Opferrenten für Kriegsverbrecher: die Gesetzeslage, die Vorgeschichte und die Rentengelder

Die Vorgeschichte

Die Waffen SS und ihre lettischen Helfer

Von den ca. 70.000 lettischen Juden und Jüdinnen überlebten in den Kriegsjahren 1939 - 1945 knapp 300. Allein bei der „Auflösung“ des Rigaer Ghettos am 8. Dezember 1941 wurden innerhalb von 36 Stunden 28.700 Ghettoinsassen ermordet.

Noch vor der Wannsee-Konferenz im Januar 1942, die den offiziellen staatlichen Start der Vernichtung der europäischen jüdischen Bevölkerung markiert, wurden ein Jahr zuvor Einsatzgruppen gebildet.

Die Einsatzgruppe A folgte der Heeresgruppe Nord in die Baltischen Staaten bis nach Leningrad. Sie bestand aus Männern der Gestapo, des Sicherheitsdienstes SD, der Kriminalpolizei, der Ordnungspolizei sowie ausländische Hilfspolizei. Den größten Teil jedoch stellte die Waffen-SS. Den Rest bildeten technisches Personal und Schreibkräfte. Jede Einsatzgruppe hatte zwei Abteilungen: Einsatz- und Sonderkommandos mit 70 bis 120 Leuten und Teilkommandos mit 20 bis 30 Mann.

Im Schatten der Wehrmacht hatten die Einsatzgruppen nur einen Auftrag: so genannte „jüdisch-bolschewistische Intelligenz“ zu eliminieren.

Einsatzgruppe A meldete bis zum Winter 1941/42 die Erfolgszahl von „249.420 liquidierte Juden“. Waren es ab 1941 zunächst die Deportationen in die Todes - und Arbeitslager, so wurden zu Beginn der „Aktion Barbarossa“ die Opfer in der Regel zusammengetrieben und erschossen, egal ob Männer, Frauen, Alte, Kinder, Kommunisten oder Demokraten, Hauptsache sie wurden als Juden und Jüdinnen erkannt.

Das Morden in Lettland geschah mit Hilfe lettischer Helfer, die in die Dienste der deutschen Besatzer traten. Im Gegensatz zu den Eroberern kannten sie die Gegend und die Bevölkerung sehr gut.

Mehr zu den geschichtlichen Hintergründen und ihren heutigen Auswirkungen finden Sie in der Rede von Alexander BERGMANN, gehalten zum "Holocaust Gedenktag" am 27. Januar 1997. Als Interviewpartner kommt er im panorama - Beitrag von 1993 zu Wort.

Die Gesetzeslage

1. Das Bundesentschädigungsgesetz (BEG)

Am 29. Juni 1956 erging das Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der NS-Verfolgung, das rückwirkend ab 1. Oktober 1953 in Kraft trat. Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz konnten NS-Verfolgte erhalten, die aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen verfolgt wurden. Hier sind in erster Linie jüdische Verfolgte, Sinti und Roma, Kommunisten und Zeugen Jehovas gemeint.
Allerdings besteht heute keine Möglichkeit mehr, neue Ansprüche auf Entschädigungsleistungen nach dem BEG geltend zu machen, die Ausschlussfrist endete am 31. Dezember 1969.

Hier finden Sie den Gesetzestext des BEG: Bundesentschädigungsgesetz

Im Laufe der Jahre, oft auf internationalen Druck von Politik und Medien, kamen weitere Abkommen, Gesetze und Stiftungen hinzu. Sie sollen den Verfolgten und Geschädigten des NS-Regimes, die oftmals aus rein formellen Gründen und fehlender Abkommen nie etwas bekommen haben, wenigstens eine kleine Entschädigung bieten. Das sind unter anderen:

  • das US-Globalabkommen von 1995
  • der Osteuropa-Fonds der Jewish Claims Conference
  • die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (www.stiftung-evz.de), die vor allem die Zwangsarbeiter entschädigen soll.


Weitere und genauere Informationen sind in einer Broschüre des Bundesfinanzministeriums enthalten, die zuletzt 2012 aktualisiert wurde: Entschädigung von NS-Unrecht. Regelungen zur Wiedergutmachung.


2. Das Bundesversorgungsgesetz (BVG), das die "Opferrenten" regelt

Das Bundesversorgungsgesetz (Gesetz für die Versorgung der Opfer des Krieges) trat in der Bundesrepublik Deutschland 1960 in Kraft. Für die Neuen Länder (nach 1989) fand es vom 1. Januar 1991 an Anwendung.

