2010
Sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen: fortan kein Tabu(thema) mehr
In diesem Jahr bricht sich ein jahrzehntelanges flächendeckendes Tabu freie Bahn: der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Das Thema ist seither nicht mehr aufzuhalten, geschweige denn zu unterdrücken.
Letzteres war jahrzehntelang der Fall – gedeckelt auch durch das regelmäßige Wegschauen vieler Menschen – z.B. hochrangiger Medienvertreter oder auch Parlamentarier. Bereits 1999 hatte die Frankfurter Rundschau einen Bericht „Der Lack ist ab“ veröffentlicht, nach dem der frühere Leiter berühmten Odenwaldschule, Gerold BECKER, „in inflationierendem Umfang“ Schutzbefohlene sexuell missbraucht habe, die mit ihm zusammen – wie üblich in der Odenwaldschule – unter einem Dach gelebt hatten. Einzige Folge: BECKER muss BECKER seine Funktionen im Trägerverein der Odenswaldschule niederlegen. Ansonsten hatte niemand diese Vorwürfe in der Frankfurter Rundschau aufgegriffen. Weder DER SPIEGEL noch andere Medien. Die ‚Vergangenheitsbewältigung’ vieler Betroffener läuft daher die nächsten Jahre unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab.
Öffentlich indes wird das Thema am 28. Januar 2011 durch einen ersten Berichte in der Berliner Morgenpost. An der Berliner katholischen Eliteschule, dem Canisius-Kolleg, hatten sich mehrere ehemalige Schüler dem amtierenden Rektor Pater MERTES, SJ, offenbart. Der will das Thema – im Gegensatz zur sonstigen katholischen Kirche – nicht tiefer hängen oder aussitzen, sondern fordert schulintern alle Betroffenen auf, sich zu melden. Aus diesem Kreis informiert einer die Redakteure der Berliner Morgenpost, bei der daraufhin aus der allerersten Geschichte eine ganze Serie wird: Fast jeden Tag neue Vorwürfe, neue Namen, neue Details.
Weil parallel auch die ehemaligen Odenwaldschule-Betroffenen schon die ganze Zeit versucht hatten, mit der Odenwaldschule ins Gespräch zu kommen, nehmen sie die Berliner Veröffentlichungen zum Anlass, nun erneut ihre Probleme in der Frankfurter Rundschau zu thematisieren. Mit diesen parallelen Aktionen wird das Thema in die bundesweite Öffentlichkeit katapultiert. Mehr unter www.ansTageslicht.de/Missbrauch.
Das Engagement der Morgenpost-Redakteure wird ein Jahr später mit einem "Wächterpreis der Tagespresse" anerkannt.
Auf politischer Ebene
gibt es einen neuen Bundespräsidenten: Christian WULFF. Er löst Horst KÖHLER ab, der aufgrund eines Interviews zurückgetreten war. KÖHLER, der erst ein Jahr zuvor ins Amt gewählt worden war, hatte die Meinung vertreten, dass "im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, z.B. freie Handelswege ...".Jetzt kann sich WULFF – allerdings erst im dritten Wahlgang - gegen den Kandidaten der Opposition, Joachim GAUCK, durchsetzen. Einer der wichtigsten Äußerungen, die WULFF tätigen wird, lautet: „Auch des Islam gehört zu Deutschland“. Eine Aussage, die nicht ganz so selbstverständlich ist, wenn man schaut, wie es um die religiöse Toleranz und die Fakten bestellt ist: www.ansTageslicht.de/Moscheebau.
Die seit kurzer Zeit (2009) amtierende „Wunschkoalition“ (CDU, CSU und FDP) von Bundeskanzerlin Angela MERKEL, beschließt den Ausstieg aus dem „Ausstieg aus der Atomkraft“, die Jahre zuvor die rot-grüne Bundesregierung beschlossen hatte. MERKEL will die Laufzeiten der AKW’s verlängern – als „Brückentechnologie ins Zeitalter der Erneuerbaren Energien“. Und gleichzeitig eine (hohe) Brennelementesteuer kassieren. MERKEL ist zumindest insoweit Realistin, als sie die kriegerischen Auseinandersetzungen in Afghanistan erstmals vor Ort als „Krieg“ bezeichnet.
