Von FÖRSTER'S "EU"-Ermittlungen zum Flick-Parteispendenskandal

Eine unendliche Chronologie, Teil 2

Was bis zum 14. Juni 1976 geschah

Klaus FÖRSTER, 1974 zum Regierungsdirektor ernannt und Leiter der Steuerfahndungstelle in St. Augustin, macht zusammen mit seinen Mitarbeitern einen Fund, der ganz schnell politische Kreise zieht. Intern - nicht nach außen hin.Eigentlich ist die Entdeckung des Leitzordners mit der Aufschrift "EU", den die Steuerfahnder bei der Durchsuchung im November 1975 finden und alles andere, was sich dahinter in Liechtenstein verbirgt, ein Problem der CDU in Bonn:

Tatsächlich ist es ein Problem aller anderen Bürgerlichen Parteien auch - alle haben ihre Leichen im Keller, denn alle haben sich mithilfe schwarzer Kassen und steuerhinderziehenden Praktiken ihre Parteikassen aufgefüllt: CDU/CSU, FDP und SPD.

Deshalb kam es nur 3 Tage nach einem ersten Brief von FÖRSTER an seinen unmittelbaren Vorgesetzten in der Kölner Oberfinanzdirektion zu einem Spitzengespräch auf politischer Ebene, und zwar im Düsseldorfer Finanzministerium: Der Schatzmeister der CDU, Walter LEISLER-KIEP, sowie der Generalbevollmächtigte der CDU-Schatzmeisterei Uwe LÜTHJE, hatten dem nordrhein-westfälischen Finanzminister HALSTENBERG sowie Ministerpräsident KÜHN, beide SPD, in drastischer Weise klar gemacht, dass ein (vorzeitiges) Bekanntwerden der Ermittlungen Konsequenzen hätten: man würde dann auch die Praktiken der SPD öffentlich machen. Im übrigen seien in die Vorgänge auch Bundespräsident Walter SCHEEL und Bundesaußenminister GENSCHER, beide FDP, eingeweiht!

Dies kann Klaus FÖRSTER zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht wirklich wissen. Er kann nur vermuten, dass da politische Dinge eine Rolle spielen würden, denn die Reaktionen seiner Vorgesetzen aus der Oberfinanzdirektion in Köln und des nordhein-westfälischen Finanzministeriums in Düsseldorf sind eindeutig: Die Parteibonzen wollen mithilfe ihrer untergebenen Ministerialbürokraten zumindest vor dem anstehenden Bundestagswahlkampf im Frühsommer 1976 alles tun, um das durch die Entdeckung der "EU" entstandene Problem zu deckeln.

FÖRSTER müsste dazu seinen Amtseid brechen. Und gegen Recht und Gesetz verstoßen. Wir haben das hier einmal unter Recht und Gesetz  zusammengefasst.

FÖRSTER gehört zu den (sehr) wenigen Beamten (in diesem konkreten Fall), denen die Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwohl sehr viel wichtiger ist, als gegenüber Vorgesetzten zu kuschen, um seine Ruhe zu haben. FÖRSTER remonstriert, legt also schriftlichen Widerspruch gegen die Weisungen von oben ein und zieht sich jetzt erst recht den Unmut und Zorn seiner Vorgesetzten zu. Oberfinanzpräsident Dr. Hermann MERSMANN, ein linientreuer Ministerialbürokrat durch, egal ob im Dritten Reich (u.a. Luftwaffenoffizier) oder im Nachkriegsdeutschland, hat schon die ersten Weichen gestellt, um FÖRSTER von diesem Posten abziehen, sprich versetzen zu können.

FÖRSTER ist nicht nur gradlinig, sondern auch clever. Um sich nicht selbst der "Strafvereitelung im Amt" schuldig zu machen, und um das Verfahren weiter voranzubringen, droht er, das Ermittlungsverfahren in Sachen "EU" an die Staatsanwaltschaft abzugeben, z.B. durch eine Selbstanzeige. Das können die Ministerialbürokraten nicht mehr verhindern. Die entschiedene Drohung wirkt. Und deshalb kommt es auch so: Am 14. Juni 1976 übergibt FÖRSTER die gesamten Akten der Bonner Staatsanwaltschaft.

Was FÖRSTER zu diesem Zeitpunkt ebenfalls noch nicht wissen kann, ist, dass

  • der FLICK-Konzern einer der maßgeblichen Drahtzieher und mit Abstand größten Geldgeber der Bonner Parteienlandschaft ist
  • FLICK in enger Absprache mit einigen Politikern, insbesondere den jeweils amtierenden Bundeswirtschaftsministern der FDP, einen großen Deal eingefädelt hat: die Steuerbefreiung seiner Aktiengewinne aus dem Verkauf der Daimler-Benz-Anteile an die Deutsche Bank AG: 1,9 Mrd. DM
  • der Buchhalter Rudolf DIEHL über jede Zahlung von FLICK an Parteien und Parteibonzen genauestens Buch führt.

Juni 1976

Zu dieser Zeit, als sich die Bonner Staatsanwälte in die Akten einlesen, stattet der Schatzmeister der CDU, Walter LEISLER-KIEP, dem nordrhein-westfälischen Justizminister Diether POSSER, SPD, einen Besuch ab. Thema: die Ermittlungen in Sachen "EU". Der SPD-Minister versichert dem CDU-Schatzmeister, dass die Staatsanwaltschaft an diesem Fall dranbleibe, selbstverständlich, aber mit der gebotenen Zurückhaltung. Schließlich  "war das ein schwebendes Verfahren, Kiep ein ehrenwerter Mann, und man muss ja das Ganze im Auge behalten" , so POSSER 9 Jahre später gegenüber der Illustrierten stern .

"Um eine einheitliche Bearbeitung des Verfahrens sicherzustellen, darf ich Sie bitten, in der vorliegenden Sache keine Besprechungen durchzuführen oder sonstige Ermittlungen zu tätigen" , schreibt die jetzt federführende Bonner Staatsanwaltschaft, Staatsanwalt Jürgen FRÖHLICH, an Steuerfahnder Klaus FÖRSTER.

