Gesetzesvorhaben und parlamentarische Aktivitäten
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EU-Parlament, 8. September 2016
EU-Parlamentarier schreiben an die verurteilten LuxLeaks-Whistleblower
Die EU-Kommission lebt vielfache Widersprüche. Und wundert sichd ann über mangelnde Wahrnehmung und Akzeptanz europaweit:
- EU-Kommissionspräsident JUNCKER will in seiner Zeit als Ministerpräsident und Finanzminister von Luxembourg nichts von den fragwürdigen Steuerdeals großer Konzerne gewusst haben
- In Polen und Ungarn werden elemantare Verfassungsrechte ausgehebelt
- Die EU-Kommission redet ständig von der Notwendigkeit eines EU-weiten Whistleblowerschutzes, praktiziert intern aber das Gegenteil und macht sich mehr Gedanken um den Schutz von Geschäftsgeheimnissen als über den notwendigen Schutz von Menschen, die auf illegale oder illegitime oder mehr als fragwürdige Praktiken aufmerksam machen. Beispiel: die beiden LuxLeaks-Whistleblower.
Nun haben 108 Abgeordnete des EU-Parlaments aus den Fraktionen der Christdemokraten, Sozialdemokraten, GRÜNEN, Linken und Liberalen einen Brief an die beiden LuxLeaks-Whistleblower Antoine DELTOUR und Raphael HALET geschrieben.
In dem zeigen sie sich bestürzt über das Urteil vom 29. Juni und kündigen an, sich stärker als bisher für einen Whistleblowerschutz bei der EU-Kommission einzusetzen.
Der Brief war ursprünglich auch an den Journalisten PERRIN gerichtet, der die Affäre öffentlich ins Rollen gebracht hatte. Er war vom selben Gericht freigesprochen worden. Inzwischen hat aber die luxembourgische Staatsanwaltschaft Revison eingelegt - sie will sich damit nicht zufrieden geben.
Es bleibt abzuwarten, ob und wie die 108 Parlamentarier zu ihrer Ankündigung stehen
Berliner Abgeordnetenhaus - Landesparlament Berlin, 9. Mai 2016
Berliner SPD und Koalitionspartner CDU lehnen Whistleblowerschutzgesetz ab
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN versucht bereits seit längerem gesetzliche Spielräume auf Landesebene zu nutzen und für das Land Berlin in diesem Rahmen Whistleblowerschutz-Regelungen zu installieren. So ist in dem parlamentarischen Antrag folgendes vorgesehen:
- So soll das Disziplinargesetz für Beamte geändert werden und ein Disziplinarverfahren eingestellt werden können, wenn Beamte "sich ohne Einhaltung des Dienstweges an eine außerbehördliche Stelle" wenden, wenn sie beispielsweise Hinweise auf Straftaten geben.
- Anderes Beispiel: Mitglieder des Verfassungsschutzes sollen die Möglichkeit erhalten, sich direkt an Mitglieder des Verfassungsausschusses wenden zu können, ohne dienstliche Sanktionen befürchten zu müssen.
- In der Landeshaushaltsordung soll eine entsprechende Vorschrift sicherstellen, dass in landeseigenen Unternehmen Hinweisgebersysteme einrichten
- Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen soll ebenfalls durch vertragliche Regelungen gewährleistet sein, dass Angehörige von Auftragsnehmern sich direkt an den Vertrauensanwalt des Berliner Senats zur Korruptionsbekämpfung wenden können und sich die Auftragnehmer verpflichten, "jede Maßregelung oder Benachteiligung" ihrer Arbeitnehmer zu unterlassen.
Dazu haben die Fraktionsmitglieder eine ausführliche Begründung vorgelegt.
Die Vorlage wurde bereits im Februar 2015 im Parlament diskutiert Und von der Mehrheit der Berliner GroKo (SPD und CDU) als nicht notwendig empfunden - es sei ja mehr oder weniger alles in Ordnung und soviele "kleine Edward Snowdens" (SPD) könne es garnicht geben, weil "die Berliner Verwaltung nicht wie die NSA" arbeite, sondern sich "grundsätzlich rechtstreu" verhalte. Und für die Korruptionsbekämpfung würde schon genug getan.
