Wie die Sonderausgabe "Die Waffenrepublik" entstanden ist

14 Volontäre berichten über das Making-of "Waffenrepublik Deutschland"

Redaktionsteam: Oliver Hollenstein, Anja Perkuhn, Melanie Staudinger (Leitung); Silke Bigalke, Jannis Brühl, Sarah Ehrmann, Christoph Giesen, Viktoria Großmann, Frederik Obermaier, Cornelius Pollmer, Antonie Rietzschel, Ronen Steinke, Charlotte Theile, Benedikt Warmbrunn


Die Deutschen stellen sich gerne als eines der friedfertigsten Völker der Welt dar. Gleichzeitig ist Deutschland aber einer der größten Waffenexporteure und bildet seit 50 Jahren ausländische Soldaten aus. Wie passt das eigentlich zusammen?
Diese Frage stand am Anfang unserer Diskussionen, zu welchem Thema die Volontäre der Süddeutschen Zeitung 2012 eine Sonderausgabe des SZ-am-Wochenende produzieren könnten.

Hinzu kam schon früh eine Erkenntnis: Keiner von uns 14 Volontären hatte jemals mit einer Waffe geschossen, keiner der Männer war bei der Bundeswehr gewesen. Vielleicht hat gerade unsere Generation deswegen ein anderes, vielleicht sogar neues Verhältnis zu Waffen, diskutierten wir. Am Anfang gab es viel Meinung, wenig Wissen. Wir kennen sie nicht, aber wir lehnen sie strikt ab. Frieden sichern mit Waffen? Um Gottes Willen! Aber ist unsere Einstellung fair? Richtig? Ist die Welt nicht komplizierter?

Wir nahmen uns also vor, das Verhältnis der Deutschen zu ihren Waffen genauer zu betrachten. Aus möglichst neutraler Position wollten wir das moralische Dilemma darstellen zwischen wirtschaftlichen Interessen, (real)politischen Anforderungen in einer konfliktreichen Welt und den hehren Ansprüchen der Pazifisten. Unsere Hoffnung damals: Viel Wissen, differenzierte Meinung. Eine im besten Sinne aufklärerische Ausgabe gestalten, die aufzeigt, dass diese Dilemmata nicht aufzulösen sind, weil es immer Argumente für verschiedene Seiten gibt.

Recht schnell kamen uns dann die Ideen für die großen Geschichten: Was für ein Ver-hältnis haben wir Deutschen eigentlich zu Waffen? Wie hat sich das im Laufe der Zeit verändert? Wenn deutsche Firmen Waffen exportieren, wie funktioniert das und was passiert mit denen auf der Welt? Wieso und wie bilden wir eigentlich Soldaten für andere Staaten aus? Und was geht eigentlich in einem Waffenentwickler vor?

Doch schnell stießen wir – abseits von den Recherchen – auf ein weiteres Problem: Wie schafft man es eigentlich, ein so schweres Thema wie Waffen dem Leser am Frühstückstisch an einem Samstagmorgen zugänglich zu machen? Es galt also, neben den großen Recherchestücken auch kleinere Texte, interessante Infografiken und lockere Lesestücke auf den acht Seiten unterzubringen.

Welche Themen wir ausgewählt haben und auf was für Schwierigkeiten wir dabei gestoßen sind, erfahren Sie auf den nächsten Seiten. Zu erwähnen ist an dieser Stelle noch, dass wir gerade wegen der Brisanz des Themas in jedem Text mehrmals die Fakten gecheckt haben. Zudem haben wir uns eng mit den Fachredakteuren im Haus abgesprochen. Ohnehin müssen wir uns bei vielen Leuten bedanken, ohne die diese Ausgabe niemals fertig geworden wäre:

- Petra Steinberger für die Betreuung und die verdammt guten Nerven.
- Carmen Wolf für die Fotos und das Gestaltungskonzept.
- Christina Dawid für die Illustration.
- Alper Özer fürs Layout.
- Joachim Käppner für die fachliche Beratung und den Fakten-Check.
- Gerhard Matzig und Detlef Esslinger fürs Ermöglichen der Ausgabe.
- Harald Hordych und Alex Rühle fürs Redigieren.