Zur gleichen Zeit lernt Bundesfinanzminister Hans APEL, SPD, während des SPD-Parteitags den Konzernherrn Friedrich Karl FLICK persönlich kennen: auf dessen Jagdhütte im sauerländischen Scharfenberg. APEL, in dessen Ministerium gerade letzte Hand an die diversen Steuerbefreiungsanträge von FLICK gelegt wird, wird wenige Tage später dem positiven Votum seines Amtskollegen FRIDERICHS (Bundeswirtschaftsminister) im Prinzip zustimmen - Grünes Licht für Friedrich Karl FLICK 


Juli 1976

Obwohl APEL im Prinzip zugestimmt hat, geht es dennoch nicht so schnell: APEL ist in Urlaub. Und sein Parlamentarischer Staatssekreträr, Rainer OFFERGELD, weigert sich, den Vorgang selbst abzuzeichnen.
Dies missfällt den FLICK-Leuten sehr, denn sie wollen alles möglichst schnell und in jedem Fall noch vor der Bundestagswahl im Oktober über die Bühne bringen


02.08.1976

Von BRAUCHITSCH notiert sich daher ein wenig trübsinnig:  "Sowohl FRIDERICHS als auch sein Staatssekretär SCHLECHT haben sich in den vergangenen Wochen erfolglos bemüht, Staatssekretär OFFERGELD aus dem BFM zur Abzeichnung des Vorgangs zu veranlassen


September 1976

APEL ist inzwischen wieder aus seinem Urlaub zurück und am 8. des Monats ist alles gelaufen. Der erste "Geleitzug" erhält nach § 6b EStG und § 4 Auslandsinvestitionsgesetz die volkswirtschaftliche Förderungswürdigkeit zuerkannt und FLICK kann einen ersten Teil seines Aktiengewinns steuerfrei investieren: Zukauf weiterer Anteile an der Fa. Dynamit Nobel.
Einen Tag drauf schreibt Klaus FÖRSTER, der diese Vorgänge nicht kennen kann, wegen seiner geplanten Versetzung an das Finanzamt Köln-Ost an die OFD in Köln und fordert Mitsprache in seiner Angelegenheit


Oktober 1976

ein entscheidender Monat:

  • die Bundestagswahl am 3. Oktober ermöglicht SPD und FDP die Fortsetzung ihrer Koalition
  • tags drauf stirbt der Schatzmeister der Hessen-CDU, Walter LÖHR, der bei der Kloster - Geldwäscheanstalt bei jeder Transaktion 10% mitkassiert hat. Jetzt übernimmt Buchhalter DIEHL auch das "Projekt Steyl"
  • Rolf BÖHME, SPD-Abgeordneter im Bonner Bundestag und einer der ganz wenigen Gegner der FLICK'schen Steuerbefreiungsstrategie, stellt am 14. des Monats eine parlamentarische Anfrage: ob die Bundesregierung einen Steuerfreischein ausgestellt habe? Die Ministerien von APEL, SPD, und FRIDERICHS, FDP, geben eine klare Antwort: "Steuergeheimnis" !
  • FLICK-Buchhalter DIEHL notiert sich:  "17.10.1976 v.B. wg. Dr. Friderichs 60.000 Mark"
  • von BRAUCHITSCH übt sich als Schauspieler und verkündet in der Öffentlichkeit zur Ablehnung des zweiten Antrags bzw. Geleitzuges des FLICK-Konzerns (der als 'Türke' eingeplant war):  "Wir halten diese Entscheidung nicht für richtig, respektieren sie aber."
  • von BRAUCHITSCH isst zu Mittag - zusammen mit Otto Graf LAMBSDORFF, dem wirtschaftspolitischen Sprecher der FDP.  "LAMBSDORFF, den wir aus verschiedenen Gründen in der Vergangenheit immer gut behandelt haben, wird voraussichtlich in der neuen Fraktion eine gute Position bekommen" , notiert sich der FLICK-Generalbevollmächtigte schriftlich für seinen Konzernherrn

November 1976

Der klösterliche Gottesmann Pater Josef SCHRÖDER wird einige Jahre später christliche Reue ob seiner Missetaten empfinden und gestehen - nicht im Beichtstuhl, sondern gegenüber den Staatsanwälten:

Aus einer Spende in Höhe von z.B. einer Million Mark  "habe ich ... DM 800.000.- auf das Konto der Steyler Mission in Luzern überwiesen. Gleichzeitig hatte ich mit Herrn DIEHL als Termin für die Geldübergabe in Düsseldorf den 30.11.76, 11 Uhr, in seinem Büro bei der Flick KG in Düsseldorf-Oberkassel verabredet. 
Ich bin dann am 29.11.76 mit dem Zug in die Schweiz gereist. Bei der Ankunft in Basel hatte der Zug Verspätung; ich habe deshalb den Anschlusszug nach Luzern nicht erreicht. Um aber den für den nächsten Vormittag verabredeten Termin mit Herrn DIEHL einhalten zu können, nahm ich in Basel eine Taxe, mit der ich nach Luzern fuhr.
Dort traf ich gegen 16:00 bei der Bank ein, wo ich bereits erwartet wurde, da ich die 1.000-DM-Noten vorbestellt hatte. Ich habe in der Bank einen Barscheck ausgeschrieben, der sofort eingelöst wurde. Zur Beschaffung dieser DM-Noten hatte die Bank eine Gebühr von 4.000.- DM berechnet, die ich aus dem mir ausgehändigten Betrag von 800.000.- bar bezahlte. ... Die Taxe, mit der ich von Basel gekommen war, hatte ich vor dem Bankgebäude warten lassen und bin ... sofort nach Basel zurückgefahren. Dort erreichte in den letzten Zug nach Bonn.
Die Geldübergabe fand im Arbeitszimmer des Herrn Diehl ... statt und zwar unter vier Augen. Es handelte sich um gebündelte 1.000-DM-Noten und zwar sieben Bpndel zu je 100 Stück und ein Bündel zu 96 Stück (aus dem letztgenannten Bündel hatte ich die DM 4.000 entnommen, mit der ich die Bankspesen in Luzern bezahlt habe). Ich übergab Herrn Diehl das Geld. Er zählte in meiner Gegenwart nicht nur die Zahl der Bündel nach, sondern er zählte jedes einzelne Bündel nach."


13.12.1976

In seiner vorletzten Ausgabe berichtet  DER SPIEGEL  erstmals über eine geheime Verschlusssache bei der Bonner Staatsanwaltschaft: über eine "Feine Adresse" im liechtensteinischen Vaduz einer Firma namens "EU" bzw. "Europäische Unternehmensberatungsanstalt". 
Die Informationen des  SPIEGEL  sind recht konkret. Vom Fall FÖRSTER, der Entdeckung durch die Steuerfahnder in St. Augustin und aufgrund welcher Umstände dieser Fall dann bei den Bonner Staatsanwälten gelandet war, steht im  SPIEGEL  (noch) nichts.


