Unser Resümee nach viereinhalb Monaten Minderheitengruppe

Dies ist das Resümee des Dreierteams so wie es ich im Band I des Abschlussberichts (S. 12-15) wiederfindet. Es ist hier im Original wiedergegenen. Die zusammenfassende Bewertung der Mehrheit finden sich dort auf den Seiten 2 bis 11.


Zusammenfassende Stellungnahme der Experten Sebastian Jung, Prof. Dr. Johannes Ludwig und Prof. Dr. Martin Schwab

I. Rahmenbedingungen

Organisation und Verfahren haben wir als unbefriedigend empfunden:

  • Die Expertengruppe war bei der Senatsverwaltung (SenStadtUm) angesiedelt, also keine unabhängige Sachverständigenkommission. Es fehlte an der notwendigen kritischen Distanz zwischen Beratungsgremium und Beratungsempfänger.
  • Die Arbeit geriet in den Sog des heranrückenden Wahlkampfs.
  • Die Daten, auf die zurückgegriffen werden konnte, waren für eine Analyse der komplexen Ausgangslage nicht hinreichend.
  • Die Auseinandersetzung mit der Berliner Förderpraxis und seinen normativen Grundlagen war unzureichend. Gleiches gilt für die Untersuchung der Ursachen für die hohen Kostenmieten, der die Mehrheit der Expertengruppe von Anbeginn ablehnend oder nicht unvoreingenommen gegenüber stand.
  • Für eine Überprüfung der Regelwerke darauf, ob diese sinnvoll, ökonomisch gerechtfertigt und mit der ursprünglichen Zielvorstellung des Gesetzgebers in Einklang zu bringen sind, war keine Zeit.
  • Gründlichkeit und Tempo sind zwei Desiderate, die sich ab einem bestimmten Punkt gegenseitig ausschließen. Unter dem immensen Zeitdruck waren die im Eckpunktepapier formulierten hohen Erwartungen nicht hinreichend zu bewältigen. So gelang es nicht, die Frage zu beantworten, welche Vor- und Nachteile verbunden sind mit (1) einer Änderung des Kostenmietrechts und (2) seiner Ersetzung durch ein neues System der Mietpreisbegrenzung. Auch war es nicht möglich, auf alles von SenStadtUm zu erwidern, weshalb wir dies auf www.ansTageslicht.de/SenStadtUm tun.

Die persönliche Integrität der stimmberechtigten Mitglieder des Gremiums zweifeln wir nicht an. Die o.g. Organisationsmängel müssen aber vermieden werden, sollte eine weitere Kommission eingerichtet werden, was wir für notwendig erachten. Die Unabhängigkeit des Gremiums muss ebenso sichergestellt werden wie ausreichend Zeit zur Ermittlung und anschließende Reflexion des zu regelnden Sachverhalts.

II. Ergebnisse

Die Expertengruppe ist sich darin einig, dass

  • der Bestand des Sozialen Wohnungsbaus (SWB) nicht in Frage gestellt werden darf,
  • die Sozialmieten signifikant unter den Marktmieten liegen müssen,
  • die Verzinsung der Aufwendungsdarlehen (AD) vorübergehend auf einen Zinssatz unterhalb des Marktniveaus abzusenken ist.

Abweichend von der Mehrheit sind wir der Auffassung, dass

  • vieles dafür spricht, dass in Berlin in weiten Teilen teurer als notwendig gebaut wurde,
  • geprüft werden muss, in welchem Umfang durch eine Neuberechnung der Kosten- und Verpflichtungsmieten Mieter und Steuerzahler entlastet werden können,
  • es wegen des bisher von Berlin geleisteten enormen finanziellen Aufwands sachgerecht und aus Akzeptanzgründen erforderlich ist, die Eigentümer an einer fairen Lösung hinreichend zu beteiligen und
  • eine Debatte hierüber nicht deshalb unterbleiben kann, weil die Eigentümer ggf. „verscheckt“ werden könnten.

Im Hinblick auf (1) die stark steigenden Mieten und (2) die auslaufenden Bindungen besteht ein Dilemma bzw. Zielkonflikt: Ein stärkeres Eindämmen des Mietenproblems durch eine stärkere Inanspruchnahme der Eigentümer führt zu mehr AD-Ablösungen und einer zeitlichen Verkürzung der Bindungen. Ein Schonen der Bindungen erfordert aber eine Verschonung der Eigentümer, was bedeutet, dass die hohen Mieten nicht eingedämmt werden, wenn die Allgemeinheit nicht für sämtliche „Altlasten“ aufkommen soll.

Die Expertengruppe hat sechs Reformvorschläge erarbeitet:

