Die 7 Segmente des Berliner Sozialen Wohnungsbaus

Die Gründe für 7 Segmente

Die Berliner Sozialwohnungen wurden zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich gefördert. Zwar gab es nur zwei grundsätzlich verschiedene Systeme (Baudarlehen versus Aufwendungshilfen), aber seit der Umstellung auf das Aufwendungshilfensystem im Jahr 1968/69 wurden im Detail jeweils verschiedene Regelungen und Praktiken angewandt.

Bei den Aufwendungshilfen (AH) übernimmt das Land Berlin eine Grundförderung von 15 Jahren sowie - bis 2003 - eine 15jährige Anschlussförderung (AF). Zusammen also 30 Jahre.

Danach muss ein (kleiner) Teil der Subventionen zurückgezahlt werden. Auch das kann dauern, denn es hängt von den Rückzahlungskonditionen im Detail ab. So können gut und gerne nochmals 30 Jahre oder auch länger zusammenkommen. Bis der letzte Euro zurückgezahlt ist, unterliegen die Wohnungen der Sozialbindung.

Werden die zurückzuzahlenden Gelder (Aufwendungsdarlehen) vorzeitig zurückgezahlt, so beginnt eine 10- bzw. 12jährige Nachwirkfrist zu ticken. Erst wenn die abgelaufen ist, gelten die Sozialwohnungen nicht mehr als "öffentlich gefördert" und sind dann keine Sozialwohnungen mehr. Die Sozialbindungen sind dann entfallen.

Weil sich nun die einzelnen Wohnungsbau- bzw. Förderprogramme im Detail unterscheiden, potenzieren sich die Rückzahlungskonditionen der zurückführenden Mittel um eben diese Details. Mal ist es so, mal etwas anders. Einige Jahrgänge wurden nur mit Aufwendungsdarlehen (AD) gefördert und in der Anschlussförderung dann nur mit Aufwendungszuschüssen, ab 1977 gab es dann in beiden Phasen jeweils Aufwendungshilfen (AH), die zu 2/3 aus Aufwendungszuschüssen und zu 1/3 als Aufwendungsdarlehen bezuschusst wurden, usw. Mal konnten die zurückzuzahlenden Gelder barwertig abgelöst werden, mal nicht. Mal mit, mal ohne Einfluss auf die Sozialbindungsdauer. Alles kompliziert und v.a. unübersichtlich, wenn man sich nicht in den vielen unterschiedlichen Details auskennt. 

Wie sich das alles im Einzelfall verhält, ist im Abschlussbericht der Expertengruppe, Teil I beschrieben: Kapitel Fördersegmente ab S. 29. Hier nehmen wir nur eine grobe Beschreibung vor: um deutlich zu machen, wie schnell die letzten Sozialwohnungen aus der politischen Erreichbarkeit verschwinden werden. Wenn nicht schnell gehandelt wird.

Die 7 Segmente

Die nachhaltigste Entscheidung, das Fördersystem im Sozialen Wohnungsbau umzustellen, geschah 1968/69. Es war die finanziell verheerenste Entscheidung: von der Förderung mit Baudarlehen auf Aufwendungshilfen umzusteigen. Beschrieben und analysiert unter Kosten und "Kosten-Miete", Teil II: Das Berliner Modell mit Aufwendungshilfen.

Segment 1

Es kam, wie es kommen musste: Das Land Berlin musste 2003 - überhastet - aussteigen. Ohne die Folgen im Detail zu überdenken - der Haushalt wäre explodiert. Konkret: Berlin verweigert seither allen bisherigen Objekten die sog. Anschlussförderung, die immerhin fast die Hälfte des gesamten Subventionskuchens über 30 Jahre gerechnet ausmacht. In diesen Wohnungen darf daher jetzt - theoretisch - den Mietern die volle Kostenmiete abverlangt werden. Was allerdings - zumindest derzeit noch - aus Marktgründen nicht funktioniert. 14 Euro/qm und kalt für Sozialmietwohnungen abzuverlangen klappt nur in exzellenten Lagen und in bestens gepflegten Häusern. Und auch nur dann, wenn darin keine typischen Sozialmieter (mehr) darin wohnen. 

Diese Wohnungen werden als Segment 1 bezeichnet: Wohnungen ohne Anschlussförderung (oAF). Von ehemals rd. 27.000 WE sind derzeit (Mitte 2016) noch rd. 18.000 vorhanden.