das Jahr 1977

ist vor allem das Jahr der FLICK'schen Geleitzüge, von denen bisher plangemäß (nur) 1von zweien 'geklappt' hat. Von den 1,9 Mrd. sind noch rund Dreiviertel vorhanden: rund 1,5 Milliarden. Auch das Steuer(befreiungs)recht kennt Verjährungsfristen.
Mitte April beispielsweise unternehmen von BRAUCHITSCH und Wirtschaftsminister FRIDERICHS einen gemeinsamen Wochenendausflug. FRIDERICHS besteigt in Frankfurt/Main einen Privatjet, landet in Düsseldorf, um seinen Duz-Freund "Eberhard" (von BRAUCHITSCH) abzuholen, um dann nit ihm nach Hamburg weiterzufliegen. Endstation: das Gut Schierensee in Schleswig-Holstein des Verlegers Axel Cäsar SPRINGER, ein guter Freund von BRAUCHITSCH.
Kurze Zeit darauf wird Buchhalter DIEHL wieder seine Kladde pflegen:

  • "v.B. wg. Dr. FRIDERICHS 70.000.-" am 10. Mai
  • "v.B. wg. Dr. FRIDERICHS 40.000.-" am 31. Mai


"Herr Dr. FRIDERICHS hat - entgegen allen Mutmaßungen der Staatsanwaltschaft - seitens des Hauses Flick nie Gelder erhalten" , wird einige Jahre später der Rechtsanwalt von FRIDERICHS verlautbaren lassen.

Das Jahr 1977 ist aber auch ein Jahr, das Deutschland innenpolitisch verändert: 

Am 30. Juli erschießt ein Terrorkommando der RAF den Bankier Jürgen PONTO, Chef der Dresdner Bank. Die Republik ist geschockt. Wenige Wochen später wird der Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin SCHLEYER erst entführt, dann ermordet. 
Zwischendrin, am 13. Oktober wird die "Landshut" der Lufthansa mit 91 Passagieren auf dem Weg von Palma de Mallorca nach Frankfurt/Main entführt - die Irrfahrt endet am 18. Oktober durch die spektakuläre Befreiung durch die GSG9 in Mogadischu. Die Entführer wollen RAF-Häftlinge freipressen. Nach der gelungenen Befreiungsaktion kommt es zur Todesnacht von Stammheim - Andreas BAADER, Gudrun ENSSLIN und Jan-Carl RASPE werden in ihren Hochsicherheitszellen tot aufgefunden. Nochmals einen Tag darauf findet man SCHLEYER - ebenfalls tot im Kofferraum eines abgestellten PKW. Die Ära geht als "Herbst in Deutschland" in die Annalen ein.

Die Ermordung von Jürgen PONTO macht eine Nachfolgeregelung erforderlich. Die Dresdner Bank möchte den Bundeswirtschaftsminister an die Spitze des Vorstands berufen. FRIDERICHS will sich beraten - u.a. von Bekannten und engen Freunden, zum Beispiel von Eberhard von BRAUCHITSCH. Er lässt sich für 13.277,66 DM auf Kosten des Hauses FLICK mit einem Learjet aus Düsseldorf über Neapel nach Nizza fliegen. Und wieder zurück.
FRIDERICHS wechselt ins Bankenviertel von Frabkfurt/Main, der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP, Otto Graf LAMBSDORFF wird Nachfolger von FRIDERICHS.
LAMBSDORFF wird zwischen 1977 und 1980 insgesamt 165.000 DM an finanziellen Zuwendungen für die "Pflege" der Parteienlandschaft aus dem Hause FLICK erhalten.
Am 23. November wird denn auch der zweite "Geleitzug" auf den Weg gebracht:

  • eine Kapitalerhöhung bei der Buderus AG in Wetzlar zum Betrag bis 60 Millionen Mark
  • eine Kapitalerhöhung bei der Edelstahlwerke Buderus AG in Wetzlar zum Betrag bis 25 Millionen DM
  • eine Kapitalerhöhung bei der Feldmühle AG in Düsseldorf zum Betrag von 200 Millionen Mark, mit denen eine ganz neue Papiermaschine gekauft werden soll
  • einen Erwerb von weiteren rund 6000000 Aktien der W.R. Grace & Co. New York zum Gesamtbetrag von 500 Millionen Mark


Die Anträge gibt man nicht per Post auf den Weg, von BRAUCHITSCH übergibt die Papiere höchstpersönlich
Und noch vor Jahresende nimmt Buchhalter DIEHL Eintragungen in seiner Kladde vor:

  • "v.B. wg. KOHL 30.000 DM"
  • "v.B. wg. Graf LAMBSDORFF 30.000 DM"

16.01.1978

Oberfinanzpräsident MERSMANN fertigt einen Vermerk für Klaus FÖRSTER's Personalakte an. Er notiert, dass FÖRSTER nicht bereit sei, die Stelle des stellvertretenden Vorstehers des Finanzamts Köln-Ost zu übernehmen:  "Vermerk"  .  
Er lässt sich diesen Vermerk - anders als sonst - von einer Verwaltungsangestellten beglaubigen. Das Datum der 'Beglaubigung' geht aus der 'Beglaubigung' nicht hervor 


16.02.1978

In Bonn ist Halbzeit - Bundeskanzler Helmut SCHMIDT bildet das Kabinett um. Nach dem Wechsel im Wirtschaftsministerium Wechsel auch im Finanzministerium: APEL wird Bundesverteidigungsminister, seinen bisherigen Job übernimmt Hans MATTHÖFER, SPD. Mit dessen Neuernennung wechselt auch ein Staatssekretärsposten: der FLICK-Kritiker Rolf BÖHME, bisher nur Bundestagsabgeordneter wird Staatssekretär - sehr zum Unwillen des FLICK-Konzerns. Trotzdem wird der dritte "Geleitzug" auf den Weg gebracht: der Erwerb von Geschäftsanteilen an der Versicherungsholding der Deutschen Industrie GmbH, die zu 51% an der Gerling Konzern Versicherungs-Beteiligung AG beteiligt ist. Kaufpreis: 208 Millionen DM


Frühjahr 1978

Die Bonner Staatsanwaltschaft, in deren Auftrag und als verlängerter Arm immer noch Klaus FÖRSTER und seine Mitarbeiter in St. Augustin aktiv sind und in der Zwischenzeit viele Durchsuchungen von großen und kleinen Unternehmen vorgenommen haben, leitet ein Ermittlungsverfahren gegen 10 Beamte bzw. Ministerialbürokraten des Landes Nordrhein-Westfalen ein. Darunter sind alle 9 Teilnehmer des 7. Mai 1976, als Klaus FÖRSTER ins nordrhein-westfälische Finanzministerium einbestellt worden war. Die Bonner Staatsanwälte werfen den Beschuldigten Strafvereitelung im Amt vor. Inzwischen hat sich bei den Bonner Ermittlern längst die gigantische Dimension der illegalen Parteispendenpraktiken herausgestellt. 

