Strukturen der Wasserwirtschaft

Das nachfolgende Schaubild zeigt einen ersten Teil des Problems der Trinkwasserqualität an der Ruhr, nämlich den  Wasserkreislauf, der technologisch nicht optimiert  ist:  der Kreislauf  von Hunderten von gesundheitsgefährlichen Stoffen  vom Abwasser direkt ins Trinkwasser  und von dort wieder ins Abwasser zurück. Dies ist das

Problem Nr. 1

wie auch die nachfolgende Grafik veranschaulicht:

Haushalte und Industrie verbrauchen Wasser, das durch den privaten und industriellen Gebrauch zu Abwasser wird. Dieses über die Kanalisation gesammelte Abwasser wird in den rund 70 Kläranlagen, die der sogenannte  Ruhrverband  betreibt,  nur mechanisch und biologisch gereinigt . Eine  chemische Reinigung  zur Elimination oder Rückhaltung der vielen gesundheitsgefährdenden Stoffe gibt es nicht. Wer darüber mehr wissen will, schlage nach unter  PFT und andere 'leckere' Substanzen im Trinkwasser .

Dieses nicht wirklich vollständig geklärte 'Wasser' wird in die Ruhr geleitet und kurz darauf als sogenanntes Oberflächenwasser von den Trinkwasserwerken wieder entnommen und als Basis der Trinkwassergewinnung eingesetzt. Das Rohwasser, das die Trinkwassergewinnungsanlagen verwenden, besteht zu 40 % aus solchem Kläranlagenablauf.

Die Trinkwasserversorger an der mittleren Ruhr, die zum Gelsenwasser-Konzern gehören, setzen keine chemisch-physikalischen Aufbereitungsverfahren ein, um den Chemiecocktail Ruhrwasser aufzubereiten: Die Schadstoffe, die im Ruhrwasser enthalten sind, gelangen direkt ins Trinkwasser.

Die Trinkwasserversorger an der unteren Ruhr und oberen Ruhr hingegen setzen schon seit Jahrzehnten Aufbereitungstechniken nach jeweils aktuellem Stand der Technik ein.

Die Fließrichtung des Ruhrwassers muss man sich auf der obigen Abbildung des Ruhrverbands von oben nach unten vorstellen. Die gesamte Region an der Ruhr ist mit solchen Kläranlagen und Rohwasser-Entnahmestellen besetzt, wie die nachfolgende Karte zeigt:

Klicken Sie sich auf der 4-teiligen Karte durch! Sie erkennen die 30 Trinkwasserwerke und die rund 70 Kläranlagen bzw. die dichte Abfolge von geklärtem Abwasser und entnommenem Oberflächenwasser aus der Ruhr, das zu Trinkwasser (nicht nach dem neuesten Stand der Technik) aufbereitet wird. Soweit zu Problem 1.

Problem Nr. 2

besteht in den wirtschaftlichen Strukturen, wie das Problem Nr. 1 gemanagt wird: Durch  2 große Monopole bzw. Quasimonopole . Die muss man sich näher anschauen: 



Monopol 1: Der Ruhrverband

(www.Ruhrverband.de ) 
In allen anderen Regionen Deutschlands sind die Kläranlagen und Trinkwasserwerke in direktem Besitz der Städte und Gemeinden. Jeder Bürgermeister ist direkt für die Qualität 'seines' Abwassers- und Trinkwassers verantwortlich. Die Bürger haben die Möglichkeit, schlechtes Abwasser- und Trinkwassermanagement direkt abzustrafen. 



Ganz anders entlang der Ruhr: 



Hier werden die Kläranlagen durch den Ruhrverband mit Sitz in Essen errichtet und betrieben. Der Ruhrverband ist eine Art kollektiver Zwangsvereinigung aller kommunalen Kläranlagen und aller industriellen Einleiter. In der Fachsprache heißt dies "sondergesetzlicher" Verband, weil die Abwasserbeseitigungspflicht in NRW per Gesetz so geregelt ist.



'Mitglieder' dieses sondergesetzlichen Zweckverbandes waren im Jahr 2010

  • rd. 390 Unternehmen, die Abwasser über die Kläranlagen in die Ruhr einleiten
  • 60 Kommunen, die die Abwässer aus den Haushalten ihrer Einwohner klären lassen.

Das wirtschaftliche Ziel des Ruhrverbands: möglichst kostengünstig zu arbeiten. Daran hat vor allem die gewerbliche Industrie ein großes Interesse. 



