Nachklapp: Krebs oder nicht Krebs

Auch dieser Kurzbericht ist der Journalistenzeitschrift "message" aus dem Jahr 2007 entnommen. Autor: Uwe KRÜGER. Er hat diesen Artikel als Nachklapp auf seine große Darstellung "Funkstille über Strahlungsschäden" verfasst.


Die "Süddeutsche Zeitung" brachte auf ihrer Titelseite Handys mit Krebs in Zusammenhang und musste dafür eine Menge Prügel einstecken. Dabei hat sie nur unabhängiger gedacht als die Konkurrenz - so Uwe KRÜGER:

In der letzten Ausgabe berichtete Message unter der Überschrift »Funkstille über Strahlungsschäden« über Merkwürdigkeiten der deutschen Medien im Umgang mit dem Thema Mobilfunkstrahlung. Fälle interner Zensur bei Süddeutscher Zeitung, DER SPIEGEL und MDR wurden beschrieben, Verflechtungen von BR, dpa, Bild und ZDF mit der Mobilfunkindustrie aufgezeigt. Ende Januar flammte das Thema Mobilfunkstrahlung kurz auf – und diese Blitzlicht-Medienkarriere lohnt ein genaueres Hinschauen.

Die Handy-Woche begann am Dienstag, dem 30. Januar, mit einem Nachdruck der Message-Geschichte in der taz. Am Tag darauf hatte eine der darin kritisier­ten Medien, die Süddeutsche, einen überra­schenden Aufmacher auf ihrer Titelseite: »Handys kön­nen Krebs aus­lösen«. Niemand sonst im deutschen Blätterwald wartete mit einer solchen Story auf: »Nach jahrelan­gem und intensivem Telefonieren steigt das Risiko, an einem bösartigen Hirntumor zu erkranken.«

Der Aufmacher bezog sich auf eine Teilstudie aus dem europaweiten Forschungsprogramm Interphone, das seit 2000 Daten von Hirntumor-Patienten in 13 Ländern auswertet. Im "International Journal of Cancer" hatte eine Forschergruppe um die Finnin Anna LAHKOLA einen Artikel dazu veröffentlicht, den die Süddeutsche so wiedergab: »Um 39 Prozent erhöht sei bei dieser Bevölkerungsgruppe« – gemeint sind Menschen, die seit mindestens zehn Jahren ein Handy regelmäßig oder besonders intensiv nut­zen – »das Risiko für Gliome, das sind Tumoren im Stützgewebe des Hirns«. Eine andere Studie um den schwedischen Wissenschaftler Lennart HARDELL bestä­tige den Befund und habe sogar ein noch höheres Risiko berechnet; weitere Wissenschaftler werden zitiert, die die Ergebnisse für plausibel halten.

Allerdings weist Autor Christopher SCHRADER auch auf mögliche Fehlerquellen hin, und im Kommentar auf Seite 4 drückt er sich außerordentlich vorsichtig aus: »Aber es ist noch kein Beweis, eher ein begrün­deter Verdacht.« Weitere Studien seien nötig, und: »Noch genügen die Argumente nicht, der boomenden Mobilfunk-Wirtschaft Fesseln anzulegen

Feuer aus allen Rohren

Am nächsten Tag zeigte sich die Leitmedien-Funktion der Süddeutschen – doch nicht alle mochten ihr in der Stoßrichtung folgen. Die Bild-Zeitung titelte zwar genüsslich »Krebs-Angst – So stark strahlt ihr Handy«, und die taz ging mit »Neue Hinweise auf Gefahren durch Mobilfunk« vorsichtig mit. Aber die dpa ver­sorgte ihre Kunden mit der beruhigenden Meldung »Große Studie findet keinen Beweis für Krebs durch Handys«, die Welt sah »keine sicheren Hinweise«, für die Berliner Zeitung war »Krebs durch Handys nicht nachgewiesen«, der Tagesspiegel schlagzeilte ent­schieden »Nicht mit Krebs verbunden«.