Jetzt macht u.a. der ehemalige Finanzminister HALSTENBERG, SPD, bis vor kurzem FÖRSTER's oberster Dienstherr und jetzt Schatzmeister der SPD, seine Aufwartung beim neuen Bundesfinanzminister MATTHÖFER und dessen neuen Staatssekretär BÖHME in Bonn.
Der FLICK-Konzern sei stets  "mustergültig in der Behandlung seiner Steuerangelegenheiten gewesen. ... HALSTENBERG hatte bei beiden Gesprächspartnern den Eindruck, dass sie sein Signal verstanden haben" , notiert sich Eberhard von BRAUCHITSCH anschließend für seinen Konzernherrn FKF. BRAUCHITSCH war nicht bei diesem Gespräch anwesend


Sommer - Herbst 1978

Staatssekretär BÖHME versteht nicht, warum die Verbindung des FLICK-Konzerns mit dem US-Konzern Grace & Co von besonderem Nutzen für die bundesdeutsche Volkswirtschaft sein soll.? Wenn schon die erste Genehmigung in Höhe von 290 Millionen DM nicht zu rechtfertigen war, wieso sollte man dann es mit der zweiten tun, diesesmal bei 500 Millionen? 

Auch Staatssekretäre fahren einmal in Urlaub, BÖHME im September. Während dieser Zeit, am 28. September, erteilt der neue Bundeswirtschaftsminister Graf LAMBSDORFF die Genehmigung für den 2. "Geleitzug"


24.10.1978

FLICK-Buchhalter DIEHL macht sich wieder Notizen über inoffizielle Zahlungen:

  • einen handschriftlichen Vermerk von BRAUCHITSCH ( "Von Juli-September 1978 Sonderzahlungen in einer speziellen Sache DM 220.000.-" ) ergänzt DIEHL um folgende Eintragungen:
  • KARRY, FDP 35.000
  • ERBERLE, CDU 35.000
  • RIEMER, FDP 30.000
  • Erhard EPPLER, SPD 40.000
  • Egon BAHR, SPD 40.000


Egon BAHR's Wahlkreis ist Flensburg und dort hat die Fa. Feldmühle AG, bei der FLICK einen Teil seiner steuerbefreiten Gewinne investieren will, eine Filiale. BRAUCHITSCH notiert sich daher in diesem Zusammenhang:
BAHR will einen Teil der Feldmühle-Investitionen zur Sicherung des Werkes Flensburg. Als alter Stratege fasst er das Ganze über 6b an, um seine Scheibe Wurst sicherzustellen. Er bekommt sie." 


währenddessen

FÖRSTER's Kollegen haben bereits im Juli einen Brief an den "Personalrat Land" der OFD Köln geschrieben und darauf hingewiesen, das ihr Vorgesetzter, FÖRSTER,  "weil er den betreffenden Fall dem gesetzlichen Auftrag entsprechend trotz seiner Brisanz konsequent bearbeitet hat, erhebliche Schwierigkeiten mit seinen Dienstvorgesetzten bekommen"  hat. Die Mitarbeiter weisen weiter darauf hin, dass ein Wechsel ihres Vorgesetzten der Sache  "nicht förderlich"  sei:

Bei den Steuerfahndern in St. Augustin gibt es eine neue Ermittlungsakte mit dem Aktenzeichen "41 JS 178/78" - Ermittlungen im Zusammenhang mit einem Kloster. Jenem Kloster, auf das die Steuerfzuständige Finanzamt Siegburg hatte bei einer routinemäßigen Prüfung des gewerblichen Teils des Klosters, der Fa. "Soverdia Gesellschaft für Gemeinwohl mbH" mit juristischem Sitz in Nettetal-Kaldenkurchen an der holländischen Grenze, die das gesamte Vermögen des christlichen Ordens ihr eigen nennt, einige merkwürdige Entdeckungen gemacht:

  • Steuerpflichte, die ab und an mal einen Hunderter ans Rote Kreuz spenden, tauchen hier als ausgesprochen großzügige Spender auf - Summen zwischen 5.000 und 10.000 DM
  • selbst solche edlen Spender, die seit langem aus der Kirche ausgetreten waren, gaben sich ausgesprochen gönnerhaft
  • die Liste der spendablen "Wohltäter" wiesen die neue Postadressierung auf, die erst seit 1976 gilt - die "Wohltäterliste" ist vielleicht erst nachträglich zusammengestellt worden?


Nachfragen bei den edlen Spendern lösen kreative, aber nicht zu widerlegende Antworten aus - die Frau Gemahlin eines Geschäftsmannes habe wider Erwarten eine Operation überstanden und ob der göttlichen Gnade sei ein überproportionales Dankeschön monetärer Art doch nur eine Kleinigkeit. Nur eine Apothekerin bekommt Gewissensbisse. Sie gesteht den Fahndern freimütig: Für ihre 1.000 DM-Spende habe sie eine Bescheinigung in Höhe von 5.000 DM erhalten. Das habe sie als attraktiv empfunden. Denn die Spende habe sie daraus locker aus der Steuerrückerstattung finanzieren können. Und noch einen Überschuss dazu. Einfache Rechnung:

  • 5.000 DM - 2.500 DM Steuerrückerstattung = 2.500 DM cash
  • 2.500 DM cash - 1.000 DM Spende an das Kloster = 1.500 DM steuerfreie Einnahme


FÖRSTER, der eigentlich schon längst hätte versetzt sein sollen, sich aber bisher erfolgreich dagegen wehren konnte, beantragt einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss für die Soverdia in St. Augustin - bzw. für ihr Gegenüber.
Die Durchsuchung wird zum Erfolg. Die aufgefundenen Unterlagen fördern vor allem einen Großspender zutage, der mit 3,5 Millionen der größte bzw. edelste Spender zu sein scheint: der FLICK-Konzern, der seit mehreren Jahren durch die Gazetten geht ob seiner ständigen Steuerbefreiungsanträge für seinen 1,9 Mrd. DM Verkaufsgewinn aus dem Daimler-Benz-Paket.
Die Fahnder finden vieles, so z.B. das Tarnkonto in Luzern, aber nicht alles. Konkreten Nachfragen weicht der Gottesmann, Pater Josef SCHRÖDER aus - unter Hinweis auf seine "seelsorgerische Schweigepflicht".
FÖRSTER lässt nicht locker und schaltet im November die Staatsanwaltschaft ein. Erneut wird ein Durchsuchungsbeschluss bei Gericht beantragt: diesesmal für eine Durchsuchung im Hause FLICK. FÖRSTER kommt dem politischen Epi-Zentrum immer näher. Er weiß es nicht. Er ahnt es auch nicht. Bis jetzt will er nur Ungereintheiten aufklären, z.B. die Sache mit dem Kloster 


1979

Im politischen Epi-Zentrum herrscht derweil Alarmstimmung:

