Nr. 3: Der Clan und das Geld

Wie die Ermittler versuchen, die Finanzströme der kriminellen Großfamilien in NRW und Berlin ufzudecken

Von Axel SPILCKER im Kölner Stadtanzeiger am 1.4.2019

Wie ein Monument aus glorreichen Tagen steht der ausrangierte Bahnhof mit seinen klobigen Backsteinmauern an der Markgrafenstraßei n Duisburg. Niemand ahnte, dass im Untergeschoss der altehrwürdigen Anlage eine illegale Marihuana-Plantage untergebracht war. Als Züchter verdächtigen die Ermittler eine arabische Clangröße. Die knapp 1300Pflanzen wurden höchst professionell gepflegt. Wie in einem botanischen Gewächshaus wurden die Sprösslinge mit hohem Lichtfaktor bestrahlt und sorgsam in speziellen Töpfen bis zur Ernte hochgezogen. Im Juni 2018 hoben die Sonderstaatsanwälte der Duisburger Justiz die illegale Cannabis-Farm aus.

Die Durchsuchung förderte eine abgesägte Schrotflinte, Munition und eine halbautomatische Schusswaffe zutage. Mit der Plantage soll die Clangröße über 600.000 Euro erzielt haben. Die Ermittler gehen davon aus, dass die Erlöse in Immobilien gesteckt wurden, die jetzt von der Staatsanwaltschaft Duisburg beschlagnahmt wurden.

Seit der Reform des Paragrafen zur Vermögensabschöpfung im Juli 2017setzen die Strafverfolger zunehmend darauf, die kriminellen Familien-Syndikate dort zu treffen, wo es besonders wehtut: am Portemonnaie. Die Gesetzesnovelle erweiterte die Befugnisse der Strafverfolger, illegal erwirtschaftete Gewinne zu beschlagnahmen. Und zwar vor allem dann, wenn die Herkunft des Geldes unklar ist. Bisher mussten Ermittler beweisen, dass die Einkünfte aus kriminellen Machenschaften stammten, bevor sie zuschlagen konnten. Nun aber können sie bei Verdachtslagen erst einmal beschlagnahmen. Der Gesetzgeber ging sogar so weit, dass er die Justiz ermächtigte, auch im Falle von Freisprüchen das Vermögen abzuschöpfen.

Illegale Einkünfte nachweisen

Allerdings müssen die Ankläger spätestens vor Gericht belegen, dass der Delinquent über keine legalen Einkünfte verfügt, um sich teure Uhren oder ein Luxusapartment leisten zu können. Somit hängt es nach wie vor von den Gerichten ab, wie sie den neuen Passus auslegen. Entgegen weitläufiger Meinung sind die Hürden auch nach der Gesetzesnovelle nicht mit italienischen Verhältnissen vergleichbar. Dort müssen etwa Mafiosi nachweisen, dass ihr Einkommen aus legalen Quellen stammt. Fachleute sprechen von der Beweislastumkehr.

Die hiesige Gesetzesreform reicht nicht so weit: Nach wie vor müssen die Ermittler das Gericht überzeugen, dass bei Clan-Beschuldigten ein „Missverhältnis zwischen dem Wert des Gegenstandes und den rechtmäßigen Einkünften des Betroffenen“ besteht. So lautet der entsprechende Passus.

Das bedeutet, dass die deutschen Finanzfahnder nach wie vor den beschuldigten Gangstern nachweisen müssen, dass der Lamborghini nicht aus legalen Einkünften stammt. Kurzum vieles bleibt noch Stückwerk:

Etwa in Berlin beschlagnahmte die Justiz im Jahr 2017 Clan-Vermögenswertei n Höhe von 20 Millionen Euro. Am Ende aber blieb nur eine Million übrig, weil zu wenig verwertbare Indizien die kriminelle Herkunft des Geldes nachweisen konnten. Folglich tasten sich die Strafverfolger in NRW langsam bei den Gerichten vor.

Stefan Müller, Chef der Clan-Sonderstaatsanwälte in Duisburg, bekundete kürzlich erst gemischte Gefühle:„Wir warten nun ab, wie die Gerichte mit dem neuen Paragrafen mgehen.“ Meist versuchen Großfamilien ihre kriminellen Gewinne in Restaurants, Wettbüros, Spielhallen, Shisha-Bars oder in Immobilien rein zu waschen. Der Betrüger-Clan um den Leverkusener Boss Michael G., alias„ Don Mikel“, ist so ein Fall. Der soll mit erschwindeltem Geld zahlreiche Häuseru nd Wohnungen gekauft haben.

Seit Jahrzehnten ermittelt die rheinische Justiz gegen das Netzwerk der Familie. Meist aber kamen die Protagonisten mit glimpflichen Strafen davon. Vor zwei Jahren wählten die Ermittlereinen neuen Weg, um die kriminellen Machenschaften des Roma-Clans aus Leverkusen einzudämmen. Akribisch verfolgten sie die Geldströme des Clans und beschlagnahmten Immobilien, teure Autos, Uhren und Schmuck. Den Justiz-Behörden gelang es, die Finanzflüsse des Syndikats aufzuhellen und durch richterliche Beschlüsse auszutrocknen .Neben den Vorwürfen wie bandenmäßige Betrügereien, Sozialhilfe-Schwindel, Steuerhinterziehung und Kreditgaunereien zielten die Ermittlungen darauf ab, die Großsippe am Nerv zu treffen: beim Versuch, ihrer kriminellen Einnahmen in legale Geschäfte zu investieren.

