Der Bericht "Die Spendierroben"

von Steven HANKE

Wenn Kinder gegen das Gesetz verstoßen, regnet es für die Freunde vom „Astronomischen Zentrum Bernau“ mitunter reichlich Taler. Der Förderverein der Sternwarte erhielt zwischen 2001 und 2007 großzügige Spenden von Richtern. In den meisten Fällen handelte es sich um Geldauflagen, die im Rahmen von Jugendstrafverfahren verhängt wurden.

Der „größte Teil“ der insgesamt 37 200 Euro, die nach Angaben des Oberlandesgerichtes (OLG) an die Hobby-Astronomen flossen, stammt laut Steffen Weimann, der den Verein vertritt, vom örtlichen Amtsgericht. Für das Geld sei unter anderem ein 12 000 Euro teures Teleskop gekauft worden, eine „Technik, die sich sehen lassen kann“.

An solche Fördergelder zu gelangen ist normalerweise schwierig. Das OLG führt eine Liste mit 2300 Vereinen, die vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannt wurden und die sich beworben hatten. Im vergangenen Jahr gab es 173 Neuanträge. Etliche von ihnen gingen leer aus, obwohl viele der 164 letztjährigen Empfänger schon öfter berücksichtigt worden waren. Die Sternengucker aus Bernau kamen laut Weimann deshalb in den Genuss der finanziellen Unterstützung, weil er als Rechtsanwalt um die Fördermöglichkeit weiß und gute Kontakte zu Richtern unterhält. Diese seien selbst vor Ort gewesen.

In ihrer Entscheidung sind die Richter per Gesetz völlig unabhängig, was Experten kritisieren. Dem Brandenburger Landesrechnungshof „liegen Erkenntnisse vor“, dass manche Juristen ihre Macht für persönliche Interessen missbrauchen. Sprecher Stefan Luckas verwies auf aktuelle Untersuchungen der Kollegen aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, wonach Richterarbeitsplätze bei der Zuweisung von Bußgeldern starken Einflüssen ausgesetzt und „gesteigert korruptionsgefährdet“ sind. Das niedersächsichen Justizministerium teilt diese Einschätzung. Ob der Sachverhalt auch in Brandenburg vom Rechnungshof geprüft wird, ist noch nicht entschieden.

Auffällig an der Empfängerliste ist, dass bei den Zuweisungen oft gegen ein Prinzip verstoßen wird. Im Gesetzestext heißt es, zwischen der Straftat und der gemeinnützigen Tätigkeit sollte ein Zusammenhang bestehen. So ist angedacht, dass bei Drogendelikten und Taten unter Alkoholeinfluss Suchtberatungsstellen begünstigt werden, bei Verkehrssündern die Verkehrswacht.

Allerdings ist solch ein Bezug oft nicht zu erkennen. In Brandenburg ging ein großes Stück des Kuchens an Schulen und Kitas, Sportclubs, Tierschützer, Theater, Kirchen, die Kaufmännische Krankenkasse Berlin, diverse Parkeisenbahnen und den Marktführer bei Zigarettenautomaten. Die Kita „Kunterbunt“ in Calau bekam laut OLG voriges Jahr 10 100 Euro. Verglichen damit sind die 18 640 Euro für die Opferhilfe Brandenburg, die wohl eher förderwürdig ist, fast schon wenig. Bei der Bernauer Sternwarte kommt der Zusammenhang zu den Jugendstrafen dadurch zustande, meint Anwalt Weimann, dass „der Förderverein so viel für die Jugend tut“.

Peter Küster, Vorsitzender der „Trinkkegelcousins“ (TKC) Wriezen, konnte nicht recht erklären, warum ausgerechnet sein Sportverein in den vergangenen fünf Jahren summa summarum 23 400 Euro eingestrichen hat. „Es kann natürlich sein, dass sehr viele Straftäter aus unserer Heimatstadt kommen“, lautet seine abenteuerliche Begründung.

Ein Geheimnis bleibt auch, warum das Konservatorium Cottbus vom Amtsgericht der Stadt in drei Jahren 18 075 Euro erhielt. Das wäre besonders interessant, denn laut eines Berichts an das Kulturministerium ist die kommunale Musikschule in einer günstigen finanziellen Lage mit einer „privilegierten Personalsituation“. Zu den „speziellen, selten nachgefragten“ Angeboten gehört das Harfenspiel.