  • Diether POSSER, seit 1978 Finanzminister und damit Nachfolger von HALSTENBERG, hat noch zu seinen Zeiten als Justizminister in Nordrhein-Westfalen allen Beamten, die von der Staatsanwaltschaft wegen Strafvereitelung im Amt beschuldigt wurden, weil sie FÖRSTER per schriftlicher Weisung ausgebremst hatten, dadurch von ihrer Aussage vor der Staatsanwaltschaft (erfolgrech) abgehalten, indem er die Staatsanwaltschaft - höflich und freundlich - vor nochmals angeschrieben hatte:  "Ich bitte zu prüfen, ob die Staatsanwaltschaft Bonn das Ermittlungsverfahren und ihre Bitte um Erteilung einer Aussagegenehmigung unter Berücksichtigung vorstehender Ausführungen nochmals überdenken kann."
    Die Bonner Staatsanwälte (die ebenfalls beruflich weiterkommen wollen) "überdenken" ihr Ansinnen und stellen das Ermittlungsverfahren sang- und klanglos ein. Ministerialdirigent Ernst SPINDLER, Oberfinanzpräsident Dr. Hermann MERSMANN, Finanzpräsident Rudolf PAPIOR, Dr. Gottfried BRAUN, WOLFF-DIEPENBROCK sowie drei weitere Spitzenbeamte sind damit nicht unzufrieden. Die politische Obrigkeit muss sich ohnehin keine Sorgen machen: Politiker genießen bekanntlich Immunität.
  • Klaus FÖRSTER ist immer noch im Amt - um keine (kritische) Öffentlichkeit zu riskieren, hat man ihn dort ersteinmal belassen. Gleichwohl versucht man allenthalben ihn dort abzuziehen
  • FÖRSTER hat seine Zwangsversetzung bisher erfolgreich abwehren können. Damit soll nun endlich Schluss sein. Das Auffinden von Unterlagen aus dem Soverdia-Kloster und analogen Papieren im Hause FLICK hat jetzt die höchste Alarmstufe ausgelöst
  • Oberfinanzpräsident MERSMANN schreibt an den "Personalrat Land" und bittet um Zustimmung zur Versetzung von FÖRSTER an das Finanzamt Köln-Ost. Auch "Personalräte" sind nur (kleine) Beamte, die man beispielsweise zu Einzelgesprächen vorladen kann. Da muss es dann garnicht um Politik oder Ähnliches gehen. Bereits ein kleiner Wink auf kleinere Verfehlungen oder unbedeutende Unkorrektheiten, die sich nicht mit dem Beamtendienstrecht verenbaren lassen, genügen, um den Beamtengehorsam auf breiter Flur abzusichern
  • der "Personalrat Land" stimmt am 3. Dezember des Jahres 1979 dem Ansinnen des "O" zu. "O" wiederum schreibt am 7. Dezember an das Ministerium: FÖRSTER solle an das Finanzamt Köln-Ost versetzt werden - als Vertreter des dortigen Vorstehers. Daraufhin zeichnet der zuständige Staatssekretär im Finanzministerium die Versetzung persönlich ab
  • FÖRSTER, im Besitz der Versetzungsurkunde, schreibt am 17.12. an den Finanzminister persönlich und bittet um ein Gespräch. Das wird ihm - der Form wegen - zugesagt



Anfang 1980

FÖRSTER wird krank. Nicht die Arbeit setzt ihm zu - FÖRSTER ist ein sportlicher Typ, spielt Tennis, läuft, hält sich fit. Es ist die psychische Belastung, der Druck seit fast nunmehr rund 4 Jahren, sich ständig im 'Kampf' mit seinen Vorgesetzten zu befinden, nur um Recht und Gesetz Genüge zu tun.
Seinen Dienst an seinem neuen Arbeitsplatz ab 14. Januar tritt er daher zunächst erstmal nicht an. FÖRSTER hat Widerspruch eingelegt. FÖRSTER indes will ersteinmal ein anderes Kapitel abschließen: das Thema "Soverdia".

Nachdem der "Personalrat Land" der beabsichtigten Umsetzungsmaßnahme der Finanzverwaltung zugestimmt hat (die meisten Beamten legen sich ungern mit ihren Vorgesetzten an), lässt MERSMANN ein offizielles Schreiben an FÖRSTER aufsetzen:  "Mit Zustimmung des Finanzministers..."   entbinde ich Sie mit Ablauf des 13. Januars 1980 von Ihren Pflichten als Leiter der Steuerfahndungsstelle St. Augustin ..." .

FÖRSTER legt am 9. Januar Widerspruch ein und begründet diesen sehr dezidiert, u.a. auch damit: 

FÖRSTER erscheint deswegen auch nicht, wie angeordnet, am 14. Januar auf seinem neuen Arbeitsplatz als stellvertretender Finanzamtsvorsteher in Köln - er steckt in den Vorbereitungen einer wichtigen Durchsuchung, die auf keinen Fall schief gehen soll


22.01.1980

FÖRSTER meldet sich wieder gesund, denn er will zu einem Gesprächstermin um 10:00 im Düsseldorfer Finanzministerium, Raum 211. Das Gespräch verläuft ohne konkretes Ergebnis. Man lässt ihn auflaufen - von einem Widerspruch wisse man nichts


23.01.1980

FÖRSTER's letzte Amtshandlung als Steuerfahnder in St. Augustin ist ein im Hause Flick mit ungewöhnlicher, und vor allem unangemeldeter Besuch: FÖRSTER, seine beiden engsten Mitarbeiter Dieter FROHN und Günther BOLZ sowie der Staatsanwalt Karl-Josef PALTZER aus Bonn stehen vor der Tür und begehren Einlass. Sie werden zu Heribert BLASCHKE, den Chef der FLICK'schen Steuerabteilung gebracht. 

BOLZ macht eine zufällige Entdeckung: auf einer offenbar hausinternen Telefonliste, die unter der Glasplatte eines Tisches angebracht ist, findet er eine Durchwahlnummer, die er aus Pater SCHRÖDER's Notizbuch kennt - es ist der Apparat von Rudolf DIEHL.

Ob er die Herren bei Herrn DIEHL telefonisch schon mal vorab anmelden solle, fragt höflich BLASCHKE? FÖRSTER: "Den finden wir schon selber. Und: "Auf keinen Fall wird angerufen!"
Zwei Minuten später stehen die Steuerfahnder in DIEHL's Büro. Der steht auf, kommt um den Schreibtisch herum, versucht dabei einen Ordner hinter seinem Rücken unter einem aufgehäuften Stapel Papier seines jetzt hinter ihm liegenden Schreibtisches zu verstecken.
Ob er mal sehen könne, was er da gerade zur Seite geschoben habe? fragt unmissverständlich FÖRSTER?