Neue technologische Investitionen kosten Geld. Wenn es nicht unbedingt sein muss, macht man es nicht. Da die Qualität des geklärten Abwassers der direkten Verantwortlichkeit der jeweiligen Stadtoberhäupter entzogen ist, kann sich hier keinerlei Druck seitens der Opposition in den Rathäusern und/oder bei den Endverbrauchern in Gestalt von Bürgern entfalten. Statt einer individuellen kommunalen Verantwortlichkeit gibt es hier nur ein System der  kollektiven (Nicht)Verantwortlichkeit .



Und noch ein Unterschied ist bedeutsam: In einer Kommune haben die legitimierten, weil gewählten Stadträte ein Auskunftsrecht. Und sie entscheiden über Ausgaben und Investitionen. Die Geschäftspolitik des Ruhrverbands ist weit weniger transparent: Der Vorstand ist vor allem seinen (vielen) Mitgliedern rechenschaftspflichtig. Gewählte Volksvertreter in einem Rathaus und deren parlamentarischen Selbstverwaltungsrechte interessieren ihn nicht. 



Letztlich ist der Ruhrverband wie eine Art (Zwangs)Aktiengesellschaft strukturiert: Die (Zwangs)Mitglieder wählen alle vier Jahre einen sogenannten Verbandsrat (Aufsichtsrat). Der Verbandsrat wiederum wählt den Vorstand, der die Geschäfte im Sinne seiner "Mitglieder" bzw. deren Interessen führt. 



Die Stimmen sind nach Interessensgruppen gedrittelt, d.j. jede „Gruppe“ verfügt über 1/3 der Stimmenmehrheit:

  • die industriellen Einleiter (Unternehmen)
  • die Trinkwasserunternehmen (darunter z.B. die Gelsenwasser AG)
  • und die Kommunen (Städte und Gemeinden).


Mit diesem sondergsetzlichen Zweckverband musste sich Dr. Harald FRIEDRICH, der für das Thema Wasser zuständige Abteilungsleiter im Umweltministerium, auseinandersetzen. Zum Beispiel beim  ersten Konflikt um die Kläranlagen an der Ruhr . 




Monopol Nr. 2: Die Gelsenwasser AG

(www.Gelsenwasser.de )



Der große Trinkwasserversorger bzw. Trinkwasseraufbereiter der Ruhr-Region ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Gelsenkirchen. Das Unternehmen will vor allem Wasser verkaufen - mit dem Ziel, Gewinne zu machen. Dies interessiert vor allem die Aktionäre: regelmäßig eine möglichst satte Dividende. 



Die beiden großen Aktionäre sind 2 große Kommunen: die Städte

  • Bochum und
  • Dortmund.

Sie halten über eine gemeinsame Tochtergesellschaft, die Fa. Wasser und Gas Westfalen GmbH (WGW), knapp 95% der Aktienanteile. 



Die Kassen von Kommunen sind seit Jahrzehnten knapp. Regelmäßige Zusatzeinnahmen sind da immer willkommen bzw. notwendig. Einige Städte oder Bundesländer haben dabei auf ihre Landesbanken gesetzt und so ziemlich alles zugelassen, was Gewinne machte (z.B. Hamburg und Schleswig-Holstein mit ihrer HSH-Nordbank; Nordrhein-Westfalen mit der WestLB, Bayern mit seiner Bayern LB). Wie 'erfolgreich' eine solche ausschließlich am Gewinnstreben orientierte Unternehmensphilosophie war, ist jedem bekannt. 



Dortmund beispielsweise 'leistet' sich seit Jahren einen defizitären Flughafen. Diese Verluste müssen irgendwie ausgeglichen werden. Die zusätzlichen Einnahmen aus Dividende seitens Gelsenwasser fallen dabei umso höher aus, je

  • größer die verkauften Trinkwassermengen
  • und je geringer die Investitions- und Poduktionskosten sind.

Also steht bei diesem Wasserversorgungsmonopol (siehe die Verkaufsgebiete in der aktiven Karte weiter oben) nicht die allerbeste Trinkwasserqualität durch allerneueste Aufbereitungstechnik (z.B. Nanofiltrationsanlagen) an erster Stelle, sondern eine erfolgreiche "Geschäfts"-Politik. 

Die Käufer des Trinkwassers, die Kommunen bzw. Bürgermeister, haben keinen direkten Einfluss auf diese "Geschäfts"-Politik. Ähnlich wie bei den Kläranlagen des Ruhrverbands. Denn auch der Aufsichtsrat vertritt vor allem die Interessen der (beiden) Großaktionäre. 

Dies hat auch Dr. Harald FRIEDRICH zu spüren bekommen: anlässlich des  zweiten Konflikts um die Trinkwasserprobleme in Dinslaken und der 'sauberen' Lösung  dieses Problems. 


