, 06.11.2015
Durchsuchungen bei Arzt und Service-Firma
Göttinger Tageblatt , 13.06.2012
von Jürgen GÜCKEL
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig, spezialisiert auf Fälle von Korruption, hat gestern Einzelheiten zu dem Transplantations-Skandal am Universitäts-Klinikum Göttingen (Tageblatt berichtete) bekannt gegeben. Einem ausländischen Patienten soll hier gegen hohe Geldsummen bevorzugt eine neue Leber implantiert worden sein.
Danach war Auslöser der strafrechtlichen Ermittlungen gegen den 45 Jahre alten Leiter der Transplantations-Chirurgie ein anonymer Hinweis an die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO). Diese hatte den Hinweis offenbar an Ärztekammer und Staatsanwaltschaft sowie die Leitung der Universitätsmedizin Göttingen weitergegeben, worauf diese mit dem verdächtigten Chefarzt einen Auflösungsvertrag abschloss und die ganze Abteilung neu strukturierte.
Staatsanwaltschaft und Amtsgericht Braunschweig sahen nach einer ersten Prüfung hinreichenden Tatverdacht, so dass es Ermittlungsverfahren gegen den Arzt wegen Bestechlichkeit sowie gegen den Patienten wegen Bestechung gibt. Außerdem wird gegen zwei Verantwortliche eines Unternehmens in Nordrhein-Westfalen ermittelt, das sich auf medizinische Dienstleistungen spezialisiert hat. Diese Firma soll den Kontakt vermittelt haben. Die Ermittlungen liegen in den Händen der zentralen Polizeiinspektion in Hildesheim und von deren Korruptions-Spezialisten. Mehrere Durchsuchungsbeschlüsse wurden erlassen. So wurde Ende Mai die Göttinger Wohnung des Medizin-Professors durchsucht. Ebenso Räume der Firma in NRW.
Zahlreiche Akten und Computer werden jetzt auf Hinweise auf verbotswidrige Absprachen und Geldflüsse zwischen Arzt und Patienten durchsucht. Es werde auch geprüft, ob der so genannte Wartelisten-Score, der die Reihenfolge für die Vergabe von Spenderlebern an wartende Patienten festlegt, von dem verdächtigten Arzt manipuliert worden sein könnte. Serena Stamer, Pressesprecherin der Ermittlungsbehörde, betont aber, dass es derzeit nur um einen Fall einer gegen Bezahlung verpflanzten neuen Leber gehe. Klinikmitarbeiter hatten hingegen gegenüber dem Tageblatt von weiteren Unregelmäßigkeiten gesprochen, ohne diese konkret zu benennen.
Gestern erläuterte eine Sprecherin der DSO auf Anfrage, wie es zu den Ermittlungen im Spätherbst 2011 gekommen ist: „Die DSO hat einen kurzen anonymen Anruf erhalten und konnte auf Grund der Angaben gar nicht feststellen, ob es sich um eine Straftat oder um einen Richtlinienverstoß gehandelt hat. In Folge dessen wurde die Information unverzüglich an die dafür zuständige Überwachungskommission weitergeleitet.“ Diese Kommission, die die Aufgabe hat, stichprobenartig in den Transplantationszentren „erklärungsbedürftige Vorgänge“ zu untersuchen und dort „Probleme der Qualitätssicherung“ festzustellen, hatte erst Anfang Mai öffentlich erklärt, sie ermittle in einem Fall noch „wegen erheblicher Richtlinienverstöße“. Fachleute beklagen ohnehin „strukturelle Mängel im Kontrollwesen“. Speziell bei Patienten aus dem nichteuropäischen Ausland sei vielfach die Einordnung in das Wartelisten-Scoring überwiegend von der Beurteilung des behandelnden Transplantationszentrums abhängig.
In Göttingen dürfen jährlich bis zu fünf Prozent nichteuropäische Patienten eine neue Leber implantiert bekommen. Diese Patienten kommen überwiegend aus dem arabischen Raum oder aus Israel.
Online am: 06.11.2015
Inhalt:
Organspenden: zwischen Leben und Tod. Und auch Vetternwirtschaft?
- Ein Überblick über das (über)lebenswichtige Thema Organspenden
- Die DSO: Einflussnahme(n) und Interessengeflecht
- Chronologie eines sich abzeichnenden Organspenden - und Transplationsskandals
- Wie die taz im Oktober 2011 mit ihren Organspenden-Recherchen begann
- Wie das Göttinger Tageblatt den Göttinger Skandal enthüllte
- Organtransplantationen: das Making-of der der vielen Enthüllungen in der SZ
- Um Leben und Tod: Organtransplantationen
- Starre Regeln: Organspenden und Transplantationen
- Enthüllungen der Süddeutschen Zeitung im Jahr 2006
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