Stanislav MARKELOV - ermordeter Rechtsanwalt der Nowaja Gaseta

„Ich habe es satt, ich habe es satt, immer die Namen meiner Bekannten in den Todeslisten zu finden. Wir alle brauchen Schutz, vor den Nazibanden, vor den Mächtigen und ihren Machenschaften und vor denen, die ihnen helfen. Uns schützt nicht Gott, nicht der Zar, nicht das Gesetz, nur wir selbst,“ so Stanislav MARKELOV in einer Rede vor Moskauer Bürgerrechtlern.

MARKELOV übernahm Mandanten mit Fällen, die sonst niemand wollte. Oft wurde er deshalb eingeschüchtert, bekam Morddrohungen per SMS, 2004 wurde der Menschenrechtler in der Moskauer U-Bahn zusammengeschlagen. Am 19. Januar 2009 wurde er in Moskau am helllichten Tag erschossen. Er wurde nur 34 Jahre alt.

Wer Stanislav MARKELOV erschoss ist bis zum heutigen Tage ungeklärt. Zwar ließ Moskau im November vergangenen Jahres verlauten, dass man den Mord aufgeklärt haben will und die mutmaßlichen Täter aus der rechtsextremen Szene stammen. Die russische Polizei hatte, fast zehn Monate nach der grausamen Bluttat, zwei ehemalige Mitglieder der als rechtsextrem geltenden Organisation „Russische Nationale Einheit“ (RNE) festgenommen. Kremlchef Dmitri MEDWEDEW lobte daraufhin die Ermittlungsergebnisse. Er hoffe, dass die Beweise für einen Prozess ausreichen, sagte er bei einem Treffen mit Alexander BORTNIKOV, Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB.

Bei der Verhaftung waren zahlreiche Schusswaffen sichergestellt worden. Außerdem sei man sich sicher, dass die Festgenommenen mindestens einen weiteren Mord verübt haben. BORTNIKOV äußerte sich jedoch nicht zu den Beweisen. Nach Justizangaben soll die festgenommene junge Frau unter einem Vorwand MARKELOV und seine eng befreundete Arbeitskollegin BABUROVA nach einer Pressekonferenz in die Nähe einer Metrostation geführt haben. Ihr ebenfalls festgenommener Komplize habe die Beiden dort erschossen und sei geflohen.

Sergej SOKOLOV, Chefredakteur der Novaja Gaseta, vertritt jedoch die Ansicht, dass es viel zu früh sei, um Meldungen für eine lückenlose Aufklärung des Mordes an MARKELOV und BARBUROVA zu verbreiten. Sicherlich ist es möglich, dass die Täter aus dem neofaschistischen Milieu kommen, jedoch hatte der Menschenrechtler viele Feinde in Russland, da er meistens mit Menschen zusammenarbeitete, die der Obrigkeit ein Dorn im Auge war.

MARKELOV arbeitete unter anderem mit der Journalistin Anna POLITKOVSKAJA zusammen, die am 7. Oktober 2006 in Moskau getötet wurde. Beide beschäftigten sich mit dem Fall Sergei LAPIN. LAPIN, russischer Oberstleutnant und Mitglied der OMON (Militärpolizei) hatte den tschetschenischen Studenten Selimchan MURDALOV zu Tode gefoltert. Anna POLITKOVSKAJA schrieb über diese Tat in der Novaja Gaseta und MARKELOV vertrat MURDALOVs Eltern. MARKELOV erreichte, unter anderem durch die hartnäckigen Recherchen POLITKOVSKAJA vor Ort in Grosnyje, dass LAPIN zu acht Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Nachdem LAPIN der mutigen Korrespondentin der Novaja Gaseta aus dem Gefängnis Morddrohungen per SMS schickte, verteidigte MARKELOV auch sie.

Ein weiterer Klient MARKELOVs hieß Michael BEKETOV. Er ist Chefredakteur und Besitzer der Zeitung Chiminskaja Prawda. Der Lokaljournalist berichtete kritisch gegen das Vorhaben des Bürgermeisters der Region Chimsky, aus dem Wald der Umgebung eine Mautautobahn und ein Gewerbegebiet machen zu wollen. Der Schwarzmarkt mit Immobilien in der Region Chimsky, die im Speckgürtel Moskaus liegt, boomt. Der Profit der mit dem Bau der Autobahn gemacht werden soll, geht an die Politiker. BEKETOV war der einzige Journalist der über das Vorhaben des Bürgermeisters berichtete. MARKELOV verteidigte BEKETOV daraufhin gegen den Vorwurf der Verleumdung. Im November 2008 wurde BEKETOV brutal zusammengeschlagen und lag mehrere Monate im Koma. Infolgedessen musste man ihm mehrere Finger und ein Bein amputieren.

Stanislaw MARKELOV hatte jedoch auch Mandanten, deren Fälle er bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte brachte.

Mochmadsalach MUSAJEV war ein solcher Fall. Der Menschenrechtsanwalt hatte vor, ein handgeschriebenes Dokument MUSAJEWs von mehreren hundert Seiten beim Europäischen Menschengerichtshof einzureichen. Die Papiere sind politischer Sprengstoff. Sie beschuldigen Ramzan KADYROV, den Helfer PUTINs und jetzigen tschetschenischen Präsidenten, MUSAJEV mit Elektroschocks gefoltert zu haben. KADYROV gilt als zynisch und sadistisch, aber von seinen Foltermethoden und Machenschaften soll Europa nichts erfahren, er ist der Mann des Kremls. Mochmadsalach MUSAJEV verschwindet daraufhin auf mysteriöse Art und Weise. Die handgeschriebenen Papiere über die Folterung behält Stanislav MARKELOV. Die Informationen, die diese Dokumente beinhalten, sind tödlich. Ein anderer Zeuge, der über die Folter aussagen wollte, wird erschossen.

Im März 2000, einige Monate nach dem Beginn des Zweiten Tschetschenienkrieges, entführte BUDANOV das 18-jährige tschetschenische Mädchen Elsa KUNGAJEVA aus ihrem Elternhaus – folterte, vergewaltigte und tötete sie. Der Fall war in Russland massiv umstritten – BUDANOV war Träger vieler militärischer Auszeichnungen und Orden. Er musste letztlich dessen ungeachtet ins Gefängnis.

MARKELOV hatte beim Obersten Gerichtshof der Russischen Föderation Einspruch gegen die vorzeitige Entlassung BUDANOVs aus dem Gefängnis eingelegt. BUNDANOV war am 15. Januar 2009, nach Verbüßung von achteinhalb Jahren seiner zehnjährigen Strafe, aus dem Gefängnis entlassen worden. Seine Begnadigung sorgte in Tschetschenien für einen Aufschrei der Empörung.

MARKELOV hatte bei der Pressekonferenz angekündigt, dagegen vor dem Europäischen Menschengerichtshof Beschwerde einzulegen. Am 19. Januar 2009, kurz nachdem er die Konferenz verlassen hatte, wurde MARKELOV im Zentrum Moskaus von einem maskierten Mann mit einer schallgedämpften Waffe in den Kopf geschossen. Er war sofort tot. Anastasia BARBUROVA, eine 25-jährige Journalistikstudentin an der Moskauer Staatsuniversität und Mitarbeiterin der Oppositionszeitung Novaja Gaseta, versuchte den Killer zu stellen. Sie wurde dabei ebenfalls erschossen und starb noch am gleichen Abend im Krankenhaus.

Beide Morde fanden am helllichten Tage nicht weit vom Kreml statt.

 

(KH)