Wie die Geschichte 'Spendengelder durch Richter' entstand

von Steven HANKE

Die Idee zu dem Artikel „Die Spendierroben“ entstand bei einem Treffen mit dem Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Potsdam. Beiläufig erzählte er von einer Liste beim Brandenburger Oberlandesgericht (OLG). Darin ist nachzulesen, welche gemeinnützigen Vereine in den vergangenen Jahren Bußgelder erhalten haben, die in gerichtlichen Strafverfahren verhängt worden waren. Das Interessante daran: Richter können jeweils frei entscheiden, welchem Verein sie wieviel zukommen lassen. Da liegt der Verdacht nahe, dass sich manche Richter und Staatsanwälte (Letztere haben ein Vorschlagsrecht) in ihrer Entscheidung von persönlichen Interessen leiten lassen.

Warum, fragte ich mich, dürfen sie über relativ große Summen verfügen, während öffentliche Fördermittel in der Regel erst nach genauer Prüfung durch Ausschüsse verteilt werden? Der Fall Margrit Lichtinghagen kam mir wieder in den Sinn. Der Anklägerin von Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel wurde vorgeworfen, bei der Vergabe von Bußgeldern bestimmte Vereine bevorzugt zu haben. War sie nur eine Ausnahme oder gibt es ähnliche Fälle auch in der märkischen Provinz? Ich beschloss, dem Thema nachzugehen.

Die Empfängerliste bekam ich relativ problemlos nach etwa zwei Wochen. Beim Studieren des Dokuments bestätigte sich schnell meine Vermutung. Kleine, lokale Vereine bekommen Jahr für Jahr hohe Summen, obwohl der größte Teil der Bewerber leer ausgeht. Außerdem fiel auf, dass viele der begünstigten Vereine keinesfalls „mit dem verletzten Rechtsgut in Beziehung stehen“, wie vom Justizministerium gefordert. Eigentlich soll zwischen Tat und Bußgeldempfänger ein Zusammenhang bestehen. In Verfahren wegen Alkohol am Steuer beispielsweise soll das Geld an die Verkehrswacht fließen oder aber eine Suchtberatungsstelle. So gesehen ist es unverständlich, warum ausgerechnet Kitas, Schulen, Sportclubs oder Heimatvereine Tausende Euros einstreichen. Offensichtlich nutzen Richter mitunter ihren Entscheidungsspielraum, um ihnen nahe stehende Vereine finanziell zu unterstützen.

Anfangs fand ich niemanden, der meine Skepsis teilte:

  • Die Vereine äußerten sich entweder nicht, oder sie fanden nichts Anstößiges an der Vergabepraxis.
  • Beim OLG und dem Richterbund sah man keinen Reformbedarf.
  • Das zuständige Justizministerium schob die Verantwortung immer wieder an das OLG weiter.
  • Der Landesrechnungshof hatte das Thema noch nicht auf der Agenda. Dessen Sprecher verwies mich jedoch auf eine Untersuchung seiner Kollegen aus Niedersachsen, die ich bereits bei meiner Internetrecherche gefunden hatte. Danach sind Richter bei der Verteilung von Bußgeldern „gesteigert korruptionsgefährdet“.
  • Die rechtspolitischen Sprecher der damaligen Koalitionsparteien fanden meine Rechercheergebnisse bemerkenswert und sicherten zu, das Thema auf politischer Ebene zu diskutieren.

Nach acht Wochen Recherche hatte ich genügend interessantes Material für eine Seite-Drei-Geschichte zusammen. Dabei ging es nicht darum, Einzelne an den Pranger zu stellen, sondern die Vergabepraxis grundsätzlich zu hinterfragen. Viele Aspekte des Themas, die ebenfalls fragwürdig sind, konnten aus Platzgründen nicht berücksichtigt werden. Zum Beispiel zahlen einige gemeinnützige Vereine Provisionen an sogenannte Fundraising-Unternehmen mit guten Kontakten zur Justiz, die bei der Akquise der Bußgelder helfen.

Der Artikel hat viele, teils unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Leser bestätigten aus Erfahrung, dass es kaum möglich sei, an Bußgelder zu gelangen. Eine Anruferin kritisierte den Artikel, weil sie befürchtete, ihr Verein könne in Zukunft weniger oder kein Geld mehr erhalten. Eine Unternehmensberatung will die Fortsetzung des Themas im Rahmen einer Studienarbeit anregen. Das Magazin „Drehscheibe“ hat in seiner Ideenbörse über die „Spendierroben“ berichtet, um andere Journalisten darauf aufmerksam zu machen. Es wäre schön, wenn der Artikel Auftakt wäre für eine breite öffentliche Debatte, wie und von wem die Bußgelder verteilt werden.