Problem Nr. 3

die Mentalität von Monopolen und Quasimonopolen.

Es ist altbekannt: Konkurrenz belebt das "Geschäft" und gemeint sind in diesem Fall Preise und Qualität. Wer keinerlei (wirklichen) Konkurrenz unterliegt, wird schnell träge - ein Uraltproblem von Monopolmentalitäten, egal ob in Behördenapparaten oder Unternehmensstrukturen.

Wer da mit neuen Ideen oder Vorschlägen kommt, stört die eingefahrene Bequemlichkeit der alltäglichen Routine. Denn sich mit Neuem auseinanderzusetzen, macht mehr Arbeit als jeden Tag immer das Gleiche zu tun. Wenn jemand besser und/oder schneller besser ist als der Durchschnitt, wird so jemand schnell zur potenziellen Bedrohung für jene, bei denen Mittelmaß und eingefahrene Routine Standard ist.

Genau damit hatte Harald FRIEDRICH zu kämpfen: im ersten und im zweiten Konflikt mit den Wasserwirtschaftsstrukturen.

Problem Nr. 4

die gegenseitige Verflechtung bzw. Vernetzung von Monopolstrukturen: Synergien bei Mittelmaß und Routine 

'Bruder im Geiste' wird man dann, wenn man denselben Philosophien anhängt und/oder gleichen oder ähnlichen Zielen nachgeht. Eine institutionelle Vernetzung bestärkt solche gleichgerichteten Energien. 

So ist beispielsweise die Gelsenwasser AG als Wasserentnehmer Mitglied im Ruhrverband. Tun sich die Vertreter des nicht optimierten Wasserkreislaufs zusammen (s.o.), also der Ruhrverband als Schadstoffquelle für viele gefährliche chemische Stoffe und die Gelsenwasser AG als Nichteliminierer dieser gesundheitsgefährdenden Substanzen, dann verfügen diese beiden Gruppen über die Stimmenmehrheit. 



Und lange Zeit saß beispielsweise sogar der Vorstandschef der Gelsenwasser AG, Dr.-Ing. Bernhard HÖRSGEN, höchstpersönlich im Verbandsrat (Aufsichtsrat) des Ruhrverbands. 

HÖRSGEN ist jener, der ‚sauer’ war, nachdem beispielsweise die Stadt Dinslaken statt Wasser bei Gelsenwasser einzukaufen sich für eine eigene Nanofiltrationsanlage entschieden hatte - unterstützt von Harald FRIEDRICH. HÖRSGEN schrieb daraufhin zwei Briefe (am 22.2.2006):

  •  In einem ersten Brief an Dr. Harald FRIEDRICH vertrat HÖRSGEN die Meinung,  "dass eine öffentliche Auseinandersetzung über die Qualitäten von Trinkwässern, die die gesetzlichen Anforderungen erfüllen, weder im Interesse der Aufsichtsbehörden noch im Interesse eines Wasserversorgungs-Unternehmens sein könnte. Vielmehr würde eine solche Diskussion nur zur Verunsicherung der Bürger hinsichtlich des Betriebes und der Überwachung der öffentlichen Wasserversorgung führen“.

"Gesetzliche Anforderungen" ist das eine. Bessere als die "gesetzlichen" Qualitäten das andere

  • In einem zweiten Brief an den Umweltstaatssekretär SCHINK forderte HÖRSGEN - recht subtil formuliert - die Ablösung von Harald FRIEDRICH:

Wenige Wochen zuvor hatte der Gelsenwasser-Mann in einem anderen Brief an den Umweltminister geschrieben,  "dass man mit Sorge" die Diskussion in Harald FRIEDRICH's Abteilung verfolge, "bei der die Membrantechnik als Schlüsseltechnologie herausgestellt und eine verstärkte Anwendung dieser Techniken in der Wasseraufbereitung angestrebt wird." 




Lösungen

bedeuten immer: Man muss die grundsätzlichen Probleme und deren Strukturen angehen. 

In den 70er Jahren beispielsweise hatte man auf politischer Ebene versucht, diese Strukturen beim Ruhrverband aufzubrechen. Der Plan scheiterte. Der Ruhrverband entdeckte plötzlich seine ‚Nähe’ zu den Gewerkschaften, spannte diese und seine Angestellten mit dem üblichen Argument der Gefährdung von Arbeitsplätzen vor seinen Karren und konnte so eine Reform verhindern. 

Darunter leidet die Qualität des täglichen Trinkwassers – bzw. die nachhaltige Gesundheit vieler Menschen - bis heute. 




(JL)