Die Waffenrepublik

Autoren: Silke Bigalke, Sarah Ehrmann

Warum haben die Volontäre sich ausgerechnet für das Thema Waffen entschieden? Und wieso sollten die Leser sich nun acht Seiten durch dieses sperrig wirkende Thema wühlen? Diese beiden Fragen mussten auf jeden Fall auf der ersten Seite unserer Ausgabe beantwortet werden, um nicht den Großteil der Wochenend-Leser zu verschrecken, das war uns von Anfang an klar. Wir entschieden uns daher, die Wochenendbeilage – wie üblich – mit einem Essay zu beginnen.
Unsere These: Weil wir ohne Krieg aufgewachsen sind, distanzieren sich junge Deutsche zunehmend von der Bundeswehr und interessieren sich weniger für sicherheitspolitische Fragen. In der Recherche gingen wir folgendermaßen vor:

1. Wir haben die Volontäre über ihren Bezug zu Waffen und Krieg befragt, um zu er-fahren, ob unsere Generation tatsächlich weiter von diesem Thema entfernt ist als beispielsweise unsere Eltern und Großeltern. Schließlich sollte der Essay stellver-tretend für alle Autoren der Ausgabe stehen.

2. Wir haben im Archiv recherchiert und uns in die Rüstungsexportrichtlinien der Bundesregierung eingearbeitet. Außerdem haben wir uns über Reaktionen der deutschen Bevölkerung auf frühere Einsätze in Krisenregionen und Kriegen infor-miert. Wir haben diese Berichterstattung mit der sehr emotionalen Berichterstat-tung nach einem Amoklauf verglichen.

3. Wir haben verschiedene Studien und Umfragen zum Verhältnis der Deutschen zu bewaffneten Konflikten, zu Krieg, zur Bundeswehr und zur Nato ausgewertet.

4. Im Selbstversuch am Schießstand haben wir ausprobiert, wie es sich anfühlt, eine Pistole und eine automatische Waffe abzufeuern. Bei der Suche nach einem Schüt-zenverein, der uns schießen lässt, merkten wir, wie zurückhaltend diese gegenüber Journalisten sind. Viele sorgten sich, dass wir sie „wieder nur als Vereine von Amokläufern“ präsentieren würden. Auch über Bundeswehr oder die Polizei gestaltete sich die Suche schwierig. Letztlich nahm uns ein Bundeswehr-Pressesprecher mit zu dem Schützenverein, in dem er privat trainiert.

5. Wir haben mit (ehemaligen) Bundeswehrsoldaten über ihre Einsätze gesprochen. Wir wollten wissen, mit welchen Gefühlen sie zurückgekommen sind und wie ihr Umfeld darauf reagiert hat.

6. Wir haben einen Experten für Sicherheitspolitik über das veränderte Interesse an sicherheitspolitischen Fragen an deutschen Unis interviewt.


"Dunkelziffern"

Zusammengestellt von: Charlotte Theile

Zum Einstieg in unsere Waffenausgabe wollten wir grafisch einen Überblick über die Fakten zum Thema „Waffen in Deutschland“ geben. Doch das gestaltete sich schwieriger als gedacht: Wie viele Waffen es in Deutschland tatsächlich gibt, weiß niemand. Ein zentrales Waffenregister gab es zu dem Zeitpunkt nicht, jedes Bundesland, manchmal auch jede Kommune, hatte eigene Zahlen. Also konnte man sich den Waffen nur nähern: über die Angaben von Schützenvereinen und über die Zahl der Schusswaffen in der Polizeistatistik. Während der Recherche zeigte sich vor allem der Deutsche Schützenbund skeptisch. An vielen anderen Stellen gaben die Verantwortlichen dagegen recht offen zu, wie unzureichend ihre Erkenntnisse in diesem Gebiet waren. Der mögliche Grund: Zu dieser Zeit wurde schon am bundesweiten Waffenregister gearbeitet, Besserung war in Sicht.


"Feuerwerkzeug"

Autoren: Jannis Brühl, Antonie Rietzschel

Wer trägt eigentlich Waffen in Deutschland? Wer benutzt sie regelmäßig – sei es aus beruflichen Gründen oder in der Freizeit? Mit mehreren Kurzporträts auf der zweiten Seite wollten wir einen lockeren und kleinteiligen Einstieg in die Ausgabe bieten. Sie sollten das persönliche Verhältnis von Bürgern zu ihren Waffen beleuchten und als Gegengewicht zu anderen politischeren und abstrakteren Themen dienen. Unser Ziel: Menschen holen für uns ihre Gewehre aus dem Schrank.