Der Antrag wurde daraufhin in die Ausschüsse verwiesen und mehr als ein Jahr später, am 9. Mai 2016, im Innenausschuss aufgerufen. Dort hatte der stellv. Vors. des Whistleblower-Netzwerks Gelegenheit, vorzutragen und Fragen der Abgeordneten zu beantworten. So auch, um beispielsweise auf Argumente wie
- dies führe "nur zu weiterem bürokratischen Aufwand"
- die vorgeschlagenen Regelungen lägen "außerhalb der Systemtik"
des CDU-Staatssekretärs einzugehen.
Die Debatte machte klar, dass SPD und CDU kein Interesse an landesspezifischen Regelungen haben und dies als völlig überflüssig betrachten. Die Vorlage muss nun in den Haushaltsausschuss gehen, bevor sie dann - absehbar - im Plenum abgelehnt werden wird.
Europa-Parlament, am 14. April 2016
über Geschäftsgeheimnisse, Whistleblower und Journalisten
Das EU-Parlament hat nun endgültig abgestimmt und die EU-Richtlinie mit großer Mehrheit verabschiedet, die lange umstritten war und heftig diskutiert wurde. Auch im Zusammenhang mit den TTIP-Verhandlungen.
Die Richtline, die jetzt in allen 27-EU-Staaten umgesetzt werden muss, soll den Begriff und den Tatsbestand von "Geschäftsgeheimnissen" harmonisieren. Studien waren zum Ergebnis gekommen, dass dieser Schutz teils uneinheitlich, teils überhaupt nicht existiert und sich dies nachteilig auf Innovation und Forstchritt auswirken könne. Jetzt soll ein einheitliches Rahmenwerk diese wachstumshemmenden Umstände beenden.
Nach wie vor uneinheitlich allerdings sind in den EU-Staaten die rechtlichen Regelungen für Whistleblower und Journalisten. Dies war der langjährige Streitpunkt. Auf Druck von NGO's, Journalistenverbänden und anderen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten sind nun einige (wenige) Klarstellungen in dem gesamten Regelwerk in Sachen "trade secrets" erfolgt und mehrheitlich übernommen worden.
So heißt es in dem nur auf EN vorliegenden Dokument in Art. 10b (S. 14):
"While this Directive provides for measures and remedies which may consist in preventing the disclosure of information in order to protect the confidentiality of trade secrets, it is essential that the exercise of the right to freedom of expression and information (which encompasses media freedom and pluralism as reflected in Article 11 of the Charter of Fundamental Rights of the European Union) be not restricted, in particular with regard to investigative journalism and the protection of journalistic sources."
Und in Art. 12 a (S. 15):
"Measures, procedures and remedies provided for under this Directive should not restrict whistleblowing activity. Therefore, the protection of trade secrets should not extend to cases in which disclosure of a trade secret serves the public interest, insofar as directly relevant misconduct, wrongdoing or illegal activity is revealed.
This latter should not be seen as preventing the competent judicial authorities from allowing an exception to the application of measures, procedures and remedies where the respondent had all the reasons to believe in good faith that his conduct met the appropriate criteria set out in this Directive."
Abzuwarten bleibt jetzt, in welchem Umfang die Ausnahmetatsbestände (misconduct, wrongdoing, illegal activity) für Whistleblower / Informanten in diesem Umfang bzw. in dieser allgemeinen Breite in nationales Recht übernommen werden. Denn erstmals sind jetzt nicht nur strafrechtlich relevante Tatbestände angesprochen. Auch in den verkürzten Verlautbarungen wie etwa der offiziellen Pressemitteilung wird darauf hingewiesen. Auch die Journalistenverbände, beispielsweise der DJV, sind jetzt zufrieden(er).
Für deutsche Verhältnisse ändert sich wenig:
- Der presserechtliche Informantenschutz funktioniert unverändert sicher und wird regelmäßig von den höchsten deutschen Gerichten bestätigt: Whistleblower, die sich an die Presse wenden und somit zu "Informanten" im Sinne des Presserechts werden, sind - sofern sie keine Fehler machen und sich unfreiwillig outen - durch das Zeugnisverweigerungsrecht seitens der Journalisten und Medien (z.B. § 53a StPO) geschützt.
- Nach wie vor ungeschützt sind in Deutschland Whistleblower.
Die neue EU-Richtline öffnet hier möglicherweise eine erste Tür: Sollte das "Trade-Secrets"-Regelwerk in dieser Form einschl. der Ausnahmetatsbestände übernommen werden, so könn(t)en sich Whistleblower, wenn es um Enthüllungen von entsprechenden "Geschäftsgeheimnis"-Praktiken geht, genau auf diese Ausnahmen berufen. Möglicherweise nimmt das die nunmehr in Bringschuld stehende Bundesregierung zum Anlass, über ein deutsches Regelwerk zum Whistleblowerschutz nachzudenken.