Richter und Anwälte sehen keinen Reformbedarf

Der stellvertretende Vorsitzende des Oberlandesgerichtes, Wolf Kahl, hält die Verteilungsregelung nicht für reformbedürftig. „Das ist seit ewigen Zeiten so vorgesehen“, sagte er. „Es besteht keine Veranlassung, das anders zu regeln“, meinte auch Klaus-Christoph Clavee, Vorsitzender des Brandenburger Richterbundes. Man könne davon ausgehen, dass Richter niemanden protegieren, dem sie nahestehen.

Der größte Vorteil der derzeitigen Praxis sei, dass das Geld nicht im Landeshaushalt versickert, sondern Vereine gezielt gefördert werden, ohne auf den Cent genau an Projekte gebunden zu sein. Für die Sternwarte Bernau haben die Zahlungen eine entscheidende Bedeutung. Ohne sie wäre der Betrieb „auf längere Sicht gefährdet“. Weimann: „Mit den 3500 Euro pro Jahr von der Stadt können wir gerade einmal die laufenden Kosten bezahlen.“

In der Regierung waren die Geldbußen bislang kein Thema. Das Justizministerium fühlt sich nicht zuständig und verweist an das OLG. Im Finanzministerium wollte man sich ebenfalls nicht äußern, obwohl dessen Interessen stark tangiert werden. Denn während die Gesamtsumme der Bußgelder 2008 gestiegen ist, wurde die Landeskasse deutlich weniger bedacht. Den Finanzminister könnte auch interessieren, dass ein Großteil der Mittel nicht im Bundesland verblieben ist (siehe Tabelle).

Kritik übten dagegen die rechtspolitischen Sprecher der Koalitionsfraktionen. „Das Thema sollte man in der Tat bereden“, sagte Alard von Arnim (CDU). Er hatte „selbst schon mit dem Gedanken gespielt“, einem Tierheim in der Uckermark bei der Akquise von Bußgeldern zu helfen und alle vier Staatsanwaltschaften daraufhin kontaktiert – ohne Erfolg. „Mir scheint, dass diesbezüglich ein sehr geschicktes Netz gewoben wurde, um Interessen zu pflegen“. Von Arnim sprach sich für ein Gremium aus, dass „ein bisschen genauer hinschaut.“ „Private Vorlieben spielen immer eine Rolle“, meint der Rechtsexperte Ralf Holzschuher von der SPD. Den Fall der Sternwarte Bernau findet er sehr bemerkenswert. „Ich werde dafür sorgen, dass sich der Rechtsausschuss nach den Wahlen damit beschäftigt“ kündigte er an.

Hamburger Verfahren beugt Missbrauch vor

Vorbild für eine Neuregelung könnte Hamburg sein. Dort entscheiden schon seit 1972 nicht die Richter, welche Vereine gefördert werden. Die Geldstrafen werden an vier Sammelfonds überwiesen, die jeweils ein Gremium kontrolliert. Dem gehören je ein Richter, ein Staatsanwalt, ein Vertreter der Justizbehörde und zwei beratende Mitglieder aus der Behörde für Familie und Soziales an. Die Unabhängigkeit der Richter wird gewahrt, weil sie auch freihändig entscheiden könnten. Was sie in der Regel aber nicht tun.

„Unser Verfahren beugt Missbrauch vor“, sagte Hamburgs Justizsprecher Thorsten Fürter. Abgesehen davon können sich nur Einrichtungen bewerben, die in Hamburg oder für Hamburger Bürger aktiv sind oder dort ein starkes Engagement ehrenamtlicher Gruppen nachweisen können.

Der Spendentopf wird immer voller

Nur in Deutschland dürfen Gerichte und Staatsanwälte Geldauflagen aus Straf-, Ermittlungs- oder Gnadenverfahren zugunsten gemeinnütziger Vereine verhängen.

100 Millionen Euro werden pro Jahr etwa verteilt. In Brandenburg waren es im vergangenen Jahr 1,467 Millionen (Plus neun Prozent). In die Landeskasse flossen 434 000 Euro (Minus 17 Prozent).

Die Vereine müssen sich bewerben. Ihre Gemeinnützigkeit prüft das Finanzamt.

Einmal jährlich wird vom Oberlandesgericht eine aktuelle Liste möglicher Empfänger an alle Justizstellen verteilt.

Die Entscheidung treffen die Richter, Staatsanwälte können Vorschläge machen.

Im Gesetz heißt es: „Die Ziele der Vereine sollten zu dem verletzten Rechtsgut in Beziehung stehen.“

Nicht auf der Liste geführte Einrichtungen können von den Richter auch bedacht werden.

Für Aufsehen hatte der Fall Margrit Lichtenhagen gesorgt: Die Richterin von Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel soll ihr nahe stehende Vereine in Millionenhöhe begünstigt haben.


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