Kriminelle Clans in NRW: das Making-of

Aufgeschrieben von Axel SPILCKER

Seit langer Zeit beschäftige ich mich mit dem Phänomen krimineller kurdisch-libanesischer Clans in Berlin, Bremen, Niedersachsen und in NRW. Jahrzehntelang hatte die Politik aus Furcht vor der Stigmatisierung der zugewanderten Sippen einfach weggeguckt. Vereinzelte Klagen etwa der Polizeigewerkschaft über No-Go-Areas in Ruhrmetropolen verhallten ungehört. In Berlin sah der Innensenator ebenfalls nur zu, wie Großfamilien einen spektakulären Coup nach dem anderen landeten – siehe etwa der Einbruch in das Bode-Museum nebst dem Diebstahl einer 100 Kilogramm schweren Goldmünze.

Zugleich häuften sich Meldungen über die Bedrohung von Polizeibeamten, städtischer Ordnungsamtsmitarbeiter oder Bedienstete in den Job-Centern. Die Duisburger Polizei hatte bereits im Jahr 2012 einen Auswertebericht erstellt. Das Ergebnis war frappierend: Zunehmend brachten Clangruppen ganze Straßenzüge oder Viertel unter ihre Kontrolle.

Erst als 2017 die schwarz-gelbe Landesregierung in Düsseldorf das Ruder übernahm, änderte sich das Vorgehen von Justiz und Polizei. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) machte den Kampf gegen die Clans zu einem Schwerpunkt seiner Amtszeit. Zum ersten Mal durchleuchtete das Landeskriminalamt in speziellen Lagebildern das Phänomen. Auch in Berlin begannen die Ermittler und Staatsanwälte einen härteren Kurs zu fahren.

So entstand mit der Chefredaktion des KStA zusammen die Idee, das Problem in einer Serie in vielen Facetten zu durchleuchten. Wir wollten erzählen, wer insbesondere an Rhein und Ruhr das Sagen hat, wer die Macht in den Vierteln ausübt, in Lokalen, Shisha-Bars, in den Wettbuden oder auf den Straßen. Wer sind die einflussreichsten Clans, wer ihre Bosse ? Wie agieren die Gangster ?

Auch ging es uns darum den archaischen Wertekanon der Großsippen aufzuschreiben. Die Familienehre ist hier viel wichtiger als Recht und Gesetz, die deutsche Staatsmacht wird rigoros abgelehnt, bei Fehden zwischen den Clans urteilen eigene Friedensrichter.

Zugleich haben wir mit Hilfe von Soziologen erläutert, wie diese Gruppierungen – meist handelt es sich Mhallamiye-Kurden - in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vor den Repressalien des türkischen Attatürk-Regimes in den Libanon auswanderten. Bereits dort verlegte man sich auf das kriminelle Handwerk. Vor dem Bürgerkrieg flüchteten die Familien Anfang der 80er Jahre nach Deutschland. Hier durften sie zunächst nicht arbeiten. Folglich begannen viele Mitglieder hierzulande im Organisierten Verbrechen Fuß zu fassen. An dieser Stelle sei erwähnt, dass nicht alle Angehörige der Großfamilien illegalen Geschäften nachgehen.

Das Konzept sah vor, dass wir dem Leser vor Augen führen wollten, wie die mächtigsten Clans operieren, in welchen Kriminalitätsfeldern sie ihre Gewinne erzielen. Das reicht von Schutzgelderpressung, Drogenhandel, Raub, Einbruch, Gewalttaten, Sozialbetrug, dem Panschen von Wasserpfeifentabak, Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Schießereien bis hin zu Tötungsdelikten und dem Bedrohen von Zeugen in Strafprozessen gegen Clangrößen.

Deshalb haben wir anhand der mächtigsten Großfamilien wie den Al Zein oder den Omeirats das Problem geschildert. Eine weitere wichtige Rolle spielt in dem Kontext der Hang zum Gangsta-Rap in der Clansubkultur.

In monatelangen Recherchen haben wir Archive nebst Ermittlungsakten durchforstet, haben Prozesse besucht, mit Kriminalbeamten, Staatsanwälten, Entscheidungsträgern der Kommunen nebst Strafverteidigern gesprochen und waren auch in Clan-Milieus unterwegs. Am Ende fügte sich folgendes Bild zusammen: Clankriminalität ist längst ein gesellschaftliches Problem geworden. In jenen Kreisen ist es schon bei jungen Leuten schick, auf die krumme Tour Geld abzukassieren. Hier muss der Staat gegensteuern präventiv genauso wie repressiv.

Und noch eine Erkenntnis haben die Recherchen erbracht: Die Strafverfolger brauchen einen langen Atem, um den Familien-Syndikaten das Handwerk zu legen.