Auch wenn sich für deutsche Verhältnisse - ersteinmal - nichts ändert: Die EU-Kommission ist bei (Schutz)Vorschriften bzw.Vorteilsregelungen für die Wirtschaft immer recht aktiv. Genau das Gegenteil ist zu beobachten, wenn es um Whistleblowing als Fühwarnsysteme geht, die auf diesem Weg Fehlverhalten verhindern und Arbeits- und Lebensqualität sichern.
Bundestag, 16. Oktober 2015
Vorratsdatenspeicherung mit großer Mehrheit der Großen Koalition verabschiedet
Mit 404:148:7 Stimmen, u.a. mit Mehrheit der SPD, ist nun Gesetz geworden, was die Sozialdemokraten und Bundesjustizminister Heiko MAAS lange abgelehnt hatten: die "neue" Vorratsdatenspeicherung in Deutschland. Nach dem neuen Gesetzeswerk müssen Telekommunikationsunternehmen, Internetprovider und andere Zugangsanbieter a) sog. Verkehrsdaten 10 Wochen lang und b) Standortdaten von Mobilfunkgesprächen 4 Wochen lang gespeichert werden. Ausgenommen von dieser Regelung c): die Email-Kommunikation.
Justizminister MAAS ist der Meinung, dass nunmehr weniger als früher gespeichert würde (was vom Bundesverfassungsgericht und vom Europäischen Gerichtshof als verfassungswidrig beurteilt wurde) und dass das neue Gesetz der Rechtsprechung nun Genüge leisten würde. Und zum Schutz von sog. Berufsgeheimnisträgern trug er in der Debatte vor: "Deshalb schreiben wir ins Gesetz, dass für alle Berufsgeheimnisträger ein umfassendes Erhebungs- und Verwertungsverbot, also auf der Zugriffsebene, gilt. Solche Verbote kennt das Gesetz auch schon heute, zum Beispiel bei so gravierenden Eingriffen wie der akustischen Wohnraumüberwachung. Auch dort bietet das Erhebungs- und Verwertungsverbot umfassenden Schutz – das wurde bisher auch nicht kritisiert –, und genau diesen Schutz wird es zukünftig auch bei den Verkehrsdaten geben. Das ist in unserem Gesetz so gesichert."
MAAS kontert auch die Vorwürfe, dass Whistleblower und Journalisten nicht ausreichend geschützt seien, insbesondere im Zusammenmhang mit dem jetzt neu eingeführten Straftatbestand der "Datenhehlerei": "Der dritte Aspekt betrifft den neuen Straftatbestand der Datenhehlerei; darüber ist in den letzten Wochen einiges geschrieben worden. Wenn wir einerseits den Pool gespeicherter Daten erweitern, dann müssen wir andererseits diese Daten in Zukunft wirksamer schützen. Das sind wir nicht nur den Betroffenen schuldig, sondern das ist eine Erkenntnis aus der zunehmenden Digitalisierung unserer Gesellschaft, an der wir uns nicht vorbeimogeln können.
Der Vorwurf, damit würden auch Whistleblower kriminalisiert, trifft nicht nur nicht zu: Er ist völlig falsch und an den Haaren herbeigezogen. Datenhehlerei gilt nur für gestohlene Daten, die zum Beispiel durch einen Hackerangriff erbeutet werden. Ein Whistleblower besitzt aber in der Regel seine Informationen völlig rechtmäßig.
Der entscheidende Punkt bei ihm ist die Weitergabe der Information, aber diese Weitergabe ist weder für den Whistleblower eine Datenhehlerei noch für denjenigen, der die Information entgegennimmt; das ist eigentlich relativ einfach nachvollziehbar.
Wir stellen außerdem sicher, dass Journalisten durch den neuen Straftatbestand nicht beeinträchtigt werden. Ihre Tätigkeit wird von diesem Straftatbestand nicht erfasst; das schreiben wir sogar explizit ins Gesetz" - so das Wortprotokoll der Sitzung.
Die Zukunft wird erweisen, ob das alles so funktioniert.