Am schärfsten widersprachen Spiegel und Stern in ihren Online-Auftritten noch am Tag der SZ-Veröffentlichung. »Brutal-Bullshit der Ultra-Hardcore-Klasse« schrieb Christoph KOCH, Ressortleiter Wissenschaft und Medizin bei der Illustrierten stern, offenbar in einer Stunde höchster Erregung. Gegen den »zusammengefieselten Argumentationsfaden« und die »Teflon-Tricks aus der ersten Woche Volontariat« des »Kollegen Schrader« brachte er die Kernaussage  der Wissenschaftler selbst in Stellung: »We found no evidence of increased risk of glioma related to regu­lar mobile phone use«, stand in ihrem Aufsatz. KOCH weiter: »Hat Christopher Schrader ein Intelligenz-, Bildungs- oder Verständnisproblem? Ich weiß: Nein. Hat er sich dumm gestellt? Ich glaube, so muss es sein. Operative Gründe: Ein weißes Loch auf Seite eins.« Außerdem sei die Studie auch noch 14 Tage alt gewesen; seit dem 17. Januar stand sie online.

War die Süddeutsche also komplett durchgedreht, als sie etwas anderes als die Forscher selbst behaupte­te? SCHRADERerzählt: »Ich habe mir die Studie durch­gelesen und die Zahlen angeschaut, und da war eine signifikante Zahl. Und zwar genau dort, wo sich ein Krebsbefall nach biologischer Plausibilität zuerst zei­gen würde.« Einige Monate zuvor, ergänzt er, habe eine andere Studie für den gleichen Sachverhalt eben­falls signifikante Zahlen ergeben. »Mein Anliegen war zu sagen: Leute, schaut hin, diese Zahl ist womöglich wichtig, zeigt mindestens aber eine neue Qualität der Daten.« Wie die Wissenschaftler ihre Ergebnisse inter­pretieren, sei zweitrangig. »Wichtiger war die Zahl, und die Zahl hat eine Aussage. Welche, darüber kann man streiten. Aber so platt wie die Kritiker meines Artikels kann man das nicht wegdiskutieren

An der Diskussion um die Aufmacher-Überschrift, an der sich viele Kritiker stießen, möchte sich SCHRADER nicht beteiligen. Doch es ist klar, dass nicht er, sondern die Chefredaktion sie zu verantworten hat. Ebenso klar ist, dass auf der Eins andere Gesetze gelten als auf der Wissenschaftsseite: Hier braucht man Griffiges, Eindeutiges. Es sei SCHRADER selbst nicht wohl dabei gewesen, »teilweise fanatischen Mobilfunkgegnern in die Hände gespielt zu haben. Aber nur weil mir deren Auffassungen nicht sympathisch sind, kann ich ja nicht einfach entsprechende Informationen unterdrücken.«

Wissenschaftlich kompetent

Apropos Informationsunterdrückung: In keinem der Artikel über die Studie wurde erwähnt, dass sie unter anderem vom Mobile Manufacturers‘ Forum (MMF) und der GMS Association finanziert wurde. Hinter diesen Vereinigungen verbergen sich die Großen der Mobilfunkindustrie: Nokia, Siemens, Motorola, Sony Ericsson, Vodafone, T-Mobile – und womög­lich beförderte dies ja die Vorsicht der Forscher bei der Deutung ihrer Ergebnisse. Insofern handelte die Süddeutsche wissenschaftsjournalistisch kompetenter als ihre Kritiker, indem sie die Studiendaten eigenstän­dig interpretierte.

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) rea­gierte jedenfalls weit weniger harsch als die Medienkonkurrenz: »Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse«, so die Pressemitteilung am Tag des SZ-Titels, »bestätigen den vom BfS vertretenen Vorsorgegedanken beim Gebrauch von Handys.«