Fehlende Aufklärung beim Zahnarzt

Erfahrungen von Lisa HASE

Die gesetzlich vorgeschriebene und aus ethischen Gründen erforderliche Risikoaufklärung von Zahnärzten habe ich ebenso wenig kennengelernt wie eine seriöse Aufklärung über Behandlungsalternativen und Befunde.

Beispiel 1
Seit Jahrzehnten ist Zahnärzten bekannt, dass auch unter schonendem Vorgehen überkronte Zähne in Folge der Präparation absterben können. Das Risiko ist erhöht bei unsorgfältigem Arbeiten des Zahnarztes und vor allem durch die heute verbreiteten  hochtourigen Bohrersysteme. Es ist weiter erhöht bei der Präparation von Brückenpfeilern, bei denen häufig aus Konstruktionsgründen ein großer Teil der Zahnkrone entfernt werden muss. Das Risiko des Absterbens liegt bei der Überkronung gesunder Zähne nach der wissenschaftlichen Stellungnahme der DGZMK bei 15 % nach 10 Jahren (Fn 1).  Damit ist dies Risiko keineswegs zu vernachlässigen. Patienten müssten aus rechtlichen und ethischen Gründen vor der Präparation darüber aufgeklärt werden, insbesondere, wenn – wie in meinem Fall – alternative Behandlungsmöglichkeiten bestehen.

Ich bin zu keinem Zeitpunkt von irgendeinem Zahnarzt über die  Risiken bei der Präparation von  Kronen und Brücken für die Vitalität der Zähne aufgeklärt worden. Auch Bekannte und Freunde, die ich diesbezüglich befragt habe, hatten hierüber von ihren Zahnärzten keine Informationen bekommen. Im Gegenteil. Im Jahr 2004 riet mir ein Zahnarzt, über eine neu entstandene Zahnlücke eine Brücke anfertigen zu lassen. Ich teilte ihm mit, dass mir das statistische Risiko, mit 30% Wahrscheinlichkeit in 10 Jahren statt einer Zahnlücke zwei Zahnlücken zu haben, zu hoch erscheine (Fn 2).  Er widersprach vehement: „Wenn das wahr wäre, was Sie da erzählen, würde ich meinen Beruf aufgeben.“

Beispiel 2
Patienten wissen nicht,  was für einen Bohrer ihre Zahnärzte bei der Präparation benutzen. Über die erhöhten Risiken durch die Benutzung hochtouriger Turbinenbohrer  (Fn 3) für die Überlebenswahrscheinlichkeit der Zähne müssen Zahnärzte ihre Patienten nicht aufklären. Durch leidvolle Erfahrung klug geworden, habe ich mir angewöhnt, meine Zahnärzte vor der Behandlung auf die „Bohrerfrage“ anzusprechen. Zahnarzt Dr. T. ist Endodontologe. Meine Frage empört ihn: „Ich benutze doch keinen Turbinenbohrer. Die machen die Zähne kaputt. Ich bin schließlich Endodontologe.“ Ich frage ihn, ob er sein Wissen auch seinen Kollegen mitteilt. Er: „Ich mache gern Wurzelbehandlungen, und ich lebe davon. Ich habe ein Interesse daran, dass meine Kollegen in Göttingen hochtourige Turbinenbohrer benutzen.“

Beispiel 3
Zahn 45 ist wurzelbehandelt und macht weiterhin Schmerzen. Ein Oralchirurg rät mir zur Wurzelspitzenresektion. Ich habe gehört, dass Wurzelspitzenresektionen in diesem Bereich mit erhöhtem Risiko einer dauerhaften Schädigung des Gesichtsnervs verbunden sind. Ich frage ihn. „Das können Sie vergessen. Die Wahrscheinlichkeit ist kleiner als 1:100000“.