Der Ordner enthält Unterlagen über ein Unternehmen namens "Soverdia". Die Fahnder atmen auf - sie haben (offenbar), wonach sie gesucht haben und wollen sich höflich verabschieden.
Von BRAUCHITSCH lässt bitten. Der hat als Erster von dem unerwarteten Besuch erfahren. Das Kloster kenne er, natürlich. Der Konzern, dem es ja nicht schlecht gehe, verspüre ein Drängen nach gesellschaftlichem Engagement und würde ab und an auch für das "Gemeinwohl" spenden. Details kenne er (natürlich) nicht. Und, um seine Aufrichtigkeit zu unterstreichen, lädt er die Herrn in seinem prunkvollen Arbeitszimmer mit einer entsprechenden Handbewegung ein, auch gleich seinen eingebauten Panzerschrank zu inspizieren - das Haus FLICK habe nichts, aber auch gar nichts zu verbergen.

Die vier Herren verzichten freundlich. Sie wollen - derzeit - nur die vagen Angaben von Pater SCHRÖDER anhand der aufgefundenen Kladde "Soverdia" überprüfen. Dass sich in dem Panzerschrank und in Eberhard von BRAUCHITSCH's Schreibtisch weitere brisante Unterlagen befinden, das werden die Ermittler erst 22 Monate später erfahren, wenn sie ein zweites Mal den Flick-Konzern durchsuchen werden. Dann aber von unten bis oben.

Dies tun die Fahnder im Augenblick nicht. Soweit reicht der Durchsuchungsbeschluss nicht.
Zurück in den Amtsstuben rekonstruieren die Fahnder Unglaubliches. Obwohl Pater SCHRÖDER nicht mehr greifbar ist - er wurde kurzfristig in ein brüderliches Kloster in Küßnacht in der Schweiz "versetzt". Doch auch ohne die Hilfe des klösterlichen Gottesmannes, stellt sich heraus: die Soverdia der Steyler Missionare war/ist eine gigantische Geldwäsche-Anlage. Und: nicht 3,5 Mill. DM hat der FLICK-Konzern dort 'investiert', sondern 12,3 Millionen.

Was genau mit diesen Gelder geschehen ist, das lässt Pater SCHRÖDER die Staatsanwaltschaft über seinen Anwalt wissen - der Gottesmann, offenbar von Gewissensqualen und drohendem Fegefeuer bedrängt, reicht ein schriftliches Geständnis ein. Jetzt tragen FÖRSTERS Ermittlungen auch hier Früchte: der schwarze Geldkreislauf - von FLICK über das Kloster und via Kick-back wieder zurück zu FLICK und von dort dann inoffiziell an alle 3 "Bürgerlichen Parteien" - ist komplett:


31.01.1980

OFD-Gruppenleiter Dr. Gottfried BRAUN, eingebunden in die Ministerialbürokratiehierarchie, fertigt pflichtgemäß FÖRSTER's "Beurteilung zum 31.12.1979" aus:

FÖRSTER's grundsätzliche Qualifaktionen lassen sich nicht wegdiskutieren. Aber seine Gesamtnote ist jetzt nicht mehr eine "sehr gute" Beurteilung, sondern eine "3":

  • damit ist eine weitere 'Karriere' von FÖRSTER verbaut - mit einer mittelmäßigen Durchschnittsnote kann man nicht mehr weiter aufsteigen und erst recht keine verantwortungsvollen Aufgaben übernehmen
  • mit dem Umstand, dass man FÖRSTER auf den Stellvertreterposten eines Finanzamtsvorstehers verbannt hat, ist auch die 'Abstrafung' ausreichend sichergestellt
  • und vor allem: Dort kann er nichts mehr ausrichten


"O" wird das Zeugnis in Kürze ebenfalls schriftlich mit abzeichnen 


ebenfalls an diesem Tag

MERSMANN und das Finanzministerium sind ausgesprochen ungehalten - über die aktuelle Ereignisse und darüber, dass FÖRSTER immer noch an vorderster Front dabei steht.
Das Finanzministerium ruft daraufhin bei MERSMANN an, er solle  "die sofortige Abordnungsverfügung anordnen" . MERSMANN tut wie befohlen und ordnet die  "sofortige Vollziehung meiner Bezugsverfügung"  an - FÖRSTER solle sich jetzt am 4. Februar an seiner neuen Arbeitsstätte einfinden. Das 'sofortige Vollziehungsschreiben' lässt er per Boten zustellen.

Sicherheitshalber bemüht sich MERSMANN noch der höheren Gewalt und schreibt an den Finanzminister, den er darum bittet,  "...im Interesse einer sinnvollen und pflichtgemäßen Wahrnehmung meines Direktionsrechtes..."

OFD AV010280 halte ich es für notwendig, den Widerspruch zurückzuweisen und bitte, mich zu ermächtigen, die in der Anlage als Entwurf beigefügte sofortige Vollziehung meiner Anordnungsverfügung anzuordnen."

Das Finanzministerium handelt ein klein wenig anders: Es schreibt selbst an Klaus FÖRSTER, fordert ihn auf, den Weisungen seines Vorgesetzten Folge zu weisen - mit dem Hinweis:  "Gegen den Bescheid der OFD   können Sie nunmehr ... Klage erheben."


danach

FLICK's geplanter 3. "Geleitzug", den Aktienanteil bei dem US-amerikanischen Mischwarenkonzern Grace & Co weiter aus den steuerbefreiten Milliarden zu finanzieren, kommt nicht so recht von der Stelle. In MATTHÖFER's Finanzministerium sitzt inzwischen ein kritischer Staatssekretär, dem die "volkswirtschaftliche Förderungswürdigkeit" partout nicht einleuchten will, und auch andere Ministerialbeamte, die plausible und standfeste Begründungen schreiben müssen, haben mehr als Zweifel. Während der 1. Geleitzug unter FRIDERICHS in einem halben Jahr vonstatten ging, der zweite immerhin in 10 Monaten, hängt der dritte Geleitzug jetzt schon seit eineinhalb Jahren fest. BRAUCHITSCH sieht das ganz nüchtern: Was, wenn die Beamten merken,  "dass alles das, was wir vorgetragen haben, nichts war als heiße Luft" , notiert sich der Generalbevollmächtigte? Es fehle nämlich  "irgendeine reale Basis ".

Von BRAUCHITSCH greift daher auf sein eingeübtes Repertoire: Aufwartungen bei den Ministern, Eintragungen in der DIEHL'schen Buchhalterkladde, Einschalten von "Ben Wisch" bzw. Jürgen WISCHNEWSKI, einen engen Vertrauten des Bundeskanzlers Helmut SCHMIDT, der wiederum MATTHÖFER aufsucht. Trotzdem: es bewegt sich zunächst nichts - 1980 stehen zudem wieder Bundestagswahlen an. Auch die Minister wollen auf oberster Ebene keine negative Presse.