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Bundestag, 18. Juni 2015
Whistleblowerschutz-Gesetz zum dritten Mal seit 2009 im Bundestag gescheitert
Vor sechs Jahren wurde der erste Gesetzesentwurf im Bundestag vorgelegt: ein Vorschlag der SPD, die damals (2009) in der Opposition war. Gestern nun hat dieselbe Partei einen entsprechenden Gesetzesentzwurf der GRÜNEN (siehe Eintrag vom 16. März) zusammen mit den Stimmes des Koalitionspartners CDU/CSU in 2. und 3. Lesung abgelehnt. Seitens der CDZ/CSU kamen die üblichen Vorbehalte: "Denunziantentum".
Auch 2012 hatte die SPD erneut einen solchen Gesetzesantrag gestellt. Damals war sie ebenfalls in der Opposition. Nun ist sie Mitregierungspartei. Und stimmt gegen das ab, was - eigentlich - zu ihren politischen Forderungen gehört.
Immerhin hatte sie im Koalitionsvertrag 2013 durchgesetzt, dass geprüft werden solle, ob die derzeit geltende Rechtslage den internationalen Anforderungen und Standards entspricht. Damit wurde aber noch nicht einmal begonnen, wie die zuständigen Ministerien für Arbeit und Soziales sowie für Justiz und Verbraucherschutz erklärten. Entweder hat die SPD an derlei Regelungen kein Interesse mehr oder sie ordnet die Lösung dieses Problems dem Koalitiionsfrieden unter. Sie könnte anders handeln, wenn sie wollte - alle 3 Schlüsselministerien befinden sich in ihrer Hand: Arbeit und Soziales, Justiz und Verbraucherschutz sowie Wirtschaft.
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EU-Parlamentarier und TI in Brüssel, 17. Juni:
SPEAK-UP - Empowering citizens to blow the whistle on corruption
In den letzten Wochen gab es im Europäischen Parlament gleich zwei öffentliche Diskussionsrunden, die sich dem Thema Whistleblowing widmeten. Eine Gruppe von Abgeordneten verschiedener Fraktion und einige NGOs wollen hier am Ball bleiben und EU-Rechtsakte anstoßen. Zugleich aber stimmte der Rechtsausschluss des Parlaments mehrheitlich für eine neue EU-Richtlinie, die den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ausbaut und Whistleblowing weiter erschweren wird.
Seit Ende 2014 gibt es im Europäischen Parlament ein Gruppe von Abgeordneten verschiedener Fraktionen, die sich in einer Intergroup „Integrity - Transparency, anti- corruption and organised crime“ zusammengetan haben. Gemeinsam mit NGOs wie Transparency International, Alter-EU und Restarting the Future wollen diese Abgeordneten sich auch für eine Harmonisierung und Verbesserung des Schutzes von Whistleblowern in der EU einsetzen. Das Europäische Parlament hatte 2013 und 2015 mehrheitlich bereits entsprechende Initiativen der EU-Kommission gefordert, konkretisiert wurden die Pläne aber bisher nicht. Die Intergroup und die NGOs wollen dies nun ändern und die Kommission, welcher das alleinige Vorschlagsrecht für EU-Rechtsakte zusteht, mit einem konkreten Entwurf zum Handeln treiben. Bis jener Entwurf auf dem Tisch liegt wird es aber wohl noch etwas dauern, denn bisher sind auch die Intergroup und die NGOs kaum über allgemeine Absichtserklärungen und eine Vorstudie hinausgekommen.
Immerhin fanden in Brüssel aber bereits mehrere öffentlche Veranstaltungen statt, die für das Thema Whistleblowerschutz sensibilisieren sollen. So gab es vor wenigen Wochen eine Podiumsdiskussion (YouTube-Video) zu der u.a. Julian Assange und Sarah Harrison zugeschaltet waren und in deren Rahmen auch eine Vertreterin der Europäischen Bürgerbeauftragten (die zuletzt bei der Ausgestaltung ihrer eigenen internen Whistleblowing-Regelungen den Vorschlägen von Whistleblower-Netzwerk e.V. wenig Beachtung geschenkt hatte) und der EU-Kommission auftraten. Gerade die Vertreterin der EU-Kommission machte aber deutlich, dass man dort derzeit keine konkreten Initiativen in Punkto Whistleblowerschutz plante. Dies obwohl eine aktuelle Umfrage belegt, dass 74 Prozent der Europäer, die Korruption beobachteten darüber schwiegen.