Um unsere Protagonisten zu finden, wendeten wir uns gezielt an Schützenvereine, Poli-zei, Bundeswehr aber auch Sicherheitsfirmen. Gleichzeitig hörten wir uns bei Freunden um und suchten nach speziellen Facebookgruppen. Uns war es wichtig, dass die Perso-nen eine persönliche Geschichte zu erzählen haben. Deswegen versuchten wir bei-spielsweise auch, in einem Internetforum Polizisten zu kontaktieren, die im Dienst einen Menschen erschossen haben. Leider erklärte sich niemand zu einem Interview bereit.

Die Suche gestaltete sich auch sonst schwierig. Vor allem bei den Schützen gab es Wi-derstand. Sie würden von den Medien in der Berichterstattung nach Amokläufen dämo-nisiert, hörten wir immer wieder. Auch bei anderen angefragten Stellen gab es die Be-fürchtung, dass die Waffe eine zu große Rolle spielen könnte und dadurch das Bild ent-stehen könnte, sie würden den Beruf oder das Hobby nur ausüben, um ihre martiali-schen Träume ausleben zu können.
Diejenigen, die sich schließlich zu einem Gespräch bereit erklärten, waren sehr vorsich-tig in ihren Erzählungen. Wir mussten daher viel Zeit in die Interviews investieren, um schließlich die Geschichte hinter der Waffe zu bekommen. Einige Protagonisten mussten anschließend fast dazu überredet werden, sich auch noch mit der Waffe fotografieren zu lassen. Sie hatten Angst, falsch rüberzukommen.


"Wer denkt sich so was aus"

Autoren: Ronen Steinke, Frederik Obermaier

Wie tickt eigentlich ein Mensch, der Instrumente entwickelt, um andere zu töten? Wel-che Gedanken hat er dabei? Wie rechtfertig er sich moralisch? Das waren Fragen, die uns schon am Anfang unserer Diskussionen immer wieder beschäftigten. Wir wollten versuchen, sie in einem Porträt eines Entwicklers zu beantworten.

Die größte Schwierigkeit dabei: Eine Pressestelle eines Rüstungsunternehmens zu finden, die bereit ist, einen „einfachen“ Ingenieur – keinen in Podiumsdiskussionen geübten Manager oder rhetorisch geschliffenen Sprecher – vor unser Aufnahmegerät zu lassen. Und, wenn eine Pressestelle sich dazu bereit erklärt, auch einen Ingenieur innerhalb des dortigen Hauses zu finden, der selbst dazu bereit ist. Wenn die Pressestellen ihre Sorge nicht offen aussprachen, dass es uns bloß darum gehe, jemanden an den Pranger zu stellen, dann sprachen wir diese Sorge vorsorglich selbst an: Nein, darum könne es natürlich nicht gehen. Sondern darum, etwas zu lernen. Über einen Beruf, in dem ein Ingenieur nicht nur technische Probleme lösen muss, sondern auch ethische.

Wie geht ein Baumeister des Krieges damit um? Das würde man gerne verstehen. Manche Pressestellen machten es kurz und lehnten ab. Einige wenige ließen sich auf ein Gespräch ein, nachdem wir deutlich gemacht hatten, wie ernst es uns damit ist, nicht Vorurteile zu bebildern, sondern auf den Prüfstand zu stellen. Das dauerte Wochen.
Der Interviewpartner könne gerne auch anonym bleiben, sicherten wir den Pressestellen zu – ein Ingenieur, der mit uns spricht, sollte wirklich nicht befürchten müssen, an den Pranger gestellt zu werden. Auch auf ein Foto könnten wir verzichten. Alles, um ein vertrauensvolles Gespräch zu ermöglichen.

Gleichzeitig bemühten wir uns, auch den umgekehrten Weg zu gehen: direkt einen Ingenieur ausfindig zu machen, der zu einem Gespräch bereit ist und sich von seiner Seite an seine Pressestelle mit der Bitte um Erlaubnis wendet. Dieser direkte Weg scheiterte am Ende an der Pressestelle eines Unternehmens. Sie halte ein solches Interview nicht für opportun, sagte sie dem Ingenieur, der mit uns sprechen wollte. Aber der Weg über die Pressestellen führte schließlich zu einem einzelnen Erfolg: Harald Buschek.