Die Strategie der Staatsanwälte und der Polizei erinnert an die Taktik, wie einst die US-Strafverfolger den Mafia-Boss Al Capone überführten. Capone musste letztlich wegen Steuerhinterziehung für zehn Jahre ins Gefängnis. Bei Michael G. scheinen die umfangreichen Nachforschungen der Kölner Ankläger und der Kripo zu ähnlichen Erfolgen zu führen.

Am Ende enttarnten die Strafverfolger ein mutmaßlich kriminelles Netzwerk von mehr als 40 Personen mit dem stämmigen Finanzschieber der Großfamilie an der Spitze. Monatelang zapften die Ermittler die Handys des Bosses und seiner Vertrauten an. Es stellte sich heraus, dass Michael G. über Strohmänner agierte: Über einen Deutsch-Perser kaufte und verkaufte er Immobilien, verhandelte mit Banken über Kredite. Nach außen hin galt der Komplize als Eigentümer. Somit verfügte G. offiziell über keine Einkünfte. Und niemand interessierte sich dafür, dass die Millionen für die Investitionen womöglich aus dubiosen Quellen des Clans stammten.

Wiederholt konferierte G. mit seinem Vater über Millionenbeträge. In belauschten Telefonaten stellte er klar, dass tatsächlich er und kein anderer dieI mmobilien gekauft hat, Seine Frau rief ihn an und wollte wissen, ob er ganz Köln gekauft hätte. „Don Mikel“ lachte: „Drei Häuser und 40 Parkplätze.“ Meist aber geben sich Clan-Größena m Telefon weitaus konspirativer.

An einem Oktobertag 2014 drehten Gangster des kurdisch-arabischen Remmo-Clans in Berlin ein großes Ding. Vier Mitglieder des Remmo-Clans ließen sich zwei Tage lang in einer Sparkassen-Filiale am Mariendorfer Damm einsperren. Seelenruhig räumte das Quartett die Schließfächer mit Schmuck, Bargeld und Uhren aus. Um ihre Spuren zu verwischen, sprengten die Einbreche rkurzerhand die Filiale in die Luft. Dabei wurde einer der Männer verletzt. Seine Blutspur führte die Strafverfolger letztlich auf seine Fährte. Der Mann wurde in Rom verhaftet. 2015 musste der damals 33-Jährige für acht Jahre in Haft. Die Millionen-Beute blieb jedoch bis heute verschwunden.

Bei ihren Nachforschungen stießen Ermittler des Landeskriminalamts Berlin auf einen Verwandten der Sparkassen-Bande, der sich eine Immobilie zulegte. Dabei lebte der offiziell von Hartz-IV-Bezügen. Die weiteren Nachforschungen ergaben, dass der Clan über ein Netzwerk von Strohleuten im Libanon und Berlin professionell seine kriminellen Einkünfte in saubere Geschäfte investierte. Die Spur führte zu einem ausgeklügelten System der Geldwäsche. Im Juli 2018 beschlagnahmten Finanzermittler 77 Immobilien des Clans. Das Portfolio reichte von Eigentumswohnungen über Grundstücke bis hin zu einer Kleingartenanalage. Der Wert wurde zunächst auf knapp zehn Millionen Euro taxiert.

Diebstahl von 100-Kilo-Goldmünze

Der Remmo-Clan gilt mit seinen geschätzten 500 Mitgliedern als Macht im kriminellen Milieu der Bundeshauptstadt. Einer der Söhne von Familienoberhaupt Issa Remmo soll im Sommer 2017 einen Gläubiger mit einem Baseballschläger totgeschlagen haben. Möglicher Hintergrund: Der Clan-Boss schuldete dem Opfer angeblich128.000 Euro. Seit Jahrzehnten zählen die Remmos zu den einflussreichsten 20 Verbrecherclans in Berlin – und inzwischen auch im Ruhrgebiet. Diebstahl, Raubüberfälle, Einbrüche, Schutzgeld-Erpressung, Geldwäsche, Gewaltdelikte bis hin zum Mord. Auch wenn die Schätzungen über den Anteil krimineller Remmo-Mitglieder zwischen zehn und 50 Prozent schwanken, sorgt dieser verbrecherische Familienzweig immer wieder für Schlagzeilen.

So geschehen bei dem spektakulären Diebstahl einer 100 Kilogramm schweren Goldmünze aus dem Berliner Bode Museum. Clan-Mitglieder sollen in der Nacht des 27. März 2017 eingestiegen sein und den aus reinstem Gold gefertigten kanadischen Big-Maple-Leaf-Taler in einer filmreifen Operation entwendet haben: Abseilen durch ein Museumsfenster, dann sollen die Einbrecher die Münze mit einer Schubkarre hinaus zu einer Brücke geschoben und sie auf Bahngleise abgeseilt haben, um sie von dort aus abzutransportieren. Bald darauf fasste die Polizei die mutmaßlichen Täter: Einen Museumswächter und drei Mitglieder der Remmo-Familie, die derzeit vor Gericht stehen. Die Beute, 3,8 Millionen Euro wert, ist bisher nicht wieder aufgetaucht.