In einer zweiten Veranstaltung in der letzten Woche präsentierten die Intergroup und Transparency International den erschütternden Whistleblowerfall des John Wilson, eines einfachen Polizisten aus Irland, der gemeinsam mit einem Kollegen ein Netzwerk hochrangiger Polizeiführer, Richter und Politiker aufdeckte, die Verkehrsverstöße von Netzwerkangehörigen und ihren Freunden über viele Jahre unter den Tisch kehrten. Geschildert wurde auch wie das Advocacy und Legal Advice Center (ALAC) von TI-Irland die Whistleblower gegen zahlreiche Widerstände und Anfeindungen unterstütze und der Fall letztlich mit zu einer deutlichen Verbesserung der Rechtslage von Whistleblowern in Irland beitrug. Schade nur, dass es weder auf EU-Ebene noch in Deutschland ein ALAC gibt und man hier wie dort von Transparency International als Whistleblower nur zu hören bekommt, dass man sich dort mit Einzelfällen nicht beschäftigt.
Als zweiter Whistleblower trat auf jener Veranstaltung Antoine Deltour auf, der als ehemaliger Mitarbeiter bei PWC die Steuersparkooperation zwischen dem Staat Luxemburg und multinationalen Unternehmen aufdeckte (Luxleaks) und vor kurzem den Bürgerpreis des Europäischen Parlaments erhalten hat. Allerdings wird er zugleich in Luxemburg – genauso wie der Journalist, der die Story veröffentlichte - strafrechtlich verfolgt und wird sich wohl im Herbst vor einem Richter verantworten müssen. Daher braucht er Solidarität.
Auch bei dieser Veranstaltung wiederholte die Vertreterin der – vom ehemaligen luxemburgischen Premierminister geleiteten - EU-Kommission wieder, dass man natürlich grundsätzlich für den Schutz von Whistleblowern sei, einen speziellen Rechtsakt diesbezüglich aber jedenfalls in nächster Zeit nicht anstrebe.
Unterdessen hatte am Tag zuvor der Rechstausschuss des EU-Parlaments einem anderen Kommissionsvorschlag mit nur wenigen Änderungen zugestimmt: einer Richtlinie zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. In dieser ist zwar eine Ausnahme für bestimmte Arten von Whistleblowing vorgesehe, wer die dafür nötigen Bedingungen aber nicht erfüllt oder auch nur deren Erfüllung nicht gerichtsfest beweisen kann, dürfte sich aber zukünftig noch schneller Regressansprüchen von Schutzrechtsinhabern ausgesetzt sehen. Während in der Europäischen Menschenrechtskonvention die Meinungsfreiheit, also auch das Whistleblowing eigentlich die Regel ist und jegliche Einschränkung einer besonderen Rechtfertigung und einer nachgewiesenen Notwendigkeit bedarf, soll die neue EU-Richtlinie auf der Basis einer sehr weitgehenden Defnition die praktisch alles schützt was ein Unternehmen für schutzwürdig erachtet, dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis zukünftig genau umkehren. Die Beweislast läge dann beim Whistleblower. Schutzvorschriften oder gar Rechte für Whistleblower sucht man in jenem Richtlinienentwurf ebenfalls vergebens.
Angesichts der Abstimmung und der christ- und sozialdemokratischen Mehrheiten im Europäischen Parlament, sowie der vom Lobbyismus der Industrie geprägten Haltungen der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten dürfte jener Richtlinieentwurf bald in Kraft gesetzt werden – auf einen effektiven Schutz für Whistleblower durch EU-Recht, wird man wohl noch sehr lange warten müssen.
Guido STRACK, Köln
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Bundesrat, Bundesjustizministerium
Gesetzentwurf zu Datenhehlerei
Entwurfsvorlage, Referentenentwurf
Vom Bundesland Hessen 2014 über den Bundesrat in den Bundestag eingespeist: ein Gesetzentwurf über die Strafbarkeit der Datenhehlerei, der einen neuen § 202 StGB vorsieht. Ziel: Die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, z.B. das Erschweren bzw. Verhindern von sog. Identitätsdiebstählen. Der Vorgang wurde seit 30.4.2014 nicht weiter verfolgt.
Jetzt hat bereits im April das Bundesministerium für Justiz im Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung Leitlinien zur Vorratsdatenspeicherung vorgelegt, mit dem der Handel von Kreditkartendaten, Zugangsdaten zum Online-Banking oder anderen Online-Diensten unterbunden werden soll. Kritiker befürchten nun eine Einschränkung für investigativ arbeitende Journalisten, Whistleblower und Leaking-Plattformen.