Wir trafen ihn an seinem Arbeitsplatz in Überlingen, verbrachten einen Nachmittag zusammen auf dem Firmencampus, lernte uns kennen und schlenderten durch die Sonne. Von nun an ging es darum, ein Porträt zu zeichnen – respektvoll, kritisch, ohne vorgefertigte Urteile. Der Pressesprecher schlug am Ende vor, er könne den Artikel noch einmal gegenlesen, bevor er in Druck gehe; wir lehnten ab.
Auf eine Anonymisierung seiner Person hat Harald Buschek dann verzichtet. Er habe keinen Grund, sich zu verstecken, fand er.


"Außer Kontrolle"

Autoren: Silke Bigalke, Sarah Ehrmann, Frederik Obermaier

Die Idee für die Recherchen zu deutschen Waffenexporten kam uns durch Meldungen zum Rüstungsunternehmen Heckler & Koch. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Bestechung bei Waffendeals. Dazu kam, dass libysche Rebellen Ende 2011 beim Einzug nach Tripolis G36-Gewehre von Heckler & Koch fanden. Unsere Ausgangsfrage war also: Wo werden deutsche Waffen unrechtmäßig auf Umwegen hingeliefert und eingesetzt? Und wer kommt dadurch zu Schaden?

Die Suche nach Opfern stellte sich als sehr schwierig heraus. Wir haben entsprechende Anfragen an Menschenrechtsorganisation, Parteien, Journalisten vor Ort, politische Parteien sowie das Institute wie Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) verschickt. Außerdem verschafften wir uns einen Überblick über deutsche Waffenexporte und wie sie in Deutschland – etwa im Kriegswaffenkontrollgesetz und den Rüstungsexportrichtlinien der Bundesrepublik – geregelt sind.
Wir fragten uns, welche Exporte die Bundesrepublik zwar genehmigt hatte, aber nach ihren eigenen Regeln nicht hätte genehmigen dürfen. Denn wenn der Verdacht besteht, dass Waffen zur „internen Repression“, zu „systematischen Menschenrechtsverletzungen“ oder zu „einer friedensstörenden Handlung“ benützt werden, wird nach den Ex-portrichtlinien keine Exportgenehmigung erteilt – zumindest in der Theorie. Bei unseren Recherchen in der Türkei und Ägypten zeigte sich schnell das Gegenteil.

Recherche im Ausland: Die Suche nach den Opfern

Mit der reinen Archivrecherche und durch Kontakte mit Nichtregierungsorganisationen kamen wir nicht weiter. Es gab zwar viele Vorwürfe und Beispiele, aber wenige Belege. Deswegen entschieden wir uns, in die Türkei zu fliegen. In die Kurdenhochburg Diyarbakir, dorthin, wo angeblich immer wieder deutsche Waffen gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden. Über Stringer vor Ort suchten wir Kontakt mit Betroffenen. Die Geschichten ähnelten sich, doch sie mussten überprüft undt gegengecheckt werden – durch Fotos von Gewehren und Panzern, die wir Zeugen vorlegen. So manche Geschichte entpuppte sich dabei als wenig glaubwürdig.

Nicht so der Fall von Enes Ata. Er war gut dokumentiert. Wir sprachen mit Zeugen, sichteten Zeitungsartikel und Fotos, lasen die wenigen offiziellen Dokumente und die Berichte von Menschenrechtsorganisationen. Auch Haci Helims Schilderungen erwiesen sich als glaubwürdig. Er konnte Daten vorlegen und was er über seine Vertreibung berichtete, deckte sich mit bekannten Angaben zu Daten der Dorfvertreibungen. Er konnte den Panzer BTR-60 von anderen vorgelegten Bildern unterscheiden. Seine Beschreibung deckte sich mit den Angaben zu Ausfuhren der BRD.
Bei unseren Recherchen erfuhren wir, dass in Ägypten beim sogenannten Maspero-Massaker, einer Ausschreitung von bewaffneten Einheiten gegen Kopten, die vor dem Rundfunkgebäude gegen Repressalien und Kirchenbauzerstörungen protestierten, mit deutschen Panzern mehrere Menschen totgefahren worden sein sollen. Um jemanden zu finden, der dabei verletzt wurde oder einen Angehörigen verloren hatte, flogen wir nach Ägypten. Mit Hilfe von sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter machten wir uns auf die Suche und fanden Vivian Magdy. Wir interviewten sie in ihrer Wohnung, verglichen ihre Aussagen mit Videobeiträgen, Zeitungsnachrichten, anderen Augenzeugenberichten und den Vorwürfen, die in dem anlaufenden Prozess gegen die Soldaten zur Sprache kamen.