Die Wahl geht - zunächst - zugunsten der Sozialliberalen Koalition aus. FLICK sieht die Aussichtslosigkeit seines 3. Geleitzuges ein und will stattdessen weitere Aktien des Gerling-Konzerns kaufen. Da die Wahl gelaufen ist und Gerling ein deutsches Unternehmen ist, geht es jetzt alles schneller -  im Sommer 1981 ist auch dieser Deal perfekt .


04.11.1981

Die Bonner Staatsanwälte schlagen zusammen mit den Steuerfahndern aus St. Augustin, erneut zu. Klaus FÖRSTER indes ist nicht mehr dabei. Unter dem Aktenzeichen "41 Js 272/80" wird nämlich gegen Buchhalter DIEHL ermittelt - die Funde bei den Steyler Missionaren und der Ordner "Soverdia" aus dem Hause FLICK, die in die Ägide von Klaus FÖRSTER fallen, lassen eindeutige Rückschlüsse zu.
Steuerfahnder BOLZ und sein neuer Chef stehen morgens in DIEHL's Büro und geben auch klar zu erkennen, dass zeitgleich auch seine Wohnung und sein Feriendomizil im Allgäu davon betroffen sei. DIEHL gibt sich entspannt, öffnet seinen Tresor, in dem 29.000 DM in bar lagern. Damit geben sich die beiden indes nicht zufrieden.
Im Keller gibt es weitere Tresore. Es ist wie eine Schnitzeljagd. Ein großes Couver enthält drei kleinere. In denen sind Wertpapiere im Gesamtwert von 800.000 DM eingetütet. Daneben finden sich ominöse Papiere, die Hinweise auf weitere Papiere geben.
Die beiden Besucher möchten mehr erfahren, insistieren auf detaillierter Erklärung. DIEHL ruft seinen Assistenten an. Der erscheint mit einer schwarzen Aktentasche. Und noch während die Fahnder die Tasche checken, ist von BRAUCHITSCH am Telefon, der mitbekommen hat, was der DIEHL'sche Assistent gerade den beiden Ermittlern ausgehändigt hat: 2 weiße verschlossene Briefumschläge, in denen sich wiederum drei Schlüsselpaare mit den Nummern 82, 132 und 276 befinden.
Schlüssel für Bankschließfächer bei der Dresdner Bank in der Düsseldorfer Filiale Nordstrasse, wie DIEHL hilfreich erklärt.
Die Fahnder zögern keinen Augenblick. In der Desdner Bankfiliale stellt sich das Fach Nr. 82 als leer heraus. Anders jedoch bei Nr. 132 und 276. Dort liegen handschriftliche Listen. Es sind die internen Kladden des Buchhalters DIEHL, in dem dieser höchst akkurat jede, aber auch wirklich jede Zahlung "wg." feinsäuberlich aufnotiert hat


11.11.1981

Jetzt ist alles nur noch Routine. Die Fahnder durchsuchen die FLICK-Zentrale. Mehrere Tage durchstöbern sie alles, was sie sehen. Sie werden fündig, u.a. in von BRAUCHITSCH's Büro und dessen Tresor, schleppen am Ende rund 100 Aktenordner und 150 Spendenhefte ab. Darunter auch die Schnellhefter von Buchhalter DIEHL. Aber auch von BRAUCHITSCH war ein kaufmännischer Pendant: Jeden Vorgang hat er schriftlich zu Papier gebracht: für seinen Konzernherrn "FKF" und für seine eigenen Unterlagen. In 19 Ordnern beispielsweise ist die ganze Geschichte des § 6b chronologisch aufgelistet. Alles in allem: eine Fundgrube ohne Ende


Dezember 1981

Das Nachrichtenmagazin  DER SPIEGEL  berichtet am 7. des Monats als erster über die Aktionen:  "Dann kann man sie nicht mehr hängen" .
Einen Montag später, am 14. 12.,  Spendenaffäre: "Vielleicht sieben Wahrheiten" 


1982

Die Staatsanwälte sind ob der Funde und der detaillierten Informationen platt. Sie entscheiden sich für einen konsequenten Schritt. Unter dem Aktenzeichen "50 Js 36/82" werden Ermittlungsverfahren gegen Hans FRIDERICHS, Otto Graf LAMBSDORFF, Eberhard von BRAUCHITSCH eingeleitet. U.a. wegen des Verdachts auf Vorteilsnahme. Auch MATTHÖFER befindet sich in ihrem Visier.
Später wird der Verdacht erweitert: auf Steuerhinterziehung. 

Die Auswertung aller Unterlagen dauert. Nicht nur wegen der Menge. Alles enthält politischen Zündstoff. Im September 1982 bricht die Sozialliberale Koalition auseinander - durch Auszug der FDP. CDU/CSU und FDP wählen daraufhin einem konstruktiven Misstrauensvotum Helmut KOHL, CDU, zum neuen Bundeskanzler. Auch der Bundestag wird aufgelöst. 


März 1983

Neuwahlen, bei denen CDU/CSU (48,8%) und FDP (7,0%) eine komfortable Mehrheit gewinnen. Erstmals jetzt auch im Bundestag vertreten: die Fraktion DIE GRÜNEN.


danach

Die Alternativen, die von allen etablierten "Bürgerlichen" als Schreckgespenst angesehen werden, beantragen einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss . Der soll klären, ob der FLICK-Konzern Einfluss auf Politiker genommen hat und ob Spenden an Politiker geflossen sind. Der Antrag wird von der Mehrheit des Bundestages ersteinmal - schon aus grundsätzlichen Gründen - abgelehnt. Stattdessen kann sich ein Antrag der SPD durchsetzen, die sich jetzt in der Rolle der Opposition wiederfindet. Aus diesem Grund kommt auch das 25%ige Quorum zustande. Der Antrag der SPD indes geht nicht soweit: der will nur klären, inwieweit der FLICK-Konzern Einfluss auf Mitglieder des Bundestages genommen hat, nicht auf Politiker generell. 

Klaus FÖRSTER wird in diesem Jahr erneut Widerspruch gegen seine Versetzung einlegen. Außerdem erhebt er Beschwerde gegen seine schlechte Beurteilung (Note "3") vom 31.12.1979. Die OFD-Bürokraten verwickeln FÖRSTER in einen zähen Schriftverkehr. Letztlich sieht sich die Oberfinanzdirektion außer Stande, so schreibt sie an FÖRSTER, die Beurteilung zu ändern. Dies geschieht mit Schreiben vom 9. August 1983.

