenen Versicherungen geht oder um Rückabwicklungen der Leasinggeschäfte. Äußerst zugeknöpft sind diese Anwälte. Der Vertreter der Kanzlei Clifford Chance, der in Esslingen die Versammlung der Wasserverbände verfolgte, blieb gar nicht erst stehen, als er im Foyer nach dem Auflösungsvertrag gefragt wurde. Anrufe in den Anwaltskanzleien werden meist nicht beantwortet, oft sind Mailboxen eingeschaltet, nie ruft einer der Anwälte zurück.

Auf eine Anfrage der Fraktion der Linken in Leipzig, was die Stadt über »möglicherweise noch zu erwartende Auswirkungen auf die CBL-Verträge« wisse, antwortete die Kämmerin Bettina Kudla: Die Auswirkungen könnten »derzeit noch nicht abgeschätzt werden«. Das Risiko verteile sich »auf ungefähr 20 verschiedene Finanzinstitute«. »Nähere Angaben, insbesondere die namentliche Nennung der an den CBL-Verträgen beteiligten Banken«, seien nicht gestattet. Einen Interviewtermin kann Kämmerin Kudla erst in vier Wochen anbieten. Stuttgarts Oberbürgermeister Schuster hat für ein Gespräch grundsätzlich keine Zeit.

 

Die Städte sind keine Opfer, sondern Akteure der Finanzkrise

Auch die Bundesregierung, auf die das Problem noch zukommen könnte, wenn Kommunen in ihrer Not unter den staatlichen Rettungsschirm drängen, will von dem Thema möglichst nichts wissen. Weil die Leasingverträge nicht öffentlich seien, habe die Bundesregierung auch »keine Grundlagen für eine Beurteilung« der Risiken, heißt es in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage aus dem Bundestag. »Die Frage der Bewertung des finanzpolitischen Handelns der Kommunen stellt sich für die Bundesregierung daher nicht.«

Doch die politisch Verantwortlichen werden Stellung beziehen müssen: Die ersten Städte haben sich schon hilfesuchend an den Bundesfinanzminister Peer Steinbrück gewandt. Wuppertal, Bochum, Gelsenkirchen und Recklinghausen bitten ihn in einem Brandbief, die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) anzuweisen, die Kommunen zu unterstützen. Steinbrück meint zwar, »bei zutreffender Einordnung« hätte »von den Geschäften Abstand genommen werden müssen, weil sich die Risiken aufgrund der Komplexität und langen Laufzeit der Verträge nicht hinreichend einschätzen ließen«. Dennoch will er den Städten jetzt helfen, die KfW kann Bürgschaften gewähren.

Die Kommunen seien keine Opfer der Finanzkrise, sondern »Akteure«, glaubt der Kölner CBL-Experte Rügemer. »Sie haben solche Finanzprodukte mit ermöglicht, die, genauso wie die faulen amerikanischen Hypothekenkredite, zu dieser Finanzkrise geführt haben.«

Schlimmer ist noch, dass Kommunalpolitiker das Recht gebrochen haben: Sie haben über Verträge abgestimmt, die nicht auf Deutsch vorlagen, ein Verstoß gegen die Gemeindeordnungen. Sie haben kreditähnliche Rechtsgeschäfte abgeschlossen. Das ist ihnen verboten. Sie haben ihre Vorschriften missachtet und den Gerichtsstand New York akzeptiert.

Das schnelle Geld war ihnen wichtiger als das langfristige Wohl der Bürger. Sie haben als Demokraten versagt.