Recherche im Inland: Suche nach den Verantwortlichen

Wer ist schuld daran, dass in der Türkei, in Ägypten und anderswo Unschuldige durch deutsche Waffen sterben? Wer übernimmt dafür in Deutschland die Verantwortung? Wir haben hierzu bei den Herstellern, bei Branchenlobbyisten, in der Politik und bei den verantwortlichen Behörden nachgefragt. Überall gab man uns bereitwillig – wenn auch oft sehr knapp – Antwort, schob die Verantwortung aber von sich.
Die Suche nach dem Hersteller der in Ägypten eingesetzten Fahd-Panzerfahrzeuge gestaltete sich schwierig. Die Firma Henschel-Wehrtechnik, die die Fahrzeuge einst ent-worfen und gebaut hatte, gibt es so nicht mehr. Wir konnten allerdings beweisen, dass die Fahrzeuge bis heute in der Kader Factory for developed industries in Kairo herge-stellt werden. Durch den Abgleich vieler Unterlagen, Panzerbaupläne und den bekannt-gegebenen Produktionsserien der Rüstungsunternehmen suchten wir nach der Firma, die die Fahd-Teile bis heute herstellt. Mit Hilfe von Rüstungsexperten nahmen wir die Firma Rheinmetall-Defence, die Henschel-Wehrtechnik einst aufgekauft hat, näher ins Visier. Allerdings wollte sich dort niemand dazu äußern. Laut Exportberichten und Hin-weisen von Sachverständigen liegt die Vermutung nahe, dass die Fahrgestelle des Fahd von Daimler stammen. Die Firma bestätigte uns schließlich, dass seit Ende der Achtzigerjahre „rund 1100 mittelschwere Lkw-Fahrgestelle für militärische Nutzung“ nach Ägypten geliefert worden seien.

Wir trafen Georg Wilhelm Adamowitsch, den Hauptgeschäftsführer des Bundesverban-des für Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, einen Waffenlobbyisten also, und haben ihn einen Tag lang zu verschiedenen Terminen begleitet. Er gab bereitwillig Antwort, wollte seine Zitate aber autorisieren. Das Gleiche gilt für Wolfgang Döring, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik, den wir in Bonn getroffen haben.
In Berlin suchten wir den Kontakt zum Außen-, zum Wirtschafts- und zum Verteidi-gungsministerium, sprachen mit Quellen aus dem Umfeld der Mitglieder des Bundessi-cherheitsrates, ließen uns die Vorgehensweise und die Genehmigungspraxis erklären und von den geführten Diskussionen innerhalb des Gremiums berichten.

Nach längerem Mail- und Telefonkontakt willigte das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle (Bafa) ein, uns zu treffen. In einem mehrstündigen Hintergrundgespräch erzählten die Sachbearbeiter aus ihrem Alltag, der Genehmigungspraxis, den Problemen. Über viele interessante Aspekte durften wir allerdings nicht schreiben. Es war schließlich ein Hintergrundgespräch vereinbart – mit den entsprechenden Regeln. Das Treffen war den-noch gut für das Verständnis der gängigen Genehmigungspraxis. Zudem arrangierte die Pressestelle ein Treffen mit Willy Jeanrond, über dessen Schreibtisch viele Anträge für die Ausfuhr von Rüstungsgütern gehen. Seine Schilderungen boten einen seltenen Einblick in den Alltag des Bafa – und vervollständigten unsere Recherche.