Tatsächlich bzw. juristisch würde sich hier ersteinmal nichts ändern: Der Informantenschutz (Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten) ist durch die Rechtsprechung abgesichert, Whistleblower sind hierzulande ungeschützt. Und Leaking-Plattformen leben von der totalen technischen Anonymität. Allerdings hätte es dem Entwurf gut angestanden, eindeutige Klarstellungen für bestimmte Situationen und Motive (z.B. Whistleblower) und/oder Berufsgruppen (z.B. Journalisten)zu schaffen. So hätte nach der Intention des geplanten Gesetzesentwurfs beispielsweise der Whistleblower Detlef TIEGEL im Jahr 2008 'bestraft' werden müssen, der als Mitarbeiter eines Call-Centers in Lübeck der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein eine Daten-CD hat zukommen lassen, um auf die illegale Datennutzung seines Arbeitgebers aufmerksam zu machen. Die Staatsanwaltschaft, die dem Legalitätsprinzip verpflichtet ist, musste gegen TIEGEL ermitteln. Stellte dann aber (großzügigerweise) das Verfahren ein. Für solche Fälle braucht es eindeutige Regeln.
Einen Überblick über die Befürchtungen und die reale Faktenlagemit unterschiedlichen Stellungnahmen hat die Journalistin Christiane SCHULZKI-HADDOUTI auf golem.de zusammengetragen.
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EU-Kommission / Europa
Geschäftsgeheimnisse versus Journalisten und Whistleblower?
Rechtsausschuss/EU-Parlament: Entscheidung im Sommer 2015
Die EU-Kommission will europaweit eine einheitliche Definition über "Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse" durchsetzen. Begründung: Die "Rahmenbedingungen für Investitionstätigkeiten in Unternehmen verbessern", damit sich Europa weltweit innovativ und wirtschaftlich besser positionieren könne. Dies soll durch einheitliche Regeln beim "zivilrechtlichen Schutz vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen" geschehen. Das Vorhaben datiert aus dem Jahre 2013.
Dagegen haben sich unzählige Initiativen und NGO's in einem Offenen Brief ausgesprochen, der in der taz am 7. April 2015 veröffentlicht wurde. Die Unterzeichner fürchten, dass damit die gesellschaftlich relevante Arbeit von Journalisten erschwert und die Funktion von Whistleblowern eingeschränkt bzw. verhindert wird. Schon dadurch, dass im Fall von Straf- oder Zivilverfahren der Zugang zu Akten oder Verhandlungen vor, während und nach einer Klage beschränkt werden könne, um "Betriebsgeheimnisse" zu schützen.
Der Richtlinienvorschlag "über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung" sieht - im Prinzip - vor, Ausnahmebereiche zuzulassen. Die geplanten "Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe" sollen nicht gelten, wenn der angebliche Erwerb bzw. die angebliche Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses in einer der folgenden Situationen erfolgt ist:
- zum Zwecke der rechtmäßigen Wahrnehmung des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit;
- zum Zwecke der Aufdeckung eines ordnungswidrigen Verhaltens, einer strafbaren Handlung oder einer illegalen Tätigkeit des Antragstellers, sofern der angebliche Erwerb bzw. die angebliche Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses für die Aufdeckung erforderlich war und der Beklagte im öffentlichen Interesse handelte;
- das Geschäftsgeheimnis wurde von Arbeitnehmern gegenüber ihren Vertretern im Rahmen der rechtmäßigen Ausübung von deren Vertretungsbefugnissen offengelegt;
- zur Erfüllung einer nichtvertraglichen Verpflichtung;
- zum Schutz eines legitimen Interesses
Absehbare Folgen/Konsequenzen:
In Deutschland wird sich durch eine EU-vereinheitlichte Geschäftsgeheimnis-Definition bzw. ein ggfs. erweiterter rechtlicher Maßnahmenkatalog nichts ändern:
- Der Informantenschutz (Redaktionsgeheimnis bzw. Zeugnisverweigerungsrecht von Journalisten und Medien) wird davon nicht tangiert und ist durch die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung abgesichert
- Whistleblower sind (derzeit immer noch) nicht geschützt, so dass sich an diesem unerfreulichen Zustand ebenfalls nichts ändert
- Allerdings: Bei Klagen von Unternehmen und Institutionen, die gegen Journalisten und Medien vorgehen wollen, wäre als letzte Instanz dann der Europäische Gerichtshof (EuGH) zuständig. Und nicht mehr das Bundesverfassungsgericht, das seit Jahrzehnten nicht nur Garant der Meinungsfreiheit ist, sondern vor allem auch das Recht auf investigatives Recherchieren und Publizieren in Verfassungsrang gehoben hat
Für andere EU-Länder kann sich dies anders darstellen:
Nicht überall hebt die Rechtsprechung das Öffentliche Interesse so heraus, gerade in Abwägungsfällen zwischen Individualrechten (Persönlichkeitsrechte, Datenschutz, Geschäftsgeheimnis) und öffentlichen Belangen, wie in Deutschland - insbesondere auch dann, wenn Informationen "rechtswidrig" erlangt und veröffentlicht wurden. Hier kann es in dem ein oder anderen EU-Land zu veränderten Gewichtungen zugunsten der Geheimniskrämerei kommen. Selbst wenn es in den jeweiligen Ländern (schwache) Schutzvorkehrungen für Whistleblower oder Informanten gibt.