In Nordrhein-Westfalen endet die fünfjährige Regierungsära von CDU und FDP. Sie wird von einer rot-grünen Minderheitsregierung unter Hannelore KRAFT abgelöst. Noch vor dem Wahltermin im Mai wird der Abschlussbericht eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses veröffentlicht. In diesem Bericht werden alle Vorwürfe widerlegt, die seinerzeit der CDU-Umweltminister Eckard UHLENBERG und seine Konsorten einem fristlos entlassenen Abteilungsleiter des Umweltministeriums, Dr. Harald FRIEDRICH, vorgehalten hatten: Amtsmissbrauch, Selbstbedienung, Korruption und Bestechung. Der ehemals Gescholtene musste sogar – aufrund einer Anzeige des schwarzen Umweltministers – für mehrere Wochen ins Untersuchungsgefängnis. Hintergrund: Dr. Harald FRIEDRICH hatte versucht, die schlechte Trinkwasserqulität links und rechts der Ruhr zu verbessern. Dabei musste er sich mit der nordrhein-westfälischen Wasserindustrie anlegen, die dort ein absolutes Monopol hat. Die wiederum hatte den CDU-Mann benutzt, um ihren Widersacher schachmatt zu setzen. Mehr und ausführlich alles dazu unter www.ansTageslicht.de/HaraldFriedrich.
In Stuttgart, wo das Projekt Stuttgart 21 von Statten gehen soll, kommt es im September vor geplantem Baubeginn zu schweren Ausschreitungen seitens der Polizei. Einer der Stuttgarter Bürger verliert dabei sein Augenlicht. Die Demonstrationen gehen unvermindert weiter - so wie bereits seit längerer Zeit. Die Bürger sind größtenteils schon deswegen gegen dieses teurte Mammutvorhaben, weil sie nie gefragt worden sind.
Die Stuttgarter Landesregierung lenkt ein: Heiner GEIßLER, ein alter CDU-Veteran und allgemein als kritischer Geist anerkannter Politiker soll als Vermittler fungieren. GEIßLER lädt zu öffentlichen Diskussionen ein und alle kommen ausführlich zu Wort - auch die Gegner von Stuttgart 21. Am Ende steht ein Schlichterspruch. Die Projektverantwortlichen müssen nachbessern. Mehr unter www.ansTageslicht.de/S21.
Justiz:
Das Bundesverfassungsgericht verkündet wichtige Entscheidungen:
- Die Regelsätze der Hartz-IV-Gesetze bzw. deren Berechnung sind verfassungswidrig – die Regierung muss neu rechnen
- Die Vorratsdatenspeicherung, per Gesetz seit 2007 geregelt, ist – in der geltenden Form - ebenfalls verfassungswidrig: Alle bisher gesammelten Daten auf Vorrat müssen sofort vernichtet werden.
Der WESER-Kurier veröffentlicht eine mehrteilige Serie unter dem Titel „Im Zweifel für den Staatsanwalt“. Dabei geht es um die merkwürdigen Methoden, der Staatsanwaltschaft in Niedersachens einen ihrer Kollegen aus der Staatsanwaltschaft Hannover zu schützen, der mit mehr als fragwürdigen Methoden im Rotlichtmilieu zu ermitteln vorgab. Außerdem geht es um die seltsamen Praktiken, einen V-Mann aus den eigenen Reihen abzuschießen. Mehr unter www.ansTageslicht.de/Staatsanwalt. Die Redakteurin wird ein Jahr später mit einem Henri-Nannen-Preis für die „beste investigative Leistung“ geehrt.
Kultur, Kunst, Sport:
Eine Deutsche, Lena MEYER-LANDRUT, gewinnt den Eurovision Song Contest in Oslo.
Die Fußball-WM findet in Südafrika statt. Weltmeister wird Spanien. Bei den olympischen Winterspielen in Vancouver wird Kanda Medaillensieger.
In den USA packt ein weiterer Whistleblower aus: Radprofi Floyd LANDIS, bereits 2006 des Doping überführt, bezichtigt den mehrmaligen Gewinner der Tour de France, Lance ARMSTRONG, des systematischen Dopings. Weil die meisten großen Radverbände sich darum nicht scheren, schickt er sein ‚Geständnis’ an den US-amerikanischen Sportsender ESPN – in der Hoffnung, dass Gleiches auch andere machen. Sein Plan geht auf. Ein Jahr später wird auch das Sportidol ARMSTRONG überführt. Mehr unter www.ansTageslicht.de/Armstrong.