"Waffenlobby fliegt mit"

Recherche: Jannis Brühl, Christoph Giesen, Viktoria Großmann, Charlotte Theile

Wir waren uns von Anfang an einig, dass wir unser Thema auch online aufbereiten wollen. Da uns die bloße Visualisierung von Zahlen zum Rüstungsexport zu langweilig erschien, entschieden wir uns, zu personalisieren. Wir wollten die Flüge von Rüstungsmanagern mit schwarz-gelben Kabinettsmitgliedern erfassen und auf einen Blick verstehbar machen.
Wir fragten bei vier Ministerien an: Außen, Wirtschaft, Entwicklung, Verteidigung. Die Anfrage löste, wie wir bald herausfanden, im Presseamt der Regierung Unmut aus. Das sei doch bloßes Zahlensammeln, hieß es, diese Art der Recherche sei der „Ansatz des Statistischen Bundesamtes“. Das Entwicklungsministerium berief sich im Gegensatz zu den anderen Ämtern sogar auf den Datenschutz und gab keine Informationen heraus.
Komplettieren konnten wir unseren Datensatz dann dank des Linken-Abgeordneten Jan van Aken, der praktisch gleichzeitig eine ähnliche Anfrage an die Bundesregierung gestellt hatte. Deren Antwort ließ er uns vorab zukommen. Zudem wurden alle betroffenen Rüstungsunternehmen angefragt, die die Teilnahme ihrer Manager an den Reisen aber nur teilweise bestätigen wollten. Sobald wir die ersten Daten hatten, arbeiteten wir eng mit der Grafikerin Sonja Kowarschick zusammen, die Lösungen fand, Unternehmen, Staaten und die entsprechenden Regierungspolitiker möglichst übersichtlich in die Visualisierung einzubinden. Das Ergebnis kann man unter sz.de/waffen betrachten.


"Tage des Donners"

Autoren: Silke Bigalke, Melanie Staudinger

Keiner der Volontäre hatte bisher eine Waffe abgefeuert, und wir wollten nicht über etwas schreiben, was wir nie ausprobiert haben. Warum feuern Menschen überhaupt Waffen ab? Verändert sich etwas, wenn man selbst schießt? Macht es Spaß, macht es Angst? Macht es süchtig? Kann es wirklich ein Hobby sein? Verliert man die Hemmungen, den Respekt vor Waffen? Reagieren Menschen, die schon einmal geschossen haben, anders auf Waffen als jemand, dem sie fremd sind? Aus dieser Erfahrung ist diese reflektive Erlebnisreportage geworden.


"Zum Abschluss freigegeben"

Autoren: Christoph Giesen, Oliver Hollenstein

Mali, Jemen, Weißrussland – nicht gerade Staaten mit einer gefestigten Demokratie. Doch Deutschland bildet für sie Soldaten aus. Seit 50 Jahren ist der Hintergedanke der sogenannten Militärischen Ausbildungshilfe offiziell: Wir geben den Militärs aus den Schurkenstaaten ein klein bisschen Kriegsausbildung und bringen ihnen gleichzeitig jede Menge Demokratie bei. Doch klappt das? Zum einen sind mitnichten alle in Deutschland ausgebildeten Soldaten nachher lupenreine Demokraten. Zum anderen stehen auch für Deutschland außenpolitische Interessen hinter der Kooperation. Wie funktioniert diese Ausbildung, fragten wir uns. Und wie rechtfertigen die Verantwortlichen sie moralisch?

Fest stand: Zentraler Bestandteil einer Geschichte würde es sein, die Ausbildung selbst einmal hautnah erleben zu können. Die Bundeswehr genehmigte einen zweitägigen Besuch beim Internationalen Generalstabslehrgang an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Dort zeigte man sich bei dem Besuch kooperativ und zu unserer Überraschung auch sehr auskunftsfreudig. Wir konnten Unterrichtsstunden besuchen, den Verantwortlichen (Ausbildungsleiter, Ausbilder, Kommandant) offen alle Fragen stellen und auch mit den auszubildenden Offizieren sprechen – unter der Bedingung, die Namen nicht zu nennen, um den Soldaten in ihren Heimatländern Probleme zu ersparen. Wir konnten so interessante Einblicke gewinnen, die Frage der Moral blieb aber schwierig. Das zentrale Argument der Verantwortlichen an der Führungsakademie lautete: Wir sind hier nur der Maschinenraum, die Entscheidung, für welche Länder und wen wir ausbilden, fällt in Berlin.
Parallel trafen wir in verschiedenen Städten Fachleute, die teils offen, teils anonym, die Militärische Ausbildungshilfe kritisierten. Der pensionierte Kapitän Heinz Dieter Jopp erklärte sich bereit, auch offen Kritik zu äußern, womit wir den Skeptikern ein Gesicht geben konnten.