Dies kann wegen der absehbaren Rechtsunsicherheit zu einer (weiteren) Verunsicherung von potenziellen Whistleblowern bzw. Informanten führen. Darunter würde die gesellschaftlich notwendige Transparenz leiden.
Kommentierung:
Das EU-Parlament hat - wie beispielsweise auch der Europarat, die OECD oder die Runde der G10-Gipfel - schon mehrfach und seit längerer Zeit Whistleblower-Schutzgesetze gefordert. So gesehen ist die EU-Kommission am Zug. In einem sich immer weiter demokratisierenden Gemeinwesen müssten Gesetzes- bzw. Richtlinienvorschläge, die unterschiedliche bzw. im Zweifel gegensätzliche Interessen klären sollen (bzw. wollen), zumindest parallel auf den Weg gebracht werden.
Der Umstand, dass (zunächst?) der Bereich der betrieblichen Geheimnisse geregelt bzw. geschützt werden soll, ohne dass ein Fahrplan zur Regelung von eindeutigen Ausnahmefällen existiert, wirft ein absolut einseitiges Licht auf die Kommission. Bekanntermaßen geriert sie sich selbst nicht als 'Freund' von Whistleblowern, wie inzwischen unzählige Fälle belegen.
Hier müsste das Parlament das im Sommer 2015 entscheiden soll, klare Signale setzen. In Kürze werden dazu deer DGB, die dju, Lobbycontrol, FFII, das Whistleblower-Netzwerk sowie Correctiv eine gemeinsame Presseerklärung herausgeben, die hier veröffentlicht wird.
Hinweis:
Einen Überblick über die internationale Rechtslage von Regelungen zum Thema Whistleblowing hat das Whistleblower-Netzwerk zusammengestellt.
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Abgeordnetenhaus Berlin (Berliner Landesparlament)
Whistleblower-Schutz in Berlin: GRÜNE bringen Gesetzesvorschläge ein
Weil sich auf Bundesebene wenig bzw. nichts tut und sich die GroKo im Koalitionsvertrag nur darauf einigen konnte, zu prüfen, ob und inwieweit die derzeit geltende Rechtslage den internationalen Anforderungen genügt (was sie definitiv nicht tut), hat die Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschlossen, einen eigenen Gesetzesentwurf einzubringen und auf Landesebene das zu ermöglichen, was potenziell geht.
Der Gesetzesvorschlag (Drucksache 17/2082 v. 28.1.2015) zur "Verbesserung des Schutzes von Hinweisgeber-/innen", um "Spielräume auf Landesebene für den Schutz" solcher Hinweisgeber zu nutzen, bezieht sich auf mehrere rechtliche Ebenen bzw. landesspezifische Handlungsräume:
- Beim Disziplinarrecht sollen derlei Sanktionen eingestellt werden, wenn Beamte entsprechende Hinweise vorgebracht, aber keine in der Sache begründete Antwort erhalten haben. Dies soll auch dann gelten, wenn sie sich direkt an die Öffentlichkeit wenden, "wenn das öffentliche Interesse am Bekanntwerden der Information das behördliche Interesse an deren Geheimhaltung erheblich überwiegt."
- Beim Verfassungsschutzgesetz ist die sanktionsfreie Möglichkeit vorgesehen, dass sich Mitarbeiter auch direkt an den Verfassungsausschuss wenden dürfen.
