Wie der Bericht entstand - ein ausführliches Protokoll
von Ines FUCHS
Im März und April 2011 arbeitete ich als Volontärin der Badischen Zeitung im Ressort Land und Reportage. Mein damaliger Ressortleiter, Stefan Hupka, hatte über persönliche Kontakte von dem Freiburger Rentner Heinz Brunner und dem Fall Reader’s Digest erfahren und bat mich, der Sache nachzugehen. Bereits zu diesem Zeitpunkt deutete sich an, dass sich eine brisante Geschichte daraus entwickeln könnte. Der Südwestrundfunk (SWR) hatte im Vorjahr über einen ähnlichen Fall berichtet – wogegen Reader’s Digest rechtlich vorging.
Die extrem gründliche Recherche lag bei dieser Reportage also besonders im Fokus.Die Kontaktdaten des Schwiegersohns des betroffenen Rentners, Hans-Jürgen Weißer, lagen uns vor, sodass ein persönliches Gespräch schnell verabredet werden konnte. Zuvor recherchierte ich im Internet über Reader’s Digest und Gewinnspiele im Zusammenhang mit Buch- und DVD-Bestellungen.
Das Thema blieb aber zunächst schwammig, sodass schnell klar wurde, dass die Reportage auf einem persönlichen Erfahrungsbericht beruhen musste. Es gibt zwar, wie sich später herausstellte, unzählige von Rentnern, die ähnliche Erfahrungen mit Reader’s Digest oder auch einem anderen Buchverlag gemacht haben, doch fast niemand will sich dazu öffentlich äußern. Die meisten älteren Menschen schämen sich, dass sie dieser Geschäftsmasche aufgesessen sind und wollen nicht darüber sprechen.
Der SWR griff das Thema ebenfalls noch einmal auf, beim ersten Treffen mit Hans-Jürgen Weißer war auch eine Hörfunkkollegin anwesend. Weißer schilderte uns zunächst, wie er festgestellt hatte, dass sein Schwiegervater Tausende von Euro an den Stuttgarter Verlag überwiesen hatte und dafür Berge von Büchern und DVDs erhalten hatte. Weißer hatte alle Dokumente gesammelt und legte uns die Briefe des Verlags an Heinz Brunner und auch den Schriftverkehr zwischen ihm und Reader’s Digest vor. Das Gespräch lieferte mir einen ersten Überblick darüber, wie es dem Rentner ergangen war. Die Originaldokumente zeigten bereits zu diesem Zeitpunkt, dass die Geschichte der Familie der Wahrheit entsprach.
Die Dokumente waren später für mich sehr wichtig, zum einen, um die Geschichte im Detail rekonstruieren zu können, zum anderen aber auch, um die genauen Formulierungen der Anschreiben belegen zu können.Zunächst war noch nicht klar, ob ein Treffen mit dem Rentner möglich werden würde. Der Schwiegersohn versprach mir aber, noch einmal bei Heinz Brunner nachzufragen. Der damals 81-Jährige willigte schließlich ein. Auch er hatte sich zunächst geschämt. Wenige Tage später hatte ich dann die Möglichkeit, Brunner im Seniorenheim zu besuchen. Bei diesem Treffen ging es vor allem um die persönliche Sichtweise des Rentners. Er zeigte mir die vielen Bücher und DVDs, ich konnte aber auch sehen, wie er lebt und sich verhält. Das Gespräch erforderte auch Feingefühl – Brunner war immer noch aufgewühlt.
Nachdem ich die Sichtweise der Familie kennengelernt hatte, ging es mir vor allem auch um die Version des Verlages. Ich kontaktierte den Pressesprecher von Reader’s Digest. Er wollte trotz mehrmaliger Nachfrage aber nicht am Telefon mit mir sprechen. Mein Ressortleiter rief ihn daraufhin ebenfalls noch einmal an. Schließlich bot er mir an, ich könnte ihm die Fragen per Email zukommen lassen. Um überhaupt eine Stellungsnahme von Reader’s Digest zu erhalten, ging ich darauf ein.
Der Redaktion der Badischen Zeitung lagen außerdem noch persönliche Kontakte zu ehemaligen Mitarbeitern von Reader’s Digest vor – die wollten sich jedoch nicht äußern.Indessen setzte ich meine Internetrecherche fort, telefonierte mit Verbraucherzentralen und Anwälten. Ein Freiburger Anwalt erzählte mir von einem Fall einer älteren Dame, die er vor drei Jahren vertrat. Ihr war ähnliches geschehen. Dass sich Reader’s Digest auf seiner Homepage als weltweit führendes Direktmarketingunternehmen bezeichnet, machte mich stutzig. Ich hatte Kommunikationswissenschaften studiert, darin enthalten waren auch Marketingvorlesungen. Ich nahm deshalb Kontakt zu einem Professor der Hochschule der Medien in Stuttgart auf, der sich die Unterlagen des Unternehmens ansah. Er bestätigte meine Vermutung: Mit Direktmarketing hat die Kundenansprache von Reader’s Digest nicht viel zu tun.
Ich wollte außerdem herausfinden, ob Reader’s Digest seine Gewinner wirklich ermittelte. Ich machte also Stichproben und rief mehrere, angebliche Gewinner an. Sie bestätigten alle den Gewinn – über Reader’s Digest wollte allerdings niemand sprechen.Immer wieder telefonierte ich mit Hans-Jürgen Weißer. Er händigte mir weitere Dokumente aus, die von anderen Verlagen stammten.Da ich als Volontärin im Reportage-Ressort nicht für die Tagesproduktion vorgesehen war, blieb mir genügend Zeit für die ausgiebige Recherche.
Nach dem Schreiben der Reportage hielt ich zur Absicherung mit unserer Rechtsabteilung Rücksprache.Nach dem Erscheinen des Artikels erhielt ich mehrere, teils anonyme Leserbriefe – immer von älteren Menschen, denen es gleich ergangen war, aber die sich schämten, dass sie soviel Geld an den Verlag bezahlt hatten. Auch erhielt ich Briefe und Nachrichten von Menschen, die bei ihren Eltern oder Schwiegereltern ähnliches herausgefunden hatten wie Hans-Jürgen Weißer.
Online am: 06.01.2016
Inhalt:
- Die Geschichte kurz gefasst
- Wie der Bericht entstand - ein ausführliches Protokoll
- Der Bericht "Post von guten Freunden"
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Auszeichnungen:
"Wächterpreis der Tagespresse" 2012