Zweck des BVG ist es, die Versorgung der Opfer der Weltkriege zu gewährleisten. Dabei geht es um körperlich beschädigte Soldaten, um Witwen und Waisen der Gefallenen, aber auch um die Opfer, die der Krieg unter der Zivilbevölkerung gefordert hatte. Den größten Teil der Leistungsempfänger stellen auch heute noch Kriegsopfer und ihre Hinterbliebenen. Ihre wirtschaftliche Versorgung ist durch ein komplexes System von einzelnen Renten und Leistungen sichergestellt.

Es regelt unter anderem die Versorgung mit Hinterbliebenenrente, Beschädigtenrente, Kriegsopferfürsorge und Heil- und Krankenbehandlungen.

Ob die Anspruchsberechtigten in den Jahren 1939-1945 politisch gesehen Opfer oder Täter waren, spielte in dieser Gesetzesversorgungsphilosophie (zunächst) keinerlei Rolle. Dies änderte sich Ende der 90er Jahre.

Der - nach der Berichterstattung durch panorama - neu eingefügte Artikel lautet:

㤠1a
[Leistungsausschluss]

(1) Leistungen sind zu versagen, wenn der Berechtigte oder derjenige, von dem sich die Berechtigung ableitet, während der Herrschaft des Nationalsozialismus gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat und er nach dem 13. November 1997 einen Antrag auf Leistungen gestellt hat. Anhaltspunkte, die eine besonders intensive Überprüfung erforderlich machen, ob ein Berechtigter durch sein individuelles Verhalten gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat, können sich insbesondere aus einer freiwilligen Mitgliedschaft des Berechtigten in der SS ergeben.

(2) Leistungen sind mit Wirkung für die Zukunft ganz oder teilweise zu entziehen, wenn ein Versagungsgrund im Sinne des Absatzes 1 vorliegt und das Vertrauen des Berechtigten auf eine fortwährende Gewährung der Leistungen im Einzelfall auch angesichts der Schwere der begangenen Verstöße nicht überwiegend schutzwürdig ist.

(3) Soweit in den Fällen des Absatzes 2 die sofortige Entziehung oder Minderung der Leistungen zu unbilligen Härten führt, soll die Entziehung oder Minderung nach einer angemessenen Übergangsfrist erfolgen.“


Hier finden Sie den gesamten Gesetzestext des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

Informationen, ob jemand an Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit teilgenommen hat, sind vor allem bei drei Institutionen zu finden:

  • beim Berlin Document Center (BDC)
  • der Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg. Beide sind dem Bundesarchiv angegliedert und verwalten u. a. das Archivgut der Landesjustizverwaltungen.
  • sowie im Simon Wiesenthal Center in Wien

Das Geld für die Kriegsopfer-Renten

Wie viel staatliches Geld in Form von „Opferrenten“ an die Kriegsverbrecher floss, kann aus den Statistiken zum Bundesversorgungsgesetz und mit Hilfe der Aussagen des Militärhistorikers Gerhard SCHREIBER („5% der Opferrentner sind Kriegsverbrecher“) abgeschätzt werden.

Im Rahmen seiner Recherchen erhielt John GOETZ Zahlen vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung. Diese Daten sind Grundlage für unsere Statistiken bzw. die nachfolgende Grafik. Sie zeigt für die Jahre 1950 bis 1996

  • die Auszahlungen an Kriegsopfer insgesamt, die bis 1982 auf fast 13 Mrd. DM anstiegen und danach wieder sanken (blaue Kurve)
  • die Anzahl der Anspruchsberechtigten, die nach 1952 kontinuierlich abnahm, aber die jährlichen Zahlungen dennoch aufblähten

sowie das geschätzte Volumen an Opferrenten an Naziverbrecher, wenn man die die Anzahl der Kriegsverbrecher über die Jahre kontinuierlich mit 5% ansetzt. Der Höchstwert fiel im Jahr 1982 an: knapp 641 Mio. DM:

 

 

Das starke Ansteigen der Opferrenten geht auf eine Vielzahl von gesetzlichen Änderungen zurück, die wir deshalb hier mit eingetragen haben.

In einer Excel-Tabelle stehen die Originalzahlen als Quelle zur Verfügung, die wir hier neu aufbereitet haben.

 

(JHD / JL)