Aerotoxisches Logbuch: Was sich tut und was sich nicht tut - bei "Fume Events" und bei der Gesetzlichen Unfallversicherung im Zusammenhang mit Berufskrankheiten

Als "Aerotoxisches Logbuch" hat es 2017 angefangen. Jetzt haben wir es erweitert. Nicht nur um "Fume Events" geht es jetzt hier, sondern um Berufskrankheiten ganz grundsätzlich, für die - eigentlich die "Gesetzliche Unfallversicherung" (GUV) zuständig ist. Aber wie das so ist bei Versicherungen: Die Beträge nehmen sie gerne, zahlen wollen sie aber nur ungern.

Wir erweitern das Logbuch, das wir als Blog führen, deshalb, weil wir den misslichen Umstand, dass Menschen, deren Arbeitsplatz das Flugzeug ist und die in ein Fume Event geraten und deshalb arbeitsunfähig, aber nicht entschädigt werden, ganz grundsätzlich angehen müssen. Also an den Wurzeln packen müssen. Aus diesem Grund werden wir ab September 2023 auch Vorgänge und Ereignisse hier listen, die nicht nur fliegendes Personal betreffen.

Zum Themenfeld Fume-Event finden Sie viele Texte (die wir "Kapitel" nennen), zentral aufrufbar unter

Das Problemfeld Berufskrankheit lässt sich zentral erschließen unter

Informationen über Gutachter bzw. "Schlecht"-Achter unter

Einige unserer Texte ("Kapitel") zu Fume Events  gibt es auch in englischer Sprache:

Dieser Blog, den wir nach wie vor als Aerotoxisches Logbuch führen werden, aber eben in etwas erweiterter Form, lässt sich mit diesem kurzen (Perma)Link direkt aufrufen und verlinken:

27. September 2023

Anhörung vor Gericht in Paris

Die französische AVSA (Association des Victimes du Syndrome Aérotoxique), ein Zusammenschlus von gesundheitsgeschädigten Mitarbeitern der Flugbranche sieht es als ihre Aufgabe an, sachdienlichen Informationen über das Vorhandensein und die Ausbreitung von als gesundheitsgefährdend eingestuften Schadstoffen in oder außerhalb von zivilen Luftfahrzeugen, die im öffentlichen oder privaten Verkehr eingesetzt werden, an die Behörden und die Öffentlichkeit weiter zu geben. So in ihrer Pressemitteilung (FR).

In diesem Kontext wird es zu einer Anhörung kommen, die auf die Beschwerde zweier Piloten von easyJet aus dem Jahr 2016 zurückgeht. Dabei stehen Rechtsvorschriften aus dem Gesundheitsgesetzbuch und dem Strafgesetzbuch an:

  • Unbeabsichtigte Verletzung, die zu einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Monaten führt
  • strafbare unbeabsichtigte Verletzung, die zu einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Monaten führt

Mehr unter Take-Off: Aviation's Wounded Canaries


22. Juni 2023

Bundessozialgericht erkennt Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) als Berufskrankheit an

"DER SPIEGEL" nennt es ein "historisches Urteil". Das ist gut beschrieben, denn eine PTBS ist nicht als "BK" gelistet und wie jeder weiß, die Berufsgenossenschaften und die Sozialgerichte gehen auf eine Diskussion überhaupt nur dann drauf ein, wenn eine geltend gemachte und beruflich verursachte Krankheit einer der 82 gelisteten Berufskrankheiten zuordenbar ist.

Geklagt bis in die letzte Instanz BSG hatte ein Rettungssanitäter, der nach 17 Jahren Tätigkeit einfach nicht mehr konnte. Und so ziemlich alles hautnah mitbekommen hatte, was man sich nur vorstellen kann. Zum Beispiel den Rettungseinsatz nach dem Blutbad des Amokläufers in Winnenden 2009, als ein Schüler 15 Menschen und zum Schluss sich selbst erschossen hatte.

An seiner Seite: der RA Sven KOBBELT aus Stuttgart, der sich in diese Materie eingearbeitet hatte. Und letztlich erfolgreich war. Zwar muss das LSG Stuttgart - jetzt nochmals - entscheiden, ob die PTBS tatsächlich beruflich ausgelöst wurde (was sie vorher in 2. Instanz abgelehnt hatten), aber man kann davon ausgehen, dass die Stuttgarter Richter das so sehen werden, nachdem sie einen Wink "von oben", sprich: von ganz oben bekommen haben. Wir haben einen solchen Fall schon mal dokumentiert (www.ansTageslicht.de/Letzel).