Die gleiche Frage stelle ich einem Kollegen, der mir zu einer (sehr teuren) Revision der Wurzelbehandlung rät. „Sie können doch in diesem Bereich keine Wurzelspitzenresektion machen lassen! Die Gefahr dauerhafter Nervschädigung liegt bei 1:3“.

Beispiel 4  
Im Januar 2003 war ich krank. Ich litt seit 3 Jahren an starker Infektanfälligkeit unbekannter Ursache, seit zwei Jahren unter extremen Durchfällen infolge einer dichten Folge von Antibiotikabehandlungen. Ich hatte eine mehrere Monate dauernde sehr schmerzhafte Wurzelbehandlung hinter mir, die nicht zu Schmerzfreiheit des Zahnes geführt hatte. Ich hatte eine Zahnlücke regio 44. Ich wollte von Zahnärzten verschont bleiben, gesund werden und zu Kräften kommen. Die Krankenkasse hatte mir eine Rehamaßnahme an der Ostsee zur Stabilisierung meines Immunsystems bewilligt.

Meine Behandlerin klärte mich mit Nachdruck über die Gefahren der Nicht-Versorgung der Lücke auf. Sie sprach von seitlichen Zähnen, die in die Lücke kippen, von Antagonisten (fn provisorische Klammerprothese oder eine gelegentlich zu tragende okklusal angepasste Aufbisschiene der Gefahr von Zahnwanderungen vorzubeugen. Es hätte keine Notwendigkeit bestanden, in meiner kritischen gesundheitlichen Situation einen größeren zahnärztlichen Eingriff zu machen4), die aus dem Knochen herauskommen. Und dass die eintretenden Entstellungen nie wieder zu korrigieren wären. Mit keinem Wort erwähnte sie die Wahrscheinlichkeit dieser Gefahren. Mit keinem Wort erwähnte sie die Risiken der Brückenversorgung .  Mit keinem Wort erwähnte sie Alternativen zur Brückenversorgung (Fn 5) und zur Implantatversorgung. Ich hatte einen gesunden, stabilen Kieferknochen. Es hätte Alternativen gegeben. Es hätte die Möglichkeit bestanden, die Lücke frei zu lassen und durch eine gelegentlich zu tragende.

Beispiel 5
Ich besitze heute eine große Anzahl von Aufbissschienen. Ich bin zu keinem Zeitpunkt von einem Zahnarzt auf die Risiken von Aufbissschienenbehandlungen  hingewiesen worden. Ich bin zu keinem Zeitpunkt von einem Zahnarzt über eine Behandlungsalternative aufgeklärt worden.  

Schon die Enquete-Kommission stellt in ihrem Endbericht fest: „Die Steuerung der Leistungsarten und – menge vollzieht sich überwiegend durch den Zahnarzt.“ (Fn 6)

Meine zahnärztliche Behandlung bestätigt das. Es sind nicht die Patienten, die entscheiden, was in ihrem Mund gemacht wird und was nicht. Zahnärztliche Risikoaufklärung findet in der Regel ebenso wenig statt wie eine Aufklärung der Patienten über verschiedene Behandlungsalternativen mit ihren Vor- und Nachteilen. Wenn sie erfolgen, sind sie nicht sachgerecht.  
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Fußnoten (Fn):
(1) Wissenschaftliche Stellungnahme der DGZMK: Das Risiko des Vitalitätsverlustes nach einer Überkronung, 1983, bestätigt 1998
(2) Wurzelbehandlungen waren bei mir nicht erfolgreich gewesen
(3) Hochtourige Bohrer drehen schneller als herkömmliche Bohrer, ermöglichen auf diese Weise eine schnellere Zahnpräparation und somit höhere Arbeitseffektivität des Zahnarztes.
(4) Gegenüberliegenden Zähnen
(5) Eine Implantatversorgung hatte ich aufgrund meiner schlechten gesundheitlichen Lage selbst ausgeschlossen.
(6) Endbericht der Enquete-Kommission „Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung“ 12.2.90 Drucksache 11/6380, S. 86