Medien, Transparenz, Whistleblowing:
Am 3. April kommt das erste iPad von Apple auf den Markt.
Auf dem Jahreskongress des Chaos Computer Club in Berlin geht es am 27. Dezember um das Thema Whistleblowing.
Keine Whistleblower gibt es bei der Entscheidung, ob die Love Parade in Duisburg technisch und organisatorisch überhaupt durchführbar ist - angesichts der ungeeigneten öffentlichen Räume. Jener, der intern Sicherheitsbedenken für sich in einem schriftlichen Aktenvermerk niedergeschrieben hat, gibt das nicht weiter. So kommt es am 24. Juli zum Desaster: 21 sterben, über 500 werden verletzt.
Bei der Wächterpreisverleihung im Mai im Frankfurter Römer hält der allererste Preisträger aus dem Jahr 1969 die Festrede: Ullrich MANZ vom WESER-Kurier, der seine damalige Geschichte nicht schreiben sollte. Allerdings: Der Verleger gab ihm Rückendeckung. Nicht so couragiert gab sich die Wächterpreis-Stiftung. Sie hatte die öffentliche Festivität ersteinmal abgesagt, weil die Protagonisten der Berichterstattung vor Gericht gegangen waren. "Die Herren hatten Angst, dass an ihnen etwas hängen bleiben könnte, sollte eine der Klagen Erfolg haben", erinnert sich MANZ. Und so wurde MANZ der Preis still und leise in kleiner Runde überreicht. Mehr unter www.ansTageslicht.de/Baulandaffaere.
Ullrich MANZ gewann die Prozesse: Pressefreiheit. Und deswegen bekennt er bei seiner Festrede im Mai 2010: "Sie kennen jetzt auch meinen Grund, hier zu stehen: Ich wollte endlich mal im Kaisersaal auf einer Preisverleihung sprechen."
Rest der Welt:
In Russland wird der höchste Zollbeamte von Wladiwostok vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Er war wegen "Amtsmissbrauch" zu 5 Jahren Haft verurteilt worden: von einem lokalen Gericht in Wladiwostok, wo er im Auftrag der Moskauer Zentralregierung Recht und Gesetz durchsetzen sollte. Doch im fernen Osten Russlands ticken die Uhren anders - nicht nur wegen der 9 Zeitzonen, die zwischen beiden Städten liegen: Ernest BACKSCHETSIAN klagt jetzt vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßbourg - die letzte Hoffnung für viele Menschen in Russland. Mehr unter www.ansTageslicht.de/EB.
Weil es auch andersorts zu wenig Whistleblower gibt, sprich Menschen, die rechtzeitig Alarm schlagen, kommt es weltweit zu mehreren Katastrophen, die man hätte verhindern können:
- Am 20. April explodiert im Golf von Mexiko die US-amerikanische Bohrinsel Deepwater - die schlimmste Ölkatastrophe der USA.
- Am 5. August werden in Chile 33 Bergleute unter Tage eingeschlossen. Durch eine beispielhafte Rettungsaktion, die sofort und mit viel Aufwand organisiert wird, kommen alle Eingeschlossenen nach 69 Tagen noch vor Weihnachten wieder ans Tageslicht zurück.
Andere Katastrophen sind Folgen von Naturgewalten: Ein Erdbeben auf Haiti, das 1,3 Millionen Menschen obdachlos macht, und eines in China; Überschwemmungen in Pakistan. Bei einem Flugzeugabsturz bei Smolensk in Russland sterben der polnische Präsident Lech KACZYNSKI sowie zahlreiche polnische Politiker, Würdenträger und Militärs, alle 96 Passagiere, die zur Gedenkfeier des Massakers von Katyn wollten. Dort hatte die Sowjetarmee 1940 insgesamt rd. 4.400 polnische Offiziere abgeschlachtet. Der Pilot wollte bei dichtem Nebel landen, was bei den beiden ersten Versuchen misslang. Der dritte Versuch war dann der letzte.
(JL)
2010 in Kürze:
Jetzt plötzlich ein bundesweites Thema: sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen.
Beim Großprojekt "Stuttgart 21" muss Heiner GEIßLER schlichten.
Das Bundesverfassungsgericht verkündet: Die Vorratsdatenspeicherung ist verfassungswidrig.