Der externe Experte Prof. Dr. Harald DREßING, Leiter des Bereichs Forensische Psychiatrie am "Zentralinstitut Seelische Gesundheit" in Mannheim, den das BSG beauftragt hatte, kam im Rahmen einer Meta-Analyse zu dem Schluss, dass bei Rettungssanitätern das Risiko an einer PTBS zu erkranken, rund 7 Mal höher ist als bei normalen Menschen. Dem ist das BSG gefolgt und hat eine PTBS als "Wie-BK" klassifiziert.


20. März 2023

Französischer Pilot kann nach Fume Event vor Gericht eine Rente erstreiten

Der Vorfall datiert vom 23. August 2018. Ein Airbus-Pilot geriet in ein Fume Event, wurde krank und flugunfähig und gab sich damit nicht zufrieden. Wie viele seiner Kolleg:innen in anderen Ländern musste er vor Gericht ziehen und seine Versicherung, die französische "Caisse Primaire d’Assurance Maladie" (CPAM) de la Haute Garonne, verklagen. Nach knapp 5 Jahren ein Erfolg - in der ersten Instanz: Die CPAM muss ihm aufgrund der Folgen eines "Aerotoxischen Syndroms" (seither chronisches Asthma und anderer neurologische Einschränkungen) u.a. rückwirkend eine Rente zahlen. Das Urteil in französischer Sprache ist nachlesbar auf www.unfiltered.vip.


8. August 2022

5 Jahre p-coc.com

Genau vor fünf Jahren hat sich die "Patienteninitiative Contaminated Cabin Air e.V." gegründet, kurz p-coc.com: eine Gruppe von ehemaligen Piloten und Flugbegleiter:innen, die alle durch sog. Fume Events (zutreffender Contaminated Cabin Air Event) berufskrank geworden sind, konkret gesundheitlich geschädigt, dass sie nicht mehr fliegen können. Wir haben mehrere solcher Beispiele dokumentiert: www.ansTageslicht.de/Kabinenluft .

Die kontinuierliche Arbeit der gemeinnützigen Organisation p-coc.com hat bisher wenig Früchte getragen - die Ignoranz in den Behörden und der Politik, der Gesetzlichen Unfallversicherung und die sie finanziell tragende Industrie ist ausgeprägt. Allerdings: Wer dicke Bretter bohrt, muss einen langen Atem beweisen.

Dazu gehört auch, dass p-coc.com eine Studie durchgeführt hat, um zu erfahren, ob und wie sich das Flugpersonal überhaupt mit dem potenziell gesundheitsschädlichen Problem und den dafür vorgesehenen Meldeverfahren auskennt. Die Ergebnisse sollen in absehrbarer Zeit veröffentlicht werden.

Hier geht es zur Pressemitteilung.


10. Dezember 2021

Oil Fumes, Flight Safety and the National Transportation Safety Board (NTSB) der USA

Die Mitarbeiterin der US-amerikanischen Flugbegleiter-Gewerkschaft (Ass. of Flight Attendants, AFA), Judith ANDERSON. sowie Prof. Dr.-Ing. Dieter SCHOLZ von der HAW Hamburg haben einen kritischen Aufsatz im Journal "aerospace" veröffentlicht. Titel: wie die Überschrift hier oben.

Inhalt: Die Autoren überprüfen eine Hypothese der NTSB, die 1984 eine Serie von Flugzeugabstürzen in den Jahren 1979-1981 untersucht hatte und sich mit dem Argument auseinandersetzen musste, dass mehrere dieser Desaster damit zu tun haben könnten, dass dies durch das Auftreten sog. Fume Events ("Oil Fumes") geschehen sein könnte. Die Behörde und die damit befassten Partner aus der Industrie hatten diese Möglichkeit ausgeschlossen.

ANDERSON und SCHOLZ haben nun diese Unterlagen erneut ausgewertet und die Mechanik der relevanten Triebwerksölabdichtungen sowie Triebwerkzsapfluftdaten untersucht. Ihr Ergebnis: Vier der neun Unfallanalysen seitens der NTSB und der damit ebenfalls beauftragten Unternehmen enthalten letztlich Details, die darauf hindeuten, dass die Katastrophen eben doch genau damit zu tun haben: "incapacitation" durch giftige Öldämpfe.

Die dringende Empfehlung von ANDERSON und SCHOLZ: Im Falle von wirtschaftlichen Interessenskonflikten sollten die Hersteller nicht gleichzeitig auch ihre eigenen Produkt- bzw. Unfalluntersuchungen machen dürfen.

Die wissenschaftliche Publikation ist im freien Download erhältlich.