  • Darunter befindet sich ein Vorschlag zur Einführung einer einkommensorientierten Miete für einen Teil der Wohnungen mit Anschlussförderung (AFö). Der Vorschlag ist u.E. erwägenswert, da die Höhe des Haushaltseinkommens der Mieter im Zentrum steht und vorgesehen ist, die Kostenansätze der II. Berechnungsverordnung einer kritischen Bestandsaufnahme zu unterziehen. Ein weiterer Vorschlag zur Einführung einer Richtsatzmiete enthält ebenfalls überlegenswerte Ansätze, da er auf die Wirtschaftlichkeit der einzelnen Objekte abstellt und die wichtige Erkenntnis transportiert, dass nachhaltige Lösungen nicht ohne erheblichen Arbeitseinsatz erreicht werden können.
  • Nicht zu empfehlen ist ein Vorschlag, wonach die Mietpreis- und Belegungsrechte für alle Wohnungen ohne AFö kompensationslos preisgeben werden. Das würde einen schweren Schaden für den Landeshaushalt bedeuten, weil die Bindungen mit beträchtlichem Mitteleinsetz neu beschafft werden müssten. Auch die Wohnungen ohne AFö sind für eine Mietpreisbegrenzung im Kostenmietrecht zugänglich. Dabei sind die finanziellen Risiken für Berlin gering, weil die Landesbürgschaften nach IBB-Informationen zum größten Teil zurückgegeben wurden. Auf Basis neuer gesetzlicher Vorschriften für die Berechnung der Kostenmieten (z.B: Eigenkapitalverzinsung und „Entschuldungsgewinne“) könnten Mieten kalkuliert werden, die sich mit begrenzen Mitteln der Subjektförderung für bedürftige Mieter weiter absenken ließen.
  • Wir selbst haben einen Reformvorschlag erarbeitet (vgl. Seite XX), in dem eine Formulierung für eine Vorschrift vorgeschlagen wird, die, wenn sie zum Gesetz erhoben wird, das Problem der „fiktiven Kosten“ in Veräußerungsfällen sofort lösen und Mieter finanziell entlasten wird. Außerdem muss Berlin weniger Mietzuschüsse bezahlen. Zudem wird eine folgenschwere Fehlkonstruktion im Wohnraumgesetz Berlin (§ 5) beseitigt, wonach Erwerber von Sozialwohnungen ohne AFö beim Eigentümerwechsel sofort und ohne Gegenleistung für Berlin von den Bindungen, die für weitere 20 bis 40 Jahre gelten, befreit werden. Der Vorschlag wurde von der Expertengruppe intensiv diskutiert: Rechtliche Bedenken bestehen nicht. Es bedürfe einer politischen Entscheidung, diese Wohnungen zu retten.

Allen diesen Maßnahmen ist gemeinsam, dass sie jeweils nur bestimmte Segmente des SWB umfassen. Und selbst innerhalb eines Segments gibt es individuelle Unterschiede in den Fördersachverhalten, welche die Expertengruppe nicht aufklären konnte. Hier gibt es jede Menge „schwarze Löcher“ (vgl. Seite XX).

Wir empfehlen daher, dass zu Beginn der nächsten Legislatur für alle Sozialwohnungen ein

Gestufter Reformprozess zwecks nachhaltiger und haushaltschonender Senkung der Kosten- und Verpflichtungsmieten durch eine umfassende Novellierung des Kostenmietrechts

initiiert wird. Wir schlagen einen gestuften und rückgekoppelten Untersuchungs- und Entscheidungsprozess vor, damit dem o.g. Zielkonflikt Rechnung getragen werden kann und die verschiedenen Akteure mit ihren widerstreitenden Interessen eingebunden werden. Neben der Installation eines Runden Tisches zur Erlangung eines Interessensausgleichs auf freiwilliger Basis empfehlen wir dringend die Installation eines unabhängigen Untersuchungsgremiums, das die Ursachen für die immensen historischen Gestehungskosten überprüft, den rechtlichen und wirtschaftlichen Einzelheiten auf den Grund geht und ökonomisch fragwürdige Vorschriften des Kostenmietrechts grundlegend reformiert.

III. Ausblick

Solange Wohnungs- und Finanzpolitik als prinzipiell gegensätzlich betrachtet werden, besteht die Gefahr, dass wohnungspolitische Maßnahmen nur kurzfristig gedacht werden und langfristig ineffizient sind. In Berlin wird der SWB als Politikfeld gesehen, das für etwa ein Drittel der Schulden des Landes steht und fortwährend Probleme bereitet.

Wohnraumversorgung wirkt jedoch langfristig. Deshalb muss auch die finanzpolitische Perspektive so ausgerichtet sein. Zu fragen ist, wie das (über)lebenswichtige Gut „Wohnen“ für Bedürftige, die sich am Wohnungsmarkt selbst nicht versorgen können, nachhaltig bezahlbar gehalten werden kann. Dazu zwei Denkanstöße:

  • In 2015 wurde ein revolvierender Fonds für Wohnungsneubau, der „Sondervermögen Wohnraumförderfonds Berlin“, errichtet. Es könnte überlegt werden, ob eine öffentliche Anleihe zu höchstens 1% Zins aufgenommen werden kann, die an letzte erreichbare Objekte weiterleitet wird, damit Fremdkapital ersetzt wird. Mit einer gleichzeitigen Verringerung der Eigenkapitalverzinsung ließen sich die Mieten spürbar reduzieren (Gesamtkapitalbelastung max. 3%).
  • Im Rahmen eines zins- und tilgungsfreien Notenbankkredits, der an die Stelle einer pauschalen Überweisung des Bundesbankgewinns tritt, könnte notwendiges Bargeld über staatliche Infrastrukturmaßnahmen in den Wirtschaftskreislauf eingespeist werden. In anderen Ländern (FR, UK, JP, z. T. USA) wird dies bereits praktiziert. Als Infrastrukturmaßnahme böte sich die Schaffung nachhaltig preisgünstigen Wohnraums an.

IV. Fazit:

Bezahlbares Wohnen ist organisierbar und finanzierbar. Man muss sich aber ggf. von traditionellen Denkmustern lösen. Mehr unter www.ansTageslicht.de/SWB