In der Grafik, die mit einem PDF hinterlegt ist, betrifft das die Jahrgänge ab 1988, denen die Anschlussförderung versagt wurde - erkennbar daran, dass es nur eine hellblau eingefärbte Grundförderung gibt. Die Anschlussförderung wäre sonst dunkelblau zu erkennen:

Bei diesen Objekten setzt die Rückzahlungspflicht eigentlich erst nach Ablauf der verweigerten AF ein, aber die meisten Hauseigentümer lösen ihre Rückzahlungsverpflichtungen (Aufwendungsdarlehen, hier leicht rosa eingefärbt) vorher bzw. ganz schnell ab: Dann lassen sich die Wohnungen - nach der obligatorischen Nachwirkfrist - auf dem freien Markt verwerten. Dieser Anreiz ist riesengroß. Deswegen ist zu vermuten, dass die letzten Bestände aus diesem Wohnungssegment auch schnell verschwinden werden. Sofern politisch nichts passiert.

Segmente 2 und 3

Dies betrifft Wohnungen aus der Ära 1969 bis 1986. Im Segment 2 betrifft es vor allem Wohnungen, die sich in der Nachwirkungsfrist befinden, nachdem die rückzuzahlenden Aufwendungsdarlehen vorzeitig zurückgezahlt wurden. Konkret: Von ehemals 96.000 WE sind noch knapp 34.000 "sozial".

Segment 3 liegt ähnlich, aber hier gab es vertragliche Vereinbarungen zwischen dem Land Berlin und den Wohnungseigentümern, nach denen aber keine Sozialbindungen aufgegeben wurden. Hätte man bei allen anderen eigentlich auch machen können. In diesem Segment gibt es 15.700 Sozialwohnungen.

In das

Segment 4

fallen Wohnungen, die sich überwiegend im "planmäßigen" Förderablauf befinden. Hier lassen sich weitere Fallunterscheidungen treffen: Wohnungsobjekte bekommen gerade noch die letzten Subventionen, tilgen bereits die AD oder befinden sich mit ihrer Rückzahlung aus fördertechnischen Gründen in einer "Ruhephase".

Dies betrifft von ehemals 131.000 Sozialwohnungen noch immerhin 35.000. Es ist das wichtigste und größte Segment. Hier kann man wohnungspolitisch noch am meisten machen. Auch wenn rd. 75% dieser Wohnungen "Privaten" gehören (Einzeleigentümer, ehemalige "Abschreibungsgesellschaften", die man inzwischen etwas eleganter "Objektgesellschaften" nennt). Weiterer Vorteil: viele dieser Wohnungen befinden sich in Innenstadtlagen (West).

Segment 5

repräsentiert die ab 1989/1990 mit IBB-Darlehen geförderten Wohnungen. Diese Förderung haben v.a. städtische Wohnungsgesellschaften und Genossenschaften in Anspruch genommen, die nicht ausschließlich auf den Profit zielen: Immerhin 11.300 Wohnungen betrifft dies.

Segment 6 

ist klein: 2.800 Wohnungen aus der Ära 1995-2001, als einkommensorientiert gefördert wurde.

Segment 7

Damit sind die Uraltwohnungen gemeint, entstanden 1952-1968. Dies betraf - vormals - immerhin 279.000 Wohnungen. Allerdings: Hier gibt es inzwischen praktisch kein Bestand mehr, der als Sozialwohnung noch zählen würde - alle Bindungen sind längst ausgelaufen. Sie gehören teilweise immer noch städtischen Gesellschaften. Teils wurden sie aber auch in der schwarz-roten und rot-roten Koalitionsära verkauft und gehören heute renditeorientierten Mammutkonzernen:

Die ehemaligen rd. 27.000 GEHAG-Wohnungen (Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft) sind inzwischen in der Deutschen Wohnen AG integriert. Die rd. 60.000 GSW-Wohnungen (Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft) firmieren heute unter dem Label "GSW Immobilien GmbH", die ebenfalls zur Deutsche Wohnen AG gehört.

Lessons not learnt

Wie man das alles hätte anders machen können (langfristig sinnvolles Fördersystem, effiziente Bindungsregelungen) findet sich unter Kosten und "Kosten-Miete", Teil II: Das Berliner Modell mit Aufwendungshilfen

Auch wenn das alles nachträglich nichts mehr nützt: Um zu retten, was zu retten ist, ist schnelles Handeln angesagt.