- Über die Landeshaushaltsordnung soll geregelt werden, dass Unternehmen, an denen der Staat beteiligt ist, entsprechende Hinweisgebersysteme installiert werden
- Eine entsprechende Erweiterung des Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetzes (öffentliche Aufträge an private Unternehmen etc.) sieht vor, dass interessierte Firmen Sorge für den Schutz von Hinweisgebern tragen (müssen).
Eine erste Lesung hat es bereits gegeben. Jetzt befindet sich der Antrag im parlamentarischen Prozedere.
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Deutscher Bundestag / Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales
GRÜNE und LINKE fordern Whistleblowerschutz in Deutschland
16. März 2015
Beide Parteien haben schon seit längerem Gesetzesentwürfe vorgestellt und eingebracht, die auch Whistleblower in Deutschland schützen sollen. Dies würde internationalen Anforderungen und Standards entsprechen. Ursprünglich war auch die SPD mal für ein solches Vorhaben, kann bzw. will sich aber im Kontext der Großen Koaltion offenbar zu ihrem Entwurf vom Februar 2012 nicht mehr positionieren.
So verbleiben lediglich die beiden Oppositionsparteien LINKE und GRÜNE, die sich aktiv für die Verbesserung der Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen durch Abstellen von Missständen und anderen gemeinschädlichen Tatbeständen durch Aufklärung durch Whistleblower einsetzen. Situationen ohne Whistleblower dokumentieren wir unter Vorgänge und Ereignisse, bei denen es keine Whistleblower gab. Und die dann im Desaster endeten.
Zu den ursprünglichen Anträgen der beiden Parteien (Entwurf LINKE, BT-DRucksache 17/6492 vom 5.7.2012; Entwurf GRÜNE, BT-Drucksache 17/9782 v. 23.5.2012) bzw. den neu formulierten Gesetzesanträgen vom November 2014 (LINKE: BT-Drucksache 3043, GRÜNE: BT-Drucksache 3039) gab es am 16. März eine Anhörung. Die Relevanz, die die Mehrheit im Ausschuss diesem Thema beimisst, lässt sich bereits am zeitlichen Umfang ablesen: 1 Stunde für 11 Experten. Die vorher eingereichten Stellungnahmen der Experten finden sich hier als Ausschussdrucksache 18(11)330.
Die dieser Anhörung im November 2014 vorausgegangene Bundestagsdebatte ist dokumentiert im Blog des Whistleblower-Netzwerks. Dort findet sich auch der Link zum Bundestagsvideo dieser Debatte. Außerdem eine kritische Auseinandersetzung mit den dort vorgetragenen Informationen. So leben die Abgeordneten von CDU/CSU nach wie vor in dem Glauben, dass Whistleblower hierzulande ausreichend geschützt seien. Nachzulesen in einem Faktencheck des Whistleblower-Netzwerks. Das Whistleblower-Netzwerk hat übrigens schon vor längerer Zeit einen eigenen Gesetzesvorschlag dazu vorgestellt. Davon sind die meisten Empfehlungen in die Entwürfe von GRÜNEN und LINKEN eingegangen.
Die Anhörung, die 1 Stunde und 11 Minuten dauerte, lässt sich in einem aufgezeichneten Bundestagsvideo verfolgen. Der weitere Fortgang ist absehbar: Die (riesen)große Mehrheit von CDU/CSU und SPD wird die Anträge im Plenum ablehnen.
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Transparenzbarometer: die aktuelle Transparenz-Chronik
Dies ist die aktuelle Chronik, in der wir alle relevanten Ereignisse und Vorgänge dokumentieren: alles zusammengefasst, was Sie t.w. detaillierter in den anderen Unterseiten finden. Konkret: Hier der Überblick, der eine Art Seismograph darstellt, dort dann mehr Einzelheiten und Hintergrund.
Die Transparenz-Chronik kann dabei nur so gut sein, wie es die Informationen sind, die wir finden, und die Hinweise, die wir bekommen. Anders gesagt: Wie aktuell alles ist, hängt auch von Ihnen ab, wenn Sie Informationen haben. Und ob sie diese mit uns teilen.
Verstehen Sie dies bitte als freundliche Aufforderung!
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Der aktuelle Wochenrückblick des Whistleblower-Netzwerks
Vorgänge, bei denen es keine Whistleblower gab
Aktuelle Whistleblower-Fälle in Deutschland
Andere Länder: Whistleblower und Informanten
Richter, Medien und Öffentlichkeit
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Uns kann durchaus ein wichtiges Ereignis in Sachen Transparenz durch die Lappen gehen.