Steuerhinterziehung: Kavaliersdelikt oder asoziales Verhalten?

"Steuerhinterziehung" ist "Steuerbetrug". Konkret: Betrug an der Allgemeinheit. Oder anders gesagt: Steuerhinterzieher betrügen die Gemeinschaftskasse, in die - eigentlich - alle einzahlen (müssen).

Aus dieser 'Gemeinschaftskasse', die man auch Staatshaushalt nennt, werden viele Dinge finanziert, die notwendig und/oder nützlich sind. Bekanntermaßen auch leider Ausgaben, über deren Notwendigkeit und/oder Sinnhaftigkeit man/frau streiten kann. In einer Demokratie, in der viele Stimmen und Meinungen zu Wort kommen, ist das aber so: letztlich entscheidet die Mehrheit, wofür Geld ausgegeben werden und wie es finanziert werden soll. Z.B. mittels welcher Steuern.

Dass "Steuerhinterziehung" in der Abgabenordnung (AO) - das ist sozusagen das 'Grundgesetz' für die Steuererhebung - nicht als "Betrug" bezeichnet wird oder dass dieser Tatbestand nicht gleich im Strafgesetzbuch (StGB) aufgeführt ist, hat vor allem historische Gründe.

Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf deutschem Boden erstmals ein Einkommensteuergesetz installiert wurde, das im Prinzip bis heute gilt, mussten die Einkommensteuerpflichtigen ihr Einkommen selbst "erklären": in der Einkommensteuererklärung, so wie heute das alle machen müssen, die entweder selbstständig sind oder ein vergleichsweise hohes Einkommen haben, das über einer bestimmten Grenze liegt. Wer heute unterhalb dieser Einkommensgrenze liegt und nicht selbstständig sein Geld verdient und auch keine sonstigen Einkünfte hat (z.B. aus Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung etc), bekommt heutzutage seine Einkommensteuer als "Lohnsteuer" durch den Arbeitgeber direkt vom Lohn abgezogen. Das ist für Vater Staat nicht nur einfacher, sondern auch sicherer. Z.B. dass regelmäßig Geld in die Kasse kommt und dies auch in der korrekten Höhe.

Bei jenen, die ihr Einkommen selbst erklären müssen (bzw. sollen), dauert das in der Regel länger, weil das nur einmal im Jahr geschieht und dann oft auch mit Verspätung. Die Lohnsteuer hingegen wird jeden Monat fällig und vom Arbeitgeber direkt ans Finanzamt überwiesen.

Weiter hat man bei der Einkommensteuererklärung auch mehr Möglichkeiten, steuerliche Freiräume bzw. Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen. Man könnte auch sagen: zu schummeln. Man nennt diese Möglichkeit auch "Gestaltungsprivileg".

Früher, bei Einführung der Einkommensteuer (ESt), war das noch viel krasser - die wenigsten waren bereit, ihr steuerpflichtiges Einkommen in korrekter Höhe zu erklären. Im Grunde war das schon immer so: der Fiskus befand sich mit den Steuerpflichtigen in einer Art "Kriegszustand", wie das der damals bekannte Finanzprofessor Ignaz JASTROW beschrieben hatte.

Und ganz konkret auf die Einkommen-Steuerehrlichkeit der Bürger bezogen hatte JASTROW (1917) über den Staat und die Staatsfinanzen geschrieben:

"Sie konnten es nicht wagen, jede betrügerische Verletzung der Wahrheitspflicht unter den Betrugsparagraphen fallen zu lassen, ohne die Gefahr herbeizuführen, daß Personen, die vor sich und der ganzen Welt geachtet dastehen, zu Betrugsstrafen verurteilt würden wegen Handlungen, die nach allgemeinem Gefühl damals nicht als Betrug galten."

Heute sind wir eigentlich weiter. Mogeln gilt in einigen Kreisen zwar immer noch als 'Kavaliersdelikt', aber Gerichte zeigen - eigentlich - immer weniger Verständnis für Steuerhinterzieher.

Wenn Steuerhinterzieher auf der anderen Seite die Vorzüge gemeinschaftlich, d.h. mit Steuern finanzierter Einrichtungen nutzen (Strassen, Rechtssystem, gut ausgebildete Nachwuchskräfte etc), auf der anderen Seite sich um ihren solidarischen Anteil dabei drücken, könnte man Steuerhinterzieher sogar als Sozialschädlinge bezeichnen. In Zeiten (besonders) knapper Kassen gilt dies erst recht.

Wie unsere 'Gemeinschaftskass' funktioniert und wer da vor allem einzahlt - Unternehmen oder steuerpflichtige Haushalte können Sie hier unter Steuern - unsere Gemeinschaftskasse erfahren.

(JL)