Deren Hauptargumente waren:


1) Die Bundeswehr bildet für manche moralisch bedenkenswerte Länder Soldaten aus, um damit diplomatische oder militäri-sche Ziele zu erreichen – beispielsweise Landegenehmigungen in Usbekistan.
2) Die Soldaten für die Ausbildung werden in ihren Heimatländern ausgewählt und nicht in Berlin.

Folge: Die Ausbildung in Deutschland kann in einigen Ländern eine Belohnung für besonders treue Regimeanhänger sein.In Berlin gewährte uns schließlich der verantwortliche Brigadegeneral im Verteidi-gungsministerium, Hans-Werner Wiermann, ein ausführliches Interview.

Der Deal: Wir reden offen, es wird keinen Tonbandmitschnitt geben, Zitate werden autorisiert.
Das gab uns die Möglichkeit, das moralische Dilemma der Bundesregierung und des Militärs mit den Verantwortlichen in verschiedenen Facetten zu diskutieren und auch an Beispielen zu erörtern. Während die konkreten Beispiele – wie zu erwarten – aus diplomatischen Gründen nicht autorisiert wurden, gab sich das Verteidigungsministerium ansonsten bei der Autorisierung freigiebiger, als wir erwartet hatten.

Kurz vor Ende unserer Produktionszeit kündigte dann Bundespräsident Joachim Gauck an, seinen Antrittsbesuch bei der Bundeswehr bei der Führungsakademie zu absolvieren – ausgerechnet am Tag der Abschlussfeier des Internationalen Generalstabslehrgangs. Wir entschieden also kurzfristig, noch einmal nach Hamburg zu fahren, um dort zu erleben, wie Gauck den Offizieren die Verankerung des Militärs in der deutschen Gesellschaft erklärt.
Komplettiert haben wir den Themenschwerpunkt dann, indem wir mehrere Fälle rekonstruierten, was aus in Deutschland ausgebildeten Offizieren wurde.


"Die wollen nur zielen"

Autoren: Viktoria Großmann, Cornelius Pollmer, Benedikt Warmbrunn

Waffen sind nicht nur böse. Von ihnen geht ein eigener Reiz aus, dem wir alle selbst als Kinder erlegen sind. Damals – wie heute – gab es Wasserpistolen. Heute gibt es außer-dem Lichtschwerter und Pumpguns mit Schaumstoffmunition. Alles aus Plastik und kunterbunt. Erwachsene sehen bei Spielzeugwaffen gern den ernsten Hintergrund, vermuten unmoralische Geschäftemacherei der Spielzeugindustrie.
Wir wollten wissen:
Wie gehen Kinder damit um? Ist für sie alles nur ein Spiel und wo hört es auf? Wir kauften also vom Holzschwert bis zum Wasser-MG ein, was der aktuelle Markt hergab, und machten einen kleinen Marktüberblick. Die Antwort der Kinder war übrigens einfach: Das Spiel ist zu Ende, wenn die (sündhaft teure) Plastikwumme den Geist aufgibt.


"Lauf der Geschichte"