Klaus FÖRSTER weiß, was das für ihn bedeutet: berufliche Langeweile bis zur Pensionierung. Und das bis zum Jahre 1998. Normalerweise ein Idealzustand für typische Berufsbeamte und eingefleischte Ministerialbürokraten.
FÖRSTER ist von anderem Schlag. Er schreibt 10 Tage später an die OFD zurück: Er wird seinen Dienst quittieren. Bedeutet auch: FÖRSTER verzichtet auf alle bisher aufgelaufenen Pensionsansprüche.
Die OFD bestätigt sein Entlassungsgesuch.
FÖRSTER macht sich selbstständig. Als Rechtsanwalt. Schwerpunkt: Steuerrecht.

Die zweite 'Karriere' funktioniert. Immer mehr Kunden frequentieren den Sachverstand von Klaus FÖRSTER. Nicht alles, was man von ihm erwartet, findet er in Ordnung. Er macht das den Klienten auch unmissverständlich klar. Die Klienten bleiben trotzdem bei FÖRSTER. FÖRSTER ist gut.




Wie es weitergeht

FÖRSTER's freiwilliger Abgang löst bei dem einen oder anderen dann doch ein wenig Betroffenheit aus: am 3. Dezember 1983 veröffentlicht die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Leserbrief. Absender: der ehemalige Referent für Parteispenden im Bundesfinanzministerium, der inzwischen pensioniert ist. Er wagt sich aus der Deckung und gibt ganz offen zu, dass ihm die diversen Praktiken selbstverständlich bekannt waren. Zu den Eigenschaften, die man von Beamten wie ihm erwarte, gehöre es nämlich zu erahnen, "was Herr Minister wünschen oder auch nicht wünschen" (siehe aktives Bild).

Und während sich dann im Jahre 1984 die Bundestagsabgeordneten in Bonn und später ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss auch im nordrhein-westfälischen Landtag mühsam Licht in das Dunkel zu bringen versuchen, sind die Bonner Staatsanwälte die einzigen, die über alle Unterlagen verfügen. Den Mandatsträgern der "Legislative", die hierzulande, wie man es in der Schule lernt, das höchste politische Verfassungsorgan repräsentieren, werden vielfach die notwendigen Unterlagen und Akten verweigert. Im Bonner Bundestag haben CDU/CSU und FDP die Mehrheit auch im Untersuchungsausschuss. So ganz ernsthaft, wie viele tun, ist alles nicht gemeint.

Und um auf Nummer sicher zu gehen, versuchen die Parteien CDU/CSU und FDP im Mai eine Generalamnestie via Gesetz durchzusetzen: ""Entwurf eines Gesetzes über die Einstellung bestimmter Steuerstrafverfahren" lautet die Überschrift der Bundestagsdrucksache "10/1421" vom 8. Mai 1984. "Der Entwurf will einen Schlussstrich ziehen" lautet u.a. die Begründung. Gewichtigster Wortführer und Verfechter dieser Initiative: Bundeskanzler Helmut KOHL, CDU, der ebenfalls auf der Pay-roll von FLICK gestanden hatte.
Das Vorhaben klappt nicht - ein politischer Aufschrei geht durch die Republik.DER SPIEGEL titelt: "Man kann nicht alle Sauereien machen."

Doch es soll noch dicker kommen. DER SPIEGEL kommt am 22. Oktober 1984 mit einer großen Geschichte heraus: Bundestagspräsident Dr. Rainer BARZEL, CDU, stand von 1973 bis 1982 auf der Pay-roll des Hauses FLICK. Rund 1,7 Mio DM hat das noble Unternehmen 'wg. BARZEL' an eine Frankfurter Rechtsanwaltskanzlei gezahlt, die wiederum BARZEL alimentierte.

Und eine Woche später, am 29.Oktober 1984 heißt der Aufmacher "FLIICK - Zahlmeister der Republik". BARZEL tritt wenige Tage danach zurück - er ist politisch nicht mehr zu halten. Der Parteispendenskandal hat jetzt einen Namen: "FLICK-Affäre":

Im Dezember 1984 erheben die Bonner Staatsanwälte Anklage wegen Steuerhinterziehung und Beihlife zur Steuerhinterziehung gegen

  • Eberhard von BRAUCHITSCH
  • den ehemaligen Bundeswirtschaftsminister und jetztigen Vorstandschef der Dresdner Bank, Hans FRIDERICHS (FDP)
  • den amtierenden Bundeswirtschaftsminister Otto Graf LAMBSDORFF (FDP)


Später gibt es auch Anklagen gegen einige andere Industrielle und Wirtschaftsführer. Allen Angeklagten kommt der Umstand zugute, den die Verteidiger anführen:

Die Finanzverwaltung, also amtierende Minister, ihre Ministerialbürokraten und deren Untergebenen hätten das alles gewusst und gedeckt. Was aber amtlich mehr oder weniger 'genehmigt' sei, könne ja wohl nicht einseitig zu Ungunsten derer ausgelegt werden, die es - im konkludenten Einvernehmen seitens der Verwaltung - praktiziert haben.

Die Gerichte folgen dieser juristischen Argumentationslinie weitgehend. Der Vorwurf der Bestechlichkeit wird in allen Fällen fallengelassen. Ins Gefängnis muss trotz der gigantischen Summen an hinterzogenen Steuern niemand - die Gerichte lassen Milde walten:

  • FRIDERICHS, inzwischen Vorstandschef der Dresdner Bank, muss eine Geldbuße in Höhe von 61.500 DM zahlen. Für die Deckung seiner Anwaltskosten erhält er 515.000 DM Kostenerstattung: aus der Staatskasse.
  • LAMBSDORFF muss ein Bußgeld von 180.000 DM zahlen und tritt noch vor Prozessbgeinn als Wirtschaftsminister zurück. Für die Deckung seiner Anwaltskosten erhält er 515.000 DM Kostenerstattung: ebenfalls aus der Staatskasse. LAMBSDORFF wird 1988 Parteivorsitzender der FDP und ist damit der erste Parteivorsitzende, der rechtskräftig wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung verurteilt wurde.
  • Der wichtigste Drahtzieher, Eberhard von BRAUCHITSCH, wird 1987 zu einer 2jährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt - im Gegenzug muss "v.B." eine finanzielle Buße von 550.000 DM leisten. Der rüstige Rentner verlegt seinen Wohnsitz nach Monaco.


Klaus FÖRSTER verliert seine gerichtliche Widersprichsverfahren sowohl

  • vor dem Verwaltungsgericht Köln
  • als auch vor dem Oberverwaltungsgericht Münster.

Begründung in beiden Fällen durch die amtierenden Richter: Die Versetzung sei rechtens und dienstlich gerechtfertigt. Sie habe auch keinen politischen Hintergrund.

Klaus FÖRSTER kann dieses Urteil nicht verstehen, aber damit leben. Er übt seinen neuen Beruf bis kurz vor seinem Tod im Alter von 76 Jahren im Februar 2009 aus.


(NeSie / JaRe / JL)