Autor: Jannis Brühl

Es gibt eine Waffe, die sich als Symbol durch viele Momente deutscher Geschichte zieht: die Walther PPK. Dem Phänomen dieser deutschesten aller Waffen wollte ich mich nä-hern.
Für die Recherche musste ich mich also mit einem Thema beschäftigen, das sonst nur Waffen-Fans interessiert. Deren Bücher, meist Bildbände, erscheinen oft in nur geringer Stückzahl. Google Books war daher eine hilfreiche Quelle. Dort fand ich Auszüge aus entsprechenden Büchern, von "Walther – eine deutsche Legende" bis zu "Weapons of the Waffen-SS". Mit einem Buchautor, Dieter Marschall, habe ich mehrmals telefoniert. Auch in Waffen-Foren und einem Online-Militaria-Auktionshaus recherchierte ich (hier erfuhr ich von der "Sauckel-Spezialanfertigung).
Ansonsten war das Spiegel-Archiv hilfreich. Dort fand ich Hintergrundinfos über die falsche Hitler-Waffe, mit der ein Amerikaner reich werden wollte, aber auch über die Pläne der Polizei, welche Pistolen sie im Kampf mit der RAF benutzen sollte.
Reimer Möller von der Gedenkstätte Neuengamme war sehr kooperativ. Er schickte mir einen Scan der Absage der Firma Walther, sich im Rahmen der Gedenkstätte mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Es war das einzige aktuelle Dokument aus der Firma. Die Auskünfte von Walther waren unbrauchbar. Die Sprecherin verwies darauf, dass das alte Firmenarchiv nicht mehr existiere. Auch die Webseite war vor allem durch Nicht-Information interessant - zum Beispiel durch die völlige Abwesenheit eines Hinweises, dass das Unternehmen Waffen in einem Konzentrationslager fertigen ließ.


"Günter Lamprecht über Angst"

Interviewer: Viktoria Großmann, Anja Perkuhn, Benedikt Warmbrunn

Gesucht wurde ein Interviewpartner zum Thema Waffen. Oder doch eher zum Thema Gewalt? Schießen? Angst? Ideen gab es viele, unter anderem: Sahra Wagenknecht als Pazifistin; die berühmteste Geisel Deutschlands Susanne Osthoff; Sportschützin Kati Wilhelm; die Grünen-Politikerin Claudia Roth als Pazifistin, die aber den Einsatz im Ko-sovo mitbestimmt hatte; der Nahost-Experte Peter Scholl-Latour; Waffen-SS-Mitglied Günter Grass.
Schnell wurde deutlich, dass die meisten der Ideen nicht umzusetzen sein würden. Teils, weil uns selbst klar war, dass wir auf einer der auffälligsten Seiten der Ausgabe, keinem Politiker Raum für seine Statements geben wollten, teils, weil die Angefragten schlicht nicht bereit waren, mit der Presse zu sprechen (Günter Grass, Susanne Osthoff). Wir überlegten, diskutierten, suchten weiter. Bis schließlich ein neuer Vorschlag aufkam: Günter Lamprecht? Günter wer? Der 1930 geborene Bühnen- und Filmschauspieler, der seit einigen Jahren kaum noch in der Öffentlichkeit zu sehen ist, ist in unserer Generation nicht gerade präsent.

Doch nach einigen Recherchen schien uns Lamprecht aus zwei Gründen genau der richtige zu sein: In den 1990er Jahren war Lamprecht Tatort-Kommissar – und ihm war es dabei wichtig, einen Polizisten zu spielen, der seine Waffe gerne mal im Büro vergisst oder absichtlich nicht mitnimmt. Zudem war Lamprecht im Jahr 1999 mit seiner Lebensgefährtin in einen Amoklauf geraten. Beide wurden schwer verletzt, andere Opfer starben, der jugendliche Täter erschoss sich selbst.

Wir fragten den bei Bonn lebenden Schauspieler an, der sich seit Jahren nicht mehr ausführlich in der Presse geäußert und nie wieder über den Amoklauf gesprochen hatte. Und tatsächlich kam nach zwei Wochen die Antwort. Lamprecht zögerte, wollte wissen, worum es gehen solle, wer mit ihm sprechen würde. Wir hatten befürchtet, er würde nicht noch einmal über das Erlebnis des Amoklaufs sprechen wollen, doch genau unser Interesse daran, schien ihn zu überzeugen.
Lamprecht erzählte dann viel mehr, als nur vom Amoklauf. Er berichtete, wie er als Jun-ge in Berlin den Krieg erlebt hatte, was seine Familie durchmachen musste, wie ein Sol-dat ihm eine Pistole an den Kopf hielt, wie er dutzende Leichen begraben musste. Nicht alles wollte Lamprecht später gedruckt sehen. Doch es wurde deutlich, warum einer wie er bis heute Kindern Spielzeugpistolen einfach wegnimmt. Am Ende stellte sich uns die Frage, warum nicht alle Menschen, die den Krieg erlebt haben, so radikal gegen den Gebrauch von Waffen ablehnen, wie Günter Lamprecht.